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Aus: Der Säugling und andere Tragikomödien, Leipzig 1911
Blonde Frauen bekommen furchtbar leicht Kinder. Blonde Frauen sind ganz besonders veranlagt, gute Mütter und Juwelen von Hausfrauen zu werden.
Mein Freund Theobald Seheim mußte einen solchen Typ deutscher Fruchtbarkeit heiraten. Es ging nicht mehr anders: das Mädchen gehörte der Gesellschaft an, und der Bruder war Reserveleutnant. Theobald hatte auch seinen Roman in der Gesellschaft haben wollen; er war dabei hereingefallen.
Wenn irgend etwas Außergewöhnliches an ihn herantrat, verlor Theobald stets völlig den Kopf. Ich war einmal sehr befreundet mit ihm und hatte ihm während der kritischen Zeit getreulich zur Seite gestanden; außerdem war ich ihm noch dreihundertzwanzig Mark schuldig.
Nach seiner Verheiratung sahen wir uns selten, er hielt sich unseren Kreisen fern. Zweimal war ich bei ihm zu Tisch, das letztemal vor etwa zwei Monaten. Die blonde Frau ging mir mit ihrem aufdringlichen Embonpoint auf die Nerven. Sie verließ das Zimmer nicht einen Augenblick. Theobald hatte sich in den sechs Monaten seiner Ehe verblüffend verändert. Er war äußerst moralisch geworden und begann, je mehr ich seinem wirklich nicht schlechten Mosel zusprach, mir mein ungeregeltes, verwerfliches, drohnenhaftes Junggesellendasein im Gegensatz zu seiner nützlichen, staatserhaltenden Häuslichkeit vorzuhalten. Einteilen müsse man sich sein Leben, dozierte er, alles zur Zeit und vor allem alles mit Maß. Um die Liebe sei es etwas Heiliges, erklärte er gemessen. Gerade sittlicher Ernst fehle heutzutage den jungen Leuten. Frau Seheim hängte sich polypenhaft an ihren Gemahl und drückte ihm ihre Lippen ins Gesicht. – Ich steckte mir beschämt eine neue Importe an und hauchte tief aufseufzend: »Ja, ja!« – Als er dann auf die materiellen Vorzüge einer Ehe hinwies, in höchster Entrüstung von dem In-den-Tag-Leben der meisten Junggesellen, dem sinnlosen Geldverprassen und der notwendigen Folge eines solchen verwerflichen Lebens, dem unsinnigen Schuldenmachen sprach, wurde es mir nun doch ungemütlich; ich verabschiedete mich, zumal Theobald keine Anstalten machte, eine neue Flasche anzubrechen, mit einer gewissen Kühle und mied von diesem Tage ab die Seheimsche Häuslichkeit. –
Ich hatte während der letzten Tage schauderhaft gesumpft, zwei Tage und zwei Nächte meine engsten Lackstiefel nicht von den Füßen gehabt. Die vergangene Nacht hatte sich bis heute mittag ausgedehnt. Nun saß ich als absolute Leiche auf meiner Bude und pflückte mir ächzend und stöhnend meine Gewandung vom Leibe.
Schlafen, schlafen, schlafen, war mein einziger Wunsch. Es war Dienstag. Ich hatte meiner Wirtin strengste Order gegeben, mich vor Freitag nachmittag nicht zu wecken.
Behaglich dehnte ich mich in den Federn und streckte grunzend das zerschlagene Gebein. Ich schloß die Augen und sank sanft dem Nirwana in die Arme.
Trrring..... trrriing........ trrrrrrrrrriiiing...
Ich warf mich stöhnend auf die andere Seite.
Trrrrrrrriing.... trrrrrrrrrrrriiiiing..... trrrrrrrrrriiiiiiiing..... trrring.
Ich fuhr im Bett auf; idiotisch versuchte ich, mir im Halbdusel darüber klar zu werden, woher das furchtbare Geräusch komme.
Trrrrrrrrrrrrrrrrrriiiing..... trrrrrrrrrrrrriiing... trrrrrrrrring.......
Die Korridorklingel – Trrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrriing.... trrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrring....
Warum öffnet die Wirtin nicht? Wirtinnen öffnen immer nur dann, wenn man aus bestimmten Gründen damit gerechnet hat, einen Besuch selbst an der Tür in Empfang zu nehmen.
Mein armer Kopf!
Ich hielt mir die Ohren zu. Vergebens!
Trrrrrrrrrrring.......
Ich will nicht, da muß jemand herein.
Trrrrrrrrrrrrrrrrrrriiiiiiiing.... trrrrrrrrrrrring.... trring.... trring........
Endlich – Irgendeine Tür in der Wohnung wurde rabiat aufgerissen, und eine schwere Masse schlurfte energisch durch den Korridor.
Aufatmend ließ ich mich in die Kissen zurücksinken. Ich war zu gebrechlich, um mich noch weiter für den Fall zu interessieren. –
Ein entsetzlicher Lärm auf dem Korridor störte mich, kaum eingeduselt, wieder auf. Lautes Stimmengewirr, aus dem ich das schrille Organ meiner Wirtin heraushörte, die gegen eine Männerstimme anredete. Die streitenden Parteien schoben sich näher und machten vor meiner Türe halt.
Ich richtete mich wütend auf und hörte, wie meine Wirtin fortgesetzt beteuerte, ich sei verreist und würde in den ersten Wochen kaum wiederkommen; man könne im übrigen gegenwärtig überhaupt nicht in das Zimmer, es sei frisch gestrichen. Dann kamen Argumente, die lediglich aus Schimpfworten bestanden.
Die Beharrlichkeit des Fremden draußen, zu mir zu gelangen, machte mir ernstlich Sorge. Ich suchte mir darüber klar zu werden, wo ich die Stimme schon gehört hatte. Ich konnte mich nicht besinnen. Ohne Zweifel irgendein feindseliger, gieriger Manichäer. Ich baute auf das Maulwerk meiner Wirtin.
Verzweifeltes, ohnmächtiges Schluffen und Stampfen; ein Drängen und Stoßen an der Tür. Eine energische Hand legte sich auf die Klinke, und rüttelnd heischte eine gebieterische Stimme, die ich jetzt als die Theobald Seheims erkannte, Einlaß.
Ich kroch unter die Decke. »Ich weiß, daß du da bist«, tönte es vor der Tür. Zögernd begann Theobald mit seinen amerikanisch Doppeltbesohlten den Anfang von Salomes Schleiertanz an meiner Tür zu produzieren. Mein armer Kopf. Die verdammten dreihundertzwanzig Mark.
Ich faßte einen Entschluß. Ich schleppte mich zur Tür und winselte durch das Schlüsselloch, ich sei todkrank, es müsse die Lepra sein oder die Pest. Es wäre unbedingt ansteckend; ich würde unter keinen Umständen öffnen; er habe aber als verheirateter Mann Pflichten seiner Frau gegenüber. Er solle mir schreiben, übrigens bekomme er sein Geld.
Er trampelte unverdrossen weiter. Ich hielt mir die Ohren zu. – Er änderte seine Taktik und rief durch die Türritze, er habe mir eine für mich höchst wichtige Mitteilung zu machen. Ich solle nur um Gottes willen öffnen. Wegen der alten Geldsache komme er nicht; das eile nicht. Es sei nichts Unangenehmes, darauf gebe er mir sein Ehrenwort.
Ich war einigermaßen beruhigt und öffnete also.
»Anziehen, sofort anziehen«, waren seine ersten Worte.
»Ja, aber...«
»Anziehen, schleunigst, ich erkläre dir alles. Schnell, schnell.«
»Unmöglich«, ächzte ich, »ich bin gerade im ersten Schlaf.«
»Anziehen, anziehen, sofort, soooofoooort!!« brüllte er wutschnaubend. Er sprang von einem Bein aufs andere, griff nach einem rostigen Beil aus der Schlacht bei Morgarten, welches ich als wertvolle Antiquität an der Wand hängen hatte, und rückte mir zu Leibe.
»Anziehen, anziehen, anziiiiiiiehen!!!«
Er ist irrsinnig, das wurde mir klar. Man muß ihm den Willen tun.
Ich brachte einen Tisch zwischen mich und Theobald und schwang mich mit einem gräßlichen Fluch in meine Hose.
»Schnell, schnell«, hetzte Theobald.
Ich hatte die Hose falsch herum angezogen. Ich riß sie wieder herunter, trat in die Waschschüssel, rannte gegen die offene Kleiderschranktür. Ein Topf Preiselbeeren, den meine Wirtin auf meinem Kleiderschrank aufzubewahren pflegte, fiel herab.
»Hier dein Rock – deine Schuhe – deine Weste – schnell, schnell!«
Meine Füße waren angeschwollen. Die kaum erkalteten Lackschuhe zu eng geworden. Ich zerrte und zerrte, der Hosenträger platzte.
»Töte mich, Theobald«, heulte ich, »oder sage mir wenigstens, was du mit mir vorhast.«
Die gymnastischen Anstrengungen, in die Schuhe zu schlüpfen, waren endlich von Erfolg gekrönt. Ich konnte nur auf den Fußspitzen auftreten. Es war fürchterlich. Das Blut stieg mir zu Kopf. Wasser lief mir im Mund zusammen. Es wurde mir schlecht. Die letzte Pulle Moët, der Ausklang einer gewaltigen Serie dieses leichtsinnigen Saftes, kam an den Tag.
Tränend, schluchzend, pustend ächzte ich: »Töte mich, Theobald.«
Ich sank in einen Sessel, auf welchem mein steifer Hut lag. – Unerbittlich hielt mir Theobald meinen Rock hin.
»Anziehen, anziehen! Es muß sein! Es muß sein!!«
Ganz willenlos ließ ich Theobald meine Garderobe vervollständigen. Er stülpte mir den eingesessenen Filz auf, nahm mich unter dem Arm und schleppte mich die Treppe hinab auf die Straße, wo eine Droschke wartete.
Ein naßkalter Novembertag –
Theobald und der Kutscher bauten mich im Rücksitz auf. Ich vergrub meinen todwunden Kopf in der Ecke und schlief ein. – Ein kalter Luftzug weckte mich auf. Das Fenster war heruntergefallen. Theobald zog es wieder zu und drückte mir das Ende des Fensterriemens in die Hand. Ich lehnte mich zurück, und die Augen fielen mir zu.
Der Riemen entglitt meiner Hand. Das Fenster sauste klirrend nieder. Ich schreckte auf. – »Es muß sein«, tönte mir Theobalds letztes Wort in den Ohren. Ich döste und versuchte, mir darüber klar zu werden, warum ich in einer Droschke sitze und nicht in meinem Bett liege; warum Theobald mir gegenüber sitze in einem schwarzen Anzug und mich anstarre. – »Warum dies alles?« – »Es muß sein«, tönte es in mir. – »Was muß sein, elender Bursche?« brüllte ich plötzlich los. Ich packte Theobald an den Schultern und schüttelte ihn, geriet dabei mit dem Ellbogen in die andere Scheibe, glitt aus und fiel von der Bank. – Es war zu viel für mich; meine Kraft war endgültig gebrochen. Ich weinte und bat Theobald, er möchte doch wegen der dreihundertzwanzig Mark keine Schweinereien machen. Ich wolle Stunden geben, alten Damen vorlesen, Adressen schreiben, Konversationslexika verkaufen. Ich würde etwas zu verdienen suchen, um ihn nach und nach abzuzahlen. Tränen erstickten den Rest meiner Beteuerungen. –
Es gab einen Ruck nach vorn, es gab einen Ruck nach hinten, und der Wagen hielt. Theobald stieg zuerst aus. Es regnete heftig. Gleichgültig sah ich mich um; wir standen vor der Johanneskirche. Theobald zog, der Kutscher schob, ich stand in der Kirche. Das Dienstmädchen von Seheims, die Anna, war auch da. Sie stand mit einem weißverpackten Kind in der Nähe des Eingangs, als ob sie uns erwartete. Sie schloß sich uns an. Die Kirche war angefüllt mit Frauen, die Kinder trugen, und Männern in schwarzen Röcken und mit wichtigen Gesichtern. »Verstehe das, wer will! Was soll ich da?« – Es überlief mich kalt, mir wurde schwindlig: Theobald, – die Preiselbeeren – die Anna – der Moët – das Kind – der Kutscher: ein wilder Reigen vor meinen Augen. »Nimm dich zusammen, du sollst ja nur Pate bei meinem Kinde sein«, schnauzte mir Theobald ins Ohr. Er habe das mit dem Paten nicht gewußt, flüsterte er mir zu, erst der Pastor habe ihn heute vormittag bei der Anmeldung zur Taufe darauf aufmerksam gemacht. Er habe aber keinen von seinen anderen Bekannten angetroffen. – Mein erster Gedanke bei dem Wort Pate war: »ein silberner Löffel«.
Ich war physisch zu marode, um noch länger zu stehen; ich kroch in eine Bank. Theobald setzte sich krampfhaft neben mich; an der anderen Seite von mir saß die Anna mit dem Kind. Das Kind hatte einen Gummilutscher im Mund, der immer zu Boden fiel. Ich versuchte ihn aufzuheben, es ging nicht, es war zu tief. Ich bekam einen roten Kopf, und alles schmeckte nach Moët. – Trotz der harten Kirchenbank, trotz des allseitigen Kindergeschreis schlief ich wieder ein. – Ein unsanfter Stoß in die Seite schreckte mich auf. »Wir sind jetzt an der Reihe«, sagte Theobald und zog mich zum Altar. Fremden Leuten mußte ich sagen, wie ich heiße. Dann kam ein Pastor und predigte. Das Stehen bekam mir nicht, ich schwankte und stieß laut auf. Theobald trat mir verstohlen gegen das Schienbein. Unser Kind begann zu schreien; Theobald wurde rot und bekam eine dicke Ader auf der Stirn.
Ich duselte stehend ein.
»Sie können gehen, Ihre Leute sind schon weg«, hörte ich wie von ferne eine milde Stimme sagen. Es war der Pastor. Ich stierte um mich, die Kirche hatte sich geleert. Theobald und die Anna mit dem Kinde waren weg. »Sie werden draußen in der Droschke auf mich warten«, dachte ich.
Ich kroch zur Tür und hatte gerade die Klinke in der Hand, als der Küster auf mich zusprang und mir ein warmes Paket mit einem quietschenden Kind in den Arm legte. Ich versuchte, mich zu sträuben, protestierte und erklärte mit kläglicher Stimme, daß wir unser eigenes Baby hätten und daß mich die ganze Sache nichts anginge. – Ich mußte weinen. – Ich sei nur Pate bei Seheims Kind, schluchzte ich, er möge das Kind doch behalten. Der gute Mann zuckte lächelnd die Achseln und meinte, das kenne er, diese Art, sich zu drücken, ziehe bei ihm nicht. Ich beschwor, ich beteuerte, immer noch jämmerlich heulend, ich sei Junggeselle. »Gerade deswegen«, lautete seine höhnische Erwiderung. Er drängte mich durch den Ausgang, und schwer fiel die Tür hinter mir ins Schloß.
Ein Gemisch von Schnee und Regen trieb mir der Wind klatschend ins Gesicht.
Ich stand seelisch und körperlich gebrochen an der Kirchtür, mit viel zu engen Lackstiefeln und einem fremden Kind. Von Theobald und unserer Droschke war nichts mehr zu sehen.
»Der Schuft!« Ich verfluchte ihn, seine blonde Frau, die Wirtin, die Anna, den Küster und den verdammten Moëtgeschmack im Mund. Ich zermarterte mein armes Gehirn, was ich anfangen sollte. Ich wurde immer mehr durchnäßt. Ich kroch unter das Portal; hier war ich wenigstens vor dem Unwetter einigermaßen geschützt. Ich klapperte vor Frost. Mir wurde übel.
Plötzlich fühlte ich mich von einer kralligen Hand am Arm gepackt, eine keifende Weiberstimme riß mich aus meinem Sinnen.
»Hann ech Se endlich, Sie gemeine Minsch! Sie also hann onser Traudsche verföhrt? Natürlich, nachdem et eso weit es, dröckt mer sech. Ech well et Ehne scho zeige!«
Ein übles, schmutziges Weib stand vor mir. Ich starrte sie verständnislos an und sagte zitternd: »Ich verstehe Sie nicht, gute Frau.«
»Verstehen Sie nicht? E arm Mädsche in er Onjlöck stürze, dat verstonn Se! Mettjekumme, ech well et Ehne schon klar mache!«
Sie riß mich die Kirchentreppe hinab und zog mich mit sich. Mir war nun alles gleichgültig geworden. Ich verteidigte mich nicht mehr, gab jedes Sträuben auf und stolperte hinkend, willenlos, wie im Traum neben der Alten her, das Kind noch immer auf dem Arm. Unermüdlich keifte das Weib weiter. Ihre Tochter sei von der Kirche nach Hause gekommen ohne das Kind, sie habe es auf eine Bank gelegt, und nachher sei es weggewesen – so habe sie erzählt. – Ich hätte dem armen Mädchen den Plan eingegeben, so das Kind los zu werden. – Sie sei eine alte, ehrliche Frau und wolle keine Scherereien mit der Polizei haben. Ein Glück, daß sie mich noch erwischt habe.
Ich verstand nichts von alledem. Ich hatte nur den Wunsch, bald irgendwo zu sein.
Wir durcheilten Straßen, durch die ich nie gekommen. Endlich machten wir vor einem schmutzigen, vielstöckigen Mietshause halt. – Blöde erwartete ich, was nun vor sich gehen solle.
Die Alte riß mir das Kind aus den Armen; mit einigen kräftigen Püffen war ich im Haus. Ein Duft von schlechtem Fett, Kindern und feuchter Wäsche umfing mich. Irgend jemand rief: »Heini, die Ahl hätt em.«
Ich hörte Gejohle hinter mir und schleppte mich wie besinnungslos die Treppe hinauf. Man stieß mich in ein qualmiges Zimmer, wo ich halbtot auf dem ersten besten Stuhl zusammenklappte.
»He es de jemeine Minsch«, hörte ich aus dem Nebel meine Begleiterin kreischen.
Klatsch-päng – bekam ich eine Ohrfeige, die mich mit dem Stuhl umwarf
Ich machte Anstalten aufzustehen, ein Tritt von derben Stiefeln vereitelte mein Beginnen. Ich brüllte um Hilfe. Ich flehte um Gnade.
Ein Hüne mit einem brutalen, viereckigen Gesicht, in einer gestrickten Jacke schleuderte mich in die Ecke eines alten Ledersofas, setzte sich mir drohend gegenüber und paffte mir rücksichtslos den Rauch einer nichtswürdigen kurzen Pfeife ins Gesicht. Um den Tisch herum standen ungezählte, nie gewaschene Kinder, die mich neugierig und schadenfroh angrinsten.
»Also, du bes däh Kääl?« brüllte mich mein Gegenüber an.
Ich stammelte: »Nein.«
Drohend hob er die Faust.
Ich flüsterte: »Ja.«
»Du wirs also ons Traudsche hierohde?« fuhr er fort.
Ich starrte, wie hypnotisiert, auf die furchtbare Faust. Mein Kopf drohte zu zerspringen, meine Backe schmerzte, – auch hatte der Tritt eine empfindliche Stelle getroffen. Dazu stieß mir noch fortgesetzt Moët auf
»Ja oder nein?«
»Ja, ja, ja«, stöhnte ich in meiner Angst, »alles, was Sie wollen.«
Im Nebenzimmer begann das Göhr zu schreien. Das Weib keifte dazwischen. Der Mann am Tisch schimpfte weiter. Worte schlugen an mein Ohr, deren Sinn ich nicht verstand. Mein Begriffsvermögen war zu Ende. Ich sank völlig erschöpft in mich zusammen.
»Dat es ja jar nitt der Hujoh«, hörte ich auf einmal eine fremde weibliche Stimme dicht neben mir. Man rüttelte mich auf. Ich glotzte um mich. Der Hüne stand drohend vor mir, neben ihm ein junges Mädel. Das alte Weib saß am Tisch mit dem Kind auf dem Arm.
»Dat es ja jar nitt der Hujoh«, wiederholte das Mädchen.
Ich bekam wieder Mut.
Weinerlich bestätigte ich: »Sie haben recht, ich bin wirklich nicht der Hugo.« – Obgleich ich tatsächlich nicht mehr wußte, wer ich überhaupt noch war.
Der Hüne schlug mir den Hut auf den Kopf, riß mich vom Sofa und schrie: »Wat häs du dann he verloren du Flahbes, eraus sag ech, du hörs net en ons Famellje!«
Die Alte keifte dazwischen: »Wie kütt dä Kääl an ons Keng?«
Ich versuchte, langsam zur Tür zurückweichend, die Leute in einigen kurzen Sätzen aufzuklären, wie ich an das Kind gekommen sei, als plötzlich die junge Mutter, die sich inzwischen der Entblätterung des Kindes zugewandt hatte, gellend ausrief: »He dat es ja jar nitt onser Jösefke, he dat es e Mädsche!«
Die Alten und sämtliche Kinder drängten sich um den Säugling, um sich von dieser neuen, seltsamen Tatsache zu überzeugen.
Ich wollte die Verwirrung benutzen und mich still und anspruchslos drücken: bereits hatte ich die Klinke in der Hand, als man allgemein meiner gedachte. Brutal wurde ich gepackt und ins Zimmer zurückgerissen.
»Mer sollt zur Pollezei schicke!« schrie die Alte, die mir rücksichtslos das schlecht verpackte Kind unter den Arm schob.
Brüllen, Kreischen, Johlen. Die Faust tanzte mir vor der Nase. Von allen Seiten wurde ich gezwickt und geschoben.
Da kam mir in höchster Not ein rettender Gedanke.
Mit dem Rest meiner Kräfte begann ich einen schauerlichen, gliederverrenkenden Tanz aufzufahren, dazwischen brüllte ich:
»Huaoooh, huuuuuuuuaooooh, Kresooooooot, Yohimbiiiiiiiiiiin, huuuuuuuuaoooohh....!!!« Schaum trat mir vor den Mund.
Man stob entsetzt auseinander und flüchtete ins Nebenzimmer.
Ich schleuderte das Balg auf das Sofa, erreichte die Tür und flog in gewaltigen Sätzen die Treppe hinunter. Ein Handbesen, geschickt geschleudert, traf mich noch ins Kreuz.
Ich gewann die Straße und raste dahin.
Ich geriet in die städtischen Anlagen, wo ich völlig erschöpft auf einer einsamen Bank trotz Regen und Wetter niedersank.
Mitten in der Nacht wurde ich vor Kälte wach. Meine Uhr war fort. Ich hatte einen außergewöhnlichen übeln Geschmack im Munde.
In der Nähe sah ich durch das Gebüsch schimmernd ein flackerndes, einsames Licht. Ich stolperte mit steifen Gliedern darauf zu und fand eine verlaufene Droschke mit einem angetrunkenen Kutscher, den ich zu meiner Freude als den trefflichen Hubert Quadpflaume erkannte. Hubert Quadpflaume war in vorgerückter Stunde mit seinem Wagen gewöhnlich vor Bols zu finden und hatte mich manches liebe Mal unter erschwerten Umständen nach Hause transportiert.
Fröhliches, gegenseitiges Erkennen. Lange habe ich an seiner Brust geweint.
Trotzdem er so betrunken war, daß er mich fortwährend Emil nannte, fand ich mich nach einiger Zeit vor meiner Wohnung.
Nachdem es unter eifrigem, unermüdlichem Klingeln, Klopfen und Johlen gelungen war, allenthalben in der Nachbarschaft Köpfe in die Fenster zu bringen, die mich reichlich mit häßlichen Schmähungen bedachten, öffnete meine Wirtin endlich und meinte gutmütig: »Ich hab' geglaubt, es wär' nebenan!« Ich konnte nur noch milde grinsen.
Als ich endlich in meinem Bett lag, fand ich lange keinen Schlaf. Es ging mir fortwährend der Gedanke im Kopf herum, was ich meinem Patenkind eigentlich schenken sollte.