Hermann Harry Schmitz
Grotesken
Hermann Harry Schmitz

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Von alten Frauen, Pferden und von mißhandelter Kunst

Aus: Düsseldorfer General-Anzeiger vom 12.11.1910;
Unter dem Titel »Der Prophet auf Capri« in: Professor Mauzfies und andere Tragödien, München 1941

Ich möchte auf Capri keine alte Frau und kein Pferd sein. Irgendwo anders zwar auch nicht furchtbar gern, aber hier auf Capri nicht für alle Schätze der Erde.

Darüber ist man sich fünf Minuten nach dem Betreten der Insel völlig im klaren.

Ich bin vor Entsetzen fast gestorben, als man bei meiner Ankunft an der Landungsstelle, der Marina Grande, einem guten, herzigen Großmütterchen, dem ich keine leere Zigarrenkiste zu tragen gegeben hätte, meinen 70 Kilo schweren Koffer auf den Kopf hinaufhob, um ihn zum Wagen zu transportieren.

Jeden Augenblick, dachte ich, muß die Alte zusammenbrechen, und ich sah sie schon im Geiste zu einem Lesezeichen plattgedrückt unter meinem Koffer.

Aber das Furchtbare geschah nicht.

Wenn mir hier heute in öder Gebirgsgegend eine alte Frau begegnen würde, die auf dem Kopf ein Klavier oder eine Selterswasserbude oder ein Billard einen Berg hinauftrüge, so würde mich das nicht im geringsten in Verwunderung setzen. Die Legende vom schwachen Geschlecht wird auf Capri ad absurdum geführt.

Die armen Pferdchen!

Bei uns würde selbst der brutalste Kutscher nicht auf die Idee kommen, bergauf im Galopp zu fahren. Hier ist es eine alte Gepflogenheit, und die Kutscher suchen ihren Stolz darin, die steilsten Wege mit ihren kleinen Einspännern, gleichgültig, wieviel Personen oder Gepäck sie geladen haben, im schnellsten Tempo hinaufzufahren.

Ich bin wirklich ein guter Mensch, und mein Innerstes hatte sich lange genug gegen diese tierquälerische Sitte aufgelehnt. Heute aber werde ich nur in dem Wagen nach Anacapri hinauffahren, der die 270 Meter Höhendifferenz rasselnd wie auf ebenem Boden nimmt. Auf Giuseppe mit dem blinden Pferd und dem Karößchen, das immer ein Rad verliert, dem einzigen der Capreser Kutscher, der im Schritt fährt, falle ich nicht mehr herein.

Ja, ich bin in der Tat ein guter Mensch und habe zum Beispiel unendliches Mitleid mit dem Fischer Spadaro von der Piccola Marina, mit dem langen Bart, der Adlernase und der roten Mütze. Ha, ein Charakterkopf!

Diesem Mann wird man seine Seele verwirren. Dieser Unglückliche wird bald nicht mehr wissen, wie er aussieht.

Sonst ehrbare Frauen und Jungfrauen, Männer und Jünglinge mit gutmütigen Gesichtern stellen ihn sich hin, Maccaroni essend oder Wein trinkend oder sich auf ein Ruder stützend oder mit der Hand die Augen beschattend und lugaus machend, und malen ihn ab in Öl, in Pastell, in Aquarell, auf Leinwand, auf Holz, auf Teller und malen, malen, malen... und gehen dann hin in ihrer Verderbtheit und füllen die Läden Capris und deren Schaufenster mit ihren Spadaros, behängen die Wände der Hotels und Cafés mit ihren Spadaros und erschrecken den Fremden, der die Insel sorglos betritt, in dessen Seele noch die Wunder des Museums in Neapel nachklingen, mit ihren Spadaros.

Weh Dir, unglückseliger Spadaro!

Komme nicht in die Stadt hinauf, bleibe unten am Meer in Deiner Fischerhütte, denn ein namenloses Grauen muß Dich befallen vor Deinem Zerrbild, das Dir auf Schritt und Tritt entgegenhöhnt. Rote Pausbäckchen hat man Dir gemalt, wetterharter, gebräunter Gesell!

Schon sagt man, sie hätte ihn bereits gepackt, die liebe Eitelkeit, und die amerikanischen Misses, die ihn anschwärmen, mit lüsternen, spitzen Fingern mit seinem Bart spielen und ihn den schönsten Mann der Welt nennen, hätten ihn vollends aus dem Gleichgewicht gebracht.

Maler, die Ihr den Ruf vernommen, die Ihr den göttlichen Funken in Euch spürt, zerbrecht Euere Staffeleien, quetscht Euere Farbentuben aus, aus dem Fenster auf die Vorübergehenden (zieht den Kopf aber wieder schnell zurück), zerschneidet und zerfetzt Euere Bilder, lernt Buchhaltung oder Bauchreden, werdet Kaufleute, Assessoren oder Leutnants, fangt Malschulen an und heiratet reich... stellt Euere Musen in den Kleiderschrank, denn hört: Die Spadaros jener Menschen werden gekauft!!... in Massen werden sie weggeschleppt von Capri und wie eine Seuche durch die ganze Welt getragen!

Ich schlage mich an die Brust und leugne die Blutsgemeinschaft mit jenen beiden Frauen, die sich meine Tanten nennen, die von Capri im vergangenen Jahr eine große Ölskizze »Spadaro, Maccaroni essend«, mit heimbrachten.

»Macht sich so gut über dem roten Plüschsofa im besten Zimmer.« Von dieser Erwägung ausgehend, hatten die beiden unglücklichen Geschöpfe das Bild erworben.

Leider wird auch wirkliche Kunst heute häufig von diesem generellen Standpunkt aus taxiert.

Ars omnia vincit!

Hell jauchzte ich auf, als ich über der Tür einer stattlichen Villa diese mutigen, starken Worte las.

Über alles siegt die Kunst!

Wohnte hier ein wahrer Priester Minervas?

Hatte sich in diese Hochburg die mißhandelte Kunst geflüchtet?

Ich stürzte hinein und stand vor ihm, dem Meister.

Hären war sein Gewand. Kopf- und Barthaar kannten kein Schermesser. Weltfremd war sein Blick. Wie aus fernen Tälern klang seine Stimme, gleich der eines Propheten.

Mit dem großen Ekel hatte er sich abgewandt von dem Firlefanz einer läppischen Kultur. Auf den Felsen seines Ichs hatte sich dieser Mensch gestellt. Zurück zur Natur, Natuur, Natuuuur: die Wiedergeburt zur höheren Stufe des Seins. Was kümmerte ihn das Gekläff der Menge, er hatte die Welt in sich. Er ging seinen Weg unbeirrt, sicher dem leuchtenden Ziele entgegen.

So tönte es mir wie Offenbarung in den Ohren, so sprach mit Sehergesten der Mann im härenen Gewande.

Und ich bat:

»Meister, nehmet mich zum Schüler, lehret mich Euer Leben!«

Und ich umgürtete meine Lenden mit einem härenen Gewande. Kein Schermesser durfte mehr mein Kopf- und Barthaar berühren: in Locken sollte das Haar über Nacken und Schulter fallen, als ein Zeichen und schönste Zier des freien Mannes wallender Bart die Brust bedecken.

Fort mit allem Schnickschnack einer weibischen Zeit: den wohlriechenden Seifen, Pasten, Pulvern, Wässern, der tändelnden Zahnbürste, den Kämmen und der Kopfbürste!

Fort mit dem modischen Schuhwerk, barfüßig wollte ich fürderhin durchs Leben gehen!

Und ich nährte mich von Stund an nur noch von den rohen Früchten des Feldes; und meine Seele ward geläutert Tag um Tag.

Und die Amerikanerinnen fingen an, mich »wärri mötsch zu leiken«.

Ich saß wohl manchen Tag vor den Bildern des Meisters und wartete auf die große, heilige Stunde der Offenbarungen. Und eine Wespe kam und stach mir in den nackten, dicken Zeh des linken Fußes. Der Zeh schwoll an und bekam das fürchterliche Aussehen eines rohen Frikadellchens.

Und ein Schaudern kam über mich wie von ohngefähr, und aus den Sphinxen des Meisters schienen mir die Spadaros jener entsetzlichen Frauen, Jungfrauen, Männer und Jünglinge entgegenzugrinsen.

Ars omnia vincit! Ein Würgen kam mir.

Dann hörte ich draußen vor der Tür des Raumes, in dem die Bilder des Meisters aufgestellt waren wie Altäre in einem Tempel, das lustige Klingen von Münzen, und immer wieder öffnete sich der Vorhang am Eingang, und Fremdlinge aller Nationen füllten das Heiligste des Meisters mit dem lauten Geschrei des Alltages und stocherten mit profanen Blicken in den dunklen Rätseln seiner Träume.

Und eine große Not kam über mich, Säulen stürzten in mir zusammen, und eine große Ehrfurcht wankte, und ich eilte zum Meister und sprach:

»O Meister, zürnet mir nicht, aber saget mir, warum wohnet Ihr nicht mehr in einem hohlen Baume oder einer Höhle wie einstens? Warum lebet Ihr jetzt in dieser feudalen Villa? Warum stellt Ihr Euch auf den Markt mit Eurer Kunst, mit dem Heiligsten, wie Ihr sagt, Ihr, der Einsame, der große Hasser des Marktes?

Warum suchet Ihr die Menschen, die Euch ein Greuel, die Euch ein stinkendes Geschmeiß, und schreibst an Euer Haus: Ausstellung, Exposition, Exhibition!! Eintritt 50 Cts –, Entrée 50 Cts –, Entrance 50 Cts.!!? Ihr, der Ihr wunschlos seid und ohne Gier nach dem Beifall der Menge?

Warum geht Ihr auf die Piazza mit Eurem Pilgerstecken zur Abendzeit, wenn alle Welt dort promeniert?

Oh, kündet mir dies Rätsel, fast wundersamer, wie das Eurer Bilder!«

Und der Meister schaute mich an mit Augen, deren Glänzen war wie von einem Licht aus weiten Fernen, doch dann stieg ein Rot wie der Widerschein einer Feuersbrunst in seinen Blick, und wie das Tönen einer erzenen Scheibe klangen seine Worte:

»Hebe Dich weg von mir, Unwürdiger, der Du versuchtest, Dich zu mästen an dem Odem meiner Erhabenheit! Hebe Dich weg!

Außerdem kopieren Sie mich, Sie Flegel! Das paßt mir nicht. Ich bin der Originalnaturmensch hier und dulde nicht die Konkurrenz eines schwindelhaften Poseurs. Ich bin der Prädestinierte. Ich habe lange genug in hohlen Bäumen gesessen und von Bucheckern und Beeren gelebt, ich bin lange genug nackt herumgelaufen, um mir einen Namen zu machen, meine Kunst durchzusetzen. Ich habe unglaubliche Scherereien mit der Polizei gehabt, die immer wieder versuchte, mein Ich, meinen Individualismus zu erdrosseln. Ich will die Rente meines Naturmenschentums jetzt in Ruhe genießen.

Ich will allein die Sehenswürdigkeit, the greatest show hier sein, die noch vor der blauen Grotte kommt.

Scheren Sie sich zum Teufel, Capri ist kein Platz für zwei Naturmenschen.

Im übrigen bekomme ich noch 3,50 Lire von Ihnen für siebenmaligen Besuch meiner Ausstellung.

Ars omnia vincit! Huuu, huuu, huuu!!

Ich habe mein Haupt verhüllt und bin hinweggewankt. Schleunigst, schleunigst zu einem Friseur.

Das härene Gewand habe ich mir vom Leibe gerissen und bin wieder in meine Hosen gesprungen, die mich während der Zeit meiner Verirrung vorwurfsvoll, anklagend angeschaut hatten, habe mir den höchsten Kragen um den Hals gewunden und bin zu Morgano in den Kater Hiddigeigei gegangen und habe dort mit dem Piccolo lange, lange über den Niedergang der Kunst und des Menschtums in schweren Worten geredet.

Die Amerikanerinnen finden mich heute nicht mehr »wärri intöurösting«, das ist mir aber egal, denn die schöne Contessa aus Florenz lächelt, wenn wir uns begegnen.

Und der Meister schreitet alltäglich, wenn die Sonne sinkt und alle Welt sich auf der Piazza ergeht, im härenen Gewande, barhäuptig mit dem Pilgerstecken und der großen Gebärde durch die Menge.

 


 


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