Friedrich Schiller
Don Carlos, Infant von Spanien
Friedrich Schiller

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Vierter Auftritt.

Der König. Carlos. Die Herzoge von Alba, Feria und Medina Sidonia. Der Prinz von Parma. Graf Lerma. Domingo und viele Granden.

König (mit gütigem Tone).         Deine Bitte
Hat Statt gefunden, mein Infant. Hier bin ich,
Ich selbst mit allen Großen meines Reichs,
Dir Freiheit anzukündigen.

(Carlos blickt auf und sieht um sich her, wie einer, der aus dem Traum erwacht. Seine Augen heften sich bald auf den König, bald auf den Todten. Er antwortet nicht.)

                Empfange
Dein Schwert zurück. Man hat zu rasch verfahren.
        (Er nähert sich ihm, reicht ihm die Hand und hilft ihm sich aufzurichten.)
Mein Sohn ist nicht an seinem Platz. Steh auf.
Komm in die Arme deines Vaters.

Carlos (empfängt ohne Bewußtsein die Arme des Königs – besinnt sich aber plötzlich, hält inne und sieht ihn genauer an).
                Dein
Geruch ist Mord. Ich kann dich nicht umarmen.
        (Er stößt ihn zurück, alle Granden kommen in Bewegung.)
Nein! Steht nicht so betroffen da! Was hab'
Ich Ungeheures denn gethan? Des Himmels
Gesalbten angetastet? Fürchtet nichts.
Ich lege keine Hand an ihn. Seht ihr
Das Brandmal nicht an seiner Stirne? Gott
Hat ihn gezeichnet.

König (bricht schnell auf).     Folgt mir, meine Granden.

Carlos. Wohin? Nicht von der Stelle, Sire –

(Er hält ihn gewaltsam mit beiden Händen und bekommt mit der einen das Schwert zu fassen, das der König mitgebracht hat. Es fährt aus der Scheide.)

König.                 Das Schwert
Gezückt auf deinen Vater?

Alle anwesenden Granden (ziehen die ihrigen).     Königsmord!

Carlos (den König fest an der einen Hand, das bloße Schwert in der andern).
Steckt eure Schwerter ein. Was wollt ihr? Glaubt
Ihr, ich sei rasend? Nein, ich bin nicht rasend.
Wär' ich's, so thatet ihr nicht gut, mich zu
Erinnern, daß auf meines Schwertes Spitze
Sein Leben schwebt. Ich bitte, haltet euch
Entfernt. Verfassungen, wie meine, wollen
Geschmeichelt sein – drum bleibt zurück. Was ich
Mit diesem König abzumachen habe,
Geht euern Leheneid nichts an. Seht nur,
Wie seine Finger bluten! Seht ihn recht an!
Seht ihr? O seht auch hieher – Das hat Er
Gethan, der große Künstler!

König (zu den Granden, welche sich besorgt um ihn herumdrängen wollen).
                Tretet Alle
Zurück. Wovor erzittert ihr? – Sind wir
Nicht Sohn und Vater? Ich will doch erwarten,
Zu welcher Schandthat die Natur –

Carlos.                 Natur?
Ich weiß von keiner. Mord ist jetzt die Losung.
Der Menschheit Bande sind entzwei. Du selbst
Hast sie zerrissen, Sire, in deinen Reichen.
Soll ich verehren, was du höhnst? – O, seht!
Seht hieher! Es ist noch kein Mord geschehen,
Als heute – Gibt es keinen Gott? Was? Dürfen
In seiner Schöpfung Könige so hausen?
Ich frage, gibt es keinen Gott? So lange Mütter
Geboren haben, ist nur Einer – Einer
So unverdient gestorben – Weißt du auch,
Was du gethan hast? – Nein, er weiß es nicht,
Weiß nicht, daß er ein Leben hat gestohlen
Aus dieser Welt, das wichtiger und edler
Und theurer war, als er mit seinem ganzen
Jahrhundert.

König (mit gelindem Tone).     Wenn ich allzu rasch gewesen,
Geziemt es dir, für den ich es gewesen,
Mich zur Verantwortung zu ziehen?

Carlos.                 Wie?
Ist's möglich? Sie errathen nicht, wer mir
Der Todte war – O, sagt es ihm – helft seiner
Allwissenheit das schwere Räthsel lösen.
Der Todte war mein Freund – Und wollt ihr wissen,
Warum er starb? Für mich ist er gestorben.

König. Ha, meine Ahnung!

Carlos.                 Blutender, vergib,
Daß ich vor solchen Ohren es entweihe!
Doch dieser große Menschenkenner sinke
Vor Scham dahin, daß seine graue Weisheit
Der Scharfsinn eines Jünglings überlistet.
Ja, Sire, wir waren Brüder! Brüder durch
Ein edler Band, als die Natur es schmiedet.
Sein schöner Lebenslauf war Liebe. Liebe
Für mich sein großer, schöner Tod. Mein war er,
Als Sie mit seiner Achtung groß gethan,
Als seine scherzende Beredsamkeit
Mit Ihrem stolzen Riesengeiste spielte.
Ihn zu beherrschen wähnten Sie – und waren
Ein folgsam Werkzeug seiner höhern Plane.
Daß ich gefangen bin, war seiner Freundschaft
Durchdachtes Werk. Mich zu erretten, schrieb
Er an Oranien den Brief – O Gott,
Er war die erste Lüge seiner Lebens!
Mich zu erretten, warf er sich dem Tod,
Den er erlitt, entgegen. Sie beschenkten ihn
Mit Ihrer Gunst – er starb für mich. Ihr Herz
Und Ihre Freundschaft drangen Sie ihm auf,
Ihr Scepter war das Spielwerk seiner Hände,
Er warf es hin und starb für mich!

(Der König steht ohne Bewegung, den Blick starr auf den Boden geheftet. Alle Granden sehen betreten und furchtsam auf ihn.)

                Und war
Es möglich? Dieser groben Lüge konnten
Sie Glauben schenken? Wie gering mußt' er
Sie schätzen, da er's unternahm, bei Ihnen
Mit diesem plumpen Gaukelspiel zu reichen!
Um seine Freundschaft wagten Sie zu buhlen
Und unterlagen dieser leichten Probe!
O, nein – nein, das war nichts für Sie. Das war
Kein Mensch für Sie! Das wußt' er selbst recht gut,
Als er mit allen Kronen Sie verstoßen.
Dies feine Saitenspiel zerbrach in Ihrer
Metallnen Hand. Sie konnten nichts, als ihn ermorden.

Alba (hat den König bis jetzt nicht aus den Augen gelassen und mit sichtbarer Unruhe die Bewegungen beobachtet, welche in seinem Gesichte arbeiten. Jetzt nähert er sich ihm furchtsam).
Sire – nicht diese Todtenstille. Sehen
Sie um sich! Reden Sie mit uns!

Carlos.                 Sie waren
Ihm nicht gleichgültig. Seinen Antheil hatten
Sie längst. Vielleicht! Er hätte Sie noch glücklich
Gemacht. Sein Herz war reich genug, Sie selbst
Von seinem Ueberflusse zu vergnügen.
Die Splitter seines Geistes hätten Sie
Zum Gott gemacht. Sich selber haben Sie
Bestohlen – Was werden
Sie bieten, eine Seele zu erstatten,
Wie diese war?

(Ein tiefes Schweigen. Viele von den Granden sehen weg oder verhüllen das Gesicht in ihren Mänteln.)

O, die ihr hier versammelt steht und vor Entsetzen
Und vor Bewunderung verstummt – verdammet
Den Jüngling nicht, der diese Sprache gegen
Den Vater und den König führt – Seht hieher!
Für mich ist er gestorben! Habt ihr Thränen?
Fließt Blut, nicht glühend Erz, in euren Adern?
Seht hieher und verdammt mich nicht!
        (Er wendet sich zum König mit mehr Fassung und Gelassenheit.)
                Vielleicht
Erwarten Sie, wie diese unnatürliche Geschichte
Sich enden wird? – Hier ist mein Schwert. Sie sind
Mein König wieder. Denken Sie, daß ich
Vor Ihrer Rache zittre? Morden Sie
Mich auch, wie Sie den Edelsten gemordet.
Mein Leben ist verwirkt. Ich weiß. Was ist
Mir jetzt das Leben? Hier entsag' ich Allem,
Was mich auf dieser Welt erwartet. Suchen
Sie unter Fremdlingen sich einen Sohn –
Da liegen meine Reiche –

(Er sinkt an dem Leichnam nieder und nimmt an dem Folgenden keinen Antheil mehr. Man hört unterdessen von ferne ein verworrenes Getöse von Stimmen und ein Gedränge vieler Menschen. Um den König herum ist eine tiefe Stille. Seine Augen durchlaufen den ganzen Kreis, aber Niemand begegnet seinen Blicken.)

König.                 Nun? Will Niemand
Antworten? – Jeder Blick am Boden – jedes
Gesicht verhüllt! – Mein Urtheil ist gesprochen.
In diesen stummen Mienen les' ich es
Verkündigt. Meine Unterthanen haben mich
Gerichtet.

(Das vorige Stillschweigen. – Der Tumult kommt näher und wird lauter. Durch die umstehenden Granden läuft ein Gemurmel, sie geben sich untereinander verlegene Winke; Graf Lerma stößt endlich leise den Herzog von Alba an.)

Lerma.     Wahrlich, das ist Sturm!

Alba (leise).                 So fürcht' ich.

Lerma. Man dringt herauf. Man kommt.

Fünfter Auftritt.

Ein Officier von der Leibwache. Die Vorigen.

Officier (dringend).                 Rebellion!
Wo ist der König?
        (Er arbeitet sich durch die Menge und dringt bis zum König.)
                Ganz Madrid in Waffen!
Zu Tausenden umringt der wüthende
Soldat, der Pöbel den Palast. Prinz Carlos,
Verbreitet man, sei in Verhaft genommen,
Sein Leben in Gefahr. Das Volk will ihn
Lebendig sehen, oder ganz Madrid
In Flammen aufgehn lassen.

Alle Granden (in Bewegung).         Rettet! rettet
Den König!

Alba (zum König, der ruhig und unbeweglich steht).
        Flüchten Sie sich, Sire – Es hat
Gefahr – Noch wissen wir nicht, wer
Den Pöbel waffnet –

König (erwacht aus seiner Betäubung, richtet sich auf und tritt mit Majestät unter sie).
                Steht mein Thron noch?
Bin ich noch König dieses Landes? – Nein,
Ich bin es nicht mehr. Diese Memmen weinen,
Von einem Knaben weich gemacht. Man wartet
Nur auf die Losung, von mir abzufallen.
Ich bin verrathen von Rebellen.

Alba.                 Sire,
Welch fürchterliche Phantasie!

König.                 Dorthin!
Dort werft euch nieder! vor dem blühenden,
Dem jungen König werft euch nieder! – Ich
Bin nichts mehr – ein ohnmächt'ger Greis!

Alba.                 Dahin
Ist es gekommen! – Spanier!

(Alle drängen sich um den König herum und knieen mit gezogenen Schwertern vor ihm nieder. Carlos bleibt allein und von allen verlassen bei dem Leichnam.)

König (reißt seinen Mantel ab und wirft ihn von sich).     Bekleidet
Ihn mit dem königlichen Schmuck – Auf meiner
Zertretnen Leiche tragt ihn –
        (Er bleibt ohnmächtig in Albas und Lermas Armen.)

Lerma.                 Hilfe! Gott!

Feria. Gott, welcher Zufall!

Lerma.         Er ist von sich –

Alba (läßt den König in Lermas und Ferias Händen).     Bringen
Sie ihn zu Bette. Unterdessen geb' ich
Madrid den Frieden.

(Er geht ab. Der König wird weggetragen, und alle Granden begleiten ihn.)

Sechster Auftritt.

Carlos bleibt allein bei dem Leichnam zurück. Nach einigen Augenblicken erscheint Ludwig Mercado, sieht sich schüchtern um und steht eine Zeit lang stillschweigend hinter dem Prinzen, der ihn nicht bemerkt.

Mercado.         Ich komme
Von Ihrer Majestät der Königin.
        (Carlos sieht wieder weg und gibt ihm keine Antwort.)
Mein Name ist Mercado – Ich bin Leibarzt
Bei Ihrer Majestät – und hier ist meine
Beglaubigung.

(Er zeigt dem Prinzen einen Siegelring. – Dieser verharrt in seinem Stillschweigen.)

        Die Königin wünscht sehr,
Sie heute noch zu sprechen – wichtige
Geschäfte –

Carlos.     Wichtig ist mir nichts mehr
Auf dieser Welt.

Mercado.         Ein Auftrag, sagte sie,
Den Marquis Posa hinterlassen –

Carlos (steht schnell auf).                 Was?
Sogleich. (Er will mit ihm gehen.)

Mercado. Nein, jetzt nicht, gnäd'ger Prinz. Sie müssen
Die Nacht erwarten. Jeder Zugang ist
Besetzt und alle Wachen dort verdoppelt.
Unmöglich ist es, diese Flügel des
Palastes ungesehen zu betreten.
Sie würden Alles wagen –

Carlos.         Aber –

Mercado.                 Nur
Ein Mittel, Prinz, ist höchstens noch vorhanden –
Die Königin hat es erdacht. Sie legt
Es Ihnen vor – Doch es ist kühn und seltsam
Und abenteuerlich.

Carlos.         Das ist?

Mercado.                 Schon längst
Geht eine Sage, wie Sie wissen, daß
Um Mitternacht in den gewölbten Gängen
Der königlichen Burg, in Mönchsgestalt,
Der abgeschiedne Geist des Kaisers wandle.
Der Pöbel glaubt an dies Gerücht, die Wachen
Beziehen nur mit Schauer diesen Posten.
Wenn Sie entschlossen sind, sich dieser
Verkleidung zu bedienen, können Sie
Durch alle Wachen frei und unversehrt
Bis zum Gemach der Königin gelangen,
Das dieser Schlüssel öffnen wird. Vor jedem Angriff
Schützt Sie die heilige Gestalt. Doch auf
Der Stelle, Prinz, muß Ihr Entschluß gefaßt sein.
Das nöth'ge Kleid, die Maske finden Sie
In Ihrem Zimmer. Ich muß eilen, Ihrer Majestät
Antwort zu bringen.

Carlos.         Und die Zeit?

Mercado.                 Die Zeit
Ist zwölf Uhr.

Carlos.         Sagen Sie ihr, daß sie mich
Erwarten könne. (Mercado geht ab.)


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