Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien
Friedrich Schiller

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Dritter Akt.

Das Schlafzimmer des Königs.

Erster Auftritt.

(Auf dem Nachttische zwei brennende Lichter. Im Hintergrunde des Zimmers einige Pagen auf den Knieen eingeschlafen. Der König, von oben herab halb ausgekleidet, steht vor dem Tische, einen Arm über den Sessel gebeugt, in einer nachdenkenden Stellung. Vor ihm liegt ein Medaillon und Papiere.)

König. Daß sie sonst Schwärmerin gewesen – wer
Kann's leugnen? Nie konnt' ich ihr Liebe geben,
Und dennoch – schien sie Mangel je zu fühlen?
So ist's erwiesen, sie ist falsch.

(Hier macht er eine Bewegung, die ihn zu sich selbst bringt. Er steht mit Befremdung auf.)

        Wo war ich?
Wacht hier denn Niemand, als der König? – Was?
Die Lichter schon herabgebrannt? doch nicht
Schon Tag? – Ich bin um meinen Schlummer. Nimm
Ihn für empfangen an, Natur. Ein König hat
Nicht Zeit, verlorne Nächte nachzuholen;
Jetzt bin ich wach, und Tag soll sein.

(Er löscht die Lichter aus und öffnet eine Fenstergardine. – Indem er auf und nieder geht, bemerkt er die schlafenden Knaben und bleibt eine Zeit lang schweigend vor ihnen stehen; darauf zieht er die Glocke.)

        Schläft's irgend
Vielleicht in meinem Vorsaal auch?

Zweiter Auftritt.

Der König. Graf Lerma.

Lerma (mit Bestürzung, da er den König gewahr wird).     Befinden
Sich Ihre Majestät nicht wohl?

König.         Im linken
Pavillon war Feuer. Hörtet Ihr
Den Lärmen nicht?

Lerma.         Nein, Ihre Majestät.

König. Nein? Wie? Und also hätt' ich nur geträumt?
Das kann von ungefähr nicht kommen. Schläft
Auf jenem Flügel nicht die Königin?

Lerma. Ja, Ihre Majestät.

König.         Der Traum erschreckt mich.
Man soll die Wachen künftig dort verdoppeln,
Hört Ihr? sobald es Abend wird – doch ganz,
Ganz insgeheim. – Ich will nicht haben, daß –
Ihr prüft mich mit den Augen?

Lerma.         Ich entdecke
Ein brennend Auge, das um Schlummer bittet.
Darf ich es wagen, Ihre Majestät,
An ein kostbares Leben zu erinnern,
An Völker zu erinnern, die die Spur
Durchwachter Nacht mit fürchtender Befremdung
In solchen Mienen lesen würden – Nur
Zwei kurze Morgenstunden Schlafes –

König (mit zerstörten Blicken).         Schlaf,
Schlaf find' ich in Escurial. – So lange
Der König schläft, ist er um seine Krone,
Der Mann um seines Weibes Herz – Nein, nein!
Es ist Verleumdung – War es nicht ein Weib,
Ein Weib, das mir es flüsterte? Der Name
Des Weibes heißt Verleumdung. Das Verbrechen
Ist nicht gewiß, bis mir's ein Mann bekräftigt.
        (Zu den Pagen, die sich unterdessen ermuntert haben.)
Ruft Herzog Alba! (Pagen gehen.)
        Tretet näher, Graf!
Ist's wahr? (Er bleibt forschend vor dem Grafen stehen.)
        O, eines Pulses Dauer nur
Allwissenheit! – Schwört mir, ist's wahr? Ich bin
Betrogen? Bin ich's? Ist es wahr?

Lerma.         Mein großer,
Mein bester König –

König (zurückfahrend).         König! König nur,
Und wieder König! – Keine beßre Antwort,
Als leeren hohlen Wiederhall? Ich schlage
An diesen Felsen und will Wasser, Wasser
Für meinen heißen Fieberdurst – er gibt
Mir glühend Gold.

Lerma.         Was wäre wahr, mein König?

König. Nichts. Nichts. Verlaß mich. Geht.
        (Der Graf will sich entfernen, er ruft ihn noch einmal zurück.)
                Ihr seid vermählt?
Seid Vater? Ja?

Lerma.         Ja, Ihre Majestät.

König. Vermählt und könnt es wagen, eine Nacht
Bei Eurem Herrn zu wachen? Euer Haar
Ist silbergrau, und Ihr erröthet nicht,
An Eures Weibes Redlichkeit zu glauben?
O, geht nach Hause. Eben trefft Ihr sie
In Eures Sohns blutschändrischer Umarmung.
Glaubt Eurem König, geht – Ihr steht bestürzt?
Ihr seht mich mit Bedeutung an? – weil ich,
Ich selber etwa graue Haare trage?
Unglücklicher, besinnt Euch. Königinnen
Beflecken ihre Tugen nicht. Ihr seid
Des Todes, wenn Ihr zweifelt –

Lerma (mit Hitze).         Wer kann das?
In allen Staaten meines Königs wer
Ist frech genug, mit giftigem Verdacht
Die engelreine Tugend anzuhauchen?
Die beste Königin so tief –

König.         Die beste?
Und Eure beste also auch? Sie hat
Sehr warme Freunde um mich her, find' ich.
Das muß ihr viel gekostet haben – mehr,
Als mir bekannt ist, daß sie geben kann.
Ihr seid entlassen. Laßt den Herzog kommen.

Lerma. Schon hör' ich ihn im Vorsaal –
        (Im Begriff zu gehen.)

König (mit gemildertem Tone).         Graf! Was Ihr
Vorhin bemerkt, ist doch wohl wahr gewesen.
Mein Kopf glüht von durchwachter Nacht. – Vergeßt,
Was ich im wachen Traum gesprochen. Hört Ihr?
Vergeßt es. Ich bin Euer gnäd'ger König.

(Er reicht ihm die Hand zum Kusse. Lerma geht und öffnet dem Herzog von Alba die Thüre.)

Dritter Auftritt.

Der König und Herzog von Alba.

Alba (nähert sich dem König mit ungewisser Miene).
Ein mir so überraschender Befehl –
Zu dieser außerordentlichen Stunde?
        (Er stutzt, wie er den König genauer betrachtet.)
Und dieser Anblick –

König (hat sich niedergesetzt und das Medaillon auf dem Tisch ergriffen. Er sieht den Herzog eine lange Zeit stillschweigend an).
        Also wirklich wahr?
Ich habe keinen treuen Diener?

Alba (steht betreten still).         Wie?

König. Ich bin aufs tödtlichste gekränkt – man weiß es,
Und Niemand, der mich warnte!

Alba (mit einem Blick des Erstaunens).         Eine Kränkung,
Die meinem König gilt und meinem Aug'
Entging?

König (zeigt ihm die Briefe).     Erkennt Ihr diese Hand?

Alba.                 Es ist
Don Carlos' Hand. –

König (Pause, worin er den Herzog scharf beobachtet).
        Vermuthet Ihr noch nichts?
Ihr habt vor seinem Ehrgeiz mich gewarnt?
War's nur sein Ehrgeiz, dieser nur, wovor
Ich zittern sollte?

Alba.         Ehrgeiz ist ein großes –
Ein weites Wort, worin unendlich viel
Noch liegen kann.

König.         Und wißt Ihr nichts Besonders
Mir zu entdecken?

Alba (nach einigem Stillschweigen, mit verschlossener Miene).
        Ihre Majestät
Vertrauten meiner Wachsamkeit das Reich.
Dem Reiche bin ich mein geheimstes Wissen
Und meine Einsicht schuldig. Was ich sonst
Vermuthe, denke oder weiß, gehört
Mir eigen zu. Es sind geheiligte
Besitzungen, die der verkaufte Sklave,
Wie der Vasall, den Königen der Erde
Zurückzuhalten Vorrecht hat – Nicht Alles,
Was klar vor meiner Seele steht, ist reif
Genug für meinen König. Will er doch
Befriedigt sein, so muß ich bitten, nicht
Als Herr zu fragen.

König (gibt ihm die Briefe).     Lest.

Alba (liest und wendet sich erschrocken gegen den König).    Wer war
Der Rasende, dies unglücksel'ge Blatt
In meines Königs Hand zu geben?

König.                 Was?
So wißt Ihr, wen der Inhalt meint? – Der Name
Ist, wie ich weiß, auf dem Papier vermieden.

Alba (betroffen zurücktretend). Ich war zu schnell.

König.         Ihr wißt?

Alba (nach einigem Bedenken).        Es ist heraus.
Mein Herr befiehlt – ich darf nicht mehr zurücke –
Ich leugn' es nicht – ich kenne die Person.

König (aufstehend in einer schrecklichen Bewegung).
O, einen neuen Tod hilf mir erdenken,
Der Rache fürchterlicher Gott! – So klar,
So weltbekannt, so laut ist das Verständniß,
Daß man, des Forschens Mühe überhoben,
Schon auf den ersten Blick es räth – Das ist
Zu viel! Das hab' ich nicht gewußt! Das nicht!
Ich also bin der Letzte, der es findet!
Der Letzte durch mein ganze Reich –

Alba (wirft sich dem Könige zu Füßen).         Ja, ich bekenne
Mich schuldig, gnädigster Monarch. Ich schäme
Mich einer feigen Klugheit, die mir da
Zu schweigen rieth, wo meines Königs Ehre,
Gerechtigkeit und Wahrheit laut genug
Zu reden mich bestürmten – Weil doch Alles
Verstummen will – weil die Bezauberung
Der Schönheit alles Männer Zungen bindet,
So sei's gewagt, ich rede, weiß ich gleich,
Daß eines Sohns einschmeichelnde Betheurung,
Daß die verführerischen Reizungen,
Die Thränen der Gemahlin –

König (rasch und heftig).         Stehet auf.
Ihr habt mein königliches Wort – Steht auf.
Sprecht unerschrocken.

Alba (aufstehend).         Ihre Majestät
Besinnen sich vielleicht noch jenes Vorfalls
Im Garten zu Aranjuez. Sie fanden
Die Königin von allen ihren Damen
Verlassen – mit zerstörtem Blick – allein
In einer abgelegnen Laube.

König.         Ha!
Was werd' ich hören? Weiter!

Alba.         Die Marquisin
Von Mondecar ward aus dem Reich verbannt,
Weil sie Großmuth genug besaß, sich schnell
Für ihre Königin zu opfern – Jetzt
Sind wir berichtet – Die Marquisin hatte
Nicht mehr gethan, als ihr befohlen worden.
Der Prinz war dort gewesen.

König (schrecklich auffahrend).         Dort gewesen?
Doch also –

Alba.         Eines Mannes Spur im Sande,
Die von dem linken Eingang dieser Laube
Nach einer Grotte sich verlor, wo noch
Ein Schnupftuch lag, das der Infant vermißte,
Erweckte gleich Verdacht. Ein Gärtner hatte
Dem Prinzen dort begegnet, und das war,
Beinah' auf die Minute ausgerechnet,
Dieselbe Zeit, wo Eure Majestät
Sich in der Laube zeigten.

König (Aus einem finstern Nachsinnen zurückkommend).
        Und sie weinte,
Als ich Befremdung blicken ließ! Sie machte
Vor meinem ganzen Hofe mich erröthen!
Erröthen vor mir selbst – Bei Gott! ich stand
Wie ein Gerichteter vor ihrer Tugend –
        (Eine lange und tiefe Stille. Er setzt sich nieder und verhüllt das Gesicht.)
Ja, Herzog Alba – Ihr habt Recht – Das könnte
Zu etwas Schrecklichem mich führen – Laßt
Mich einen Augenblick allein.

Alba.         Mein König,
Selbst das entscheidet noch nicht ganz –

König (nach den Papieren greifend).         Auch das nicht?
Und das? und wieder das? und dieser laute
Zusammenklang verdammendere Beweise?
O, es ist klarer, als das Licht – Was ich
Schon lange Zeit voraus gewußt – Der Frevel
Begann da schon, als ich von Euren Händen
Sie in Madrid zuerst empfing – Noch seh' ich
Mit diesem Blick des Schreckens, geisterbleich,
Auf meinen grauen Haaren sie verweilen.
Da fing es an, das falsche Spiel!

Alba.         Dem Prinzen
Starb eine Braut in seiner jungen Mutter.
Schon hatten sie mit Wünschen sich gewiegt,
In feurigen Empfindungen verstanden,
Die ihr der neue Stand verbot. Die Furcht
War schon besiegt, die Furcht, die sonst das erste
Geständniß zu begleiten pflegt, und kühner
Sprach die Verführung in vertrauten Bildern
Erlaubter Rückerinnerung. Verschwistert
Durch Harmonie der Meinung und der Jahre,
Durch gleichen Zwang erzürnt, gehorchten sie
Den Wallungen der Leidenschaft so dreister.
Die Politik griff ihrer Neigung vor;
Ist es zu glauben, mein Monarch, daß sie
Dem Staatsrath diese Vollmacht zuerkannte?
Daß sie die Lüsternheit bezwang, die Wahl
Des Kabinets aufmerksamer zu prüfen?
Sie war gefaßt auf Liebe und empfing –
Ein Diadem –

König (beleidigt und mit Bitterkeit).         Ihr unterscheidet sehr –
Sehr weise, Herzog – Ich bewundre Eure
Beredsamkeit. Ich dank' Euch. (Aufstehend, kalt und stolz.)
        Ihr habt Recht;
Die Königin hat sehr gefehlt, mir Briefe
Von diesem Inhalt zu verbergen – mir
Die strafbare Erscheinung des Infanten
Im Garten zu verheimlichen. Sie hat
Aus falscher Großmuth sehr gefehlt. Ich werde
Sie zu bestrafen wissen. (Er zieht die Glocke.) Wert ist sonst
Im Vorsaal? – Euer, Herzog Alba,
Bedarf ich nicht mehr. Tretet ab.

Alba.         Sollt' ich
Durch meinen Eifer Eurer Majestät
Zum zweiten Mal mißfallen haben?

König (zu einem Pagen, der hereintritt).         Laßt
Domingo kommen. (Der Page geht ab.) Ich vergeb' es Euch,
Daß Ihr beinahe zwei Minuten lang
Mich ein Verbrechen hättet fürchten lassen,
Das gegen Euch begangen werden kann. (Alba entfernt sich.)


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