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Aus: Düsseldorfer General-Anzeiger vom 31.3.1912;
Buch der Katastrophen, Leipzig 1916
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd' ich nun nicht los –
klagt Goethes Zauberlehrling, klagten die Menschen, als sie sich bewußt wurden, was sie mit der Erziehung der Pferde zu denkenden Wesen angerichtet hatten.
Das intellektuelle Pferd, dessen Denken der ahnungslose Mensch durch harmlose Zahlen- und Buchstabenexperimente weckte, wurde in seiner unaufhaltsam fortschreitenden, starken geistigen Entwicklung von Generation zu Generation ein schwerwiegender Faktor, der sich eines Tages riesengroß und unerbittlich in die überlieferten Institutionen der Menschen schob.
»Gleiches Recht für Pferd und Mensch!«
»Was dem Menschen recht, ist dem Pferde billig!«
Mit dieser Forderung, mit diesem Schlagwort traten die intellektuellen Pferde aus ihrer tierischen Reserve an die Menschheit heran. Sie verlangten Aufnahme in das Staatswesen und in die Gesellschaft als vollwertige Bürger.
Es wurde ein Zentral-Komitee mit dem Sitz in Elberfeld gebildet. Von hier ging eine eindringliche, wohlorganisierte Propaganda aus, die einen Zusammenschluß aller gleichgesinnten Pferde und eine einheitliche Stellungnahme in dieser so wichtigen Existenzfrage erstrebte.
Die überwiegende Mehrzahl der Pferde trat der Emanzipationsbewegung bei.
Nur eine geringe Anzahl geistig schwach entwickelter Pferde ohne Freiheitsgefühl und fortschrittliches Interesse kümmerte sich nicht um die Evolutionen einer neuen Zeit.
Die intellektuellen, positiven Massen sammelten sich im festen Bestreben, unter allen Umständen und mit der größten Energie den Menschen gegenüber ihre Ansprüche auf Gleichberechtigung und Menschenrecht durchzusetzen.
Man tat alles, was dem förderlich war.
Vereine wurden gegründet. Politische Stammtische entstanden. Zeitungen und Flugblätter kündeten die Maximen des Zentral-Komitees.
Delegierte wurden gewählt, die auf den regelmäßig stattfindenden Versammlungen in Elberfeld die Interessen ihrer beauftragten Verbände zu vertreten hatten.
Nicht alle Pferde standen auf dem gleichen Niveau der Bildung, es war genau wie bei den Menschen. Namentlich haperte es bei vielen Pferden noch bedenklich mit der Sprache. Klar und deutlich sprachen im Grunde nur wenige. Bei den meisten kamen die Sprachlaute grölend und unrein wie die Stimme eines ausgesungenen alten Komikers. Man gewöhnte sich aber auch an dieses unharmonische und unfertige Sprechen, welches dem bisherigen umständlichen Hufklopfsystem, das dem Pferde als erste Äußerung des Intellektes von den Menschen beigebracht worden, unbedingt vorzuziehen war. Es gab noch derartige, weniger begabte Pferde, die zum Ausdruck ihrer Gedanken auf die überholte Klopfmanier angewiesen waren und stets ihre Zahlen- und Buchstabenbretter wie Notenmappen umhängen hatten.
Mit diesem Mangel mußten sie natürlich hinter die sprechenden Pferde zurücktreten. Die meisten aber waren bemüht, sich mit der Kunst des Sprechens vertraut zu machen, und besuchten die mittwochs und samstags bei einer gebildeten Stute stattfindenden Sprachkurse. Dort nahm das bildungsbeflissene Pferd auch seine Klavierstunden.
Der große Tag kam, der Tag des großen Pferde-Things in Elberfeld.
Alle Rassen vom edelsten Vollblüter an bis zum Pferde gemeinen Schlages waren vertreten.
Dort standen in einer Gruppe mehrere englische Vollblüter, glatt rasiert, nach der letzten Mode der Bond Street gekleidet, mit kurz zugestutzten Mähnen, und mokierten sich in unterstrichen arroganter Weise über andere, nicht so gut gekleidete Pferde. Trakehner mit dicken Upman-Zigarren zwischen den Zähnen, mit eleganten Bügelfalten und lackierten Hufen, Schweif und Mähnen mit Kosmetik steil aufrecht »es ist erreicht« gekämmt, benahmen sich höchst anmaßend und warteten, daß sie von den anderen Pferden zuerst gegrüßt würden. Sie machten sich laut und unanständig lustig über eine Gruppe biederer Oldenburger Pferde in Landestracht und mit qualmenden Pfeifen. Ein Orlow-Traber mit weißer Weste und einem Kneifer lief geschäftig umher und stellte sich überall vor. Einige abseits stehende Pferde kratzten sich fortgesetzt unruhig mit den Hufen; es waren sogenannte Jucker. Sie standen ziemlich isoliert; man mied sie und rückte ab. Belgische Kaltblüter stellten sich breitbeinig überall in den Weg; einige repetierten für sich aus dem Sprachführer. Einen betrüblichen Eindruck machte eine Anzahl klapperiger, rassenloser Gäule, die wie schiefe Holzgestelle, mit durchgedrückten Knien und hängenden Köpfen im Gefühl der Nichtigkeit herumstanden. Dazu trugen sie noch jene lieben Sonnenstrohhüte, die der Mensch in seiner Güte, als Auftakt einer kulturgemäßen, fortschrittlichen Bekleidung, den Droschkengäulen einst gestiftet hatte. Korpulente Ardenner, an den Uhrketten schwere goldene Berlockes, schäkerten mit niedlichen, schicken, lockeren Ponystuten, deren Mähnen zu lustigen Löcklein und deren Schweife zu graziösen Pleureusen frisiert waren; sie trugen Ledertäschchen bei sich. Diese entzückenden Geschöpfe waren wohl kaum aus politischen Gründen zum Meeting gekommen. Ein vierschrötiger Ardenner, der nach Kognak roch, mußte wohl einen anzüglichen Witz gemacht haben, die Ponys kicherten in ihre Taschentücher und platzten schließlich laut heraus. Ein Pony verlor Haarnadeln.
Ein Hunter, der übelgelaunt in der Nähe stand, schüttelte mißbilligend den Kopf. Er war verdrossen, daß er so allein war und die Ponys auf sein Augengeblinzel nicht reagierten. Er grub ärgerlich seine Hufe in die Taschen seines Paletots.
Mehrere frauenrechtlerische Stuten in Reformkleidung waren auch erschienen. Sie trugen die Mähnen zu Brezeln geflochten über den Ohren.
Den sprachunkundigen oder unsicheren Pferden, die sich zur Vorsicht ihre Zahlen- und Buchstabenklopfbretter mitgebracht hatten, war es im Grunde peinlich, und sie wurden rot, wenn man sie fixierte. Ja, ja, Nichtwissen ist beschämend.
Das Durcheinander von Stimmen, Scharren und Klopfen, von gelegentlichem atavistischem Wiehern, das Gekicher der losen Ponys wurde plötzlich von einem gellenden Trompetenstoß, den dreißig als Herolde verkleidete Karrenpferde von sich gaben, unterbrochen.
Füllen, in der Uniform von roten Radlern, drangen in die Menge ein und forderten auf, die Plätze in der riesigen Thinghalle, die einst als Luftschiffhalle diente, einzunehmen.
Ein Schieben und Stoßen und gegenseitigem Auf-die-Hufe-Treten begann. Namentlich am Eingange war das Gedränge fast lebensgefährlich. Einer frauenrechtlerischen Stute trat man die Stoßlitze vom Kleid. Einem Ardenner stahl man die Börse. Ein Rotes-Radler-Füllen wurde erdrückt. Ein trauriger Droschkengaul verlor sein Sonnenhütchen.
Es dauerte eine Weile, bis alle Pferde, nach Rassen und politischer Überzeugung sortiert, ihre Plätze eingenommen hatten.
Neben den Juckern wollte niemand sitzen.
Auf dem Podium, das den Saal beherrschte, standen rote Plüschsessel und mit grünem Tuch überzogene Tische. Auf jedem Tisch standen eine Wasserflasche und ein Glas. An den Wänden waren auf Wandbrettern Gipsbüsten von berühmten Pferden, von Hans II., Muhamed, Zarif, Rosinante, Grane, Pegasus u. a., aufgestellt.
Ein alter Schimmel, scheinbar an Podagra leidend, im eleganten mit Orden geschmückten Überrock, wurde von zwei Pferden im Smoking, die schwarze Ledermappen trugen, die Treppe zum Podium hinaufgeführt und in dem roten Sessel, der unterschiedlich von den anderen mit einem sogenannten hohen Haupt, mit vergoldetem Emblem, geschmückt war, niedergesetzt.
Der alte Schimmel war das Oberroß Graf Bertram von Hafersack-Trense aus einer alten Trakehner-Familie. Er war der Führer und tatkräftige Organisator der Pferdebewegung. Er leitete mit großem Geschick die Versammlungen. Stellvertretender Vorsitzender und der rechte Huf des Grafen war Isidor Pleißen-Kohn, ein bewährter Finanzmann und gerissener Diplomat. Isidor Pleißen-Kohn trug die Mähne zu Teiteles gedreht. Er war der Sohn eines Althändlerpferdes in Kandrzn, darüber sprach er aber nicht.
Das ganze Komitee bestand aus zwanzig Mitgliedern, zumeist Abkömmlingen alter Familien mit klingenden Namen. Es waren nicht alle besondere Intelligenzen. Sie saßen erhaben auf den roten Sesseln und imponierten der Masse.
Ganz an der Seite des Podiums, dicht am Ofen, saßen eng zusammengedrückt auf Rohrstühlen fünf Menschen, richtige lebendige Menschen, und ein Phonograph. Die Menschen wirkten kümmerlich und verschwanden ganz neben der Majestät des Pferdekomitees. Das war die Vertretung der Menschheit.
Die Kommission der Menschen bestand aus einem Rechtsanwalt, einem Assessor, einem Pferdearzt, einem Zirkusdirektor und einer Schreibmaschinistin. In den Phonographen war die Rede des Professors Kutschbock eingeschaltet, einer weltberühmten Koryphäe auf dem Gebiet der Rassenvermischung und Entwicklungslehre. Er war ein Mann von 180 Jahren und verließ als scheuer Gelehrter nie seine Studierstube. Er vermittelte der Welt die Ergebnisse seiner Forschungen durch den Phonographen.
Feindliche Blicke aus Pferdeaugen trafen die Menschen, die sich sichtlich unbehaglich fühlten. Nur vor dem Phonographentrichter hatten die Pferde eine gewisse Scheu. Die Menschen rutschten auf ihren Sitzen hin und her. Die Schreibmaschinendame spitzte ihren Bleistift. Der Phonograph räusperte sich.
Plötzlich ließ ein erneuter Fanfarenstoß der dreißig Karrenpferde das Stimmengewirr und Geräusch in der Halle verstummen.
Das Oberroß Graf Bertram von Hafersack-Trense erhob sich, begrüßte in markigen Worten kurz die Versammlung und forderte auf, ein gemeinsames Lied zu singen.
»Wir halten fest und treu zusammen, hipp, hipp, hurra!« schallte allsogleich aus kräftigen Pferdestimmen ein schreckliches, ohrenzerreißendes Gegröle durch die Halle. Jedes Pferd bemühte sich, seine Nachbarn zu überwiehern. Ein ergrautes Roß mit einer Brille und einem Kapotthut, eine Witwe aus Krefeld, begleitete den Gesang auf dem Harmonium.
Die Büste Granes fiel durch das Spektakel herunter und zerschellte am harten Schädel eines stämmigen Oldenburgers.
Entsetzt schauten die Menschen in das Tohuwabohu aufgerissener Pferdemäuler.
Das Lied war aus.
Graf Bertram von Hafersack-Trense erhob sich, wieherte atavistisch in den Saal und wollte zu reden beginnen. Ein plötzlich ausbrechendes Stimmengewirr, ein wütendes Gekeif ließ ihn nicht zu Wort kommen. Die frauenrechtlerischen Stuten entrüsteten sich über die Ponys und fühlten sich schwer in ihrer Moral verletzt. Die Ponys hielten natürlich auch nicht zurück, und man fiel mit häßlichen Schimpfwörtern übereinander her. Die Moral siegte. Die Ponys wurden von den Polizeipferden aufgeschrieben und aus der Halle geschafft. Einige Ardenner Lebemannspferde begleiteten sie zu ihrem Trost.
»Sehr peinlich, überaus peinlich«, begann das Oberroß mit vor Erregung zitternder Stimme, als sich der Tumult gelegt hatte; »äußerst peinlich. Ich bedaure diese fatale Störung ungemein. Ich werde Vorkehrungen treffen, um fürderhin derartige unliebsam Vorkommnisse zu vermeiden. Man möchte fast glauben, man wäre unter Menschen.« – – –
Der Rechtsanwalt schaute auf, setzte seinen Kneifer auf, der an einer seidenen Schnur auf der gelben Weste baumelte, und unterbrach scharf den Redner: »Wie, unter Menschen? Keine Beleidigungen, wenn ich bitten darf! Wir wollen Ihr Bestes! Benehmen Sie sich aber anständig, ich sage nur Deichsel, ich sage Stall! Merken Sie sich das!« Der Zirkusdirektor klatschte mit der Reitpeitsche seine Schaftstiefel.
Ein entsetzliches Gewieher und Getrampel folgte dem Zuruf des Rechtsanwaltes. Man drohte den Menschen mit geballten Hufen und schrie ihnen beleidigende Worte zu.
Aus dem Stimmengewirr klang das Organ des Oberrosses, es warf sich in die Brust und schrie zu den Menschen hinüber: »Wir verbitten uns alle Anzüglichkeiten – – – wr vrbttn, wr.. wr – –.« Es verlor in der Aufregung die Sprache und begann mit den Hufen zu klopfen nach dem veralteten Buchstaben- und Zahlensystem. Das war eine Blamage, alle Pferde empfanden das. Das Prestige litt erheblich. Graf Bertram von Hafersack-Trense ließ sich zurück in den Sessel fallen und markierte eine Ohnmacht. Man gab ihm Aspirintabletten, er schluckte das Glasröhrchen mit hinunter.
Das Stimmengewirr im Saal verlief in ein stilles Gemurmel und Schnaufen. Die Pferde fühlten sich plötzlich klein.
Isidor Pleißen-Kohn putzte sich laut die Nase, räusperte sich und sprach beruhigend, zwei Hufe in Börsenmanier in den Armlöchern der Weste, mit fettiger Stimme: »Mer wolle, nebbich, niemande kränke. Gott, wie haißt, der Herr Vorstand der is e altes Roß und nerviös. Da kann schon, nebbich, e Wort falle in de Debatt. Red mer a so, red mer a so, ma kommt in de Hitz, nebbich. – Das wird der Herr von Rechtsanwalt einem alten Mann verzaihe. Mer wolle sage, was mer wolle. Mer müsse zu en End kommen. Nu, wie haißt, mer müsse wisse, woran mer sinn, nebbich. Benjamin Wallach, unser gebenschtes Komiteemitglied wird e Referat gebe, nebbich. Benjamin Wallach wird spreche.«
Benjamin Wallach, ein Halbblüter mit Spitzbart, galt als tätiger Förderer der Pferdeemanzipation. Er war der Deputierte von Wallachisch-Meseritsch.
»Wir sind heute hier zusammen gekommen«, begann Benjamin Wallach in schlesischer Mundart, »um endgültig festzulegen, was wir Pferde wollen, endgültige Normen zu fixieren, die uns gleiche Rechte mit den Menschen gewährleisten.« (Beifallsgewieher). »Der gegenwärtige Zustand ist für uns unhaltbar und entehrend. Das Dilemma ist unserer unwürdig. Im Grunde ist es eigene Schuld der Menschen, daß alles so kam. Die Erfindung des Autos, Dampfpflüge, elektrischen Bahnen, Dampfkarussels usw., die sogenannte Eroberung der Luft durch Aeroplane und Luftschiffe, wo wir, bodenständig, wie wir sind, nicht mittun können, alle diese technischen Neuerungen und Erfindungen haben unsere Arbeitskraft überflüssig gemacht. Die animalische Kraft war ausgeschaltet. Eines Tages fanden wir uns beschäftigungslos. Dann begann der Mensch, mehr als Spielerei, unseren Intellekt zu wecken. Man experimentierte mit uns herum, wie im Laboratorium mit Säuren und Salzen, unterwies uns, Buchstaben und Zahlen zu lesen, erweckte die Tätigkeit des Hirns, die bisher brach lag. Die Menschen gaben uns die Anregung; wir haben uns nun weiterentwickelt von Generation zu Generation und stehen heute, ich darf wohl sagen ohne Überhebung, auf gleicher Stufe mit den Menschen. Bei uns kommt zu den intellektuellen Fähigkeiten noch die körperliche Kraft und Schönheit, in der wir die Menschen übertreffen. Es ist nicht unbillig, wenn wir jetzt energisch unsere Ansprüche auf die offizielle Anerkennung einer Gleichberechtigung voll und ganz geltend machen. Was wir wollen?
Wir wollen teilnehmen an allen Äußerungen der Zeit. Wir wollen ein Faktor sein. Alle öffentlichen Einrichtungen, alle Institutionen sollen uns gleich wie den Menschen unbeschränkt zur Verfügung stehen. Müssen wir den Menschen danken, daß sie unsere Gehirne dressierten und uns wie abgeschnittene Windvögel, weil andere Erfindungssensationen, auf technischem Gebiet, sie ganz in Anspruch nahmen, einfach unserem unfertigen Schicksal überließen? Nein, nein und nein! Wir erwarten heute von den Menschen bestimmte Entschließungen. So ist der Zustand auf die Dauer unmöglich. Herr Rechtsanwalt, wollen Sie sich äußern und uns befriedigende Aufschlüsse und Kompromißvorschläge machen?«
Allgemeiner Beifall bei den Pferden, als Benjamin Wallach geendet.
Ein altes Pferd mit einem Kranzbart und einem Patriarchengewand aus Biber drängte sich an das Podium und bat ums Wort. Respektvoll machte man ihm Platz. Mit sonorem Organ begann es: »Denn die Menschenkinder haben ihr Los, und das Tier hat sein Los, und beider Los ist dasselbe. Wie das eine stirbt, stirbt das andere. Sie haben alle einen Geist, und der Mensch hat vor dem Tiere nichts voraus – – so schrieb der weise Salomon in seiner Predigt.« Das alte Roß mit dem Kranzbart verneigte sich und kletterte vom Podium.
Man war sichtlich ergriffen, und auch die Menschen empfanden den Eindruck dieser alten Offenbarung des Propheten.
Es meldeten sich noch eine Anzahl anderer Pferde zu Wort, die alles mögliche verlangten, Besuch der Theater, von Tanzlokalen, Restaurants, Bars, Varietés, Fünfuhrtees, gesellschaftlich verkehren zu können, Leutnant zu werden, in den Stadtrat und Reichstag gewählt zu werden, kurz und gut, an allen Amüsements der Menschen teilzunehmen.
Es wurde eine Lehrergehaltserhöhung, Zollermäßigung für den Haferimport, freie Zuchtwahl und Einführung neuer Freimarken von einem konfusen Pferd beantragt. Das war ein Hin und Her.
Ein alter Droschkengaul klopfte seinen Wunsch in die Debatte, man möchte den alten Haferfreßsack wieder einführen, er komme mit Gabel und Messer nicht zurecht.
Man verachtete ihn – was er verlangte, war höchst deplaciert.
Stundenlang wurde durcheinander geredet. Das Schreibmaschinenmädel kam kaum mit.
Die Menschen steckten die Köpfe zusammen und berieten. Der Assessor war eingeschlafen.
Der Zirkusdirektor schrie plötzlich in den Saal: »Hotte hüh, hotte hüh!« Die Pferde schreckten zusammen. Der alte wohlbekannte Ruf verfehlte nicht seine Wirkung. Atavistischer Respekt ließ die Pferde verstummen.
Der Rechtsanwalt nutzte die Stille und erklärte in fein juristischer Ausführung, daß es den Menschen keineswegs an einer Steigerung des feindlichen Gegensatzes liege, sondern daß man geneigt sei, in einem geistreichen Kompromiß die Angelegenheit zu erledigen. Dieser Kompromiß beruhe auf der grandiosen Theorie des Professors Kutschbock. »Durch diesen Phonographen« – der Rechtsanwalt legte eine Platte auf – »vermittelt Ihnen der geniale Forscher seine Thesen über Rassenvermischung und kommt zu einer genialen Lösung der entstandenen Gegensätzlichkeit zwischen Pferd und Mensch.«
Er steckte einen Groschen in den Apparat, und schon begann nach kurzem Gekrächze der Vortrag des Professors, deutlich und klar. Die Platte war neu. Die Pferde sperrten die Mäuler auf. »Nimma hob i dös g'sehn«, entfuhr es einem Münchener Bräupferd. Die Pferde lauschten respektvoll den Worten der Wundermaschine.
Über Philosophisches und praktische Lebensweisheit, über kulturelle Errungenschaften, über den Fortschritt auf allen Gebieten, über die politischen Konstellationen und alles Zeitgemäße sprach der berühmte Professor in klarer, übersichtlicher Weise. Er referierte den Entwicklungsgang der Pferde. Er entwickelte seine eigenen wissenschaftlichen Erfahrungen in bezug auf Rassenmischung und Neuzüchtung. Wie ihm die erfolgreiche Kreuzung der heterogensten Tiere gelungen sei und viele neue Tierarten ihm ihr Entstehen verdankten. Er sprach von seinen Forschungen speziell auf dem Gebiet der Anatomie pferdlicher und menschlicher Organismen. Er stellte pferdliche körperliche Vorzüge gegen menschliche Schwächen und umgekehrt. Er folgerte die großen Vorteile, die sich bei einem Ausgleich der Plus- und Minus-Eigentümlichkeiten der beiden Rassen zuverläßlich und logisch ergäben. Er kam in gesteigerter Beredsamkeit und schlagender Beweisführung zu dem Schluß, daß nur in einem Kompromiß zwischen Mensch und Pferd, in einem Zusammenschluß dieser beiden sich ergänzenden Rassen zu einer grandiosen Kreuzung das Heil und eine sichere Zukunft einer stabilen weltbeherrschenden Normalbevölkerung: ein höheres Menschenpferdetum erstehen würde.
Die Platte lief ab. Professor Kutschbocks Rede verlief sich in einem spitzen Gekratze des Stiftes auf der Platte.
Irritiert schauten sich die Pferde gegenseitig an. Sie konnten diese vorgeschlagene, sie im grandiosen Maße ehrende Lösung der Angelegenheit nicht glauben. Es war ein aufgeregtes Gemurmel. Die Pferde bekamen hochrote Köpfe.
Der Rechtsanwalt erhob sich und sprach ernst und in einem der Wichtigkeit der Situation angemessenen, weihevollen Tone: »Ich beziehe mich, meine werten Pferde, auf die geistvollen, schlagenden Ausführungen Professor Kutschbocks und seinen genialen Vorschlag. Ich nehme an, daß Sie entschlossen sind, diesen Kompromiß zum Heil unserer beiden Rassen, zur Schaffung eines neuen starken Geschlechtes anzunehmen. Wir wollen abstimmen, und ich bitte Sie, durch Hochheben des linken Vorderfußes Ihr Einverständnis mit unserem Vorschlag zu erklären!«
Ein Wald von Hufen schoß jäh in die Höhe. »Hoch die Menschen, hoch der Kompromiß!« schrien die Pferde, und da war keines, das sich ausgeschlossen hätte.
Ein Festmahl mit französischem Sekt und das Gedeck à Mk. 15.– beschloß den Zusammenschluß von Mensch und Pferd.
Und der Zentaur war der Herr der Welt. Eine alte Sage ging in Erfüllung.