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Georg hatte den Gegenstand so lange in sich herumgetragen, daß er über den Plan des Ganzen und die Einzelheiten völlig im Klaren war. So ging ihm die Arbeit rasch von der Hand. In wenigen Tagen hatte er das Modell zustande gebracht und war damit zufrieden. Er ging alsbald an den Stein. Den Gedanken, ihn zersägen zu lassen, hatte er aufgegeben, denn er war überzeugt, daß es ihm besser gelingen werde, die Korinthierin sich aus der gelösten Gemeinschaft emporheben zu lassen, wenn er sie und den Jüngling aus einem Steine herausarbeite.
Mit Frohlocken sah er, wie die beiden Gestalten aus dem Elemente hervorquollen, und Tage hindurch genoß er das Pygmalionsentzücken, daß unter seiner schaffenden Hand der tote Stein zuckte und bebte, sich schmiegte und widerstrebte, anschwoll und zurückwich, und wie dem schöpferischen Anhauch seiner Seele zwei lebendige Seelen entgegenatmeten.
Rasch war seine Arbeit so weit vorgeschritten, daß ihm lebendige Modelle not thaten. Für den athenischen Jüngling fand er einen Zimmergesellen, den er vom Bauplatze weg in sein Atelier mitnahm. Nach einigen Tagen brauchte er ihn nicht mehr. Und eben so flink war er damit fertig geworden, in das Gesicht des Jünglings die Mischung von Schrecken und Scham und liebender Sorgfalt hinein zu meißeln.
Nun kam der schwerere Teil der Arbeit. Auch für das korinthische Mädchen hatte er bald ein geeignetes Modell gefunden. Es war eine junge Frau, die jeweils ihren Säugling mitbrachte. Der lag dann in einem Korb und strampelte mit den Beinen oder kroch auf einer Matratze herum. Wenn er schrie und die Mutter gerade nach vielem Versuchen und Verbessern die rechte Stellung inne hatte, dann lief Georg mit dem kleinen Bengel im Atelier auf und nieder, bis er sich zufrieden gab. Und wenn die Mutter im Winkel hinter einer spanischen Wand ihr Kindlein säugte, und er unwillkürlich unterdessen die Schläge auf den Meißel dämpfte, da kam über ihn der Gedanke, was es für ein unendliches Glück sein müsse, ein Kind sein eigen zu nennen. Mit einer Art von Neid sah er dem Manne nach, der am Abend die Seinen im Atelier abholte. Nun war die Arbeit soweit gediehen, daß er das Modell nicht mehr brauchte. Aber der kleine Schelm streckte die Ärmlein nach der Thür aus, wenn die Mutter am Atelier vorüberging. Als sie einmal des Mittags, das Kind auf dem Arm, ihrem Manne das Essen zutrug, wurde sie von einem Aprilenschauer überrascht. Sie trug das Kind schnell hinein in das Atelier, setzte es auf die Matratze nieder und holte es dann auf dem Rückwege wieder ab. Auf Georgs Bitte that sie dies nun Tag für Tag, und es war für den einsamen Künstler die einzige Erholung, die er sich gönnte, mit dem jauchzenden Kindlein zu spielen, während er sein mitgebrachtes Mittagbrot verzehrte.
Er stand nun vor dem schwersten Stück seiner Arbeit. Es hatte ihn gebrannt, bis dahin zu kommen, aber mit jedem Schritt, womit er sich diesem Ziele näherte, war die Spannung in seiner Seele angstvoller geworden. Jetzt aber hatte er nichts andres mehr zu thun. Dies eine war übrig, der lang und langsam aufsteigenden Gestalt den Ausdruck des lebensaugenden Todes zu geben, zur Empfindung zu bringen, daß unter dieser schwellenden Brust kein Herz schlage, daß unter dieser gespannten Haut das Blut starre, daß die empfangne Glut verglühe und die zurückgewichene Todeskälte ausgreife; es galt vor allem in dem schönen Antlitz, in den weitgeöffneten Augen Erstorbensein und Gier zu mischen und darüber eine leise Wehmut und einen Traum von Mitleid zu hauchen.
Georg erschrak über die Deutlichkeit, in der sich ihm die Aufgabe offenbarte, und er spannte jeden Nerv zur innern Schau, um im Abgrund seiner Seele das gesuchte Bild zu finden. Sonst war er heimgegangen, wenn der Abend hereinbrach. Jetzt blieb er oft bis zur Mitternacht in dem spärlich erleuchteten Atelier, er freute sich beim Auf- und Niederschreiten an seinem riesengroß aufsteigenden und zusammenhuschenden Schatten, und mit leisen, leisen Meißelschägen gab er den ziehenden Gliedern der emporwachsenden Gestalt das gespenstische langsame Steigen und die Starrheit des endlos einatmenden Grabes. Und endlich legte er den Meißel aus der Hand. Er stand und sah im Dämmerschein mit wonnigem Grausen auf die Braut –
Wie mit Geists Gewalt
Hebet die Gestalt
Lang und langsam sich im Bett empor.
Das war gelungen. Nun das Gesicht! Die Augen! Es vergingen zwei, drei Tage, ohne daß Georg den Meißel anrührte. An einem dieser Tage schweifte er ruhelos durch den Wald. Aber er hörte nicht die Drossel schlagen und sah nicht die Anemonen leuchten. Wer ihm begegnete, der blieb wohl stehen und dachte: den jagt das böse Gewissen dahin. An den andern Tagen weilte er im Atelier; in ruheloser Hast wanderte er auf und nieder, oder er warf sich auf die Matratze und starrte zur Decke. Wenn die Arbeiterfrau ihr Kindlein brachte, dann spielte er so wild mit ihm, daß es vor lauter Jauchzen in Weinen ausbrach.
Es war nur ein einziges Geschäft, das Georgs Seele an diesen Tagen trieb: er wühlte in den Zügen eines Antlitzes, das ihm in klarster Lebendigkeit vor den Augen stand. Hier, nirgends anders als hier allein konnte er das Bild finden, das er mit all seinen Kräften suchte. Gertraud!
Mit allen Fibern durchlebte er tausendmal den Augenblick, wo er die Wilde in seinen Armen gehalten hatte, und sie mitten im verzehrenden Kusse kalt und starr wurde, und es ihm vor ihr graute, als wäre sie tot, durch die Lustgier aus dem Wasser getrieben.
Gertraud! Wo weilte sie? In welchen Armen löschte sie ihre Glut? Aus welchen Lippen saugte sie jetzt die Lebensflamme?
Es war am Abend vor dem Tage, wo die Ausstellung eröffnet werden sollte. Die Stadt hatte den ausstellenden Künstlern ein Fest bereitet. Auch Georg war eingeladen worden, aber er hatte nicht daran gedacht zu gehen.
Er war in seinem Atelier, einsam bei seinen Gestalten. Hundertmal setzte er den Meißel an, aber eben so oft ließ er ihn wieder sinken. Er wagte nicht den entscheidenden Schlag zu führen.
Da horchte er auf. Eine ferne Musik tönte zu ihm herüber. Diese sehnsüchtigen, aufreizenden Töne hatte er schon einmal gehört. Sie weckten die Erinnerung an den wildesten Tanz seines Lebens in ihm auf: Gertraud!
Er öffnete das Fenster. Die würzige Nachtluft strömte herein. Die Sterne blitzten am Himmel. Drüben über der Straße war die Fensterflucht glänzend erhellt. Von dorther tönte die Musik.
Die leis gellende, herbe, heiße Wäldlermusik voll lüsternem Frühlingssausen zog ihn hinüber mit Gewalt. Nur einen Augenblick! dachte er. Er löschte das Licht nicht. Er wollte sogleich wieder da sein. Der Hut! Wo war er? Dort lag er auf dem Stuhl. Er stülpte ihn auf den Kopf, schloß das Atelier hinter sich ab und ging über die Straße hinüber dem Hauptgebäude der Akademie zu.
Als er ins Treppenhaus getreten war, stand er geblendet von dem Lichterglanz und der strahlenden, heitern Pracht. Zwischen blühenden Orangenbäumen und den schwellenden Polstern leuchtender Azaleen stieg er die Marmortreppe hinauf. In dem Vorraum, der in einen Garten verwandelt war, und in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte, wandelten schöne Paare. Georg sah an seinen schlichten Kleidern nieder und dachte: was thue ich arbeitsschwerer Mann hier an diesem Feste der Fertigen und Genießenden? Es ist besser, daß ich mich aus dem Staube mache. Aber der Diener, der ihn wohl kennen mochte, kam auf ihn zu und sagte: Der Herr wollen auf die Galerie? Hier geht es hinauf! Er öffnete die Thür, und Georg trat in einen hellen Gang, und da ihm gerade der Einfall kam, wie doch die Bauernmusik zu diesem glänzenden Feste komme, oder ob er nur von ihr geträumt habe, so ging er den Gang entlang und stieg die Treppe hinauf. Die Galerie war mit Zuschauern dicht besetzt. Da Georg nur einen Augenblick zu bleiben gedachte, suchte er sich keinen Sitz, sondern trat an eine Säule vor, sodaß er unmittelbar vor der niedern Brüstung stand. Von hier konnte er den großen Saal vortrefflich überblicken.
Er sah in eine berückende Welt hinab. Die Pracht war die Wirtin, Freude und Schönheit waren die Gäste. Im vordern Teile des Saales saßen Frauen und Männer an kleinen Tischen, jede Gruppe für sich. Lichte Bänder von Immergrün, freundlich ernste Tannenreiskränze wanden sich, von Zwergen getragen, zwischen den Tischlein hin und schufen eine anmutige Grenze, die zusammenschloß, was sich gesucht hatte, aber den neckenden, reizenden Blicken ihr Spiel in die Ferne nicht wehrte. Der hintere Raum des Saales war von einer Bühne eingenommen, und ein Blick dorthin fand die Lösung des Rätsels, dessen Reiz Georg hierher gezogen hatte.
Ein Schäferfest wurde dort gefeiert. Ein Krämer hatte im Hintergrund seinen Tragkorb abgestellt, Schäfer und Schäferinnen drängten sich um ihn her, und er verkaufte dem um ihn schwirrenden Volke gedruckte Balladen, deren Inhalt er pries, farbige Bänder, gestickte Mieder und Perlenschnüre.
Im Vordergrunde standen alte Schäfer im Gespräch, und hinter einem blühenden Rosenstrauch war ein schönes hochgewachsenes Paar zu schauen. Der Jüngling redete zu dem Mädchen, das verschämt das Haupt gesenkt hielt.
Georg besann sich. Hatte er dies Bild nicht schon einmal gesehen? Er lauschte den Versen und sagte erfreut zu sich: Das Schäferspiel aus Shakespeares Wintermärchen! Dort hinten kommt der Schelm Autolykus, der die Gesellschaft begaunern wird. Und dort das Mädchen, das die Blumen austeilt, ist die liebliche Perdita, die Königin des Schäferfestes.
In den Tagen, als Georg zum erstenmale seinen Shakespeare las, hatte es ihm das liebliche Königskind angethan, und sie war ihm oft bei seinen einsamen Spaziergängen vor die Seele getreten, bis sie von Nausikaa verdrängt worden war. Darum blieb er stehen, obgleich er nur einen Augenblick hatte verweilen wollen, und er sah mit Teilnahme nach Perdita hin, obgleich sein Herz bei der Arbeit war. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, denn sie teilte unter die Gäste des Festes Blumen aus, aber er freute sich an ihren anmutigen Bewegungen. Jetzt trat sie vor einen Herrn, der eine Larve vor dem Gesichte hatte, und reichte ihm mit scherzendem Wort seine Blumen: Majoran, Lavendel, Minze, Pfefferkraut. Der Beschenkte erwiderte:
Wär ich von Eurer Herde, ich weidete nur meine Augen.
Hu, da würdet Ihr so mager, daß der Nordwind Euch durch und durch wehen würde, antwortete die Schäferin und hob das Gesicht.
Georg fing den Blick geistvoller Laune auf, mit dem sie ihre Antwort begleitete, und fuhr zusammen. Es war Maria, die Tochter des Professors. Nun sah er wieder die schönsten Augen in der Welt und fühlte in ihren Blicken die Macht des sieghaften Tages. Die Nebel wichen, und der blaue Himmel fing zu leuchten an. Maria Perdita, Maria inventa, flüsterte er vor sich hin. Er hatte alles um sich her vergessen. Das Herz schwoll ihm unter den Strahlen dieser wunderbaren Augen vor beglückender Sehnsucht. Gewaltsam riß er seinen Blick los und senkte die Augen. Nicht jetzt, sagte er leise, du verscheuchst mir die Gespenster. Du bist zu klar, zu licht, zu rein für mich. Ich brauche heute Dämmerung und einen Dämon.
Er verließ die Galerie, um in sein Atelier zurückzukehren, und war schon nahe an der Thür, die auf den Vorraum führte, als er hinter sich eine leise Stimme hörte: Holdrio!
Es war ihm, als würde er von einem elektrischen Schlage getroffen. Er blieb stehen, aber war nicht imstande, sich umzudrehen.
Da legte sich ihm eine Hand auf die Schulter, und die Stimme von vorhin fragte:
Kennen wir uns noch?
Gertraud!
Georg!
Es flimmerte ihm vor den Augen. Er fürchtete, es sei ein Traum. Darum faßte er sie am Handgelenk, so fest, daß sie leise aufschrie.
Bist du es wirklich?
So schau mich doch nur an!
Jetzt hob er seine Augen und sah in ihr Antlitz hinein.
Ja, du bist es, und du bist noch schöner geworden, Gertraud! Sie lachte und sagte: Du bist anders geworden. Aber du gefällst mir besser. Du bist kecker.
Er faßte sie wieder am Handgelenk, als ob er Furcht hätte, daß sie ihm entschwinde.
Hast du Zeit, Gertraud?
Ich? wozu?
Bist du allein, Gertraud?
Ja, sagte sie zögernd. Mein Vater ist hier – nicht hier oben, in der Stadt, im Gasthause. Er ist gekommen, um mich zu holen. Ich gehe gern mit ihm. Ich habe Heimweh nach dem Schilf im Mühlenbach. Morgen früh gehen wir. Er sitzt mit neuen Bekannten beim Wein und glaubt, ich läge im Bett. Ich bin hierher gekommen, weil ich hier Einen erwartete. Jetzt habe ich dich gefunden, und es ist gut.
Du mußt mit mir gehen, Gertraud! Wenn auch nur auf eine halbe Stunde!
Sie warf ihm einen scharfen Blick zu und sagte: Ich gehe voraus und erwarte dich drunten in der Mitte der Straße.
Ohne umzuschauen, ging sie zur Thür hinaus. Er wartete eine kleine Weile und folgte ihr dann. Unten fand er sie auf der Straße.
Hier hinüber! sagte er und wies nach seinem Atelier.
Er ging voran, und sie folgte ihm.
Als er die Thür zu seinem Arbeitsraum aufgeschlossen hatte und Gertraud nun eintreten ließ in den großen, dämmerigen, ungastlichen Raum, rief sie enttäuscht:
Hier?
Georg nahm sie bei der Hand und führte sie vor seine Gruppe.
Sieh dies an, Gertraud!
Sie stieß einen Schrei der Bewunderung aus.
Verstehst dus, Gertraud?
Das Mädchen sah die Gruppe aufmerksam an und sagte dann im Tone des Bedauerns:
Sie sind gestört worden.
Ja, Gertraud, von der Mutter. Sieh dir einmal die Braut genauer an.
Sie sieht aus, wie wenn sie aus dem Grab heraufsteige.
Gertraud! rief Georg erfreut und faßte sie am Arm.
Und nun sieh dir einmal ihr Gesicht näher an!
Es ist nicht erschrocken, wie das seine.
Weiter. Gertraud!
Es ist still, fügte sie leise hinzu.
Weiter, Gertraud! raunte Georg.
Es ist, – –
Sie schrak zusammen und wich schaudernd zurück.
Georgs Auge flammte. Er führte sie wieder zum Bildwerk.
Und nun ihr Mund, Gertraud!
Er hat geküßt.
Gewiß, Gertraud! Siehst du sonst nichts?
Doch! Er hat nicht genug geküßt! zischte das Mädchen.
Und die Augen, Gertraud, schau einmal die Augen an.
Gertraud sah zu den Augen empor und schwieg.
Nun, Gertraud?
Ich glaube, ich verstehe diese Augen, flüsterte sie fast unhörbar.
Sie wandte sich um und sah Georg an. Es lag in ihrem Blick ein kaltes Gefunkel, eine starre Wildheit.
Und was sagen denn ihre Augen?
Wehe dir und wehe mir! erwiderte Gertraud nach einigem Besinnen.
Georg sah sinnend vor sich nieder. Dann hob er den Kopf und fing wieder an.
Gertraud, kennst du die Geschichte von diesem Paare?
Nein.
Setze dich hier auf die Matratze, ich will sie dir erzählen.
Georg ging zurück zu seinem Stuhle, der im tiefen Schatten stand. Er drehte den Arm der Gaslampe so, daß Gertrauds Gesicht hell beleuchtet war. Dann setzte er sich, und seine Gefährtin unverwandt anblickend erzählte er:
Weißt du, was der Vampyr für ein Tier ist, Gertraud? Er ist eine Art Fledermaus, nur größer. Er kommt in stiller Nacht zu den schlafenden Menschen. Er setzt sich ihnen auf den Hals oder schlüpft ihnen auf die Brust. Da sitzt er und saugt den Schlafenden das Blut aus.
Ah! rief Gertraud.
Gefällt dir das?
Das Mädchen gab keine Antwort.
Nun geht die Sage, daß es Mädchen giebt, denen die Liebe nicht ward oder nicht genug Liebe, und die, wenn sie gestorben sind, aus dem Grabe steigen und des Nachts schöne Jünglinge besuchen. Sie liebkosen sie und saugen ihnen das Blut aus.
Ah, seufzte Gertraud.
Gertraud schwieg.
Es war stille im Atelier. Georg hörte Gertrauds schweren Atem.
Diese dort ist eine solche, sagte Georg leise.
Die Glückliche! rief Gertraud.
Georg spannte jeden Nerv des Schauens an.
Sie war seine Braut, fuhr Georg fort. Aber ihre Mutter that schwerkrank das Gelübde, daß, wenn sie genese, die Tochter Nonne werden sollte. Die Mutter genas, und die Tochter ward in die Zelle gesperrt. Sie starb und wurde begraben. Der Jüngling erfuhr nichts davon. Da kam er aus der Ferne, um die Braut zu holen. In später Nacht traf er ein. Die Mutter empfängt ihn und führt ihn zum Lager. Sie verschweigt den Tod der Tochter. Da steigt die Tote aus dem Grab und geht in das Haus der Eltern. Es ist ihr, als ob sie noch lebe und aus ihrer Zelle komme. Sie tritt in das Gemach, worin der Jüngling ruht. Sie erkennen sich als Braut und Bräutigam. Sie giebt ihm ihre Kette und empfängt eine Locke von seinem Haupte. Sieh dort die Locke in seiner Hand!
Und dann?
Das Weitere siehst du.
Gertraud drehte ihr Antlitz den beiden Gestalten zu. Eine Weile blieb sie so unverwandt; darauf sah sie Georg wieder an und fragte:
Und dann?
Im nächsten Augenblick ist die Braut entschwunden, und der Jüngling sinkt sterbend auf das Bett zurück.
Gertraud sah wieder hin, zuerst auf den Bräutigam und dann auf die Korinthierin.
Er thut ihr leid, sagte sie.
Dir nicht auch, Gertraud?
O nein, – das ist ein schöner Tod.
Meinst du, Gertraud?
Sie schwieg.
Sie stützte den Ellbogen auf das Knie, legte Kinn und Wange in die Hand und sah Georg an.
Warum sitzest du mir so ferne, Georg? Fürchtest du dich vor mir?
Georg stand auf und trat ganz in den Schatten zurück.
Wir verstehen uns ja so, Gertraud, und ich sehe dich.
Und ich sehe dich auch.
Ihre Brust hob sich. Ihre Gestalt schien zu wachsen.
Ist die Geschichte wahr, Georg? fragte sie leise. Und ohne seine Antwort abzuwarten, sagte sie laut und nachdrucksvoll: Sie ist wahr. Jetzt weiß ich auch, weshalb mir vor mir selber graut.
Gertraud stand auf, lang und langsam und ging auf Georg zu.
Sie hob die Arme in die Höhe, die Ärmel des Kleides fielen zurück, und weiß wie Schnee schimmerte die Haut.
Was willst du, Gertraud? rief Georg erschrocken.
Dich! raunte sie und ging mit ausgestreckten Armen auf ihn zu.
Zurück!
Aber schon hing sie an seinem Halse, hatte ihre Arme um seinen Nacken geschlungen und bedeckte sein Gesicht mit verzehrenden Küssen.
Mit ungeheurer Gewalt kämpfte er die aufsteigende Leidenschaft nieder. Aber wie sie nun so an ihm hing und flammenhauchend Flammen suchte und das Feuer der Augen in Thränen erlosch, da war seine Kraft dahin; Grauen hatte sie gelähmt, Mitleid hatte sie geschmolzen. Er sank auf die Kniee, und sie glitt an ihm nieder. Er wollte sie von sich stoßen und zog sie an sich. Matt fiel ihr Haupt auf seine Schulter. Schwer lastete sie an seiner Brust. Ein Zittern lief durch ihren Leib. Dann ward es stille in ihr. Ihre Stirne glitt von seiner Schulter herab.
Gertraud! rief er und faßte die Zusammensinkende auf.
Sie gab keine Antwort und regte sich nicht. Er stand mit seiner Last auf. Da fiel ihr Antlitz in den Nacken zurück. Der helle Schein des Lichtes fiel darauf. Er sah in ihr Gesicht, und ein Schauer durchrieselte ihn. Er sah nach der Korinthierin hinüber und rief: Die Braut aus dem Grabe!
Er stürzte mehr, als daß er ging, dem Lager zu. Als er seine Last da niederließ, empfand er einen Schmerz an seinem Haupte. Sie hatte eine Locke erfaßt und hielt die ausgerissene um den Finger geschlungen.
Georg starrte die Locke an, und er empfand einen Schmerz an seinem Herzen wie von einer ungeheuern Angst, die es zusammenpreßte.
Er lag auf den Knieen vor dem Lager und wehrte mit beiden Händen dem Todeshauch, der ihm entgegenwehte.
Die Locke lügt. Sie scheint nur grau. Mein Herz ist jung. Ich welke noch nicht. Und du?
Er fühlte nach ihrer Hand; sie war kalt. Er horchte an ihrem Munde. Der Odem ging still und leise. Er fühlte an ihrem Herzen. Es pochte in ruhigem Schlage.
Auch du lebst. Und wenn du doch eine bist, eine wie die da, – und ich morgen sterben muß, so soll –
Er vollendete nicht. Mit Gewalt raffte er sich auf. Langsam ging er auf die steinernen Gestalten zu – er griff nach seinen Werkzeugen und setzte den Meißel an den Mund der Korinthierin.
Unbeweglich lag Gertraud auf dem Lager. Sie schien mit offnen Augen zu schlafen oder traumbefangen zu wachen. Stunde um Stunde verrann. Man hörte nichts als das Knirschen des Steins und den Zuspruch des Meißels, der bald wie zärtliches Geflüster, bald wie rauschende Küsse, bald wie leis hervorgestoßene Drohworte klang. Und der Stein war gehorsam, er wurde, was der Meister wollte.
Georg trat leise zurück, um die Schläferin nicht zu wecken, und sah das dämonische Weib an. Jetzt ist sies! sagte er leise. Auf den Zehen schlich er her. Eine Befangenheit war über ihn gekommen, als stünde er einem großen, heiligen Rätsel gegenüber, einer wunderbaren, fremden Sache, die ihn doch so nahe anging wie sein eignes Herz. Es war ihm zu Mute wie der Braut am Hochzeitsmorgen, wie dem Priester am Tage der Weihe. Und mit der scheuvollen Beklommenheit mischte sich eine stille, große Freude.
Jetzt noch eins, sagte er zu sich. Ich weiß, wie du fühlst, armer Geselle. In deinem Antlitz fehlt noch eins. Du ahnst das Entsetzliche, du fühlst den heranschleichenden Todesschreck, auf dein blühendes Leben fällt der Schatten deiner Braut, der Schatten des Sterbens.
Aber auch auf dein Antlitz soll Schatten fallen, Gertraud, er soll dein mattwildes Herz zudecken, daß es der Nachttau erfrische.
Er drehte die Lichter auf die Seite, sodaß die Ruhende im Schatten lag. Dann griff er wieder zu Meißel und Stichel und beugte sich auf das Antlitz des Jünglings nieder. Das Zucken und Rieseln und Stäuben des Steins, das schmeichelnde und drohende Werben des Eisens, – sonst kein Laut. Da verstummte die Zwiesprache. Aber vom Lager her klang ein unterdrücktes Schluchzen. Weinte sie im Schlaf? Wachte Gertraud?
Niemand hörte sie. Der Meißel war aus der fleißigen Hand gefallen. Der Meister war an seinem Werke niedergesunken und lag entschlummert auf dem Boden.