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Buchschmuck

Vorwort.

Frau Aventiure will dies Büchlein heißen. Einst war sie die vielgekannte und vielgenannte Freundin streitbarer und minnefreudiger Jugend, ein Weib schier göttlichen Ursprungs und Ansehens, das mit großer Gefolgschaft rauschenden Umzug hielt durch die Lande und die Welt mit Speerkrach, Reigenlust und süßem Getön erfüllte. Gerne auch nahm sie Einkehr bei Dichtern, saß traulich zu ihnen an das Herdfeuer, kürzte die Mitternächte mit vergessener Mären Erzählung, heilte die Wundsiechen und tröstete, wem durch Liebe Leid geschehen war. »Tu auf!« rief's pochend einst vor Herrn Wolframs von Eschenbach Kemenate, »tu auf, ich will ins Herze hin zu dir!« »Da begehrt Ihr zu engem Raume,« sprach kühl abwehrend der Ueberraschte, aber schwichtigend mahnte es wieder von außen: »Mein Dringen sollst du selten klagen, ich will dir nur von Wunder sagen« – und an ferneres Türabsperren war nicht mehr zu denken. »Ja seid Ihr's, Frau Aventiure?« grüßte der Freund von Pleyenfelden gerührt der alten Freundin entgegen und nahm sie auf in die enge Herberge, und sie offenbarte ihm, dessen er benötigt war, des jungen Parzivals weitere Fahrtgeschichten. Vergl. Parzival 433, 1.

Seitdem der Geschütze Knall, der Maschinen Hammerschlag und des Dampfwagens Pfiff die Lüfte durchschüttert, ist der hehren Frau Getöse verstummt; auf städtischem Asphaltpflaster und in Eisenbahnhöfen wird sie nicht gesehen, und es verlautet nicht, daß die Kammertüren von Dichtern noch mit Aufsprengung von ihr bedroht werden. Mit zu viel ewiger Jugend begabt, um sterben zu können, aber unfähig, die anders und älter gewordene Welt und sich selbst zu verjüngen, fristet sie ein halbverschollen Matronenleben, meist auf stillen Bergeshöhen, wo der Wald den stolzen Erinnerungsschutt ihrer Jugend mit Frühlingsgrün überrankt; zuweilen auch zeigt sie sich betend in wetterbraunen Münstern und Kreuzgängen, oder, siegelbehangene Urkunden und schönbemalte Pergamentbände lesend, in moderduftigen Archiven und Büchereien. Das Volk kennt ihren Namen nicht mehr und fürchtet sie an manchen Orten als Gespenst, dem fürsichtige Männer den Uebernamen Romantik erfanden und allerlei Gefährliches nachsagen.

Dem Schreiber dieser Blätter hat sie sich verzeigt nach den denkwürdigen Septembertagen des Jahres 1857, da man in der Stadt Karl Augusts die Erzbilder der Heroen enthüllt hatte, die unser Jahrhundert mit dem Widerschein ihres sonnig freien Geistes durchleuchten. Damals war dem Heimkehrenden vergönnt, in dem Sängersaal der thüringischen Landgrafenburg vor das aus schöpferischer Seele geborene Wandgemälde zu treten, in welchem Moriz von Schwind den sagenhaften Sängerwettkampf des Jahres 1207 darzustellen versucht hat. Eine Betrachtung über die mehr als zufällige Fügung, daß nicht nur in jener glänzenden Literaturepoche, von deren Festfeier die Nichteinheimischen zurückdampften, sondern schon sechs Jahrhunderte früher eine frühlingslustig emporgedeihende deutsche Kunst von allen Gauen und Enden des Vaterlandes her in Thüringen wie in einem natürlichen Mittelpunkte sich einnisten und unter eines geistig mitempfindenden Fürsten Schutz zu höherem Fluge die Schwingen entfalten durfte, war in jenen von Baumeister und Maler mit allem Zauber einer gestaltend rückwärts schauenden Phantasie verklärten Räumen leicht angeregt.

Damals gedachte ich: »Hei, wer so viel erfahren dürfte und erführe, daß er mit den halbmythischen Schemen dieser mittelalterlichen Sänger, ihrem Leben, Fühlen und Dichten samt den starren und treibenden Kräften ihrer Epoche vertraut würde wie mit Goethes und Schillers klarer Zeit!« und langsam ehrwürdig, als hätte sie in einem Erdgeschoß des Landgrafenpalas weltentrückt wie Kaiser Rotbart im Kyffhäuser die Jahrhunderte verschlafen, kam auf den Steinstufen unter der Sängerlaube Frau Aventiure emporgestiegen und sprach, dieweil Lächeln unsterblicher Jugend die Lippen umspielte: »Vertrau dich mir, ich führe dich zu jenen!« ... Und sie hat ihr Wort redlich gehalten und mich mit den Gefährten ihrer Blütetage bekannt gemacht, daß mir deren Sprache und Kunst keine fremde mehr ist. Manch guten Rasttag hab' ich jenen Findern wilder Mären gelauscht, manch guten Wandertag bin ich über Berg und Tal ihren Spuren, die bis weit an die Donau hinab weisen, nachgezogen. Man mag von der Kultur des dreizehnten Jahrhunderts urteilen, wie man will: eine Zeit, die als Marksteine ihrer epischen Dichtung auf der einen Seite den Parzival, auf der andern das Nibelungenlied, als Zeugnis ihrer Lyrik hier den gemütreichen Erstlingstrieb des deutschen Minnesangs, dort das üppige lateinische Tirilieren der fahrenden Schüler hinterlassen hat, wird dem Forscher, auch wenn er nicht mit schwärmender Sehnsucht nach ihr zurückblickt, noch langehin Gegenstand umfangreicher und ergiebiger Untersuchung bleiben.

Dem Dichter aber, an welchem des Meisters Fridank Spruch: »Mein Herz im Traume Wunder sieht, das nie geschah und nimmer geschieht« in Erfüllung gegangen, sei für heute nur vergönnt, einen Strauß von Liedern, wie er auf der Frau Aventiure von Mailust und Tanzfreude durchwehten Blumenangern hundertfältig zu pflücken ist, prunklos und formlos zusammenzubinden, als unvollkommnen, langsamen und ernsten Studien mit Fiedelklang vorauseilenden Ausdruck aufrichtigen Dankes, den er einem hohen Schirmherrn deutscher Kunst schuldet.

Stelle dir vor, geneigter Leser, in jenen weltlich fröhlichen geräuschvollen Tagen, die den asketisch strengen der heiligen Elisabeth vorausgingen, sei ein schriftkundiger Mann, der mit

ritterlichen Sängern und Singerknaben, mit Mönchen, Spielleuten und fahrenden Schülern bunten Verkehr hatte, auf den Einfall gekommen, eine Sammlung von Liedern, wie der Zufall sie ihm zutrug, anzulegen. So du freudigen Sinn hast für altertümliche Weisen, so laß dich umsummen von ihrem Getön und versetze dich ein Stündlein oder zweie in luftige Träume im Rundbogenstil.

Im Frühjahr 1863.


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