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Die Sonne war noch nicht untergegangen, als Georg in seinem Heimatstädtchen eintraf. Er eilte in die Hütte, wo seine Mutter wohnte. Leise trat er in das vordere Zimmer und winkte der Pflegerin heraus. Die Mutter war noch schwach, aber unmittelbare Gefahr war keine mehr vorhanden. Sie hatte nicht ein einziges mal nach Georg gefragt, aber im Fieber oft von ihm geredet. Die letzte Bemerkung begleitete die Pflegerin mit einem bedeutungsvollen Blick. Georg bat die Frau, bei der Mutter zu bleiben, bis er wiederkomme; dann eilte er auf das Kontor der Darlehnskasse.
Als er dem Kassierer seinen Namen nannte, beglückwünschte ihn dieser zu seinem herrlichen Kunstwerke, von dem die heutige Abendzeitung so großes rühme, und dem der erste Preis zu teil geworden sei. Er holte das Blatt und wies Georg den Artikel. Als Georg ihm dann das Begehren mitteilte, das Haus seiner Mutter zurückzukaufen, und sich bereit erklärte, die Kosten der Versteigerung zu ersetzen und dem Mieter noch ein Neugeld zu zahlen, da ging der Beamte mit Freuden auf alles ein und erbot sich, noch heute abend zu dem Mieter zu gehen und ihn zum sofortigen Ausziehen zu bewegen.
Es mag kosten, was es will, sagte Georg.
Mit Geld ist alles zu machen, erwiderte der Kassierer. Er hatte in der Verwaltungsratssitzung dagegen gestimmt, daß Georg verbummelt sei, und hatte nun das Gefühl, ein Verdienst an dessen glänzendem Erfolge zu haben.
Dort kommt der Vorstand unsrer Kasse, sagte er und wies zum Fenster hinaus. Wir können jetzt alles gleich in Ordnung bringen.
Aber die beiden Männer warteten vergeblich auf den Herrn Vorstand. Auch dieser hatte den Artikel, der von Georgs Kunstwerk handelte, gelesen. Nun aber war gerade er es gewesen, der den Antrag gestellt hatte, daß Georg als verbummelt zu betrachten sei, und er hatte diesen Antrag mit besonderm Nachdruck verteidigt. Deshalb zog er es vor, als er draußen im Hausgange von dem Diener erfuhr, daß Georg innen sei, an der Thür vorbei zu huschen und sich wieder davon zu machen, denn es war ihm eine selbstverständliche Sache, daß Georg die Namen derer kenne, die ihre Stimmen gegen ihn abgegeben hatten. Die Verhandlungen waren zwar geheim, aber sie hatten natürlich soviele Ausgangslöcher in die Öffentlichkeit, wie die Zahl der Abstimmenden betrug.
Als der Herr Vorstand nicht erschien, ahnte der Kassierer den Zusammenhang der Sache. Er versprach Georg, alles zu ordnen, und gab ihm die Zusicherung, daß er am nächsten Nachmittag in die alte Wohnung zurückkehren könne.
Georg eilte nun zu seiner Mutter zurück. Eine kurze Strecke vor dem Häuschen begegnete er dem Herrn Vorstand. Dieser machte ein grimmiges Gesicht. Aber als er in respektvoller Ausbeugung an Georg vorüberschritt, zog er den Hut und grüßte so tief, wie er noch niemanden gegrüßt hatte. Er gab seinem Gruße einen heroischen Nachdruck in die Tiefe hinunter, wie wenn er Wasser schöpfen wollte. So schritt der Herr Vorstand an Georg vorüber.
Dieser traf seine Mutter schlummernd. Er schickte die Wärterin in die andre Stube, setzte sich an das Bett der Kranken und beobachtete liebevoll ihren Schlaf. Das Herz war ihm schwer von Sorge, und doch wieder so leicht und so dankbar, wie wenn nun alles gut werden müßte.
Als die Mutter erwachte, beugte sich Georg über ihr Bett und sagte:
Mutter, ich bin wieder da.
Du bists, Georg?
Ja. Der Thaler, den ich von dir geliehen habe, liegt wieder an seinem Platz.
Ists wirklich so. Georg?
Gewiß! Sieh, Mutter, hier ist das Schächtelein.
Die Alte griff hinein und nickte befriedigt, als sie das Thalerstück oben aufliegen fühlte.
Mutter, nun will ich dir etwas aus der Zeitung vorlesen, das handelt von deinem einzigen Sohne.
Und er las der Mutter den Artikel vor, der an diesem Tage soviel Aufsehen im Städtchen verursacht hatte.
Er lächelte unter Thränen, als er las.
Die Augen der Mutter leuchteten. Jetzt werd ich wieder gesund! sagte sie. Dann griff sie nach dem Blatt und fragte: Was ists für eine Zeitung?
Georg nannte den Namen.
Die liest der Herr Dekan nicht! sagte die Alte mühsam. Ein Hustenanfall suchte sie heim.
Georg nahm sie in die Arme, bis der Husten vorüber war.
Dann sagte er: Sei unbesorgt, Mutter. Der Herr Dekan wirds auch erfahren.
Und nun erzählte er, daß er sein Kunstwerk verkauft habe. Er nannte eine Summe Geldes, die der Mutter so ungeheuer groß erschien, daß sie glaubte, nicht recht gehört zu haben.
Gewiß. Mutter, soviel ists, versicherte Georg, und er legte eine Hand voll Banknoten auf ihr Bett.
Das gehört nun alles dir, Mutter. Und morgen ziehen wir wieder in unser altes Haus. Es ist wieder dein Eigentum.
Da quollen der alten Frau die Thränen aus den Augen. Du liebes Kind, sagte sie, vergieb mir!
Georg beugte sich tiefbewegt über ihr Bett und küßte ihr die Thränen von den Wangen.
Am zweitfolgenden Tage fand der Umzug statt. Als die Kranke durch das vordere Zimmer ihres wiedergewonnenen Hauses geführt wurde, rief sie: Ach, das Sofa ist wieder da! Georg, Georg, wie viel hat er dir abverlangt?
Nicht zuviel. Mutter!
Und alles ist wieder, wie es war!
Als sie am gewohnten Platze ruhte, wo jeder blinde Handgriff sein rechtes Ziel fand, und jeder Sonnenblick seinen gewiesenen Fleck, da wurde die Alte rasch wieder gesund. Schon am vierten Tage ärgerte sie sich über die Pflegerin, und am fünften Tage schickte sie sie fort. Am folgenden Tage empfing sie Besuch. Der erste Besuch war die Frau Dekan. Als sie auf dem Sofa saß, mußte sich Frau Schumacher zu ihr setzen; die Frau Dekan thats nicht anders. Nach langem Sträuben nahm sie endlich hocherglühend auf ihrem Sofa Platz. Die Frau Dekan führte die Unterhaltung mit der Bemerkung ein, daß es zwar ihr nächstes Anliegen sei, der guten Frau Schumacher zu der Auszeichnung ihres Sohnes und zu ihrer Genesung Glück zu wünschen; daß sie zugleich aber auch in ihrer Eigenschaft als Präsidentin des Frauenvereins hergekommen sei. Es wäre schon lange der Wunsch der Damen gewesen, sich der Mitarbeit einer so erfahrnen und ortskundigen Frau zu erfreuen, und sie bitte sie herzlich, dem Vereine beizutreten und sich an den Versammlungen und Arbeiten der Mitglieder zu beteiligen.
Die frühere Büglerin sah verschämt vor sich nieder und glättete mit der rechten Hand die Falten ihres Schurzes.
Wenn die Frau Dekan meinen, dann will ich so frei sein.
Als sie später Georg dieses Ereignis berichtete, fügte sie hinzu: Siehst du, das ist jetzt mein erster Preis.
Sie war wieder leidlich hergestellt, geflickt und gestopft, wie sie sagte, als Georg in die Hauptstadt zurückkehrte. Am letzten Tage sah sie ihn zuweilen mit stillem, fragendem Blicke an, und als er Abschied nahm, sagte sie zu ihm: Du siehst so vergnügt aus, Georg, ich glaube gar, du hast etwas Liebes dort!
Georg wurde rot und sagte nicht nein.
Aber daß es nur eine Hohe und Feine sei! beschwor ihn die Mutter. Geld braucht sie keins zu haben; das haben wir genug.