Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien
Friedrich Schiller

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Zehnter Auftritt.

Der König und der Großinquisitor.

(Ein langes Stillschweigen.)

Großinquisitor.                 Steh'
Ich vor dem König?

König.         Ja.

Großinquisitor.                 Ich war mir's nicht mehr
Vermuthend.

König.         Ich erneure einen Auftritt
Vergangner Jahre. Philipp, der Infant,
Holt Rath bei seinem Lehrer.

Großinquisitor.                 Rath bedurfte
Mein Zögling Carl, Ihr großer Vater, niemals.

König. Um so viel glücklicher war er. Ich habe
Gemordet, Cardinal, und keine Ruhe –

Großinquisitor. Weßwegen haben Sie gemordet?

König.                 Ein
Betrug, der ohne Beispiel ist –

Großinquisitor.                 Ich weiß ihn.

König. Was wisset Ihr? Durch wen? Seit wann?

Großinquisitor.                 Seit Jahren,
Was Sie seit Sonnenuntergang.

König (mit Befremdung).         Ihr habt
Von diesem Menschen schon gewußt?

Großinquisitor.                 Sein Leben
Liegt angefangen und beschlossen in
Der Santa Casa heiligen Registern.

König. Und er ging frei herum?

Großinquisitor.         Das Seil, an dem
Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.

König. Er war schon außer meines Reiches Grenzen.

Großinquisitor. Wo er sein mochte, war ich auch.

König (geht unwillig auf und nieder).         Man wußte,
In wessen Hand ich war – Warum versäumte man,
Mich zu erinnern?

Großinquisitor.         Diese Frage geb' ich
Zurücke – Warum fragten Sie nicht an,
Da Sie in dieses Menschen Arm sich warfen?
Sie kannten ihn! Ein Blick entlarvte Ihnen
Den Ketzer. – Was vermochte Sie, dies Opfer
Dem heil'gen Amt zu unterschlagen? Spielt
Man so mit uns? Wenn sich die Majestät
Zur Hehlerin erniedrigt – hinter unserm Rücken
Mit unsern schlimmsten Feinden sich versteht,
Was wird mit uns? Darf Einer Gnade finden,
Mit welchem Rechte wurden Hunderttausend
Geopfert?

König.         Er ist auch geopfert.

Großinquisitor.                 Nein,
Er ist ermordet – ruhmlos! freventlich! – Das Blut,
Das unsrer Ehre glorreich fließen sollte,
Hat eines Meuchelmörders Hand verspritzt.
Der Mensch war unser – Was befugte Sie,
Des Ordens heil'ge Güter anzutasten?
Durch uns zu sterben, war er da. Ihn schenkte
Der Nothdurft dieses Zeitenlaufes Gott,
In seines Geistes feierlicher Schändung
Die prahlende Vernunft zur Schau zu führen.
Das war mein überlegter Plan. Nun liegt
Sie hingestreckt, die Arbeit vieler Jahre!
Wir sind bestohlen, und Sie haben nichts
Als blut'ge Hände.

König.         Leidenschaft riß mich
Dahin. Vergib mir.

Großinquisitor.     Leidenschaft? – Antwortet
Mir Philipp, der Infant? Bin ich allein
Zum alten Mann geworden? – Leidenschaft!
        (Mit unwilligem Kopfschütteln.)
Gibt die Gewissen frei in deinen Reichen,
Wenn du in deinen Ketten gehst.

König.                 Ich bin
In diesen Dingen noch ein Neuling. Habe
Geduld mit mir.

Großinquisitor.     Nein! Ich bin nicht mit Ihnen
Zufrieden. – Ihren ganzen vorigen
Regentenlauf zu lästern! Wo war damals
Der Philipp, dessen feste Seele, wie
Der Angelstern am Himmel, unverändert
Und ewig um sich selber treibt? War eine ganze
Vergangenheit versunken hinter Ihnen?
War in dem Augenblick die Welt nicht mehr
Die nämliche, da Sie die Hand ihm boten?
Gift nicht mehr Gift? War zwischen Gut und Uebel
Und Wahr und Falsch die Scheidewand gefallen?
Was ist ein Vorsatz, was Beständigkeit,
Was Männertreue, wenn in einer lauen
Minute eine sechzigjähr'ge Regel
Wie eines Weibes Laune schmilzt?

König. Ich sah in seine Augen – Halte mir
Den Rückfall in die Sterblichkeit zu gut.
Die Welt hat einen Zugang weniger
Zu deinem Herzen. Deine Augen sind erloschen.

Großinquisitor. Was sollte Ihnen dieser Mensch? Was konnte
Er Neues Ihnen vorzuzeigen haben,
Worauf Sie nicht bereitet waren? Kennen
Sie Schwärmersinn und Neuerung so wenig?
Der Weltverbeßrer prahlerische Sprache
Klang Ihrem Ohr so ungewohnt? Wenn das
Gebäude Ihrer Ueberzeugung schon
Von Worten fällt – mit welcher Stirne, muß
Ich fragen, schrieben Sie das Bluturtheil
Der hunderttausend schwachen Seelen, die
Den Holzstoß für nichts Schlimmeres bestiegen?

König. Mich lüsterte nach einem Menschen. Diese
Domingo –

Großinquisitor.     Wozu Menschen? Menschen sind
Für Sie nur Zahlen, weiter nichts. Muß ich
Die Elemente der Monarchenkunst
Mit meinem grauen Schüler überhören?
Der Erde Gott verlerne zu bedürfen,
Was ihm verweigert werden kann. Wenn Sie
Um Mitgefühle wimmern, haben Sie
Der Welt nicht Ihresgleichen zugestanden?
Und welche Rechte, möcht' ich wissen, haben
Sie aufzuweisen über Ihresgleichen?

König (wirft sich in den Sessel).
Ich bin ein kleiner Mensch, ich fühl's – Du forderst
Von dem Geschöpf, was nur der Schöpfer leistet.

Großinquisitor. Nein, Sire, mich hintergeht man nicht. Sie sind
Durchschaut – uns wollten Sie entfliehen.
Des Ordens schwere Ketten drückten Sie;
Sie wollten frei und einzig sein.
        (Er hält inne. Der König schweigt.)
Wir sind gerochen – Danken Sie der Kirche,
Die sich begnügt, als Mutter Sie zu strafen.
Die Wahl, die man Sie blindlings treffen lassen,
War Ihre Züchtigung. Sie sind belehrt.
Jetzt kehren Sie zu uns zurück – Stünd' ich
Nicht jetzt vor Ihnen – beim lebend'gen Gott! –
Sie wären morgen so vor mir gestanden.

König. Nicht diese Sprache! Mäßige dich, Priester!
Ich duld' es nicht. Ich kann in diesem Ton
Nicht mit mir sprechen hören.

Großinquisitor.         Warum rufen Sie
Den Schatten Samuels herauf? Ich gab
Zwei Könige dem span'schen Thron und hoffte,
Ein fest gegründet Werk zu hinterlassen.
Verloren seh' ich meines Lebens Frucht,
Don Philipp selbst erschüttert mein Gebäude.
Und jetzo, Sire – Wozu bin ich gerufen?
Was soll ich hier? – Ich bin nicht Willens, diesen
Besuch zu wiederholen.

König.         Eine Arbeit noch,
Die letzte – dann magst du in Frieden scheiden.
Vorbei sei das Vergangne, Friede sei
Geschlossen zwischen uns – Wir sind versöhnt?

Großinquisitor. Wenn Philipp sich in Demuth beugt.

König (nach einer Pause).         Mein Sohn
Sinnt auf Empörung.

Großinquisitor.         Was beschließen Sie?

König. Nichts – oder Alles.

Großinquisitor.         Und was heißt hier Alles?

König. Ich lass' ihn fliehen, wenn ich ihn
Nicht sterben lassen kann.

Großinquisitor.         Nun, Sire?

König. Kannst du mir einen neuen Glauben gründen,
Der eines Kindes blut'gen Mord vertheidigt?

Großinquisitor. Die ewige Gerechtigkeit zu sühnen,
Starb an dem Holze Gottes Sohn.

König.                 Du willst
Durch ganz Europa diese Meinung pflanzen?

Großinquisitor. So weit, als man das Kreuz verehrt.

König.                 Ich frevle
An der Natur – auch diese mächt'ge Stimme
Willst du zum Schweigen bringen?

Großinquisitor.                 Vor dem Glauben
Gilt keine Stimme der Natur.

König.                 Ich lege
Mein Richteramt in deine Hände. – Kann
Ich ganz zurücke treten?

Großinquisitor.                 Geben Sie
Ihn mir.

König.     Es ist mein einz'ger Sohn – Wem hab' ich
Gesammelt?

Großinquisitor.     Der Verwesung lieber, als
Der Freiheit.

König (steht auf).     Wir sind einig. Kommt.

Großinquisitor.                 Wohin?

König. Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen.

(Er führt ihn hinweg.)

 
Zimmer der Königin.

Letzter Auftritt.

Carlos. Die Königin. Zuletzt der König mit Gefolge.

Carlos (in einem Mönchsgewand, eine Maske vor dem Gesichte, die er eben jetzt abnimmt, unter dem Arm ein bloßes Schwert. Es ist ganz finster. Er nähert sich einer Thüre, welche geöffnet wird. Die Königin tritt heraus im Nachtkleide, mit einem brennenden Licht. Carlos läßt sich vor ihr auf ein Knie nieder).
Elisabeth!

Königin (mit stiller Wehmuth auf seinem Anblick verweilend).
        So sehen wir uns wieder?

Carlos. So sehen wir uns wieder!

(Stillschweigen.)

Königin (sucht sich zu fassen).         Stehn Sie auf. Wir wollen
Einander nicht erweichen, Carl. Nicht durch
Ohnmächt'ge Thränen will der große Todte
Gefeiert werden. Thränen mögen fließen
Für kleinre Leiden! – Er hat sich geopfert
Für Sie! Mit seinem theuern Leben
Hat er das Ihrige erkauft – Und diese Blut
Wär' einem Hirngespinst geflossen? – Carlos!
Ich selber habe gut gesagt für Sie.
Auf meine Bürgschaft schied er freudiger
Von hinnen. Werden Sie zur Lügnerin
Mich machen?

Carlos (mit Begeisterung).     Einen Leichenstein will ich
Ihm setzen, wie noch keinem Könige
Geworden – Ueber seiner Asche blühe
Ein Paradies!

Königin.         So hab' ich Sie gewollt!
Das war die große Meinung seines Todes!
Mich wählte er zu seines letzten Willens
Vollstreckerin. Ich mahne Sie. Ich werde
Auf die Erfüllung dieses Eides halten.
– Und noch ein anderes Vermächtnis legte
Der Sterbende in meine Hand – Ich gab ihm
Mein Wort – und – warum soll ich es verschweigen?
Er übergab mir seinen Carl – Ich trotze
Dem Schein – ich will vor Menschen nicht mehr zittern,
Will einmal kühn sein, wie ein Freund. Mein Herz
Soll reden. Tugend nannt' er unsre Liebe?
Ich glaub' es ihm und will mein Herz nicht mehr –

Carlos. Vollenden Sie nicht, Königin – Ich habe
In einem langen, schweren Traum gelegen.
Ich liebte – Jetzt bin ich erwacht. Vergessen
Sei das Vergangne! Hier sind Ihre Briefe
Zurück. Vernichten Sie die meinen. Fürchten
Sie keine Wallung mehr von mir. Es ist
Vorbei. Ein reiner Feuer hat mein Wesen
Geläutert. Meine Leidenschaft wohnt in den Gräbern
Der Todten. Keine sterbliche Begierde
Theilt diesen Busen mehr.
        (Nach einem Stillschweigen ihre Hand fassend.)
                Ich kam, um Abschied
Zu nehmen – Mutter, endlich seh' ich ein,
Es gibt ein höher, wünschenswerther Gut,
Als dich besitzen – Eine kurze Nacht
Hat meiner Jahre trägen Lauf beflügelt,
Frühzeitig mich zum Mann gereift. Ich habe
Für dieses Leben keine Arbeit mehr,
Als die Erinnerung an ihn! Vorbei
Sind alle meine Ernten –
        (Er nähert sich der Königin, welche das Gesicht verhüllt.)
                Sagen Sie
Mir gar nichts, Mutter?

Königin.         Kehren Sie sich nicht
An meine Thränen, Carl – Ich kann nicht anders –
Doch, glauben Sie mir, ich bewundre Sie.

Carlos. Sie waren unsers Bundes einzige
Vertraute – unter diesem Namen werden
Wie auf der ganzen Welt das Theuerste
Mit bleiben. Meine Freundschaft kann ich Ihnen
So wenig, als noch gestern meine Liebe
Verschenken an ein andres Weib – Doch heilig
Sei mir die königliche Wittwe, führt
Die Vorsicht mich auf diesen Thron.

(Der König, begleitet vom Großinquisitor und seinen Granden, erscheint im Hintergrunde, ohne bemerkt zu werden.)

                Jetzt geh' ich
Aus Spanien und sehe meinen Vater
Nicht wieder – nie in diesem Leben wieder.
Ich schätz' ihn nicht mehr. Ausgestorben ist
In meinem Busen die Natur – Sei'n Sie
Ihm wieder Gattin. Er hat einen Sohn
Verloren. Treten Sie in Ihre Pflichten
Zurück – Ich eile, mein bedrängtes Volk
Zu retten von Tyrannenhand. Madrid
Sieht nur als König oder nie mich wieder.
Und jetzt zum letzten Lebewohl! (Er küßt sie.)

Königin.                 O Carl!
Was machen Sie aus mir? – Ich darf mich nicht
Empor zu dieser Männergröße wagen;
Doch fassen und bewundern kann ich Sie.

Carlos. Bin ich nicht stark, Elisabeth? Ich halte
In meinen Armen Sie und wanke nicht.
Von dieser Stelle hätten mich noch gestern
Des nahen Todes Schrecken nicht gerissen.
        (Er verläßt sie.)
Das ist vorbei. Jetzt trotz' ich jedem Schicksal
Der Sterblichkeit. Ich hielt Sie in den Armen
Und wankte nicht. – Still! Hörten Sie nicht etwas?
        (Eine Uhr schlägt.)

Königin. Nichts hör' ich, als die fürchterliche Glocke,
Die uns zur Trennung läutet.

Carlos.                 Gute Nacht, denn, Mutter.
Aus Gent empfangen Sie den ersten Brief
Von mir, der das Geheimniß unsers Umgangs
Laut machen soll. Ich gehe, mit Don Philipp
Jetzt einen öffentlichen Gang zu thun.
Von nun an, will ich, sei nichts Heimliches
Mehr unter uns. Sie brauchen nicht das Auge
Der Welt zu scheuen – Dies hier sei mein letzter
Betrug.

(Er will nach der Maske greifen. Der König steht zwischen ihnen.)

König.     Es ist dein letzter!

(Die Königin fällt ohnmächtig nieder.)

Carlos (eilt auf sie zu und empfängt sie mit den Armen).
                Ist sie todt?
O Himmel und Erde!

König (kalt und still zum Großinquisitor).     Cardinal, ich habe
Das Meinige gethan. Thun Sie das Ihre. (Er geht ab.)


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