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Vom Nebel der Sage umwallt und verhüllt steht Heinrich von Ofterdingens Gestalt in der Ferne der Zeiten. Das Gedicht vom Wartburgkrieg zeichnet ihn als Kämpen Oesterreichs und schlagfertigen Gegner Wolframs von Eschenbach; die Literaturgeschichte frägt nach den Werken, welche berechtigen, ihn dem Dichter des Parzival als ebenbürtigen Wettstreiter gegenüber zu stellen. Nur die nicht unanmutige Dichtung vom König Luarin und seinem Rosengarten in den Tiroler Bergen meldet am Schlusse:
Heinrich von Ofterdingen
dieses maere getihtet hât
daz sú sus meisterlichen stât.
Zweifelt man auch diese Nachricht an, so fehlt jede Möglichkeit, ihn anders als einen verschollenen mythischen Namen aufzufassen. Gibt man sie als glaubwürdig zu, so eröffnet sich durch die Nebel ein Blick auf den festen Punkt, von welchem die epische Erzählung im König Luarin ausgeht, und wohin sie zurückkehrt, auf Steyer und die schöne, von des passauischen Bischofs Pilgrim Blutsverwandten, dem Traungaugrafen Ottokar um 980 erbaute Stiraburg, dem durch Lage und Sage gepriesenen Stammsitz der Markgrafen des fröhlichen Steyerlandes, deren letzter, Ottokar VIII., von der unheilbaren Krankheit Elephantiasis gequält und kinderlos 1186 in feierlichem Vertrag von Enns Land und Mannen an den ihm gesippten und befreundeten Herzog Leopold VI. von Oesterreich übergab und 1192 starb.
Urkunden des Klosters Wilhering kennen zwischen Donau und Traun ein Dorf Oftherigon und, von Mitte des XII. Jahrhunderts an, ein ritterliches Geschlecht, de Oftehringen. Von den Burgenbesitzern in dem Gebiet des alten Traungau stunden die meisten als Lehensleute des Bistums Passau und Stände des sog. Abteilandes in Beziehungen sowohl zum bischöflichen Hofe in Passau als zum markgräflichen in Steyer. Oftherigon liegt am Abhang des Waldgebirges Kürenberg, welches unweit Kloster Wilhering zur Donau sich senkt. Auf der Burg Kürenberg saßen die Ritter Kürenberg, die, wie sie örtlich Nachbarn der Oftheringer waren, so in den Zeugenreihen der Wilheringer Urkunden in deren Nähe ihre Stelle einnehmen. (Adelramus de Oftheringen ... Gualtherus de Cürnberg 1161.)
Als Liederdichter von tüchtigem Schrot und Korn eröffnet der Kürenberger den Reigen der Minnesänger. Kürenbergs Weise aber, die aus vier Langzeilen eigentümlich gebildete Strophe, ist die Strophe des Nibelungenliedes, und die Forschungen von A. Holzmann (Untersuchungen über das Nibelungenlied, Stuttgart 1854) sowie von F. Pfeiffer (Der Dichter des Nibelungenliedes; ein Vortrag. Wien 1862) führen auf die durch andere Indizien unterstützte Vermutung, daß jener alte lyrische Dichter auch dem großen deutschen Epos nicht fremd sei. Mannigfache Lücken der Beweisführung ermöglichen noch immer kein sicheres Verdikt in diesen Fragen, vor deren Abschluß es zweckmäßig sein wird, die Zeit des Bischofs Pilgrim von Passau, das Verhältnis der in Bayern und der Ostmark zur Herrschaft gekommenen fränkischen Grafengeschlechter zur rheinisch-fränkischen Stammsage, sowie die lateinische Dichtung der Geistlichkeit des 10. Jahrhunderts schärfer ins Aug' zu fassen.
Zugegeben nun, daß die Übertragung eines auf Geheiß des Bischofs Piligrim durch seinen Schreiber Konrad lateinisch gedichteten Werkes in die deutsche Nibelungenstrophe mit dem Kürenberger zusammenhängen kann, so möge dem Schreiber dieser Blätter, der die Hoffnung nicht hegt, mit exakter Forschung alle Rätsel der Vergangenheit lösen zu können, gestattet sein, auch des Kürenbergers Nachbar, den von Ofterdingen, dessen dichterische Beteiligung an der deutschen Heldensage durch den König Luarin beglaubigt wird, sich in Beziehung zum Nibelungenlied zu denken und seine dichterische Persönlichkeit als einen kunstbegabten, in einheimischer Tanzreigenführung, Liederlust und epischen Weisen wohlgeschulten Sohn seiner traungauischen Heimat aufzufassen, der auf den Lehrbänken der Passauer Geistlichkeit Kunde des Lateins und der lateinischen Dichtungen des Ottonischen Zeitalters, am erlöschenden Hofe der Ottokare ritterliche Sitte gewonnen und den Luarin gedichtet, nach des Markgrafen Tode sich zu Leopold von Oesterreich, von diesem nach der Wartburg gewendet, dort mit den Verehrern formalen französischen Wesens und der unerquicklichen welschen Artusromane in tiefgehenden Zwiespalt geriet, – dann, zur Heimat zurückgedrängt, in großer, läuternder Arbeit, unter Anregung oder Mitwirkung des Kürenbergers, oder in dessen geistige Erbschaft eintretend, das Nibelungenlied der lateinischen Hülle des 10. Jahrhunderts entkleidete, um als letzten versöhnenden Abschied des Sängerkrieges dem Thüringer Landgrafen das vaterländische Epos in vaterländischer Gestalt überreichen zu können.
Soweit auch A. von Spaun (Heinrich von Ofterdingen und das Nibelungenlied, Linz 1840) an den wissenschaftlich erreichbaren Zeilen vorüberstreift, so liegt seinen Ansichten doch ein gewisser feinfühliger Zug zugrunde ... aber, wie gesagt, die Nebel wallen über den berühmten Dichter ohne Lied und das berühmte Lied ohne Dichter noch immer unzerteilt hin und her.
Abschied von der Stiraburg.
...ze Stiure, den burge guot
Kunech Luarin, v. 1235.
Lang hat die Heimat mich erfreut,
Jetzt gehn die Wege anders,
Zum letzten Male grüß' ich heut
Die Stadt des weißen Panthers;
In horum insignibus panthera alba in campo, ut vocant, viridi splendebat, ore ac aurius ignem evomens. Wolf. Lazii de gent. migrat. p. 223.
Der weiße Panther im grünen Feld ist noch heute über dem Stadttor von Steyer als Wappentier wahrzunehmen. Einen
»pantel, von zoble uf sinen schild geslagen,« trägt im Parzival 101, 7 Gahmuretens Vater – ein Panther war auch im Wappen der Herzoge von Kärnthen lavanthalischen Geschlechts und der Grafen von Bilstein. Vergl. Cäsar, Staats- und Kirchengeschichte des Herzogtums Steiermark. III. 61-69.
Wer wie die Lerche singen will
Und wie die Lerche fliegen,
Darf sich nicht wohlgenährt und still
Versitzen und vorliegen.
Fahr wohl, die Hort und Nest mir war,
Du gute Burg von Steier,
Gott schenk' dir noch manch lustsam Jahr,
Tanz, Schall und Rosenfeier,
Fahr wohl, duftsüßer Lindengang
zuo der linde breit
wâ der Kunech Luarin
ê do stâl daz magedîn
Luarin 2818.
Zur Gastner Klosterpforte,
Wo ich in erstem Singedrang
Den Vöglein stahl die Worte.
Fahr wohl, schneeblanke Alpenpracht,
Umblitzt vom Abendstrahle!
Frischrauschend drängt die Enns mit Macht
Den Flutenschwall zu Tale,
Und Well' um Welle raunt mir zu:
»Auf, flieh mit uns ins Weite,
Der Tapfre kennt nicht Rast noch Ruh,
Und Kraft wächst nur im Streite.«
Nun will mein Schritt sich frei und frank
Zu fremden Freunden kehren;
Ich hab' gedient, mir ward mein Dank,
Mein Abschied steht in Ehren;
Und wie mit treuem Murmeltier
Singknaben sich belasten,
Trag' ich mein hungrig Glück mit mir,
Es sitzt im Fiedelkasten.
Jetzt gilt es, Hand und Kopf gerührt
Und zeitig auf die Beine,
Den Gürtel fest und knapp geschnürt,
Der Schnabel fern vom Weine!
Die Zukunft dämmert ungewiß,
Ich fahr' auf neuen Straßen ...
Der Strom und Wellen wandern hieß,
Der wird mich nicht verlassen.
ein burc an Ungermarke stât,
Püten noch den Namen hat,
dâ wuohs von kinde diu meit
von der ich hie hân geseit.
Die klage v. 2372.
Schaust du verträumt vom Turme nieder,
Du hochlandwilde scheue Maid,
In knapp geschnürtem Purpurmieder
Und keuscher Herzensherrlichkeit:
So denk' ich einer Alpenrose,
Die knospend auf der Klippe steht,
Unsorgsam, ob bei Stein und Moose
Ein Menschenauge sie erspäht.
In abgrundtiefer Felsenklause
Bricht donnernd sich der Bergstrom Raum
Und füllt die Schluchten mit Gebrause
Und seines Falls zerstiebtem Schaum ..
Sie aber freut ihr weltfern Blühen,
Der Wellen Gaukelspiel und Tanz
Und, wenn die Nebel sonnig sprühen,
Des Regenbogens Funkelglanz.
Ist das nicht ein kläglich Wesen,
Daß ein minnedienend Paar
Hierlands nimmer mag genesen
Von der Laurer Unholdschar?
Kaum noch schiel' ich nach dem Erker,
Kaum noch spiel' ich, daß es schallt,
Weil an jedem Tor ein Merker,
In jedem Spalt ein Hinterhalt.
Freundin, komm mit mir und flüchte,
Denn ich weiß ein traulich Nest,
Wo solch raunendes Gezüchte
Unversperrt die Wege läßt:
Heimlich birgt der Seebucht Ecke
Ein Gebäu von festem Fug,
Wie geschaffen zum Verstecke
Zweier, die sich selbst genug.
Stolzer Buchen lichte Wipfel
Rauschen flüsternd ob der Flut,
Drin verschneiter Alpengipfel
Abgespiegelt Bildnis ruht.
Und es stört des Kosens Wonne
Keiner Nachbarzunge Zisch,
Unser Tun schaut nur die Sonne,
Unser Wort hört nur der Fisch.
Dorthin bring ich Roß und Waffen,
Laute, Hausrat, Hab und Gut ...
Hei des Glücks, ein Glück zu schaffen
Nur durch sich und eignen Mut!
Arbeit darf dem Tag nicht mangeln,
Als ein Fischer fahr' ich aus,
Karpf' und Alant faht mein Angeln,
Hechte sorgt mein Garn ins Haus,
Noch zur Vesperzeit erschimmern
Wolken, ganz in Gold getaucht,
Und der See im Widerflimmern
Wogt von gleicher Glut behaucht.
Dann wohlauf ... die Feierstunde
Naht und schweigsam trägt das Boot
Uns in weltentrücktem Bunde
Durch des Schilfs Seeabendrot.
Das war Anmut sonder Ende,
War auf goldnem Grund ein Bild,
Als du durch dein Rebgelände
Niederstiegst zum Talgefild!
Rechts und links und ob dem Haupte
Wölbte sich im Uebrrschwang
herbstgoldbraun der dichtbelaubte
Traubenschwere Rebenhang.
Auf dem Handschuh deiner Rechten
Sah dein Psittich eingeklemmt.
Spielte mit den Lockenflechten,
Mit des Busens Faltenhemd.
Und den Schäker süß zu nähren,
Pflücktest du ein Traubenpaar,
Reichtest ihm die blauen Beeren
In der hohlen Linken dar.
Buschig sträubt' er sein Gefieder,
Denn so wohl war ihm noch nie,
Bog den Schnabel hackend nieder,
Rief auf welsch: Merzi, m'amye!
Und in eifersücht'gem Neide
Hub mein Herz zu seufzen an:
»Hei der süßen Schnabelweide...
Wär' auch ich ein Papegân!
Fräße gern dir, zahm wie jener,
Gute Speise aus der Hand,
Zauste gern dir, zahm wie jener,
Lockenschwall und Miederband,
Trüge gern am Fuß wie jener
Deiner Fesseln leicht Gewicht...
Alles tät' ich dir wie jener...
Nur Franzoisisch spräch' ich nicht!«
Daß ich nach langer Trennung Leid
Die Gute durfte schauen,
Das war in weihnachtheil'ger Zeit
Vor Tagesgrauen.
Da rief der erste Hahnenkrât
Die Schläfer aus den Betten,
Mit Lichtlein schlichen aus der Stadt
Die Frau'n zur Metten.
Als wie Knecht Ruprechts Mummgestalt
Kam sie vom Berg zum Dom gewallt,
In Pelzwerk Stirn und Ohren
Verloren.
Die Pfaffheit sung mit Orgelschall:
»Dem Herrn sei Preis und Minne,
Und Fried' im Tal den Menschen all
Von gutem Sinne.«
Da hat ihr freies Haupt der Wucht
Der Hüllen sich entwunden,
Da hat ihr Auge meins gesucht
Und auch gefunden.
Ein langer vielberedter Blick
Erzählte stumm ein ganz Geschick
Von freudlos öden Tagen
Und Plagen.
Da ward mir vieles offenbar,
Als ob's gepredigt wäre,
Da wich vom Herzen ganz und gar
Mißmut und Schwere.
Da war ich wie ein selig Kind,
Das sich der Weihnacht freuet,
Die goldner Nüsse Angebind'
Und Aepfel streuet.
Knecht Ruprecht hat sich wohl bewährt,
Er hat mir einen Blick beschert
Aus weiblichem Gemüte
Voll Güte.
Als man den Benedîz getan,
Da tönten alle Glocken,
Da hub ein Winden und Schneien an
Mit dichten Flocken;
Sie ging im Nebel, wie sie kam,
Doch war der Nacht kein Ende,
Der Schneesturm schier den Mantel nahm
Und das Gebände.
Pfadleuchtend schritt die Dienerin
Voraus. Wie Schattenspiel erschien
Der Burglaterne Funkeln
Im Dunkeln.
Und als ein schweres Morgenrot
Die Wolken glühend säumte,
Noch stund ich, wie von Freuden tot,
Und fror und träumte.
Von hundert Tritten war die Spur
Im Weg zu Eis verdichtet,
Ich hielt auf einen, einen nur
Das Aug' gerichtet.
Fahr hin zu Berg, nachtwandelnd Glück,
Im Schnee blieb fest dein Fuß zurück,
Wohl mir, ich weiß die Fährten
Der Werten!
Die Gestaltung neuer Tanzreigen in der anmutigen Verbindung von Gesang, Musik, mimisch bewegten Gruppen und meist auch gut gewählter landschaftlicher Umrahmung zu einem lebenden Bilde der lebensvollsten Art gehörte zu den dankbaren Aufgaben, die ein zwangloser Fröhlichkeit nicht entwachsenes Geschlecht seinen Sängern stellte, und wurde in mannigfachster Art zu lösen versucht. Von dem langsam und wohlbemessen dahin wandelnden Schreittanze, bei welchem die Tänzer kaum die Fingerspitzen ihrer Damen berührten, bis zu den ausgelassenen »Hoppaldei und Troialdei«, die in üppigen Sprüngen ihren Höhepunkt erreichten, eröffnete sich begabten Erfindern, die wo möglich die gevierfachte Eigenschaft des Dichters, Komponisten, Vorsängers und Vortänzers in ihrer Person zu vereinigen hatten, ein weites Gebiet, das auch in allen Abstufungen von feiner Sitte bis zu wilder Tollheit von den einzelnen nach Maßgabe der Anforderungen, die sie an sich und Und ihre Kunst zu stellen vermochten, ausgebeutet wurde:
Der Grundton der uralten volkstümlichen Maifeier und ihrer ewig neu im Menschenherzen aufknospenden Lust klingt durch die zahlreichen Frühlingsreigen durch; trotz geistlicher Ereiferungen wider der Choraula betäubende Wirbel tanzte die ländliche Bevölkerung im Freien, wenn der erste »Viol« gefunden war, und so lange Heide und Anger in Freuden stand, bis daß das Laub sich falbte. Auch die höfischen Gesellschaftskreise ließen sich zu Tanz und Spiel aus den Sälen in die umfriedeten Baumgärten und Lindengänge verlocken, wo der bemessene Schleifschritt der feierlichen Umgänge zuweilen mit minder sanftem Tempo vertauscht worden sein mag. Die Motive der Tanzlieder waren mit glücklichem Takt meist so gewählt, daß sie gleichzeitig ein musikalisch und ein plastisch darstellbares Element enthielten, Thüringen und Oesterreich werden als Hauptpflegestätten der Reigenlust namhaft gemacht. Von ersterem Volksstamm meldet ein Gedenkreim fahrender Schüler:
hospitat invitus vagos sed honeste chorizat und Wolfram von Eschenbach gedenkt, vielleicht in spöttelndem Ton, der neuen Tänze, deren in seiner Zeit viele von dort kamen:
do vrâgte mir hêr Gawân
um guote videlaere,
op der dâ keiner waere.
dâ was werder knappen vil
wol gelêrt ûf seitspiel
irn keines kunst was doch sô ganz
sine müesten strichen alten tanz:
niwer tänze was dâ wenc vernomm
der uns von Düringenvil ist kômm.
Parzival 639, 6ff.
Die Schilderung, die er von dem älteren Tanze entwirft
och mohte man dû schouwen
ie zwischen zwein frouwen
einen claren rîter gên u.s.w.
weist auf einen jener feierlichen Umgänge, bei denen jede Ausgelassenheit streng verpönt war. Ein bemerkenswertes Abbild eines solchen im Kostüm des XIV. Jahrhunderts ist erhalten in den Fresken des Schlosses Runkelstein (herausgegeben von Zingerle und Seelos) Tab. XX.: die unter Krone voranschreitende Reigenkönigin führt an der Rechten den ihr nicht zur Seite, sondern nachschreitenden, in knappem Aermelwams und Schnabelschuhen erscheinenden Tänzer, der seinerseits wieder die Rechte der nach ihm folgenden Dame zurückreicht. So bilden sämtliche Paare eine handverschlungene Kette und ziehen mit sänftlichen Schritten, von Saitenspiel geleitet, nicht ohne gekünstelte, den steifgeflochtenen Haarzöpfen der Tänzerinnen entsprechende Haltung, im Umgang durch einen Baumgarten. Ein eigentümlicher schärpenartiger Gürtel, weit genug, zwei Personen zu umfassen, den die Herren lose umgehangen tragen, mag für andere Figuren und Schlingungen dieses Tanzes Bedeutung gehabt haben.
Mit ausgeprägter Freude an gröblichem bäurischem Durcheinander, aber mit überraschender Kunst sind die österreichischen Tanzweisen komponiert. Der Tannhuser und jener unerschöpfliche Virtuose, dem wie Licht und Luft auch ein fester, oft mit scharfen Hieben endigender dörperlicher »Stampf« zu einer Lebensnotwendigkeit zählte, Nithart von Reuenthal, haben deren eine Fülle hinterlassen. Der nicht nur von seinen Sängern, sondern auch von seinem Volk gepriesene Herzog Leopold VII. von Oesterreich ging mit fröhlichem Beispiel voran, und als er im Jahre 1230 starb, klagten die Wiener, wie Jansen Enenkel im Fürstenbuch berichtet, daß sie den besten Vorsänger im Chor, zugleich aber auch den besten Stifter des Frühlings- und Herbstreigens an ihm verloren:
wer singet uns nu vor
zu Wiene uf dem kôr
als der vil dikke hat getân
der vil tugentrîche mann!
wer stift uns nu den reien
in dem herbst und in den maien?
Ueber Art und Figur der neuen im Parzival erwähnten thüringischen Tänze sind wir nicht berichtet. Die Vermutung liegt aber nicht allzufern, daß vielleicht die jugendliche Landgräfin Sophia, als bayerische Fürstentochter den Tanzweisen des Osterlandes nicht ungünstig gestimmt, an Heinrich von Ofterdingen einen Reigenführer –
praecursor pflegte man solchen zu nennen – gefunden hatte, der in neuen Kompositionen ländlich fröhlichen Ton durchzuführen verstand, ohne damit seiner und der Gesellschaft Würde etwas zu vergeben. Die auf solchem Gebiet bei der Frauenwelt errungenen Erfolge mögen dazu beigetragen haben, den begünstigten Sänger und Reigenleitmann seinen Sanggenossen am Hofe zu verfeinden, und wir erhalten durch diese Anschauungsweise, die schon Uhland (Walter von der Vogelweide, ein altdeutscher Dichter S. 99) angedeutet hat, den Schlüssel zu des formstrengeren Walter eifersüchtigem Klagelied wider die »Frau Unfuge«, die mit ihren ungefügen Tönen das hovelische Singen zu verdrängen droht:
der unfuoge swîgen hieze,
waz man noch von frôiden sunge,
und sie abe den bürgen stieze
daz si dâ die frôn iht twunge!
wurden ir die grôzen hoeve benomen
daz waer allez nâch dem willen mîn.
bien gebûren lieze ich sie wol sin:
dannen ists och her bekomen
Ueber die Tänze des deutschen Mittelalters vergl. Weinhold, die deutschen Frauen S. 369 u. ff. Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, Leipzig 1862. Kap. V. Ueber die Musikbegleitung v. d. Hagen, Minnesinger IV, 765 und Schneider, das musikalische Lied S. 202 u. ff.
1. Frühlingsreigen.
Schon färbt der Rain sich bunter,
Schon will ein lauer Föhn
Von Kirschbaum und Holunder
Den Blütenschnee verwehn;
O Mai, du machst mich munter,
Auf neue Fahrt zu gehn,
Denn Zeichen sind und Wunder
Am Spielgerät geschehn.
Die Fiedel hub im Schreine
Getös' und Schwanken an,
Als wär's von jungem Weine
Den Saiten angetan...
So dörperlich unfeine
Stieß mich der Bogen dann,
Daß ich vom Elfenbeine
Ein blaues Mal gewann.
Und wie ich in der Ecken
Mich nach dem Leitstab neig',
Ergrünt am dürren Stecken
Ein junggesproßter Zweig;
Der flüstert, mich zu necken:
»Verschlafne Lerche, steig,
Laß dich vom Frühling wecken,
Die Welt will tanzen – geig!«
Nun kreist durch alle Glieder
Lenzzauber hüpfend um,
Im süßen Duft von Flieder
Schwimmt mein Verstand sich dumm:
Steig auf, umtäub mich wieder,
Tanzwirbliges Gesumm!
Maikäfer und Mailieder
Schwirren im Haupt herum.
Nun toset, frohe Scharen,
Im Reigenwettlauf hin!
Die Jugend muß sich paaren,
Das schafft der Welt Gewinn.
So alt ich selbst an Jahren
Und Minnearbeit bin,
Mit Rosen in den Haaren
Küss' ich die Nachbarin!
2. Dörpertanzreigen.
(zu Ehren Heinrichs von Osterdingen gedichtet).
»Ich versihe mich niuwer maere,
Uns kommt der Stiuraere!«
Kunech Luarin v. 80.
Den Finken des Waldes die Nachtigall ruft:
»Von Geigenstrich schallt es goldrein durch die Luft,
Ihr Zwitscher, ihr Schreier, nun spart den Diskant,
Der Heini von Steier ist wieder im Land!«
Flickschuster im Gaden schwingt's Käpplein und spricht:
»Der Himmel in Gnaden vergißt unser nicht,
Sohlleder wird teuer, Bundschuh platzt am Rand,
Der Heini von Steier ist wieder im Land.«
Schon schwirren zur Linde, berückt und entzückt,
Die lieblichen Kinde, mit Kränzen geschmückt:
»Wo säumen die Freier? Manch Herz steht in Brand...
Der Heini von Steier ist wieder im Land.«
Und wer schürzt mit Schmunzeln den Rock sich zum Sprung?
Großmutter in Runzeln, auch sie wird heut jung ...
Sie stelzt wie ein Reiher dürrbeinig im Sand ...
Der Heini von Steier ist wieder im Land!
Der Hirt läßt die Herde, der Wirt läßt den Krug,
Der Knecht läßt die Pferde, der Bauer den Pflug;
Der Vogt und der Meier kommt scheltend gerannt
»Der Heini von Steier ist wieder im Land!«
Der aber hebt schweigend die Fiedel zur Brust ...
halb brütend, halb geigend – des Volks unbewußt,
Leis knisternd strömt Feuer um Saiten und Hand ...
Der Heini von Steier ist wieder im Land!
... Im Gärtlein der Nonnen auf blumiger Höh'
Lehnt eine am Bronnen und weint in den Klee:
»O Gürtel und Schleier ... o schwarzes Gewand ..
Der Heini von Steier ist wieder im Land!«
3. Herbstreigen.
1.
Wohlauf, ihr zieren Frauen,
Laßt euch noch einmal schauen
In schmuckem Convenanz!
Brecht euch die letzten Rosen
Und krönt mit Herbstzeitlosen
Der seidnen Locken Kranz.
Herbei, ihr Flinken, Schnellen,
Paart euch den Tanzgesellen,
Der Umzug hebt sich an:
Tamburer und Floitierer,
Harfner und Trombonierer
Ziehn uns mit Schall voran.
Merkt wohl, wie ich mich spreite,
Und schreitet, wie ich schreite,
In stolzer Kranichsart:
Den Reigenleitstab schwing' ich,
Und wer nicht folgt, den zwing' ich
Mit einem Kuß zur Fahrt.
2.
Zerzaust von rauhem Winde
Steht unsre alte Linde,
Im Wipfel fahl und kahl:
Wir wollen sonder Grämen
Mit Tanz den Abschied nehmen
Von ihr und von dem Tal.
Viel dürres Laub in Haufen
Muß unser Fuß durchlaufen
Und waten mitten drin.
Wen es nun freut, der rüttelt
Laubstreu empor und schüttelt
Sie auf die Nachbarin!...
Das knistert, rauscht und knattert,
Nun ruft, dieweil es flattert:
»Gefluchet sei dir, Herbst,
Der du die Wonne wendest
Und unsern Anger schändest
Und allen Wald entfärbst!«
3.
Heiei, was für ein Schwirren
Und Durcheinanderirren
In minnewildem Spiel!
Ich fürcht', ihr süßen Kinde,
Ihr tut heut um die Linde
Des Guten schier zu viel.
Schon seh' ich zweie springen
Und miteinander ringen,
Als gält' es ernsten Strauß:
Die zierliche Jeschute
Im neuen Zindelhute
Schaut wie ein Waldlwib aus,
Herr Walter mit Hiltgunden,
Tief in der Streu verschwunden.
Wer schaufelt sie hervor?
Wer tröstet Marviljûsen,
Daß sich in ihren Busen
So manch dürr Blatt verlor?
4.
Verschnaubet nun, ihr Schönen;
Den dürren Herbst zu höhnen,
Ist frischer Jugend Recht.
Könnt' er in Knospen prangen,
Nie trügen wir Verlangen
Nach solchem Streugefecht,
Nun sei genug des Springens,
Laubschüttens, Glöckleinklingens,
Der Reigen hat vertobt;
Schnürt Gürtelschmuck und Mieder
Gerad' und folgt mir wieder,
Daß uns die Mutter lobt.
Und fühlt sie euch mit Bangen
Die glühheiß roten Wangen
Und fragt: »Was Feind schuf das?«
So sprecht: »Frau Mutter, eia,
Das schuf der Hoppeldeia
Im dürren Laub und Gras!«
5.
Du aber, Tanzgenosse,
Kehrst heut nicht heim zum Schlosse,
Der Herbst biegt uns ein Bein.
Mit Kännlein und mit Kannen
Heischt itzt zum Kampf die Mannen
Sein Sohn, der neue Wein.
Er soll die Wahlstatt räumen,
Ihm werd' für Braus und Schäumen
Ein Grab in kühlem Grund!
Hervor denn aus dem Fasse,
Herr Most, daß euch die Gasse
Durch unsre Kehlen kund!
Wir jubeln krügelüpfend,
Bis daß die Seele hüpfend
Auf einer Rippe steht...
Bis Sonne, Mond und Erde
Auf unsres Reigens Fährte
Sich dreht – und untergeht.
Vergl. des Herrn Steinmar sehr eß- und trinklustiges Herbstlied, Str. 5:
Wirt, durch mich ein strâze gât:
dar ûf schafe uns allen rat
manger hande spîse.
wînes der wol tribe ein rat
hoeret ûf der strâze pfat.
minen slunt ich prîse.
mich würget niht ein grôziu gans so ich s' slinde.
herbest, trûtgeselle min, noch nim mich z'ingesinde
min sêle ûf eime rippe stât,
wâfen! diu von dem wîne drûf gehûppet hât!
Bei v. d. Hagen, Minnesinger II. 154.
(Mit einem neuen Winterkleid beschenkt, das eigentlich
dem tugendhaften Schreiber bestimmt war.)
Heinrich von Ofterdingen
dieses maere getihtet hât
daz sú sus meisterlichen stât.
des waren ime die fúrsten holt
Sie gaben im silber unde golt
do zuo pfenning und riche wât.
Kunech Luarin v. 2921.
Das Streifen durch die Lande – fahr hin, du alte Wât,
Macht streifig die Gewande und mürb an Saum und Naht;
Sie schwinden hin und siechen, ihr Siechtum heißt Fadenschein,
Wir müßten uns verkriechen, hülf' Milde nicht vor Pein.
Dank sei den edeln Händen – fahr hin, du alte Wât,
Die uns erratend spenden, um was der Mund nicht bat.
Herbströcklein, dünn und schmächtig, wie wohl bist du vertauscht!
Samtschwer und faltenprächtig ein Mantel mich heut umrauscht.
Wohl sah im Geist ein andrer – fahr hin, du alte Wât,
Sich schon darin als Wandrer bestaunt von Burg und Stadt...
Doch Kunst ging über Schreiben,
mein ist das Winterkleid!
Er mag mit Händereiben sich wärmen, wenn es schneit!
.ich tugendhafter schrîber trit im
zuo mit kampfes gir.
Wartburgkrieg Str. 3.
Heinrich von Ofterdingen – o weh, mein Winterkleid!
Posaunt von großen Dingen und tut sie keinerzeit.
An Dietrich von Berne, an wormsischer Heldenkraft
Erwürb' mit Sang er gerne die Krone der Meisterschaft.
Schon hub er an zu dichten – o weh, mein Winterkleid,
»Nun lasset euch berichten den allergrößten Streit.«
Dabei ist's dann verblieben, der Faden riß ihm ab ..
Acht Wörtlein stehn geschrieben, mehr nicht, was sich begab.
Herbstnebel hüllt die Berge – o weh, mein Winterkleid!
Wie spreizt Laurin der Zwerge sich prahlig und voll Neid!
Die Recken schnarchen im Grabe: O Zeit, wie währst du lang.
O wunderträger Knabe, wann endlich weckt uns dein Sang?
wider Wolfram von Eschenbach und die übereifrigen
Nachahmer französischer Art und Dichtung.
Dieses Gedicht versucht die Stimmung anzudeuten, welche einen deutscher Sitte und Sage zugewandten Sänger erfassen mußte, wenn er mit Genossen zusammentraf, die geblendet von der Franzosen epischer Kunst und Ritterlichkeit ihrer eigenen Kraft in nachahmender Hingabe an jene vergaßen.
Es ist wohl denkbar, daß dem äußeren Gegensatz, in welchen das Gedicht vom Wartburgkrieg Heinrich von Ofterdingen zu den andern stellt, dieser künstlerisch tiefer einschneidende Zwiespalt zugrunde lag. Angenommen, daß er den Luarin gedichtet und daß ihm, ohne schon zu vollendeter Gestaltung gekommen zu sein, große Motive der heimischen Heldensage als künftige Gegenstände epischer Bearbeitung vorschwebten, so mochte ihm schwül und dumpf werden in einem Kreise, der aus Chrestien von Troies importierten Stoffen Nahrung sog und mit dessen Gestalten (Qualogrenant und Key im »romans dou chevalier au lyon« Lanzelot und Meljanz im »romans del chevalier de la charrete«, Parzival in den »Contes del craal«) vertrauter war, als mit den ehrwürdigen, aber vom Rost des Altertums nicht befreiten und in der Pflege der fahrenden Sänger nicht zur Höhe des Kunstepos gediehenen der einheimischen Sagenkreise. – Zur Erklärung der dem Munde parisisch Gebildeter des XIII. Jahrhunderts ironisch entnommenen Fremdwörter folgt deren Uebersetzung: blanc mangier (blamensier) ein zittrig seines Gericht von Reis, Mandelmilch, gehackter Hühnerbrust, in Schmalz gesotten und mit gestoßen Violen und Zucker zugerichtet. Vergl. das Rezept im Buch »von guter spise« (Stuttgart, Liter. Verein Bd. IX.) Nr. 3. – pitît punt die vielgenannte, von den Pariser Scholaren täglich überschrittene, mit Krambuden bedeckte Brücke, welche die Insel mit dem linken Seineufer, der sog. Université, verband. Namentlich erwähnt in Willehalm 389, 6 und als Verfertigungsort teurer Waffenkleider (ze Parîs uf pitît punt wart tecke und wâpenroc bereit) in Hirzelins Gedicht von der Göllheimer Schlacht. Vergl. Springer, Paris im XIII. Jahrhundert. Leipz. 1856. Seite 15. – Schapel, chapelet, quasi parva capa qua caput tegitur, festliche Kopfbedeckung, bei Jungfrauen ein aus Filigranarbeit gestaltetes, mit Perlen und edeln Steinen besetztes Krönlein. S. Weinhold, die deutschen Frauen im M. S. 462.
Isotens Künste:
la duze Isot, la bele
si sang ir pasturele,
ir rotruwange und ir rundate,
schanzune, refloit und folate,
wol unde wohl unde al ze wol.
Tristan 8038. - Pastourelle und retrowange. Ridewanz, ländlich hövische Tanzweisen, vergl. Wackernagel, altfranzös. Lieder S. 183. – Tiraden, die Form in der die französ. Epen gedichtet sind, lange Reihe zehnsilbiger gleichreimiger oder gleichassonierender Verszeilen, dem Genius des deutschen Reims und Strophenbaus von kaum erträglicher Monotonie. – Massenie, Genossenschaft.
Wâ nu griezwarten? Kampf ist kommen!
Wartburgkrieg Str. 4.
Ihr habt den Fahrenden wohl aufgenommen,
Bedankt sei jeder, der es treu gemeint;
Lang war ich eurem Sängerbund willkommen,
Und unsre Zithern klangen oft vereint.
Mein leiblich Teil fand Rast und reiche Pflege,
Manch mildes Auge winkt: verweil dich hier!
Doch eure Wege sind nicht meine Wege,
Und eine Kluft gähnt zwischen euch und mir.
Denn unverrückt in allem Tun und Lassen
Steht euer Aug' der Fremde zugekehrt,
Hofzucht und Kleid, der Rede Ernst und Spassen
Muß sein wie dort, sonst bleibt es ungeehrt.
Ei, strenge Richter, schmeckt das Muß drum reiner,
Wenn blanc mangier es nennt der Köche Mund?
Und kleidet euch der Wappenrock drum feiner,
Wenn ihn ein Schneider steppt am Pitît Punt?
Nach der Franzoiser Art den Schnabel wetzen
Muß, wer bei Frauen Minnepreis bejagt;
Nur dann wird huldvoll Lächeln ihn ergötzen,
Wenn er »ma doulce, ma bele amie« sagt.
Und gilt's, im Reigen schreiten und sich drehen,
Er trüg' umsonst die Schapel und den Kranz,
Würd' er Isotens Künste nicht verstehen,
Die Pastourele und den Ridewanz!
Zielt dann ein Wunsch nach neuen Heldenmären:
»Auf, Singer, schnell Herrn Crestiens Buch zur Hand,
Wir freu'n uns nicht an Recken lobebaeren,
Wenn sie nicht fernher aus Kukumberland,
Qualogrenanz soll sieglos Lanzen brechen,
Hofspott geschehn von Key, dem Seneschal,
Meljanz Herrn Lanzelot vom Karren stechen,
Nach Montsalvatsch irrfahren Parzival!«
Weh meinem Ohr! Wo die Tiraden schwirren,
Nimmt unsereiner ungern Aufenthalt,
Oft glaub' ich selbst verzaubert umzuirren,
Und fragt ihr mich: Ist das der Thüringwald?
Sind das der Wartburg liedgerühmte Zinnen,
Wo deutscher Sang gen Himmel schmettern soll?
So sprech ich: Nein! die Tafelrund haust drinnen,
Die Burg ist welsch, ihr Name – Karidol.
Mich aber friert im Wald von Breziliande,
Bei König Artus' kühler Massenie;
Ich bin ein Mann aus freudigem Osterlande,
Wo meine Wiege stund, vergeß ich nie,
Ihr mögt mich grob und dörperlich drum schelten ..
.. Nicht jeder kann ein Leu sein, spricht der Bär.
Singt, wie ihr mögt, Mannheit britunischer Helden,
Und singt vom Gral .. mir gilt nur deutsche Mär!
Der Ahnen Geister steigen aus den Grüften,
Ein rauh Geschlecht, erprobt im Grenzmarkstreit;
Noch rauscht ihr Schlachtruf mächtig in den Lüften,
Den Enkel mahnend alter Tapferkeit.
Ehrwürdig Bergland, wann seh' ich dich wieder
Und meiner Steieralpen heiligen Schnee?
Dort oder nie find' ich die großen Lieder,
hier schweigt mein Mund ... das Singen schafft ihm Weh.
Nicht wie ein Reh bin ich vor euch geflüchtet,
Gleich einem Keuler hielt ich kampflich stand,
Brust wider Brust, das Haupt gradaus gerichtet,
Daß ihr das Weiße wohl im Aug erkannt.
Schwül war der Tag. Wutschäumig eingebissen
Am
einen Wild die ganze Meute hing,
Doch spürte mancher unsanft umgerissen,
Daß voll ich rückgab, was ich voll empfing.
Spart nur den Lärm! Die Hetzjagd ist geendet,
Mit Knurren weich' ich seitab in das Holz,
Den Leib von euren Bissen bös zerschändet
Und angeschossen von manch spitzem Bolz.
Wohl wär' ich schnöd zum Land hinausgezwungen,
Gält' grobe Scheltung je als sein Gedicht ..
Ein einz'ger wider sechs hab' ich gerungen ..
Frohlockt des Siegs! Mich grämt mein Unsieg nicht.
Ihr habt mich nicht gefällt, nur fortgetrieben,
Aus leichten Schrammen nur verströmt mein Blut;
Wem Leben, Zorn und Kunst noch frisch geblieben,
Der rächt den Schimpf und rauft mit neuem Mut.
Drum wollt den Tag nicht vor dem Abend loben,
Bald bin ich wieder auf dem Plan zu schau'n ..
Bald sollt, ihr Herrn, nicht ohne Leid erprobe»,
Wie frisch gewetzte Eberzähne hau'n!
»min mout heim ze lande gêrt.«
Kunech Luarin v. 1840.
I.
Endlich, endlich, milder Friede,
Kehrst du wieder in mir ein –
Grimmer Schmerz löst sich im Liede,
In dem Wind entschwebt die Pein.
Bleicht und schwindet, wüste Träume,
Steig zu Grabe, Wahnsinnsnacht:
Ferne blaue Alpensäume
Mahnen, daß ein Tag noch lacht.
Und ich schau' des Sees Spiegel,
Seiner Wogen grünen Schwall,
Seine tannendunkeln Hügel,
Seiner Alpen Mauerwall.
Hochlandschneeluft weht hernieder
Kühlend auf der Seele Glut,
Und gleich Möwen kreisen Lieder
Neubeschwingt hier um die Flut.
Wie verklärt strahlt mir entgegen
Gottes Welt, wie groß, wie weit!
Steirisch Meer, ich fühl' den Segen
Deiner keuschen Herrlichkeit.
Was gequält mich und gekränket,
Was des Denkens Folter war,
Tief zum Seegrund sei's gesenket,
Sei vergessen immerdar!
Dieses Friedens heilig Wehen
Schafft mich zum versöhnten Mann ..
Euch selbst möcht' ich wiedersehen,
Die so schnöd an mir getan:
Walter, Reinmar auch den Reinen,
Wolframs düster Angesicht ...
.. Alle – alle – nur den einen
Tugendhaften Schreiber nicht!
II.
Schweigsam treibt mein morscher Einbaum,
Klar und ruhig wogt der See,
Purpurwarme Abendschatten
Färben der Gebirge Schnee.
Eines Eilands Klosterhallen
Dämmern aus der Flut empor,
Münsterglocken hör ich schallen
Und der Schwestern frommer Chor:
Sempiterni fons amoris
Consolatrix tristium,
pia mater salvatoris
have, virgo virginum!
Summend, singend, rein verklingend,
Süß ersterbend kommt der Ton,
Luft und Welle führen schwingend
Seinen letzten Hauch davon.
Und die Rechte senkt das Ruder,
Im Gebet erschweigt das Herz,
Und mir ist, als trügen Engel
Eine Seele himmelwärts.
O daß ich nie um deine Gunst geworben,
Frau Aventiure, spröde Unholdin!
Nicht wär' ich allen Freuden abgestorben
Und nicht der Ritter Unstern, der ich bin ..
Sterblichgeborner Töchter lohnen Treue
Mit Gruß und Kuß und voller Seligkeit,
Doch du? ... Jedweder Tag lehrt mich aufs neue:
Verfahrner Leute Fahrtgewinn heißt Leid;
Der Lande viel hab' ich um dich durchritten,
Hab' manchem Meer im Sturm mich anvertraut,
Manch kühnem Feind sein Stahlringwams durchschnitten,
Manch fremdes Schwert mit eignem Blut betaut ..
Doch gabst du Balsam je für meine Wunden?
Gewann ich je ein ander Gold zum Dank,
Als was mein Aug' in klaren Abendstunden
Am Himmel schaute, wenn die Sonne sank?
Wie Frau Maglore von der schwarzen Klippe,
Von der das Lied der Fey Morgane spricht,
dame Maglore, von der
compaignie der »frouwe Morgane de la rosche bïse«, S. Grimm, deutsche Mythologie S. 384.
Morgue la sage im
Ywein v. 2951. Morgain la fée im
Erec v. 1945 u. s. w.
Erfreust du die Getreuen deiner Sippe
Mit kahlem Haupt, mit Narbenweh und Gicht ..
Und reitet einer heim auf seine Veste
Und wähnt, er ruh' fahrtmüde Knochen aus:
Wer nennt das Ingesind und wer die Gäste,
Die seiner warten in der Väter Haus?
Der Küchenmeister Schabkrust ruft zum Mahle,
Der Rosse sorgt der Marschalk Hinkebein,
Schenk Lauterwasser reicht ihm die Pokale,
Das Prachtgewand der Truchseß Fadenschein.
Als Kämmerer stehen, seines Winks gewärtig,
Vergeudegold und Schuldenschwer, sein Sohn,
Am Palas baut der Bauherr Nimmerfertig,
Vom Torturm bläst der Wächter Klageton.
Eine ganz ähnliche Gesellschaft half dem edeln Tanhuser beim Bau seines Hauses:
Ich denke, erbuwe ich mir ein hus nach tumber liute rate.
die mir des helfen wellent nu, die sint also genennet:
Unrat unt her Schaffeniht die komen mir vil drate,
und einer, heizet Seltenrîch, der mich vil wol erkennet;
der Zadel und der Zwivel sind min stetez ingesinde;
her Schade und ouch her Unbereit ich dikke bi mir vinde.
und wirt min hus also vollbraht von dirre massenîe,
so wizzet, daz mir von dem buwe her in der buosen snîe.
v. d. Hagen, Minnesinger II, 94.
Der Nachbar Zeitversaum kommt angeritten,
Herbstgelben Rocks, schwerhörig und halbblind ..
Mit ihm, schwarz angetan in Klostersitten,
Jungfräulein Reue, sein geliebtes Kind ...
Und alles Laub verwelkt im Wald zur Stunde,
Denn ihnen folgt das dürrste Schwesternpaar:
Frau Langeweile mit dem Gähnemunde,
Frau Schwermut mit dem aschenfahlen Haar.
Frischauf, ihr Fiedler! Mit Posaun' und Geigen
Begrüßt mein Haus und meiner Gäste Chor!
Wir stampfen unsern Bärenhäuterreigen
Beim dürren Tännlein vor dem Palastor.
Das Fest zu krönen mangelt nur die Herrin,
Die uns solch Glück geruhte zu verleihn,
Ein Narr wie ich verdient auch seine Närrin:
Frau Aventiure komm, wir harren dein!
So klang mein Lied, spätnächtlich mich zu höhnen
Bei leerem Krug und düsterm Kienspanstrahl,
Der Gaden schwankte in der Windsbraut Stöhnen
Und Regenwolken schauerten durchs Tal.
... Da hör' ich fern ein silbern Hörnlein blasen ...
Hei, süßer Ton, wie triffst du mich ins Herz!
Die alte Freundin geistert auf den Straßen
Und all mein Sehnen schwingt sich irrfahrtwärts.
Auf und hinaus! bringt Roß und Schwert und Zither!
Geliebtes Traumbild, Dank, daß du mich rufst!
Nun folg' ich dir als treuster deiner Ritter,
Vergessend aller Not, die je du schufst.
Dürr sind des regelrechten Lebens Kränze,
Die blaue Blume blüht nur im Gedörn;
Auf und hinaus! ... im sturmdurchbrausten Lenze
Fahr ich dahin und suche meinen Stern.
Dizze vil alte maere
het ein schrîbaere
wîlen an ein bouch geschriben.
des en ist ez niht beliben,
ez ensî ouch dâvon noch bekant
wie die von Burgonden lant
mit freude in ir gezîten
in manigen landen wîten
ze grôzem prîse waren komen.
die Klage V. 17.
.. Die Bischofsleute sprachen viel beim Mahle
Von alter Zeit; ihr Lehrgespräch war laut.
Nun rast' ich still im fensteroffnen Saale,
Der nach der Luft und nach der Donau schaut.
Wie strömt im Rahmen schlanker Säulenbogen
Zu Füßen mir der Strom stolzherrlich hin!
Verglühend Sonnenrot besäumt die Wogen,
Die breit und mächtig lautlos ostwärts ziehn.
Ein alt Brevier, wie's vor zweihundert Jahren
Den Chorherrn üblich, ruht in meiner Hand;
Der Burgkaplan bracht's bei, um zu erfahren,
Ob uns von Meister Cuonrât nichts bekannt.
Denn wo am Schluß vier Blätter freigeblieben,
Stehn wie Geblüm, das um ein Kirchtor rankt,
Lateinisch noch vier Lieder hingeschrieben
Von Greisenhand, die zittrig kritzt und schwankt.
Ich lese sie. Mein Auge schwimmt in Tränen:
»Wer war der Greis, den Worms solch Lied gelehrt?
Wem in der Ostmark galt sein steuernd Sehnen?
In welchem Grenzkampf schwang auch er ein Schwert?«
.. Und flüsternd hör' ich's durch die Blätter beben:
»Verfahrner Mann, dir sind die Toten hold.
Folg dieser Spur, und du wirst Schätze heben,
Nicht weit von hier blinkt Nibelungengold!«
Vernehmt, was im Brevier lateinisch stand:
I.
Zu Wormse auf dem Rheine
Da ist ein Hof gemacht,
Lang und breit von Rosen
In königlicher Pracht.
Ein Feld breit einer Meilen
Trägt blühend Strauch um Strauch,
Bis zu dem andern Ufer
Schwingt sich des Wohlruchs Hauch.
Vier Türme von grauen Steinen
Die Pforten sollen sein;
Die Türen elfenbeinen
Schimmern in weißem Schein.
Auf jedem Turme dräuet
Von Golde rot ein Aar,
Die leuchten durch die Mitternacht
Wie Mittagsonnen klar.
Voll Golde sind die Schlösser,
Die vor den Pforten stehn,
So wohlgetan wird selten
Ein Hof von Rosen gesehn.
Wer schuf den Hof so tauglich?
Eine Maid hat das getan,
Die ist eines Königs Tochter,
Von ihr sagt man uns an:
Sie hat sich angetrauet
Einem Degen wohlbereit,
In den Rosen will sie merken
Seine Frömmigkeit.
Er gleichet einem Falken
Und trägt eines Löwen Mut;
Er hält in seinen Händen
Ein Schwert so groß und gut.
Das ist von Nibelungen
Ein Gewaffen also fest,
Daß er von keinem Uebermut
Seine Mannkraft zwingen läßt.
Es hüten mit ihm der Rosen
Zwölf der besten Mann,
Die in keines Königs Lande
Man besser finden kann.
Die Pforten sind weiß und golden,
Unbeschlossen die Tor',
An jeglicher Pforte liegen
Die edeln Hüter davor.
Der dort den Preis erwirbet
Zu Wormse auf dem Rhein:
Man gibt ihm eine Jungfrau küssen
Und ein Rosenkränzclein!
II.
Kosewind, Tosewind, biege die Segel mir,
Mutig durchflattre, Kreuzwimpel, die Luft!
Glückverwandt, rechterhand fliegen die Vögel mir,
Alpen erglühn in ferngoldenem Duft.
Lang schlich durch bergwaldumschlossene Wilde
Strömung wie Fahrzeug sich einsam und träg,
Menschenbewohnte weit offne Gefilde
Schauet das Aug' jetzt frohlockend am Weg.
Schwinge die Kappe, mein rudernder Verge,
Grüße den Traunstein, des Haupt dort erglüht:
Das sind des Steierlands bläuliche Berge,
Das ist die Ostmark, nach der es uns zieht.
Eile voraus uns, vielflutige Welle!
Wehender Windeshauch, eile voraus!
Fernab an nußbaumumschatteter Stelle
Melde dem wehrhaften Markgrafenhaus:
Passauer Kähne durchrudern wie Schwäne
Im Namen Maria die strudelnde Bahn;
Nach Bechelaren kommt sehnend gefahren
Meister Konradus, der steuernde Mann.
III.
Fern im Ost beginnt die Sonne
Ihren Welterleuchtungsgang,
Frühlingsgrün und Erntewonne
Sprossen ihrer Spur entlang.
Was da kreucht im dunkeln Tale
Und den Zug zu Gott verspürt,
Wird von ihr und ihrem Strahle
Morgenfreudig angerührt.
Und sie scheint von hohen Warten
Auf der Ostmark Saatenfeld,
Das als frischen Neubruchgarten
Deutsche Kraft sich hier bestellt.
Gotteshäuser, Burgen, Städte,
Starker Bauern Einigung,
Wachsen frohsam um die Wette
Mit der Geister ernstem Schwung.
Morgennebel, fein und tauig,
Liegen ob dem jungen Land,
Doch durch ihre Hüllen schau' ich,
Was die Zukunft ihm noch plant.
Aufgeprägt mit Pflug und Schwerte
Steht dem Boden rings die Schrift:
»Dieses ist geweihte Erde,
Keine Steppenpferdetrift.
Reich von deutschem Blut gedünget
In schier hundertjähr'gem Streit,
Von Gesittung neu verjünget
Reift sie einer guten Zeit,
Und der Christenheit zum Walle
Wird ein Oesterreich erstehn,
Dessen Banner wider alle
Heidenschwärme sieghaft wehn.«
Drum wohlauf, du frommer Streiter,
Der als Graf die Mark bewacht;
Wohlauf, ihr schweren Eisenreiter,
Deren Reigentanz die Schlacht:
Goldner Wein, Gefahr und Liebe
Blühen uns als Grenzhutlohn...
Und den Hunnen deutsche Hiebe,
Daß sie heulend fliehn davon!
IV.
Die Wellen fliehn und blinken
heut wie vor alten Jahren,
Vom Kahn laß mich dir winken,
Du gute Bechelaren!
Wohin sind die gegangen,
Die Hort und Schmuck dir waren?
In Tränen tau'n die Wangen...
Du gute Bechelaren!
Ich nur bin übrig blieben
Mit weißverschneiten Haaren,
Zu klagen um die Lieben...
Du gute Bechelaren!
Mein Schiff, bald wird's zerspringen
Und Bretter leihn zu Bahren ..
Bald hörst du ein Grablied singen,
Du gute Bechelaren!
Mich sehnt nach andrem Steuren,
Mich sehnt nach andrem Fahren;
Bald find' ich deine Teuren,
Du gute Bechelaren!
Nach Prunk und Glanz und höfischem Behagen
In Steingeröll und Hochtaleinsamkeit ...
Wohin, wohin hat mich der Sturm vertragen,
Seit daß ich sieglos sang im Sängerstreit!
Blauleuchtend starrt die Eiswand auf mich nieder,
Demanten blitzt im Sonnenstrahl ihr Firn,
Ein schneeblank Linnen hüllt die starken Glieder,
Durchsichtige Wölklein schleiern ihre Stirn.
Der Lärm erschweigt im Anhauch solcher Riesen,
Kein Vogel singt im braunen Arvenwald;
Das Mankei nur huscht linkisch durch die Wiesen
Und birgt sich pfeifend in dem Felsenspalt.
Doch rings ersprudeln Quellen frischen Lebens,
Im Urgestein gesäugt von Wolkentau,
Die Seele schöpft sich Schwungkraft neuen Strebens
Und schaut getröstet in des Himmels Blau.
Hier denk' ich dein, du milder Fürst im Norden,
Und meine Grüße schweben in dein Land:
Ich weiß, du bist an mir nicht irr geworden,
Ob alle mich vergessen und verkannt.
Und sähst du mich auf dieser Wildnis Klippen
Sinnierend ob des Firns erstarrter Flut,
Wie ehmals spräch' das Lächeln deiner Lippen:
»Laßt ihn gewähren, denn sein Drang ist gut.«
Wer sich auf Dichten peint, folgt dunkeln Geistern
Und wird dem Weltlauf windsbrautgleich entführt;
Ihr Joch ist rauh, doch wen sie niemals meistern,
Der hat des Schöpfers Odem nie verspürt.
Sie leiten jeglichen nach seiner Weise,
Daß ihm der Schönheit Offenbarung kund...
... Mich zu den Gemsen, wo in ewigem Eise
Geheimnisvoll saphirhell gähnt der Schlund.
Im Gletscherabstrom stund mein Jagdwein kühle
Und füllt den Kürbisbecher kalt und klar:
Froh bring' ich ihn, den Glimmerblock zum Pfühle,
Als Weihetrunk Frau Aventiuren dar.
Sie hat mir reichlich Weh und Leid gespendet,
Doch eine Stimme flüstert mir: Bezwing's!
... Der Lieder größtes steht noch unbeendet...
Ich geh' zugrunde – oder ich vollbring's!
Et sic est vinis per me nescis tu von Osterrich.. Eintrag auf dem letzten Blatt der Hohenems-Laßnergischen ältesten Handschrift des deutschen Nibelungenliedes.