Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien
Friedrich Schiller

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Siebenter Auftritt.

Carlos. Graf Lerma.

Lerma.         Retten Sie sich, Prinz.
Der König wüthet gegen Sie. Ein Anschlag
Auf Ihre Freiheit – wo nicht auf Ihr Leben.
Befragen Sie mich weiter nicht. Ich habe
Mich weggestohlen, Sie zu warnen. Fliehen
Sie ohne Aufschub.

Carlos.         Ich bin in den Händen
Der Allmacht.

Lerma.         Wie die Königin mich eben
Hat merken lassen, sollen Sie noch heute
Madrid verlassen und nach Brüssel flüchten.
Verschieben Sie es nicht, ja nicht! Der Aufruhr
Begünstigt Ihre Flucht. In dieser Absicht
Hat ihn die Königin veranlaßt. Jetzt
Wird man sich nicht erkühnen, gegen Sie
Gewalt zu brauchen. Im Karthäuserkloster
Erwartet Sie die Post, und hier sind Waffen,
Wenn Sie gezwungen sollten sein – (Er gibt ihm einen Dolch und Terzerolen.)

Carlos.                 Dank, Dank,
Graf Lerma!

Lerma.     Ihre heutige Geschichte
Hat mich im Innersten gerührt. So liebt
Kein Freund mehr! Alle Patrioten weinen
Um Sie. Mehr darf ich jetzt nicht sagen.

Carlos. Graf Lerma! Dieser Abgeschiedne nannte
Sie einen edlen Mann.

Lerma.         Noch einmal, Prinz!
Reisen Sie glücklich. Schönre Zeiten werden kommen;
Dann aber werd' ich nicht mehr sein. Empfangen
Sie meine Huldigung schon hier.
        (Er läßt sich auf ein Knie vor ihm nieder.)

Carlos (will ihn zurückhalten. Sehr bewegt).     Nicht also –
Nicht also, Graf – Sie rühren mich – Ich möchte
Nicht gerne weich sein –

Lerma (küßt seine Hand mit Empfindung).     König meiner Kinder!
O, meine Kinder werden sterben dürfen
Für Sie. Ich darf es nicht. Erinnern Sie sich meiner
In meinen Kindern – Kehren Sie in Frieden
Nach Spanien zurücke. Seien Sie
Ein Mensch auf König Philipps Thron. Sie haben
Auch Leiden kennen lernen. Unternehmen Sie
Nichts Blut'ges gegen Ihren Vater! Ja
Nichts Blutiges, mein Prinz! Philipp der Zweite
Zwang Ihren Aeltervater, von dem Thron
Zu steigen – Dieser Philipp zittert heute
Vor seinem eignen Sohn! Daran gedenken
Sie, Prinz – und so geleite Sie der Himmel!

(Er geht schnell weg. Carlos ist im Begriff, auf einem andern Wege fortzueilen, kehrt aber plötzlich um und wirft sich vor dem Leichnam des Marquis nieder, den er noch einmal in seine Arme schließt. Dann verläßt er schnell das Zimmer.)

 
Vorzimmer des Königs.

Achter Auftritt.

Herzog von Alba und Herzog von Feria kommen im Gespräch.

Alba. Die Stadt ist ruhig. Wie verließen Sie
Den König?

Feria.     In der fürchterlichsten Laune.
Er hat sich eingeschlossen. Was sich auch
Ereignen würde, keinen Menschen will
Er vor sich lassen. Die Verrätherei
Des Marquis hat auf ein Mal seine ganze
Natur verändert. Wir erkennen ihn
Nicht mehr.

Alba.     Ich muß zu ihm. Ich kann ihn diesmal
Nicht schonen. Eine wichtige Entdeckung,
Die eben jetzt gemacht wird –

Feria.                 Eine neue
Entdeckung?

Alba.         Ein Karthäusermönch, der in
Des Prinzen Zimmer heimlich sich gestohlen
Und mit verdächt'ger Wißbegier den Tod
Des Marquis Posa sich erzählen lassen,
Fällt meinen Wachen auf. Man hält ihn an.
Man untersucht. Die Angst des Todes preßt
Ihm ein Geständniß aus, daß er Papiere
Von großem Werthe bei sich trage, die
Ihm der Verstorbne anbefohlen in
Des Prinzen Hand zu übergeben – wenn
Er sich vor Sonnenuntergang nicht mehr
Ihm zeigen würde.

Feria.         Nun?

Alba.                 Die Briefe lauten,
Daß Carlos binnen Mitternacht und Morgen
Madrid verlassen soll.

Feria.         Was?

Alba.                 Daß ein Schiff
In Cadix segelfertig liege, ihn
Nach Vlissingen zu bringen – daß die Staaten
Der Niederlande seiner nur erwarten,
Die span'schen Ketten abzuwerfen.

Feria.                 Ha!
Was ist das?

Alba.         Andre Briefe melden,
Daß eine Flotte Solimans bereits
Von Rhodus ausgelaufen – den Monarchen
Von Spanien, laut des geschloßnen Bundes,
Im mittelländ'schen Meere anzugreifen.

Feria. Ist's möglich?

Alba.         Eben diese Briefe lehren
Die Reisen mich verstehn, die der Maltheser
Durch ganz Europa jüngst gethan. Es galt
Nichts Kleineres, als alle nord'schen Mächte
Für der Flamänder Freiheit zu bewaffnen.

Feria. Das war er!

Alba.         Diesen Briefen endlich folgt
Ein ausgeführter Plan des ganzen Krieges,
Der von der span'schen Monarchie auf immer
Die Niederlande trennen soll. Nichts, nichts
Ist übersehen, Kraft und Widerstand
Berechnet, alle Quellen, alle Kräfte
Des Landes pünktlich angegeben, alle
Maximen, welche zu befolgen, alle
Bündnisse, die zu schließen. Der Entwurf
Ist teuflisch, aber wahrlich – göttlich.

Feria. Welch undurchdringlicher Verräther!

Alba.                 Noch
Beruft man sich in diesem Brief auf eine
Geheime Unterredung, die der Prinz
Am Abend seiner Flucht mit seiner Mutter
Zu Stande bringen sollte.

Feria.                 Wie? Das wäre
Ja heute.

Alba.     Diese Mitternacht. Auch hab' ich
Für diesen Fall Befehle schon gegeben.
Sie sehen, daß es dringt. Kein Augenblick
Ist zu verlieren – Oeffnen Sie das Zimmer
Der Königs.

Feria.     Nein! Der Eintritt ist verboten.

Alba. So öffn' ich selbst – die wachsende Gefahr
Rechtfertigt diese Kühnheit –

(Wie er gegen die Thür geht, wird sie geöffnet, und der König tritt heraus.)

Feria.                 Ha, er selbst!

Neunter Auftritt.

König zu den Vorigen.

(Alle erschrecken über seinen Anblick, weichen zurück und lassen ihn ehrerbietig mitten durch. Er kommt in einem wachen Traume, wie eines Nachtwandlers. – Sein Anzug und seine Gestalt zeigen noch die Unordnung, worein ihn die gehabte Ohnmacht versetzt hat. Mit langsamen Schritten geht er an den anwesenden Granden vorbei, sieht jeden starr an, ohne einen einzigen wahrzunehmen. Endlich bleibt er gedankenvoll stehen, die Augen zur Erde gesenkt, bis seine Gemüthsbewegung nach und nach laut wird.)

König. Gib diesen Todten mir heraus. Ich muß
Ihn wieder haben.

Domingo (leise zum Herzog von Alba).     Reden Sie ihn an.

König (wie oben).
Er dachte klein von mir und starb. Ich muß
Ihn wieder haben. Er maß anders von
Mir denken.

Alba (nähert sich mit Furcht).     Sire –

König.                 Wer redet hier?
        (Er sieht lange im ganzen Kreise herum.)
                        Hat man
Vergessen, wer ich bin? Warum nicht auf
Den Knieen vor mir, Kreatur? Noch bin
Ich König. Unterwerfung will ich sehen.
Setzt Alles mich hintan, weil Einer mich
Verachtet hat?

Alba.     Nichts mehr von ihm, mein König!
Ein neuer Feind, bedeutender als dieser,
Steht auf im Herzen Ihres Reichs. –

Feria.                 Prinz Carlos –

König. Er hatte einen Freund, der in den Tod
Gegangen ist für ihn – für ihn! Mit mir
Hätt' er ein Königreich getheilt! – Wie er
Auf mich herunter sah! So stolz sieht man
Von Thronen nicht herunter. War's nicht sichtbar,
Wie viel er sich mit der Erobrung wußte?
Was er verlor, gestand sein Schmerz. So wird
Um nichts Vergängliches geweint – Daß er noch lebte!
Ich gäb' ein Indien dafür. Trostlose Allmacht,
Die nicht einmal in Gräber ihren Arm
Verlängern, eine kleine Uebereilung
Mit Menschenleben nicht verbessern kann!
Die Todten stehen nicht mehr auf. Wer darf
Mir sagen, daß ich glücklich bin? Im Grabe
Wohnt Einer, der mir Achtung vorenthalten.
Was gehn die Lebenden mich an? Ein Geist,
Ein freier Mann stand auf in diesem ganzen
Jahrhundert – Einer – Er verachtet mich
Und stirbt.

Alba.     So lebten wir umsonst! – Laßt uns
Zu Grabe gehen, Spanier! Auch noch
Im Tode raubt uns dieser Mensch das Herz
Des Königs!

König (Er setzt sich nieder, den Kopf auf den Arm gestützt).
        Wär' er mir also gestorben!
Ich hab' ihn lieb gehabt, sehr lieb. Er war
Mir theuer, wie ein Sohn. In diesem Jüngling
Ging mir ein neuer, schönrer Morgen auf.
Wer weiß, was ich ihm aufbehalten! Er
War meine erste Liebe. Ganz Europa
Verfluche mich! Europa mag mir fluchen.
Von diesem hab' ich Dank verdient.

Domingo.                 Durch welche
Bezauberung –

König.     Und wem bracht' er dies Opfer?
Dem Knaben, meinem Sohne? Nimmermehr.
Ich glaub' es nicht. Für einen Knaben stirbt
Ein Posa nicht. Der Freundschaft arme Flamme
Füllt eines Posa Herz nicht aus. Das schlug
Der ganzen Menschheit. Seine Neigung war
Die Welt mit allen kommenden Geschlechtern.
Sie zu vergnügen fand er einen Thron –
Und geht vorüber? Diesen Hochverrath
An seiner Menschheit sollte Posa sich
Vergeben? Nein. Ich kenn' ihn besser. Nicht
Den Philipp opfert er dem Carlos, nur
Den alten Mann dem Jüngling, seinem Schüler.
Der Vaters untergehnde Sonne lohnt
Das neue Tagwerk nicht mehr. Das verspart man
Dem nahen Aufgang seines Sohns – O, es ist klar!
Auf meinen Hintritt wird gewartet.

Alba.                 Lesen Sie
In diesen Briefen die Bekräftigung.

König (steht auf). Er könnte sich verrechnet haben. Noch,
Noch bin ich. Habe Dank, Natur! Ich fühle
In meinen Sehnen Jünglingskraft. Ich will
Ihn zum Gelächter machen. Seine Tugend
Sei eines Träumers Hirngespinst gewesen.
Er sei gestorben als ein Thor. Sein Sturz
Erdrücke seinen Freund und sein Jahrhundert!
Laß sehen, wie man mich entbehrt. Die Welt
Ist noch auf einen Abend mein. Ich will
Ihn nützen, diesen Abend, daß nach mir
Kein Pflanzer mehr in zehen Menschenaltern
Auf dieser Brandstatt ernten soll. Er brachte
Der Menschheit, seinem Götzen, mich zum Opfer;
Die Menschheit büße mir für ihn – Und jetzt –
Mit seiner Puppe fang' ich an.
        (Zum Herzog von Alba.)
                Was war's
Mit dem Infanten? Wiederholt es mir. Was lehren
Mich diese Briefe?

Alba.         Diese Briefe, Sire,
Enthalten die Verlassenschaft des Marquis
Von Posa an Prinz Carl.

König (durchläuft die Papiere, wobei er von allen Umstehenden scharf beobachtet wird. Nachdem er eine Zeit lang gelesen, legt er sie weg und geht stillschweigend durch das Zimmer).
                Man rufe mir
Den Inquisitor Cardinal. Ich lass'
Ihn bitten, eine Stunde mir zu schenken.

(Einer von den Granden geht hinaus. Der König nimmt die Papiere wieder, liest fort und legt sie abermals weg.)

In dieser Nacht also?

Taxis.         Schlag zwei Uhr soll
Die Post vor dem Karthäuserkloster halten.

Alba. Und Leute, die ich ausgesendet, sahen
Verschiednes Reis'geräthe, an dem Wappen
Der Krone kenntlich, nach dem Kloster tragen.

Feria. Auch sollen große Summen auf den Namen
Der Königin bei maurischen Agenten
Betrieben worden sein, in Brüssel zu
Erheben.

König.     Wo verließ man den Infanten?

Alba. Beim Leichnam des Malthesers.

König.         Ist noch Licht im Zimmer?
Der Königin?

Alba.     Dort ist Alles still. Auch hat
Sie ihre Kammerfrauen zeitiger,
Als sonsten zu geschehen pflegt, entlassen.
Die Herzogin von Arcos, die zuletzt
Aus ihrem Zimmer ging, verließ sie schon
In tiefem Schlaf.

(Ein Officier von der Leibwache tritt herein, zieht den Herzog von Feria auf die Seite und spricht leise mit ihm. Dieser wendet sich betreten zum Herzog von Alba, Andre drängen sich hinzu, und es entsteht ein Gemurmel.)

Feria, Taxis, Domingo (gleichzeitig). Sonderbar!

König. Was gibt es?

Feria.         Eine Nachricht, Sire, die kaum
Zu glauben ist –

Domingo.         Zwei Schweizer, die so eben
Von ihrem Posten kommen, melden – es
Ist lächerlich, es nachzusagen.

König.                 Nun?

Alba. Daß in dem linken Flügel des Palasts
Der Geist des Kaisers sich erblicken lassen
Und mit beherztem, feierlichem Schritt an ihnen
Vorbei gegangen. Eben diese Nachricht
Bekräft'gen alle Wachen, die durch diesen
Pavillon verbreitet stehn, und setzen
Hinzu, daß die Erscheinung in den Zimmern
Der Königin verschwunden.

König.         Und in welcher
Gestalt erschien er?

Officier.         In dem nämlichen
Gewand, das er zum letzten Mal in Justi
Als Hieronymitermönch getragen.

König. Als Mönch? Und also haben ihn die Wachen
Im Leben noch gekannt? Denn woher wußten
Sie sonst, daß es der Kaiser war?

Officier.                 Daß es
Der Kaiser müsse sein, bewies das Scepter,
Das er in Händen trug.

Domingo.         Auch will man ihn
Schon öfters, wie die Sage geht, in dieser
Gestalt gesehen haben.

König.         Angeredet hat
Ihn Niemand?

Officier.     Niemand unterstand sich.
Die Wachen sprachen ihr Gebet und ließen
Ihn ehrerbietig mitten durch.

König.         Und in den Zimmern
Der Königin verlor sich die Erscheinung?

Officier. Im Vorgemach der Königin.

(Allgemeines Stillschweigen.)

König (wendet sich schnell um).         Was sagt ihr?

Alba. Sire, wir sind stumm.

König (nach einigem Besinnen zu dem Officier).
                Laßt meine Garden unter
Die Waffen treten und jedweden Zugang
Zu diesem Flügel sperren. Ich bin lüstern,
Ein Wort mit diesem Geist zu reden.

(Der Officier geht ab. Gleich darauf ein Page.)

Page.                 Sire!
Der Inquisitor Cardinal.

König (zu den Anwesenden).         Verlaßt uns.

(Der Cardinal Großinquisitor, ein Greis von neunzig Jahren und blind, auf einen Stab gestützt und von zwei Dominicanern geführt. Wie er durch ihre Reihen geht, werfen sich alle Granden vor ihm nieder und berühren den Saum seines Kleides. Er ertheilt ihnen den Segen. Alle entfernen sich.)


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