Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien
Friedrich Schiller

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehnter Auftritt.

Alba. Domingo.

Domingo (nach einer Pause, worin er die Prinzessin mit den Augen begleitet hat).
        Herzog, diese Rosen
Und Ihre Schlachten –

Alba.         Und dein Gott – so will ich
Den Blitz erwarten, der uns stürzen soll! (Sie gehen ab.)

In einem Karthäuserkloster.

Vierzehnter Auftritt.

Don Carlos. Der Prior.

Carlos (zum Prior, indem er hereintritt).
Schon da gewesen also? – Das beklag' ich.

Prior. Seit heute Morgen schon das dritte Mal.
Vor einer Stunde ging er weg –

Carlos.         Er will
Doch wiederkommen? Hinterließ er nicht?

Prior. Vor Mittag noch, versprach er.

Carlos (an ein Fenster und sich in der Gegend umsehend).     Euer Kloster
Liegt weit ab von der Straße. – Dorthin zu
Sieht man noch Thürme von Madrid. – Ganz recht,
Und hier fließt der Manzanares – Die Landschaft
Ist, wie ich sie mir wünsche. Alles ist
Hier still, wie ein Geheimniß.

Prior.         Wie der Eintritt
Ins andre Leben.

Carlos.         Eurer Redlichkeit,
Hochwürd'ger Herr, hab' ich mein Kostbarstes,
Mein Heiligstes vertraut. Kein Sterblicher
Darf wissen oder nur vermuthen, wen
Ich hier gesprochen und geheim. Ich habe
Sehr wicht'ge Gründe, vor der ganzen Welt
Den Mann, den ich erwarte, zu verleugnen:
Drum wählt' ich dieses Kloster. Vor Verräthern,
Vor Ueberfall sind wir doch sicher? Ihr
Besinnt Euch doch, was Ihr mir zugeschworen?

Prior. Vertrauen Sie uns, gnäd'ger Herr. Der Argwohn
Der Könige wird Gräber nicht durchsuchen.
Das Ohr der Neugier liegt nur an den Thüren
Des Glückes und der Leidenschaft. Die Welt
Hört auf in diesen Mauern.

Carlos.         Denkt Ihr etwa,
Daß hinter diese Vorsicht, diese Furcht
Ein schuldiges Gewissen sich verkrieche?

Prior. Ich denke nichts.

Carlos.         Ihr irrt Euch, frommer Vater,
Ihr irrt Euch wahrlich. Mein Geheimniß zittert
Vor Menschen, aber nicht vor Gott.

Prior.         Mein Sohn,
Das kümmert uns sehr wenig. Diese Freistatt
Steht dem Verbrechen offen, wie der Unschuld.
Ob, was du vorhast, gut ist oder übel,
Rechtschaffen oder lasterhaft – das mache
Mit deinem Herzen aus.

Carlos (mit Wärme).         Was wir
Verheimlichen, kann Euren Gott nicht schänden.
Es ist sein eignes, schönstes Werk. – Zwar Euch,
Euch kann ich's wohl entdecken.

Prior.         Zu was Ende?
Erlassen Sie mir's lieber, Prinz. Die Welt
Und ihr Geräthe liegt schon lange Zeit
Versiegelt da auf jene große Reise.
Wozu die kurze Frist vor meinem Abschied
Noch einmal es erbrechen? – Es ist wenig,
Was man zur Seligkeit bedarf. – Die Glocke
Zur Hora läutet. Ich muß beten gehn. (Der Prior geht ab.)

Fünfzehnter Auftritt.

Don Carlos. Der Marquis von Posa tritt ein.

Carlos. Ach, endlich einmal, endlich –

Marquis         Welche Prüfung
Für eines Freundes Ungeduld! Die Sonne
Ging zweimal auf und zweimal unter, seit
Das Schicksal meines Carlos sich entschieden,
Und jetzt, erst jetzt werd' ich es hören. – Sprich,
Ihr seid versöhnt?

Carlos.         Wer?

Marquis.                 Du und König Philipp;
Und auch mit Flandern ist's entschieden?

Carlos.         Daß
Der Herzog morgen dahin reist? – Das ist
Entschieden, ja.

Marquis.         Das kann nicht sein. Das ist nicht.
Soll ganz Madrid belogen sein? Du hattest
Geheime Audienz, sagt man. Der König –

Carlos. Blieb unbewegt. Wir sind getrennt auf immer,
Und mehr, als wir's schon waren –

Marquis.         Du gehst nicht
Nach Flandern?

Carlos.         Nein! Nein! Nein!

Marquis.                 O meine Hoffnung!

Carlos. Das nebenbei. O Roderich, seitdem
Wir uns verließen, was hab' ich erlebt!
Doch jetzt vor Allem deinen Rath! Ich muß
Sie sprechen –

Marquis.         Deine Mutter? – Nein! – Wozu?

Carlos. Ich habe Hoffnung. – Du wirst blaß? Sei ruhig.
Ich soll und werde glücklich sein. – Doch davon
Ein ander Mal. Jetzt schaffe Rath, wie ich
Sie sprechen kann. –

Marquis.         Was soll das? Worauf gründet
Sich dieser neue Fiebertraum?

Carlos.         Nicht Traum!
Beim wundervollen Gotte nicht! – Wahrheit, Wahrheit!
        (den Brief des Königs an die Fürstin von Eboli hervorziehend)
In diesem wichtigen Papier enthalten!
Die Königin ist frei, vor Menschenaugen,
Wie vor des Himmels Augen, frei. Da lies
Und höre auf, dich zu verwundern.

Marquis (den Brief öffnend).         Was?
Was seh' ich? Eigenhändig vom Monarchen?
        (Nachdem er es gelesen.)
An wen ist dieser Brief?

Carlos.         An die Prinzessin
Von Eboli. – Vorgestern bringt ein Page
Der Königin von unbekannten Händen
Mir einen Brief und einen Schlüssel. Man
Bezeichnet mir im linken Flügel des
Palastes, den die Königin bewohnet,
Ein Kabinet, wo eine Dame mich
Erwarte, die ich längst geliebt. Ich folge
Sogleich dem Winke –

Marquis.         Rasender, du folgst?

Carlos. Ich kenne ja die Handschrift nicht – ich kenne
Nur eine solche Dame. Wer, als sie,
Wird sich von Carlos angebetet wähnen?
Voll süßen Schwindels flieg' ich nach dem Platze;
Ein göttlicher Gesang, der aus dem Innern
Des Zimmers mir entgegen schallt, dient mir
Zum Führer – ich eröffne das Gemach –
Und wen entdeck' ich? – Fühle mein Entsetzen!

Marquis. O, ich errathe Alles.

Carlos.         Ohne Rettung
War ich verloren, Roderich, wär' ich
In eines Engels Hände nicht gefallen.
Welch unglücksel'ger Zufall! Hintergangen
Von meiner Blicke unvorsicht'ger Sprache,
Gab sie der süßen Täuschung sich dahin,
Sie selber sei der Abgott dieser Blicke.
Gerührt von meiner Seele stillen Leiden,
Beredet sich großmüthig-unbesonnen
Ihr weiches Herz, mir Liebe zu erwiedern.
Die Ehrfurcht schien mir Schweigen zu gebieten;
Sie hat die Kühnheit, es zu brechen – offen
Liegt ihre schöne Seele mir –

Marquis.         So ruhig
Erzählst du das? – Die Fürstin Eboli
Durchschaute dich. Kein Zweifel mehr, sie drang
In deiner Liebe innerstes Geheimniß.
Du hast sie schwer beleidigt. Sie beherrscht
Den König.

Carlos (zuversichtlich).     Sie ist tugendhaft.

Marquis.                         Sie ist's
Aus Eigennutz der Liebe. – Diese Tugend,
Ich fürchte sehr, ich kenne sie – wie wenig
Reicht sie empor zu jenem Ideale,
Das aus der Seele mütterlichem Boden,
In stolzer, schöner Grazie empfangen,
Freiwillig sproßt und ohne Gärtners Hilfe
Verschwenderische Blüthen treibt! Es ist
Ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd
In einem rauhern Himmelsstrich getrieben,
Erziehung, Grundsatz, nenn' es, wie du willst,
Erworbne Unschuld, dem erhitzten Blut
Durch List und schwere Kämpfe abgerungen,
Dem Himmel, der sie fordert und bezahlt,
Gewissenhaft, sorgfältig angeschrieben.
Erwäge selbst! Wird sie der Königin
Es je vergeben können, daß ein Mann
An ihrer eignen, schwer erkämpften Tugend
Vorüberging, sich für Don Philipps Frau
In hoffnungslosen Flammen zu verzehren?

Carlos. Kennst du die Fürstin so genau?

Marquis.         Gewiß nicht.
Kaum daß ich zweimal sie gesehn. Doch nur
Ein Wort laß mich noch sagen: mir kam vor,
Daß sie geschickt des Lasters Blößen mied,
Daß sie sehr gut um ihre Tugend wußte.
Dann sah ich auch die Königin. O Carl,
Wie anders Alles, was ich hier bemerkte!
In angeborner stiller Glorie,
Mit sorgenlosem Leichtsinn, mit des Anstands
Schulmäßiger Berechnung unbekannt,
Gleich ferne von Verwegenheit und Furcht,
Mit festem Heldenschritte wandelt sie
Die schmale Mittelbahn des Schicklichen,
Unwissend, daß sie Anbetung erzwungen,
Wo sie von eignem Beifall nie geträumt.
Erkennt mein Carl auch hier in diesem Spiegel,
Auch jetzt noch seine Eboli? – Die Fürstin
Blieb standhaft, weil sie liebte; Liebe war
In ihre Tugend wörtlich einbedungen.
Du hast sie nicht belohnt – sie fällt.

Carlos (mit einiger Heftigkeit).         Nein! Nein!
        (Nachdem er heftig auf und nieder gegangen.)
Nein, sag' ich dir. – Ich, wüßte Roderich,
Wie trefflich es ihn kleidet, seinem Carl
Der Seligkeiten göttlichste, den Glauben
An menschliche Vortrefflichkeit, zu stehlen!

Marquis. Verdien' ich das? – Nein, Liebling meiner Seele,
Das wollt' ich nicht, bei Gott im Himmel nicht! –
O, diese Eboli – sie wär' ein Engel,
Und ehrerbietig, wie du selbst, stürzt' ich
Vor ihrer Glorie mich nieder, hätte
Sie – dein Geheimniß nicht erfahren.

Carlos.         Sieh,
Wie eitel deine Furcht ist! Hat sie andre
Beweise wohl, als die sie selbst beschämen?
Wird sie der Rache trauriges Vergnügen
Mit ihrer Ehre kaufen?

Marquis.         Ein Erröthen
Zurückzunehmen, haben Manche schon
Der Schande sich geopfert.

Carlos (mit Heftigkeit aufstehend).     Nein, das ist
Zu hart, zu grausam! Sie ist stolz und edel;
Ich kenne sie und fürchte nichts. Umsonst
Versuchst du, meine Hoffnungen zu schrecken.
Ich spreche meine Mutter.

Marquis.         Jetzt? Wozu?

Carlos. Ich habe nun nichts mehr zu schonen – muß
Mein Schicksal wissen. Sorge nur, wie ich
Sie sprechen kann.

Marquis.         Und diesen Brief willst du
Ihr zeigen? Wirklich, willst du das?

Carlos.         Befrage
Mich darum nicht. Das Mittel jetzt, das Mittel,
Daß ich sie spreche!

Marquis (mit Bedeutung).         Sagtest du mir nicht,
Du liebtest deine Mutter? – Du bist Willens,
Ihr diesen Brief zu zeigen?
        (Carlos sieht zur Erde und schweigt.)
                Carl, ich lese
In deinen Mienen etwas – mir ganz neu –
Ganz fremd bis diesen Augenblick. – Du wendest
Die Augen von mir? Warum wendest du
Die Augen von mir? So ist's wahr? – Ob ich
Denn wirklich recht gelesen? Laß doch sehn –

(Carlos gibt ihm den Brief. Der Marquis zerreißt ihn.)

Carlos. Was? Bist du rasend?
        (Mit gemäßigter Empfindlichkeit.)
                Wirklich – ich gesteh' es –
An diesem Briefe lag mir viel.

Marquis.         So schien es.
Darum zerriß ich ihn.

(Der Marquis ruht mit einem durchdringenden Blick auf dem Prinzen der ihn zweifelhaft ansieht. Langes Stillschweigen.)

        Sprich doch – was haben
Entweihungen des königlichen Bettes
Mit deiner – deiner Liebe denn zu schaffen?
War Philipp dir gefährlich? Welches Band
Kann die verletzten Pflichten des Gemahls
Mit deinen kühnern Hoffnungen verknüpfen?
Hat er gesündigt, wo du liebst? Nun freilich
Lern' ich dich fassen. O, wie schlecht hab' ich
Bis jetzt auf deine Liebe mich verstanden!

Carlos. Wie, Roderich? Was glaubst du?

Marquis.                 O, ich fühle,
Wovon ich mich entwöhnen muß. Ja, einst,
Einst war's ganz anders. Da warst du so reich,
So warm, so reich! ein ganzes Weltkreis hatte
In deinem weiten Busen Raum. Das alles
Ist nun dahin, von einer Leidenschaft,
Von einem kleinen Eigennutz verschlungen.
Dein Herz ist ausgestorben. Keine Thräne
Dem ungeheuren Schicksal der Provinzen,
Nicht einmal eine Thräne mehr! – O Carl,
Wie arm bist du, wie bettelarm geworden,
Seitdem du Niemand liebst, als dich.

Carlos (wirft sich in einen Sessel. – Nach einer Pause mit kaum unterdrücktem Weinen.)
        Ich weiß,
Daß du mich nicht mehr achtest.

Marquis.         Nicht so, Carl!
Ich kenne diese Aufwallung. Sie war
Verirrung lobenswürdiger Gefühle.
Die Königin gehörte dir, war dir
Geraubt von dem Monarchen – doch bis jetzt
Mißtrautest du bescheiden deinen Rechten.
Vielleicht war Philipp ihrer werth. Du wagtest
Nur leise noch, das Urtheil ganz zu sprechen.
Der Brief entschied. Der Würdigste warst du.
Mit stolzer Freude sahst du nun das Schicksal
Der Tyrannei, des Raubes überwiesen.
Du jauchztest, der Beleidigte zu sein;
Denn Unrecht leiden schmeichelt großen Seelen.
Doch hier verirrte deine Phantasie,
Dein Stolz empfand Genugthuung – dein Herz
Versprach sich Hoffnung. Sieh, ich wußt' es wohl,
Du hattest diesmal selbst dich mißverstanden.

Carlos (gerührt). Nein, Roderich, du irrest sehr. Ich dachte
So edel nicht, bei Weitem nicht, als du
Mich gerne glauben machen möchtest.

Marquis.                 Bin
Ich denn so wenig hier bekannt? Sieh, Carl,
Wenn du verirrest, such' ich allemal
Die Tugend unter Hunderten zu rathen,
Die ich des Fehlers zeihen kann. Doch, nun
Wir besser uns verstehen, sei's! Du sollst
Die Königin jetzt sprechen, mußt sie sprechen. –

Carlos (ihm um den Hals fallend). O, wie erröth' ich neben dir!

Marquis.                 Du hast
Mein Wort. Nun überlaß mir alles Andre.
Ein wilder, kühner glücklicher Gedanke
Steigt auf in meiner Phantasie. – Du sollst
Ihn hören, Carl, aus einem schönen Munde.
Ich dränge mich zur Königin. Vielleicht,
Daß morgen schon der Ausgang sich erwiesen.
Bis dahin, Carl, vergiß nicht, daß »ein Anschlag,
Den höhere Vernunft gebar, das Leiden
Der Menschen drängt, zehntausendmal vereitelt,
Nie aufgegeben werden darf.« – Hörst du?
Erinnre dich an Flandern!

Carlos.         Alles, Alles,
Was du und hohe Tugend mir gebieten.

Marquis (geht an ein Fenster). Die Zeit ist um. Ich höre dein Gefolge.
        (Sie umarmen sich.)
Jetzt wieder Kronprinz und Vasall.

Carlos.         Du fährst
Sogleich zur Stadt?

Marquis.         Sogleich.

Carlos.                 Halt! noch ein Wort!
Wie leicht war das vergessen! – Eine Nachricht,
Dir äußerst wichtig: – »Briefe nach Brabant
Erbricht der König.« Sei auf deiner Hut!
Die Post des Reichs, ich weiß es, hat geheime
Befehle –

Marquis.         Wie erfuhrst du das?

Carlos.                 Don Raimond
Von Taxis ist mein guter Freund.

Marquis (nach einigem Stillschweigen).         Auch das!
So nehmen sie den Umweg über Deutschland.

(Sie gehen ab zu verschiedenen Thüren.)


 << zurück weiter >>