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Waldpsalm.
ir klôsterlûte, vrouwet ûch:
ir sit vil maneger muowe entgân
die werltliche lûte hân!
Ebernand von Erfurt.
Auf, zu psallieren in frohem Choral;
Pörtner, erschließe des Klosters Portal!
Frühling ist kommen voll sprossender Lust,
Schmücket, ihr Brüder, mit Veilchen die Brust,
Wandelt lobsingend zum Buchwald hinaus,
Denn auch der Wald ist der Gottheit ein Haus.
Sehet die Halle, wie stolz sie sich hebt,
Stolz zu der Bläue des Himmels aufstrebt;
Riesige Buchen, mit Tannen gepaart,
Stehen als Säulen der edelsten Art,
Und als ein Kuppeldach, luftig und weit,
Wölbt sich der Wipfel laubgrünendes Kleid.
Wandelt zur Lichtung der Höhe empor!
Das ist der Waldesbasilika Chor:
Felsen, zu Steintisch und Bänken geschlichtet,
Stehen dort kunstreich im Fünfeck errichtet,
Heil dir, o Platz, der Erholung geweiht,
Buchenumfriedete Einsamkeit!
Teilet die Reihen und haltet jetzt an!
Abt mit dem Prior, er schreite voran,
Hoch in der Mitte, am längeren Stein,
Muß ihr geziemender Ehrensitz sein;
An den vier Seiten, in Gruppen getrennt,
Tafelt der fröhliche Waldeskonvent.
Stimmet die Lauten und Zimbeln nun rein,
Vögel im Laubversteck, fallet mit ein,
Schalle ernstkräftig, du Waldespsalm, auf,
Wirble mit Weihrauch zum Himmel hinauf:
Ehre und Preis sei dem Bauherrn der Welt,
Der sich als Tempel den Wald hat bestellt!
Die fossilen Ueberreste der Riesentiere der Urzeit erregten schon frühe die Aufmerksamkeit der Deutschen, in deren ältesten Stammsagen die von der Geologie der Zukunft vielleicht dereinst bestätigt werdende Tatsache, daß in den Niederungen der Stromtäler die ersten Menschen noch auf die letzten Drachen, jedenfalls auf starke Spuren derselben stießen, mit seltener Beharrlichkeit wiederkehrt. – An der Münze auf dem Markte zu Worms sah man ein Gemälde von Siegfrieds Drachenkampf, »wobei auch das Gebein von den Riesen und Drachen, welche Seyfried überwunden, in eiserne Ketten gefaßt, hangen tut.« Quad von Kinkelbach, teutscher Nation Herrlichkeit, Köln 1690, Seite 145. – Noch heute starren dem Wanderer hoch über dem Portal der 1096 gegründeten Klosterkirche zu Alpirsbach im Schwarzwald ein hornförmiger Mammutzahn und gewaltige Wirbelknochen in Ketten eingeschlungen, fremdartig entgegen. Im Chor einer Kapelle im Ammertal war ein großer Tierschädel an die Mauer gekettet, der für den Kopf eines dort erlegten Lindwurmes ausgegeben wurde. Uhland in F. Pfeiffers Germania I, 306. Ein grauenerregendes, fossiles Steinhaupt samt dazu gehörigem Skelett – ähnlich dem, von welchem in der Dichtung des Mönchs Nicodemus die Rede ist, bildet das Prachtstück der merkwürdigen Sammlungen des jetzigen Schlosses Banz am Main und ist durch seine riesigen Dimensionen (der Kopf allein ist 7' lang) und durch die treffliche Erhaltung aller Einzelheiten wohl der imposanteste Drachenüberrest in Europa. Vergl. Theodori, Beschreibung des kolossalen Ichthyosaurus trigonodon in der Lokal-Petrefaktensammlung zu Banz, mit Abbildungen in natürlicher Größe. München bei Franz, 1854.
... et aquae praevaluerunt nimis
super terram: opertique sunt omnes
montes excelsi sub universo
coelo. Quindecim cubitis altior fuit
aqua super montes, quos operuerat.
Genes. VII, 19.
Solches spricht von Banth der Mönch Nicodemus:
Vieles kündet von Drachen uns die Sage,
Wie sie in der Berge Steinkluft hausten,
Grauenhaft Gewürm im Schuppenpanzer,
Aller Kreatur ein' Schreck... und wie sie mordfroh
In der Menschen Flur und Triften schnaubten,
Hirt wie Herde sich zum Fraß ersehend,
Daß die Spur genagter Knochen weitum
Warnend hinwies nach des Scheusals Twingburg.
Gehrst du doch, solch Untier zu erreiten
Und im Ritterkampf zu Gottes Ehre
Deines Armes Kraft an ihm zu proben,
Sagt man: Freund, so steht's in alten Mären,
Unsereins hat keinen mehr erlebt.
Aber ich, von Banth der Mönch Nicodemus,
Hab' erschaut mit meinen eignen Augen
Einen Drachen, der im Fels versteint lag,
Hab' befühlt mit meinen eignen Händen
Seines Rachens Zähne, den Riesenschädel,
Seine Wirbelknochen, seine Rippen.
höret denn, wie jenes einst sich zutrug:
Stieg zu Tale von dem waldigen Banthberg,
Wo der Abhang nach dem Main sich senket
Und gen Unnersdorf .. man heißt die Gegend
Märzensee, doch liegt das meiste trocken,
Klosterleute brachen dort der Straße
Durchbruch durch den bläulich grauen Schiefer,
Und ich dachte eine schöne Platte
Zu gewinnen, die zum Steintisch taugte
Unserm Waldplatz, den die Brüder nennen
Arboretum Recreationis,
Denn wir pflegen dort im Buchenschatten,
An dem Steintisch auf der Steinbank sitzend,
Gern den Geist in heilige Schrift zu senken
Oder auf der waldumhegten Schießstatt
Nach dem fernen Scheibenziel zu schießen,
Bogenspannend und mit wuchtigem Gerwurf.
Und ein jeder liebt das kühle Oertlein,
Also wählt' ich drunten am Gesteine
Eine schief gesenkte dunkle Schichtung,
Deren alte Sprüng' und Risse wiesen,
Wie sie leicht in Platten abzulösen,
Und den Hauern winkt ich: »Diese sprengt mir!«
Jene auch mit guten Hebestangen,
Eisenkeilen und dem andern Hauzeug
Gingen wacker an ihr Steinbrechtagwerk,
Da sprach einer, dem die Stirn von Schweiß troff:
»Sonderbar. Wir stoßen auf Unebnes
Gegen dieser Felsenart Gewohnheit;
Etwas Fremdes nistet im Gesteine.«
Doch sie rammten unverdrossen weiter,
Bis die ganze Oberfläche lück war.
Mit des Krenzes Zeichen sie besegnend
»Auf! dem heiligen Dionys zu Ehren,
Lins, zwei drei – und losgelassen!« rief ich,
Und die Platte sank ...
o dreimal Wunder!
Nie vergess' ich jenes wilden Anblicks:
Vom Geschiefer, das da kam zum Vorschein,
Rings umschlossen, halb darin erhaben,
Zeigte sich ein ungeheures Steinhaupt,
Wer da grub, entwich mit lautem Aufschrei,
Und ich schlug das Kreuz und sprach von ferne
Einen lauten starken Exorcismus,
Der des Orts Dämonen, bösen Erdgeist
Und was sonst von teufelischer Abkunft
In der Tiefe lauert, bannen sollte.
Dann erst wagten wir hinanzutreten
Und beschauten scheu vorsichtig tastend,
Uns des Schädels nie erschaute Bildung,
Nicht vermocht' ich, meine Arme breitend,
Ihn nach beiden Enden zu bespannen,
Und ein Rachen gähnte uns entgegen
Riesenlang, doch mäßig in der Breite,
Spitz zu ging er, wie ein Rabenschnabel
Leis hinabgekrümmnt am obern Kiefer,
Wohlbewehrt in blanken Zähnen starrt' er,
Ueber fünfzig zählt ich nach der Länge,
Spitz und schneidig, Fleisch wie Bein zu malmen,
Spurlos mocht' ein wohlgewachsner Jüngling
Drin verschwinden, so er ihn erschnappte.
Nah' am Rachen kündete ein großes
Kreisrund Loch, daß hier des Auges Platz war,
Und zwei Spalten wiesen Nasenlöcher,
Draus er Wasser springbrunnartig sprudeln
Oder Feuerodem blasen mochte.
Dieses all war nicht der Sinne Täuschung;
Denn trotz der Versteinung sahn wir deutlich
Noch der Knochen Mark und Faserlinie,
Selbst den Schmelz der Zähne .. und ein Forstwart
holt' ein altes Schwert und schabte wacker,
Daß die Form der Schieferhülle frei ward.
Aller Männer Neugier ward nun rege,
Weiter zu erspähn, wie's mit dem Leibe
Dieses Riesenungetüms beschaffen.
Und in ungestümer Steinbrecharbeit,
Doch mit Vorsicht lösend, nicht zertrümmernd.
Sprengten wir die ganze Felsendecke,
Sieh! da kamen als des Hauptes Fortsatz
Ungeheure Rückenwirbellnochen,
Erst zusammenhängend, wohlgefügt noch,
Dann zerstreut, dahin, dorthin verschleudert.
Gleich als ob das Tier, nachdem's verendet.
Von der Sintflut, die es hier begraben,
Lang erst hin und her geschwemmet worden.
Rund war ihre Form, schier wie die Steine
In dem Brettspiel, aber zehnfach mächt'ger.
Schlank und lang, gleich Reifen eines Fasses,
Reihten dran sich mächtige Seitenrippen,
Aber statt des Fußes sahn wir deutlich
Spuren einer schuppenstarken Flosse,
Aehnlich einer Sohle, die mit schweren
Nagelköpfen um und um beschlagen.
Da sprach ich, von Banth der Mönch Nicodemus:
»Lobet Gott, denn groß sind seine Werke,«
Und ich ging, dem Abte es zu melden.
Doch zur Nachtzeit, als der Mond mit vollem
Glanze aufging ob dem Staffelberge
Und die Sterne in dem Main erblitzten,
Trieb mich's wieder hin zu dem Gebilde,
Gleich wie einer, der die Totenwacht hält,
Saß ich bei den ausgegrabnen Knochen,
Einen Blick in graue Schöpfungsdämm'rung
Tat ich und andächtigen Sinnes dacht' ich:
»Sei gelobt, Herr Himmels und der Erde,
Der du solchen Zeichens mich gewürdigt,
Zeichens von der Erdenstoffe Wandlung.
Dieser also, dessen steinern Haupt ich
hier berühre, war ein grimmer Meerdrach,
Ein Serpant von zehen Männer Länge,
Des Geschlechts vielleicht wie der, den Perseus
Mit dem Schild Medusa einst versteint hat.
Glich vielleicht im großen der Aegypter
Krokodiltier, das der Nilstrom heget,
Doppellebig, land- wie wassertüchtig.
Tiefer Boden, draus ich atmend wandle
Und emporschau' zu des Mondes Kugel,
War der Grund einst einer tiefen Meerbucht,
Diese Höhe, dieser Wald, das Kornfeld,
Drauf itzt friedlich Pflug und Pflüger schreiten,
Wurde einst von solcher Brut beschwommen,
Und der Berg, wo aus der Brüder Zellen
Da und dort einsam das Licht noch schimmert
Und auf hohem Klosterturm das Kreuz ragt,
Ward von Gott gerichtet und geschichtet
Als ein Drachenhünengrab der Urzeit!
So geht alles Irdische den Kreislauf
Und beständig ist allein der Wechsel:
Meer wird Fels und Fels wird Erde, Erde
Nährt als Ackerkrume Baum und Pflanze,
Pflanzenfeuchte wird von Luft gesauget,
Luft wird Wolke, Wolke Regentropfen,
Regentropfen strömt im Fluß zum Meere,
Und so ist, was flüssig erst, dann fest war,
Wieder flüssig nach Jahrtausenden,
Und die Woge rauscht im Ozean,
Der, wie einst der alte seine Drachen,
Itzt des Menschen buntbewimpelt Schiff trägt,
Bis auch er einst abläuft und die Menschheit
Ueberflutend einsargt in den Erdschoß,
Daß den Platz sie räume einer bessern,
Einer gottdurchgeisteteren Gattung.
Denn ob aller Meergewässer Brausen,
Ueber allem, was da ist und sein wird,
Ueber allem schwebt der Geist des Herren,
Laus et gloria in exelsis Deo!«
Also dacht's von Banth der Mönch Nicodemus,
Linde Mondnacht wehte um das Haupt mir,
Freundlich winkte der Planeten Funkeln,
Andern Tages zog mit allen Brüdern
Unser Abt hinaus und sprengte dreimal
Mit geweihtem Wasser das Gestein an,
Dann gebot er uns, mit Karst und Spaten
Eine tiefe Grube aufzuwerfen,
»Senket,« sprach er, »alles, Haupt wie Knochen,
In die Tiefe. Was uns Gott verborgen,
Soll der Neugier Hand zu Tag nicht rühren,
In der Schrift steht: Laßt die Toten ruhn!
Eine Waldkapelle will ich bauen
Hier zu Ehren unserm ritterlichen
Heiligen Georg, dem Lindwurmtöter:
Was ihr fandet, soll das Fundament sein,
Aber schweigt und wahret's als Geheimnis!
Groß ist Gott in seiner Wunderschöpfung,
Aber groß ist auch des Teufels Blendwerk,
Und man weiß nicht, wessen diese Reste.
Gott allein löst aller Dinge Rätsel,
Eitel unnütz Reden stammt vom Teufel.«
Wie der Abt es fügte, so geschah es.
»Amen!« spricht der Mönch von Banth Nicodemus,
Gloria in exelsis Deo, Amen!«
dui vliege ist, wirt der sumer heiz,
der küenste vogel, den ich weiz,
dem lewen wolt ich vride gebn,
liezen mich die vliegen lebn.
Fridank c. 43.
Solches spricht von Banth der Mönch Nicodemus:
Wollt ihr wissen, warum nach langer Schwermut,
Langer Menschenscheu, erfindungsreicher
Peinigung des Leibes und der Seele
Sich mein Sinn zum Besseren gewendet
Und sich wieder innig, kindlich freuet
An der Menschen buntem Durcheinander,
An der Pracht des Himmels und der Erde,
Sonnenschein und Waldesgrün und Liedklang,
So vernehmt: den Mücken nur verdank' ich's,
Mücken schufen mir die Sinneswende,
Sind kein unnütz summendes Gesinde,
Hohe Hand lenkt auch den Mückenflug.
Lange hielt ein Uebel mich umstricket,
Der Lateiner nennt's Melancholeia.
Träg rinnt das Geblüt da in den Adern,
Und das Haupt umlagern Wahngedanken
Schwer und dunstig wie ein Höhenrauch.
Von dem Abt, vom Prior, vom Konvente,
Der mir nie ein Härlein nur gekrümmet,
Wähnt' ich mich gekränkt und schwer mißhandelt.
Wenn der Brüder zweie oder dreie
In des Blumengärtleins blühender Wildnis
Sich in traulichem Gespräch ergingen:
»Was wird über mich gelästert?« rief ich.
Hallten Tritte im gewölbten Gang auf,
Schrie ich: »Ha, sie nahen, mich zu greifen,
In die Geißelkammer wegzuschleppen,
Rettet mich vor finsterer Verließnacht!«
Im Konvent, im Refektorium selber
Beim gemeinsam fröhlichen Mittagsmahl
Klang mir in den Ohren: »Feinde ringsum!«
Und ich reichte meinen Wein dem Nachbar,
Daß er erst ihn koste, ob kein Gift drin.
Endlich schloß ich ganz mich in die Zelle.
»Laßt den kranken Mann mit den Phantasmen
Einsam kämpfen,« sprach der Abt; die Brüder
Schoben täglich durch der Pforte Gitter
Mir den Wasserkrug, die karge Kost zu.
Endlich mahnte kein verhaßtes Antlitz
Der Gemeinschaft mit der Menschheit draußen,
Und in tiefem Meditieren saß ich
Grübelnd ob des Bösen in der Schöpfung,
Ob der Sünde unmeidbarem Pesthauch
Tag für Tag und starrte auf den Schädel,
Auf den ausgewitterten Totenschädel,
Der des Holztischs einz'ge Zierde war.
Denn warum, wie Sonnenlicht und Schatten,
Gut und Böse in der Welt gepaart ist,
Und warum trotz innern sichern Wissens,
Das uns sagt, was Recht ist und was Unrecht,
Jedem doch die Sünde angeboren:
Dieses ist ein ernstes Weltgeheimnis.
»Heil dir!« sprach ich oftmals vor dem Schädel,
heil dir, ferne, unbekannte Seele,
Deren lang verlassenes Gehäuse
Mich gemahnt, daß du ihn ausgerungen
Den Verzweiflungskampf des Fleischs und Geistes,
Den wir Erdenleben nennen und aus welchem
Wir als Sieger erst im Tod hervorgehn.
Wollte Gott, ich stünd' am gleichen Ziel schon!«
Kirchhofruhig war's in meiner Zelle,
Nach dem Waldgebirge ging das Fenster,
Und oft wochenlang erschien dem Auge
Kein befreundet andres. Da begann ich
Schöpfrisch in erfindungsreicher Selbstqual
Neuen Grames Gegenstand zu suchen,
Und die einzigen erschaffnen Wesen,
Die mit mir der Zelle Raum belebten,
Waren Mücken. – Also, gott- und weltfern
Und empfindlich gleich schallosem Eie
Wandten alle Unglücksphantaseien
Auf das Mückenvolk sich und ich klagte:
»Wehe, weh der schweren Herzensschwere,
Die ich durch die Mücken muß erdulden,
Ich, von Banth der Martermönch Nicodemus.
Morgens schon, schlüpf' ich in meine Kutte,
Nisten sie in Saum und Aermelfalte,
Und erzürnt, daß ich ihn aufgestöret,
Streicht und fleucht der ganze Schwarm ums Haupt mir.
Just zur Stunde süßen Mittagsschlummers
Heben sie das teuflische Gesumm an
Und turnieren wie die Sarazenen
Wider mich, den harnischlosen Mann!
Rennen auf den Händen auf und nieder,
hüpfen ans den Mund, als ström' er Honig,
Tanzen aus des Auges Lid und summsen
höhnend in die Ohren ihr »Wachauf!« mir,
Tragen selbst nicht Scheu in ihrer Frechheit,
Sich aus meiner Nase zu begatten,
Und vergeblich zieh' ich die Kapuze
Tief mir in die Stirn und rufe flehend
Aller Heiligen Schutz an. Keiner hilft mir.
Und vergeblich von dem Fuße reiß' ich
Mir die glatte hölzerne Sandale,
Raffe mich vom Schragen und beginne
Einzeln an der Wand sie zu erschlagen,
Klipp und klapp! daß sie zerquetscht dran haften:
Während oben ich die einen wehre,
Sitzen andre auf dem nackten Fuß schon
Und beginnen dort des Beißens Kampfspiel.
Nächten hebt sich erst das rechte Elend.
Such' ich müd den Schlummer, dann beschwirrt mich
Nach gelöschtem Licht der Feind von neuem,
Frech und sicher durch die Dunkelheit.
Auch die Stechflieg kommt, die große, die sich
Seither an der Mauerwölbung stillhielt.
Gleich dem Geier, der in hohem Bogen
Um sein Opfer kreist, eh' er herabschießt,
Also summt sie langsam an der Decke
hin und her mit scheußlichem Bremsenzischlaut,
Und ich darf mich sicher drauf verlassen,
Ob ich zehn, – ob hundertmal sie scheuche,
Welchen Fleck des Angesichts zuerst dann
Ihr verfluchter Fuß betrat, auf diesen
Schwirrt sie zehn- und hundertfach auch wieder.
»Wehe, weh, was sind die sieben Plagen,
Damit Moses der Aegypter Land schlug,
Gegen dieses spitzige Mückensimmsumm?«
Also klagt' ich täglich stark und stärker,
Doch der Sommer wuchs und mit dem Sommer
Sein Gefolge: Sonnenstich und Mücken.
Da geschah's in einer Nacht im Juli,
Daß mir wieder solch ein Mückenscheusal
Flügelwetzend auf das linke Ohr saß,
Und verzweifelnd fuhr ich aus dem Schlummer
Und begann den großen Exorzismus:
Exorcizo te per nomen illud
quo franguntur inferorum portae
quo fugatur quivis kakodaimon
ut recedas, creatura muscae
omittasque susurrationem!
Aber nach wie vor mit frechem Summen
(Und ich glaub' noch oft, es war ein Dämon)
Schwirrte das unselige Tier ums Haupt mir,
Bis ich endlich kalt und starr und langsam,
Krank und wund in tiefster Seelentiefe,
Sprach: »Genug jetzt. Exest. Nicodemi
Glaub' und Lieb' und Hoffnung sind zu Ende;
Nicodemus trug, was menschenmöglich
Zu ertragen, doch er trägt's nicht länger.
Summe weiter, Teufelsbrut, summ weiter!
Seinen Ohren soll die Qual erspart sein
Und er geht, sich in den Main zu stürzen.«
Grimmig rannt ich durch den Gang, enteilte
Durch ein Schlupftor und gewann das Freie.
Mein gequältes Leben sollte enden.
Kaum die vierte Stunde war's des Morgens,
Würzige Waldluft blies ums schwüle Haupt mir,
Wie ich sie seit Monden nicht geatmet,
Und statt Mückensummen klang dem Ohre
Morgenfrisch ein ferner Lerchenwirbel.
Blindlings war ich hingerannt am Berghang,
Jetzo hielt ich an des Weges Biegung,
Wo ein steinern Feldkreuz aus dem Korn ragt,
Hob den Blick als wie ein Grabentstiegner
Fremd und scheu: Wo steh' ich und was will ich?
Sieh, da lag in heiliger Morgenstille,
Von der Berge Waldkranz grün besäumet,
Breit sich dehnend das gesegnete Maintal;
Ueber dunklem Rücken stund im Osten
Licht Gewölk, schon färbte leise Röte
Als der Sonne vorauseilende Botin
Ihm den Rand .. und lange goldne Streifen
Schnitten wagrecht da und dort durchs Düster,
Während sanft verglänzend auf des Klosters
Türme silbern noch der Mond herabsah.
Langsam wich und sank der Nebel Dämm'rung,
Schon erblinkte jenseit über Weißmain
Hell die Felswand auf dem Kortigas,
Und der Sonne flammengoldne Scheibe
Stieg empor in hehrer Majestät ...
Stieg empor und hauchte Lichtglanz
In die Talflur, auf der Berge Spitzen,
Ringsumher auf Triften, Höhen, Saatfeld,
Turm und Haus und in der Menschen Herzen.
Nah im Kornfeld, wo mit braunen Halmen
Reif der Weizen auf und nieder wogte.
Schritt ein Mann und sang auf früher Wandrung:
»Brechet den Schlummer und säumet euch nicht,
Die ihr begnadigt, zu wandeln im Licht;
Sorge und Not, die das Herz euch beschwert,
Wird von dem Strahle des Frühlichts verzehrt!«
Stolzen Schalls lies itzt die große Glocke
Von dem Klosterturm zur Morgenmette,
's war der Tag des heiligen Kaisers Heinrich,
Der in Bambergs Bistumsprengel dankbar
Als Patron und Kirchenherr verehrt wird ..
Und als wehend Echo trug die Frühluft
Uebers Tal jenseitige Glockentlänge
Von dem Turm der Vierzehnheil'genwallfahrt
Und vom fernen Adelgundiskirchlein
Auf dem Staffelberge, das der junge
Eremit in felsiger Klause hütet.
Jene Stunde bracht' auch mir Erleuchtung.
Tränen linderten die Herzensschwere,
Niederkniend ins betaute Riedgras
Schlug ich meine Brust in Sündersweise.
»War's ein Traum, der mich verstrickt hielt?« sprach ich,
»Diese Gottessonne könnt' ich hassen,
Schwarz sehn diese lichte Gotteswelt?
Aus dem Haupt entflieht's wie Morgennebel,
Von den Augen fällt's wie böse Schuppen,
Hell und sehend bin ich wie Tobias.
Sei gegrüßt mir, Tal, im Morgenlichte,
Grüner Berg und Silbersaum des Maines,
Altes, gutes, liebes Frankenland!«
Und zurück zur Klosterkirche schritt ich.
Jenen Abend führten mich die Brüder,
Den verlornen Sohn, zum Arboretum,
Daß ich dort beim Vespertrunk erzähle
Krankheit, Krisis, Heilung ... und der Abbas
Wittegowo reichte mir den Steinkrug
Und sprach lächelnd: »Trink ihn, Nicodeme,
Trink ihn aus; und will dich's wiedrum plagen,
Daß die Welt dir mißgeschaffen scheinet,
Nicodeme, dann gedenk der Mücken!
Fröhlich Herz bezwingt den größten Drachen,
Traurig Herz erliegt im Mückenkampfe ...
Nicodeme, ... trink den Steinkrug aus!«