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Aus: Düsseldorfer General-Anzeiger vom 27.11.1910
»Morje früh maache mer noch de Faralejone ab und die Irotta bijanka, und dann könne mer morje Nachmittag wieder nach Nejapel fahre.«
So entwickelte am Nebentisch eine dickbusige Dame mit jenem feschen Reisehut mit weißem Schleier, wie ihn nur die reisende Deutsche aufzustülpen pflegt, ihrem hektisch geröteten, korpulenten Gatten in Lüsterjoppe und mit einer weißen Stoffmütze mit Zelluloidschirm das Programm des nächsten Tages.
Dem sympathischen Menschen in der Lüsterjoppe war das Bier nicht kalt genug, und er beteuerte grimmig, ohne auf die Ausführungen seines Ehegesponses einzugehen, ganz Italien hänge ihm am Halse heraus, und er sei nur von Herzen froh, wenn er »der Dom und sei Wieß widder hätt«.
»Schatz, wollen wir nicht mal was anderes trinken als immer caffè nero, das ist heute schon der siebente?«
»Unmöglich, liebes Kind, ich weiß für anderes nicht die italienische Bezeichnung. Man muß sich auf Reisen in fremden Ländern eben behelfen, so gut es geht. Nur um Gottes willen nicht merken lassen, daß man Fremder ist, sogleich ist man den unverschämtesten Übervorteilungen ausgesetzt. Außerdem hast du den Sprachführer ausgerechnet unten in den großen Koffer packen müssen, den wir in Neapel gelassen haben. Ich kann nicht an alles denken, mich um jeden Dreck selbst kümmern.«
»Du liebst mich nicht mehr. Oh, hätte ich das gewußt!« Leises Schluchzen. Die ersten trüben Wolken zogen in meiner Nähe an dem Himmel einer jungen Ehe auf. Er korrekt, selbstbewußt, von seinem Wert völlig überzeugt, mit einem Schmiß auf der Backe. Sie ein blondes, junges Ding, die seine Tochter hätte sein können.
»Komme Ihnen was, Herr Amtsgerichtsrat, aufs Spezielle, fine, fine!«
»Ehrt mich, prost, prost, Herr Assessor!«
So klang es erfreulich von einer andern Seite.
»... un dat janze Italien hängt mer am Hals eraus, un ich sagen dir, ich binn et leid. Un ich fahren nach Haus, morje am Tag. Überhaupt die blödsinnige Idee mit die janze Reis!«
Dem Mann aus Köln schien Italien wirklich nicht zu liegen.
»Dann fahr du nach Haus, ich fahr mei Billjet ab.«
»Wat ham mer denn noch afzefahre?« stöhnte der Unglückliche.
»Janz Sizilie. Malta, Tunis, Korfu un über Venedich zurück«, klang es hart und unerbittlich aus dem Munde seiner Gefährtin.
»Un ich fahren nach Haus, et is mech janz ejal. Et es mech janz ejal. Jetzt sind mer auch noch de Ziejaahre, die ech mer mitjenomme hab, ausjejanje. Ich kann dat Zeuch, wat mer hier kricht, nit rauche. Überhaupt die blödsinnige Idee mit die janze Reis!«
Der Mann redete sich immer mehr in eine furchtbare Wut.
»Schrei bitte nich so, Theodor, du blamiers einem. Wenn hier jemand Deutsch versteht! Wat sollen de Leut von uns denke?« ängstigte sich die Gattin um ihr Prestige und legte energisch ihre kurzen, dicken Hände, an denen mächtige Brillanten funkelten, auf den Tisch.
»Ja, ja, er ist jetzt Reserveleutnant bei den Dragonern in M., alter C. S.«, flog mir wieder ein Bruchstück der Unterhaltung des Amtsgerichtsrates mit dem Assessor zu.
»Da kommen auch Grundjens aus Kölle«, flüsterte auf einmal die Dickbusige, »wat tue die denn hier? Dat die sich überhaupt so ne teure Reis leisten könne! Kuck weg, die grüße mer nich. Die haben ons zweimal, als mer noch der Laden hatten, et Roßböff zurückgeschickt. Die in ihrem fertig gekaufte Jakettkleid, dat überall Falte wirft!«
»Wieviel bezahlen Sie, Fräulein Eibotte, wenn ich so neugierig fragen darf, in Ihrer Pension?«
»Sechs Lire pro Tag.«
»Was, sechs Lire? Miss Kopping hat nur fünfeinhalb Lire bezahlt!«
So wurde in einer Ecke getuschelt.
»Der echte Typ des Südländers, dort der Herr im weißen Anzug«, sprach eine belehrende Stimme hinter mir.
Der Herr im weißen Anzug war ich.
Ich sitze jeden Nachmittag um die Teestunde bei Morgano im Kater Hiddigeigei, wo alles, was an Fremden auf der Insel ist, um diese Zeit zusammenkommt, und freue mich meiner Landsleute, ergötze mich an dem Marionettenspiel all der seltsamen Typen, die das Schicksal auf die Insel der Sirenen verschlagen hat.
Merkwürdige Menschen laufen hier herum. Capri scheint ein beliebtes Refugium für Eigenbrötler, Outsider der Gesellschaft und Kulturverdrossene zu sein, die für die Wüste noch nicht reif sind und hier im Eigenmenschentum herumdilettieren.
Da sitzt tagtäglich abseits, an einem kleinen Tisch, hinter den »Münchener Neuesten Nachrichten« der Mann mit der Heldenbrust und trinkt seinen Kaffee. Der Mann mit der Heldenbrust verachtet die Menschen und ihre Sitten. Er verachtet das Hemd, den Kragen, die Schuhe, die Strümpfe und alle welschen Windbeuteleien der heutigen Herrenmode. Er trägt nur eine Hose und einen weitausgeschnittenen Rock und läßt die nackte Brust als Weste, Vorhemd und Krawatte wirken. Er lebt auf Capri ein trotziges Leben nach seinem Geschmack, unbekümmert um die Meinung der Leute. Ich habe ihn verschiedentlich gesprochen am Strand, an den Bädern des Tiberius, wo er fast den ganzen Tag in der Sonne liegt, und habe mir den Sturmwind seiner Maximen über meinen festgelegten Scheitel wehen lassen.
Das Wort Behörde ist vor allem das rote Tuch, auf das er springt. Mit Steuereinschätzungen, Mahnzetteln, Anmelde- und Abmeldescheinen, Kontrollversammlungen, Impfscheinen, Ordnungsstrafen, Zähllisten und derartigen fatalistischen Dingen hat man ihn aus seiner Heimat vertrieben. Er leidet hier lieber unter den mancherlei Unbequemlichkeiten der ungeregelten italienischen Verhältnisse, als die Vorzüge der geregelten heimischen Einrichtungen zu genießen.
Der Bartmensch oder Waldschrat kommt nur montags in den Kater Hiddigeigei, lediglich, um – die neue »Woche« zu lesen. Mit einem fast krankhaften Interesse liest er dieses Blatt, fast wie unter dem Druck einer fixen Idee. Ich werde nicht aus ihm klug. Er hat die gleichen borstigen Philosopheme wie der Mann mit der Heldenbrust, nur haßt er auch noch die Seife und den Kamm, und deswegen erfreue ich mich nur aus der Entfernung an seiner Kulturverachtung.
Wenn die Russen erscheinen, bekommt man das Fürchten. Männer in revolutionären Blusen und sorgenvollen Hosen, mit wilden Bärten und dem durchbohrenden Blick, der in jedem Fremden den Häscher und Spion sieht. Es lebt eine ganze Anzahl russischer Flüchtlinge hier auf Capri, zum Teil Studenten, die in Neapel studieren.
Wenn nur diese Menschen ihre Marotte, immer und überall in der Pose des Raskolnikow-Typs herumzulaufen, dieses Kokettieren mit Schwermut und Pessimismus endlich fallen lassen wollten!
Den Tee bestellen sie mit der tragischen Gebärde, als ob der Untergang Rußlands durch diese Handlung besiegelt würde.
Bisweilen ist der polnische Dichter mit dem Männerbart und den todestraurigen Kinderaugen, mit der Figur eines Knaben mit ihnen, der immer auf den Klippen herumsitzt und stundenlang ins Meer starrt – aber immer nur dort, wo Leute vorbeigehen.
Ihm passiert es wohl, daß ihn im offenen Lokal beim Tee hinterrücks die Muse überfällt. Die kleine, schmächtige Gestalt schwillt an, der Rock wird zu eng, die Knöpfe springen ab, die Socken rutschen ihm auf die Füße, die Schuhbändel gehen ihm auf, die Ohren schlagen wie die Flügel eines gefangenen Vogels, das wallende Haar richtet sich steil auf, der Tee beginnt in der Tasse vor ihm zu kochen, der Schweiß rinnt ihm in Bächen von der Stirn, aus der Brust ringen sich ächzende Laute, und mit zitternder Hand schreibt er sein Gedicht.
Das Dichten ist doch, weiß Gott, eine ungemein schwierige Sache. Wenn man die Qualen dieses polnischen Dichters gesehen hat, läßt man es bestimmt.
Das Malen ist nicht leichter.
Ließet ihr es doch, ihr kleinen Malweibchen!
Glaubt mir, mit dem Zigarettenrauchen, dem ausgefransten Eigenkleid, der freien Liebe, der Unmenge Kaffee, den aus Haaren geflochtenen Brezeln über den Ohren allein sind die tiefen Rätsel der Kunst noch nicht gelöst! Und Ihr, würdige Malmatronen – – – – ! ! !
Den jungen, langen Amerikaner mit den beiden großen Doggen mag ich gern. Seine Mutter hat fünf Millionen Dollar. Er hat nie in seinem Leben gearbeitet. Mark Twain und Dickens sind die einzigen Schriftsteller, die er je gelesen hat und immer wieder liest. Viel lachen, viel Sonne, gut essen, sich nie eilen, nie etwas sammeln: das sind seine Doktrinen.
Wie erschreckt sie die Neulinge und arglosen Gemüter: die englische Okkultistin, die, nur Schleier, nur wehendes Gewand, hereinflattert, durch die Stuben stöbert und raunt und wispert und zischt und plötzlich, gespenstig, wie sie gekommen, wieder verschwindet.
Ein Principe, ein wirklicher Principe mit einem Spitzbart, schwarz wie Ebenholz und starkem Embonpoint und altem Namen sitzt drüben.
Drängt Euch nicht so, schmalhüftige american girls, um Gottes willen, drängt Euch nicht so! Es gibt noch genügend Aristokraten hier in Süditalien mit glanzvollen Namen und leeren Kassen. Der Exportbedarf kann noch immer gedeckt werden.
Auf Euch wartet man, Ihr Dollarprinzessinnen, Ihr seid die letzte Hoffnung so manches Principe, Conte oder geringer Bezackter hier unten!
Es kommt nur darauf an, was Ihr anlegen wollt für eine Krone in Eurer Wäsche. Der Clou Eurer Einkäufe an Ricordi d'Italia kann Euch unter Umständen teuer zu stehen kommen. Fragt Anna Gould, die frühere Gräfin Boni di Castellane!
Die häufig recht nonchalanten, ich sage nonchalanten Manieren und die mancherlei Affärchen Eures blaublütigen Ideals müßt Ihr eben als freie Amerikanerinnen lediglich als interessantes Morbidezza und Zeichen atavistischen Herrenmenschentums mit in Kauf nehmen.
Aber Prinz Saverio Cucuru aus Heinrich Manns grandiosem Meisterroman der Herzogin von Assy, der Typ des männlichen Ideals für neurasthenische Frauenseelen, das schöne wilde Tier lebt noch in vielen Exemplaren! Darum seid auf Eurer Hut, kronenlüsterne Misses, wenn Ihr nicht stark seid wie Yolla, die Herzogin von Assy!
Auf der Terrasse draußen trinkt die glutäugige, berückende Contessa aus Florenz mit dem Syringenhut, umgeben von einem Rudel schöner italienischer Männer mit blaurasierten Gesichtern ihren Tee. Die schönen Männer mögen mich nicht und gucken wütend, wenn ich immer wieder versuche, einen Blick der schönen Contessa zu erhaschen. Manchesmal hat sie mich darüber ertappt, wenn ich sie, gefesselt von dem Märchen ihrer Schönheit, angeschaut habe. Aber sie war nicht böse und hat leise gelächelt.
Aber die schönen Männer machen immer wütendere Augen, daß man das Weiße sieht.
Ich dagegen rolle die Augen in erschreckender Weise: die Augendeckel werden darüber weißglühend. Ich recke meine markige Hünengestalt. Ich lasse die Bizepse geräuschvoll springen. Wie in Gedanken zerbröckele ich die Marmorplatte des Tisches, als wäre sie aus Spekulatius. Ich wiege spielerisch das Klavier in der Hand und wippe damit wie mit einer kleinen Gerte. Ich ziehe den metallenen Teelöffel lang, wie wenn er aus weicher Stockfarbe wäre.
Die schönen Männer sind auf einmal weg.
Die Contessa sitzt allein am Tisch, und ihre Augen locken.
Aber was vermag eine Contessa gegen sieben Prinzessinnen. Gerade kommt er dort, der alte Principe aus Neapel mit seinen sieben Töchtern. Hübsch sind sie eigentlich nicht, nein, das könnte man nicht sagen, auch nicht schick, aber echte Principesse.
Sie kommen selten zum Kater Hiddigeigei. Gewöhnlich sitzen sie nach süditalienischer Gepflogenheit fast den ganzen Tag in der Apotheke, bewußt aufgebaut, den Honoratioren, die so in der Apotheke zusammenkommen, und dem aus und ein gehenden Publikum zur erhebenden Schau und machen ostentativ in Leutseligkeit.
Sie setzen sich an meinen Tisch.
Wenn ich nicht wüßte, daß die Ahnen Freunde der Borgia waren, daß der Namen des Geschlechtes einstens Städte und Provinzen erzittern ließ, Leben und Tod bedeuten konnte, ich würde den kleinen, dicken Herrn mit den O-Beinen und der besabberten Weste und seine Damen für harmlose Bourgeois halten.
Aber seine Vorfahren waren Freunde der Borgia!
Ich zittere vor Aufregung.
Und doch weiß ich, wie alle Welt, daß all das fürstliche Getue nicht über die kümmerliche Rente, auf die die Familie angewiesen ist, und den verfallenen leeren Palazzo in Neapel hinweghelfen kann.
Um Gottes willen der Schein muß gewahrt werden.
Nur in eleganter Equipage, deren Schläge das Wappen der Familie tragen, wird man sich auf dem Korso in Neapel sehen lassen. Aber jeder kennt das Geheimnis dieser Equipage. Das ist »die« Equipage G.m.b.H., die sich mehrere Adelsfamilien, deren Wappen die Vergoldung im Laufe der Zeit eingebüßt haben, gemeinsam halten und die bei den einzelnen Gesellschaftern die Runde macht. Jede Familie hat nur ihre eigenen Wagentüren mit ihrem Wappen, die an ihrem Korsotage eingehangen werden.
Ich kann mir trotzdem nicht helfen, ich habe einmal den Respekt. Vielleicht bin ich noch nicht lange genug von Deutschland weg.
Das ist ein buntes Buch, die Teestunde im Kater Hiddigeigei.
Mir ist der Kater Hiddigeigei fast lieber als die blaue Grotte und der Naturmensch Diefenbach.
Ein Wort für diesen trefflichen Kater!
Ihr, die man auf Eurer Fahrt durch den Süden fortwährend geleimt und geschnitten hat, die Ihr das große Mißtrauen vor allem und jedem mit Euch schleppt, die man Euch jede Freude an den Wundern dieses herrlichen Landes fast völlig vergällt hat, hier könnt Ihr Eure Defensive aufgeben! Im Kater Hiddigeigei habt Ihr es mit famosen, anständigen Menschen zu tun. Braucht Ihr Auskunft oder Rat, wendet Euch vertrauensvoll an Mutter Morgano oder ihre Söhne, sie werden Euch in der uneigennützigsten Weise aufs beste beraten!
Ich werde leider dieses schöne Eiland verlassen müssen.
Schon seit Wochen möchte ich mir in der Apotheke ein Purgativ kaufen. Es gelingt mir nicht. Immer, wenn ich komme, sitzt der Principe da mit seinen Töchtern. Die Augen der gesamten erleuchten Familie hängen an meinen Lippen. Es ist mir unmöglich, mein Verlangen zu äußern.
Die Ahnen waren Freunde der Borgia!
Ich stammele, stottere, werde rot und fordere in meiner Not Fencheltee. Ich sitze schon bis an die Hüften in Fencheltee. Schreckliche Perspektiven!
Ich werde abreisen müssen.