Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die mechanistische Weltansicht Epikurs bedarf keiner Götter. Aus eigenen Kräften entwickelt sich die Natur, der Mensch und alles Menschliche. Aufs schärfste bekämpft die epikureische Schule den Aberglauben der Gottesvorstellungen, wie sie im Volke verbreitet sind, ebenso wie das Vorurteil vom Walten einer göttlichen Vorsehung.
Mit beißendem Spott macht sich Lukrez über die Vorstellung einer Weltschöpfung durch die Götter her. Albern ist die Meinung, dies herrliche Weltgebäude sei um der Menschen willen von den Göttern geschaffen, diese also dafür gebührend zu loben und zu preisen. Wie könnte wohl den Unsterblichen, Seligen, etwas an unserm Lob und Dank liegen, so daß sie unserthalber irgend ein Werk beginnen möchten? Oder hat Langeweile und Neuerungssucht sie verlockt, ihr Leben zu ändern? Denn doch nur der wünscht einen Wechsel zum Neuen, dem das bisherige Alte nicht mehr gefällt. Und wär' es überhaupt ein Übel für uns, nie geschaffen zu sein? Nur der Geborene mag sich wünschen, so lange zu leben, als die wonnige Lust ihn hält; wer aber noch nie in der Lebenden Reihen stand, noch nie das Leben genossen hat, was verliert er, wenn er niemals geboren wurde?
Daß auch das Argument von den Unvollkommenheiten der Natur – Haeckels Dysteleologie – von den Epikureern gegen eine göttliche Schöpfung und Vorsehung geltend gemacht wurde, wissen wir schon. Wie könnte die göttliche Vorsehung die Schöpferin einer Welt sein, in der so unzählig viele Übel, Schmerzen, Leiden sind? In der so oft der Edle mißhandelt wird, das Laster triumphiert? An der Einfachheit dieser Fragen müssen die Spitzfindigkeiten jeder Theodizee, jeder »Rechtfertigung Gottes wegen des Übels in der Welt«, immer wieder scheitern.
Entweder, so folgert Epikur, will Gott das Übel in der Welt aufheben, aber er kann nicht; oder er kann, will aber nicht; oder er will nicht, noch kann er; oder er will und kann auch. Die drei ersten Fälle sind in Hinsicht auf einen »Gott« undenkbar. Will er aber und kann er das Übel aufheben, welche Vorstellung allein einem »Gott« angemessen ist, woher sind dann die Übel? und warum hebt er sie nicht?
So verkehrt sind die Vorstellungen der Menge von den Göttern, daß nicht der gottlos genannt zu werden verdient, der sie zerstört, sondern der, der ihnen anhängt. Aus Unwissenheit und Furcht sind sie heraus geboren. Aus Unwissenheit, weil die Menschen die natürlichen Ursachen der Dinge nicht zu erkennen vermochten; aus Furcht, weil sie Gewitter, Erdbeben und dergleichen in ihrer Unwissenheit für Äußerungen des göttlichen Zornes hielten. Furcht ist daher auch immer die Grundstimmung der Religion, und der größte Wohltäter des Menschengeschlechts ist der, der es von dieser Furcht befreit hat – Epikur.
Schmählichen Anblicks lag auf Erden das Leben der Menschen, unter der Religion gewaltsam niedergetreten, und streckte das Haupt aus den himmlischen Regionen, mit entsetzlichem Blick herab auf die Sterblichen drohend. Da trat auf ein griechischer Mann und wagte zuerst es, aufzuheben dagegen das Aug' und entgegenzustreben; nicht der Götter Ruf, nicht Blitze, nicht drohende Donner schreckten ihn ab; sie reizten vielmehr nur schärfer des Geistes angestrengten Mut, die Riegel niederzubrechen, und der erste zu sein, die Natur aus dem Kerker zu lösen. Also hat obgesiegt die lebendige Kraft, und der Geist drang über die Grenzen der flimmernden Wälle des Äthers, erforschte mit Geist und Sinn das unermeßliche Weltall. Von da kam er als Sieger zurück und lehrte, was sein kann und was nicht, und wie, beschränkt durch die eigenen Kräfte, jeglichem Ding ein Ziel, ein endliches Maß ihm gesteckt sei. Und so liegt die Religion nun wieder zur Erde unter die Füße getreten. Der Sieg erhebt uns zum Himmel.
Sodann wirft Lukrez die Frage auf, ob denn nicht die völlige Verwerfung der Religion auf den Weg der Unsittlichkeit und Lasterhaftigkeit führe, ob diese religionslose Philosophie nicht geradezu Verbrecher züchte. Und er zeigt, wie im Gegenteil die Religion die Quelle der größten Greuel sei, indem er in ergreifenden Worten die Opferung der Iphigenie schildert:
Als nun das Opferband, die zierlichen Locken umwindend,
ihr an der Wangen Paar auf beiden Seiten herabfloß,
und sie den Vater erblickt, der traurig an dem Altar steht,
ihm zur Seite die Priester, die vor ihr verbargen den Mordstahl,
und hinblickend auf sie mit tränenden Augen die Bürger:
da verstummt sie vor Furcht, ihr sanken die Kniee zur Erde.
Ach, da half der Unglücklichen nicht, daß einst sie mit süßem
Vaternamen zuerst den grausamen König beschenkt hat!
Aufgehoben von Händen der Männer, die Zitternde, ward sie
hin zum Altar geführt, nicht daß, nach vollendeter Weihe
festlich sie kehrte zurück, bei jauchzenden Hochzeitsgesängen:
nein blutschänderisch fiel das keusche Opfer, vom Vater
hingeschlachtet, da selbst nun eben sie reifte dem Brautkranz,
nur daß ein günstiger Wind der Griechen Flotte befördre.
Solche Verbrechen rät dem Menschen die Religion an!
Welche Töne hätte wohl Lukrez finden müssen, um die entsetzlichen Verbrechen zu schildern, welche die christliche Kirche in ihren Ketzergerichten begangen hat, im Namen Gottes und zu seiner größeren Ehre! –
So scharf aber auch Epikur und sein »Garten« die Religion und die gewöhnlichen Vorstellungen über die Götter zurückwiesen, so machten sie sich doch selbst wieder Götter – nach ihrem Bilde. Ja, Epikur bezeichnete den Glauben an Götter als eine wesentliche Bedingung der Glückseligkeit.
Epikurs Götter sind, wenn auch ihre Leiblichkeit nur eine ätherische sein kann, durchaus menschenähnlich; nur als menschenähnliche Wesen erscheinen sie uns, und nur als solche können die Götter erscheinen – weil die menschliche Gestalt die schönste ist. Epikur legt seinen Göttern sogar Geschlechtsunterschiede bei, hierin galanter gegen das weibliche Geschlecht, als die christliche Religion, die nur männliche Götter kennt, in der katholischen Kirche sich freilich dazu verstehen mußte, auch eine weibliche Gottheit zu schaffen: die Jungfrau Maria.
Unvergänglichkeit und Seligkeit sind die beiden wesentlichen Eigenschaften der epikureischen Götter. Beides wird ihnen gewährleistet durch ihren Aufenthalt in den Zwischenräumen der Welt, in denen sie von dem Untergang der Welten nicht berührt, von Sorgen um den Lauf der Welten nicht im mindesten belästigt werden.
So sind die »Götter« Epikurs, die in seliger Ruhe nur sich selber leben.
Wenn aber jemand, sagt Lukrez, auch noch das Meer Neptun und das Getreide Ceres nennen, und den Namen Bacchus lieber mißbrauchen als die Flüssigkeit beim rechten Namen nennen will, so wollen wir gestatten, daß dieser auch den Erdkreis als die Mutter der Götter bezeichnet, wenn er es nur in Wirklichkeit unterläßt, sein Gemüt mit der schnöden Religion zu beflecken.
Diese epikureische Theologie zu verspotten, die zu der ganzen Philosophie Epikurs paßte wie die Faust aufs Auge, war nicht eben schwer. So redet zum Beispiel Seneca unsern Philosophen an: du, Epikur, machst die Gottheit ganz und gar zu einem völlig hilflosen Wesen; und damit deinen Gott ja niemand zu fürchten habe, weisest du ihn noch dazu aus der Welt hinaus. So zäunst du ihn ein in den ungeheuren und undurchdringlichen Wall, fern von der Berührung und dem Anblick der Sterblichen, und du brauchst ihn in keiner Hinsicht zu scheuen; weder Wohltun noch Schaden liegt in seinem Wirkungskreis. In dem Zwischenraum zwischen unserer und einer anderen Welt einsam lebend, hat er nichts zu tun, als nur dem Untergang der um ihn her zusammenfallenden Welten auszuweichen, ohne je auf unsere Bitten zu achten, oder sich um uns zu kümmern. Und doch willst du diesen Gott verehren wie einen Vater, und, wie mich dünkt, aus dankbarem Herzen; oder wenn du nicht dankbar scheinen willst, weil du ihm doch nichts zu verdanken hast, sondern die Atome und die Krümchen, von denen du redest, dich auf gut Glück zusammengestoppelt haben: warum verehrst du ihn dann?
Friedrich Albert Lange gibt zur Antwort: Unter dem Gesichtspunkt einer subjektiven, das Gemüt zu harmonischer Stimmung bringenden Gottesverehrung allein lassen sich die Widersprüche lösen, in welche uns sonst die naturalistische Physik Epikurs mit seiner Theologie verwickelt bleiben müßte. Denn wenn die Götter sind, aber nicht wirken, so würde das der gläubigen Frivolität der Massen gerade genügen, um sie zu glauben, nicht aber zu verehren, und bei Epikur ist im Grunde das Umgekehrte der Fall. Er verehrt die Götter um ihrer Vollkommenheit willen; dies konnte er tun, gleichviel, ob diese Vollkommenheit sich in äußeren Wirkungen zeigt, oder ob sie nur in unseren Gedanken als Ideal sich entfaltet. Dies aber scheint sein Standpunkt gewesen zu sein.
Es ist in diesem Zusammenhang von nicht geringem Interesse, zu sehen, wie sich Nietzsche die Stellung Epikurs zu den Göttern wie überhaupt zu derlei theoretisch-spekulativen Dingen zurechtgelegt hat (Menschliches Allzumenschliches, Bd. II, S. 193). »Epikur, sagt er, der Seelenbeschwichtiger des Altertums, hatte jene wundervolle Einsicht, die heutzutage noch so selten zu finden ist, daß zur Beruhigung des Gemütes die Lösung der letzten und äußersten theoretischen Fragen gar nicht nötig sei. So genügte es ihm, solchen, die die Götterangst quälte, zu sagen: wenn es Götter gibt, so bekümmern sie sich nicht um uns – statt über die letzte Frage, ob es Götter gebe, unfruchtbar und aus der Ferne zu disputieren. Jene Position ist viel günstiger und mächtiger: man gibt dem andern einige Schritte vor und macht ihn so zum Hören und Beherzigen williger. Sobald er sich aber anschickt, das Gegenteil zu beweisen – daß die Götter sich um uns kümmern – in welche Irrsale und Dorngebüsche muß der Arme geraten, ganz von selber, ohne die List des Unterredners, der nur genug Humanität und Feinheit haben muß, um sein Mitleiden an diesem Schauspiele zu verbergen. Zuletzt kommt jener andere zum Ekel, dem stärksten Argument gegen jeden Satz, zum Ekel an seiner eigenen Behauptung; er wird kalt und geht fort mit derselben Stimmung, wie sie auch der reine Atheist hat: was gehen mich eigentlich die Götter an! hole sie der Teufel. – In anderen Fällen, namentlich wenn eine halb physische, halb moralische Hypothese das Gemüt verdüstert hatte, widerlegte er nicht diese Hypothese, sondern gestand ein, daß es wohl so sein könne: aber es gäbe noch eine zweite Hypothese, um dieselbe Erscheinung zu erklären; vielleicht könne es sich auch noch anders verhalten. Die Mehrheit der Hypothesen genügt auch in unserer Zeit noch, zum Beispiel über die Herkunft der Gewissensbisse, um jenen Schatten von der Seele zu nehmen, der aus dem Nachgrübeln über eine einzige, allein sichtbare und dadurch hundertfach überschätzte Hypothese so leicht entsteht. – Wer also Trost zu spenden wünscht, an Unglückliche, Übeltäter, Hypochonder, Sterbende, möge sich der beiden beruhigenden Wendungen Epikurs erinnern, welche auf sehr viele Fragen sich anwenden lassen. In der einfachsten Form würden sie etwa lauten: 1. Gesetzt, es verhält sich so, so geht es uns nichts an; 2. Es kann so sein, kann aber auch anders sein.«
Lassen also auch wir, die wir uns in und mit der Welt einrichten wollen, so gut wir es eben immer mit Vernunft und Wissenschaft tun können, lassen auch wir die »seligen Götter« dort, wo sie Epikur untergebracht hat: in den Intermundien, wo sie niemanden stören, wo sie niemand stört. Daß aber die Epikureer bestrebt waren, es ihren Götteridealen nachzutun und wenigstens in idealen »Intermundien« zu leben, davon zeugt ihre Ethik.