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Seitdem von bergischen Enthusiasten das alte Grafenschloss zu Burg an der Wupper wieder aufgebaut ist nach Plänen, die nicht immer glücklich waren, nachdem die Wände seiner Säle mit Historien bemalt und seine Räume – soweit sie nicht der ausgedehnten Wirtschaft dienen – mit bergischen Reliquien gefüllt sind, und also so etwas wie ein bergischer Wallfahrtsort geschaffen wurde – denn wanderlustig ist dies Volk der Berge wie nur eins – der auch den deutschen Kaiser in seinen Mauern sah: seitdem ist das bergische Land für die »Touristen« sehr in Ruf gekommen. Und in der Tat, wer einmal die Fernsicht von Remscheid bei klarem Wetter sah, der hochgebauten Stadt der Berge, die wie Jerusalem auf sieben Hügeln liegt, oder wer an einem Nachmittag durch das tief eingeschnittene Wuppertal von Burg nach Müngsten ging, der weiss, dass es viel Grösseres und Schöneres zu schauen gibt als dies, dass aber selten sich soviel Mannigfaltigkeit vereint: eine Spielschachtel vielleicht, doch eine reizende und durch die menschliche Ansiedelung anmutiger gemacht. Und auch nicht völlig ohne Grösse.
Die fängt schon an beim Küllenhahn. Man kommt von Elberfeld hinauf durch Büsche, die mit der Königshöhe und dem Burgholz einen stundenlangen und dichten Wald darstellen, mit Schluchten, Wasserfällen, Teichen, herrlichen Baumpartien, mit überraschenden Durchblicken hier und da ins tiefe Wuppertal, das einsam seine tiefe Rinne sucht; steht plötzlich dann auf freiem Feld und sieht das bergische Land in einem Meer von waldigen Tälern und mit Städten besetzten Hügelrücken vor sich liegen: Vorn lang gestreckt auf einem wagerechten Kamm das Städtchen Kronenberg, darüber links in hellem Licht und alles überragend Remscheid, rechts niedriger und mehr dem Rhein zu Solingen, fernhin die weite Ebene des Rheins, ihn selber silbern leuchtend bei Benrath und Monheim. Es ist ein Bild von silberheller Klarheit, die Luft geht frei hier oben und Nebel steigen selten herauf. Mitten im Feld ragt ein Flaggenmast in einem steinernen Sockel, darin die Verse des Dichters stehen, den man im bergischen Land am wenigsten zu treffen hofft: Heinrich Heine. Es ist die Strophe aus der Harzreise:
»Auf die Berge will ich steigen,
wo die dunklen Tannen ragen,
Buchen rauschen, Vögel singen,
und die stolzen Wolken jagen.«
Das erste Heinedenkmal in Deutschland, ein schöneres zugleich als eine Büste oder ein Standbild dieses ruhelosen, sehnsüchtig klagenden Spötters. Sein Stifter ist eine bergische Bürgerin, Selma von der Heydt.
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Trotzdem hier oben in jedem Hause fast ein Stückchen bergischer Industrie getrieben wird – Feilen, Sensen, Türschlösser, Schlittschuhe, Sägen und Schreinerwerkzeug jeder Art: dies alles wird im bergischen Land gehämmert – ist nirgendwo der Anblick hässlich durch soviel Industrie. Überall die sauberen Häuser, überall Obstbäume in den viel gepflegten Gärten, Tannen an den Hängen, auch manchmal nach oberbergischer Art hochstengelig in Gruppen um ein Haus gestellt, dazwischen Wiesen und Felder in reichem Wachstum, weil überall die Quellen springen: ein Land voller Fruchtbarkeit, im hellen Sonnenschein und der starken Luft der Berge. Hier braucht der Wanderer nicht zu suchen nach schönen Wegen, ein jeder ist ein aussichtsreicher Gang, auch wenn er sich in eine Talfalte senkt wie der nach Nöllenhammer.
Das Auge noch erfüllt vom klaren Silberblau der Fernen, steigt man vom Küllenhahn durch Wiesen zwischen dunklem Wald hinunter; von beiden Seiten strömen Quellen dem Wasser zu, das mit uns rauschend talabwärts spränge, wenn es nicht streng im Schritt gehalten würde, um die Räder von einem Kotten zu drehen. Das ist nun das, was den bergischen Tälern ihren malerischen Zauber gibt: wo irgendwo die Wasserkräfte reichen, da liegen an einem Stauweiher seine Kotten und Hämmer, kleine Werkstätten mit einem Häuschen meist dabei und einem wohlgehegten Garten, oft auch von Wiesenland umgeben, verträumt und dennoch geschäftig in der waldigen Einsamkeit; eine Folge malerischer Bilder in einem einzigen Tal, die stets von neuem den Wanderer überrascht; Romantik, die sich in diese Waldtäler gerettet hat und gegen den Industriegeist durch billigste Natur-Triebkraft gewappnet ist. Die Leute, die mit ledernen Schurzfellen in diesen Hämmern und Schleifkotten sitzen, sind freie und moderne Kerle und wissen, wen sie zu wählen haben, doch sind sie keine Proletarier, weil ihre Wohnung eine Heimat ist.
Von Nöllenhammer führt der Weg stets fallend zum tiefen Wuppertal hinab; wir folgen vorher einem steilen Pfad durch Wald hinauf nach Kronenberg. Da sind wir in der ersten bergischen Kleinstadt drin, lang hingestreckt auf hohem Rücken, eine Strasse nur, gibt sie ein Bild von bürgerlichem Wohlstand, eine andere Welt als jene der rheinischen Nester. Von hier aus kann man in einer Stunde nach Müngsten wandern, stets auf den Höhen, die linker Hand das tiefe Wuppertal nach Süden führend begleiten. Immer liegt ragend und weitgebreitet Remscheid da, auf einem vielgehügelten und schluchtenreichen Berg, der sich trotzdem aus tiefen Tälern als ein breitgegründeter Kegel massig in die Höhe baut. Und alle Schluchten und alle Hänge stundenweit sind dicht besetzt mit Häusern, Gärten, Kotten, Hämmern, im Tal zerstreut, nach oben dichter, bis endlich sich die Spitze des Berges über Kirchtürmen und blauen Häusermassen mit einem dicken Wasserturm, gleich einem Riesenbergfried, krönt. Es ist ein Anblick ohnegleichen an Helligkeit der Landschaft bei so gedrängter menschlicher Bewohnung: hier ist ein Industriebezirk der schärfsten Art, hier wohnen fast hunderttausend Menschen dicht aufeinander, und alles leuchtet Selbstbewusstsein, Wohlhabenheit und bürgerlichen Stolz. Und wer einmal in einem dieser bürgerlichen Fabrikantenhäuser zu Gast war, die in breiten Gärten daliegen, wo der alte Hausherr trotz seiner Million noch mit der seidenen Kappe geht, die auch sein Feilenhauer trägt; wer mit einem dieser graubärtigen Männer in den Kotten – der harte Mund ist kahl rasiert, so steht der Bart nur wie ein Rahmen ums Gesicht herum – über Jakob Böhme oder Marx gesprochen hat; wem diese harte, klingende Sprache, dieser praktische, doch stets ein wenig auf das Eigengrüblerische gerichtete Sinn vertrauter geworden ist: der fühlt dann wohl, dass er auf dem freiesten Boden von Deutschland steht, ein Stückchen Schweiz, mehr noch deutsches Amerika, in unserm nicht immer hellen Vaterland.
Man sieht in langen Kehren eine Strasse sich von Remscheid ins Tal hinsenken; und auch der eigene Weg führt steil und steinig ins Wuppertal nach Müngsten: jedem Bergischen ein Wort von stolzem Klang, die Grenze der Gebiete von Remscheid und Solingen und Treffpunkt ihrer Menschen. Drei Häuser nur trotzdem und eine Wupperbrücke; doch diese Häuser sind umgeben von alten prachtvollen Bäumen und in dem einen ist die behaglichste Wirtschaft der Welt, d. h. wenn man ein Bergischer und stolz auf seinen Kaffee ist. Der Fremde kennt den Namen Müngsten meist von der Riesenbrücke, die hier die beiden Berge von Solingen und Remscheid verbindet. Sie ist von der Wirtschaft aus noch nicht zu sehen; man muss noch etwa 10 Minuten im Tal der Wupper abwärts gehen; dann freilich muss auch der kühnste ein wenig furchtsam schauen: in einem einzigen Bogen von 170 Meter Länge und 107 Meter Höhe ist hier das enge Waldtal überspannt. Man kann dicht an den Fuss des einen Pfeilers gehen und so an dem Eisenwerk hinauf blickend von einer Grösse überwältigt werden, die uns kein Pfeilerwerk im Dom zu Köln so ungeheuer kühn, so stark und leicht zugleich vermittelt. Hoch oben in der blauen Luft da fahren lustig die Züge hin und her und sehen fast wie Spielzeug aus. Als man die Brücke baute, war es nicht möglich bei der Höhe, den Bogen abzustützen; so hat man ihn von jeder Seite, mit ungeheuren Kräften gehalten, frei in die Luft gebaut, bis schliesslich die Hälften, durch eine kleine Senkung und eine aberwitzige Präzision, sich aneinander fügten. Da hören wir viel jammern ob unserer greisen Zeit: hier ist sie jung wie keine, und diese Ingenieure sind Baukünstler, wie niemals welche lebten.
Von Müngsten nach der Burg führt nur ein Fussweg vielfach durch Wald und kleines Holz gewunden, zuletzt mit einer Fähre über das schwarze im Sommer nicht wohlriechende Wasser hin; für eine Fahrstrasse ist die Schlucht zu eng. Das Städtchen Burg liegt zweigeteilt, teils zwischen steilen Waldbergen, auch hängenden Felsen, tief eingeklemmt in einer schmalen Strasse, teils auf dem Burgberg, hoch hinterm Schloss: ein bergisches Schiefernest mit einer fast ausgestorbenen, doch ehemals hochberühmten Wollweberzunft für die bekannten roten Wolldecken. Vom Alten hat sich nur die Bretzelbäckerei erhalten, die allerdings fast schon als Industrie: an bunten Bändern um den Hals gebunden trägt jeder Sonntagswanderer – viel Tausende sind es manchmal – seine Riesenbretzel von hier nach Haus.
Der Burgberg ist ein steiler Rasenhang, daran man eine Viertelstunde mühsam zu klettern hat. Vor zwanzig Jahren war die Burg, seit dem 12. Jahrhundert die Residenz der bergischen Grafen, noch ein Trümmerhaufen; aus dem – wie immer nach alten Zeichnungen von einem neuen Architekten – ein breitgelagertes Gebäude geworden ist: ein bisschen Theater zwar, wenn man darinnen ist, jedoch von weitem im Kranz der alten dicht gedrängten Häuser ein malerisches Bild und jedenfalls als Wanderziel und Brennpunkt seiner historischen Erinnerungen der Stolz des bergischen Landes. Die Aussicht geht nicht in die Weite, doch fällt sie eigen in die vielen felsigen Schluchten und Wälder ringsherum, auch auf die Schieferdächer der Unterburg und auf den schwarzen Fluss, der sich in scharfem Bogen hier dem Rhein zuwendet; die Sonne glänzt schwarzfunkelnd wie auf Jet in ihrem Wasser und unbekümmert treibt eine Schar von übermütigen Burschen einen Kahn auf seiner Tinte hin und her.
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So gelten einem Bergischen Müngsten, die Burg, Talsperre und der Dom von Altenberg als die vier Perlen seines Landes. Sie liegen hier in den Bergen drin nicht allzuweit entfernt von einander, die Talsperre nur ein Stündchen von Burg und Müngsten. Sie ist ein Staubecken des Remscheider Wasserwerks, das seitdem im bergischen Land viel nachgeahmt wurde, um aus den wasserreichen Tälern für die Höhen gutes Wasser zu erhalten. Ihre Dimensionen konnten freilich den andern nicht als Vorbild dienen: die Sperrmauer ist 160 Meter lang, unten 14 und an der Krone noch 4 Meter dick; sie vermag Million cbm Wasser aufzustauen. Es ist der Eschbach, der sein Wasser dazu liefern muss; so ist es eine vielbeliebte Tour im Bergischen, den Weg von Burg das malerische Tal hinauf zu machen, um oben die Talsperre zu bestaunen. Da ist zwar ausser den Dimensionen der Mauer nicht viel zu sehen, als ein ungeschicktes Wasserbecken mit einem modernen Restaurant. Der Bergische aber, der zu Hause so schlicht ist, liebt wohl auf Reisen das Aufgedonnerte zu bestaunen, davon sich was erzählen lässt; wie er auch noch bis heute mit seinem weit erkenntlichen Dialekt das Denkmal auf dem Niederwald am geduldigsten von allen Rheinreisenden betrachtet.
Dagegen ist Altenberg ein wahrhaftiges Märchen; als landschaftliche Erscheinung und historische Erinnerung, wie durch den Kunstwert seiner Bauten unbedingt die Krone dieses reichen Landes. Weitab der Bahn und grossen Wegen liegt es im tiefen Tal der Dhün, einem kleinen Fluss, der einsam durch den Wald der schwarzen Wupper noch kurz vor ihrer Mündung in den Rhein sein klares Bergwasser bringt. Von welcher Seite man auch kommt, immer muss man ein paar Stunden über die Berge wandern nach Altenberg, zum Teil so wie beim Dorfe Kump mit berühmten Ausblicken in das Rheintal, bis man ins waldige Dhüntal niedersteigend die Dächer vom Kloster und der Kirche tief unter sich in grünen Wiesen liegen sieht. Die Kirche ganz ohne Turm ist ein gotischer Dom von so gewaltiger Grösse und solchem Ebenmass, dass seinesgleichen ausser dem Kölner Dom im ganzen Rheinland nicht, zu finden ist, sodass man wohl erstaunt, ihn hier in seiner grünen Einsamkeit zu finden.
Er ist das Mausoleum der bergischen Grafen und durch seine Kunst ein Ehrendenkmal für dies Geschlecht, das hier seine Stammburg hatte. Die wurde nach dem Bau des neuen Schlosses Burg an der Wupper im Jahre 1133 in eine Zisterzienserabtei verwandelt, aus der dann dieser Dom entstand, dessen Schicksale merkwürdig dem von Köln verbunden sind: Sieben Jahre nach dessen Grundsteinlegung, also im Jahre 1255, wurde der Bau begonnen, nach Plänen, die denen des Kölner Doms sehr nahe stehen, wie auch sein erster Baumeister Walter aus der Kölner Hütte stammte. Aber während dort ein übergewaltiger Plan nur zu Fragmenten kam, wurde der bergische Dom zum grössten Teil in wenigen Jahrzehnten vollendet, auch der spätere Bau der Westfassade trotz mancher Unterbrechung immer noch im Lauf eines Jahrhunderts, sodass er als vollendetes Denkmal edler Frühgotik der Nachwelt überliefert wurde. Die hat ihm freilich übel mitgespielt und zwar in unserer guten alten Zeit des neunzehnten Jahrhunderts ziemlich am schlimmsten. Im November 1815 brannte das Dach mit dem Glockenturm ab, und seitdem liessen unsere biedermeierischen Ahnen viele Jahre lang den Himmel in dies edle Bauwerk regnen und schneien, und waren nur recht eifrig, ihn auszuplündern. Und wenn er nicht das Glück gehabt hätte, von dem romantischen Preussenkönig Friedrich Wilhelm IV. als eine Gruft entfernter Ahnen entdeckt zu werden, hätte ihn vielleicht das Schicksal von Heisterbach auch nicht verschont.
So aber ist er, ein bisschen kahl und ausgeplündert zwar, doch darum edler noch in seiner Einfachheit, in seinem Waldtal stehen geblieben zu unserer ehrfürchtigen Bewunderung, das Heiligtum des bergischen Landes. Man kommt von Westen an ihn heran und ist zunächst erstaunt, wie die Fassade kaum mehr als nur der schlichte Rahmen zu einem übergrossen, auch überreichen Fenster scheint; doch bald empfindet man die edle Haltung und das Fenster fast als fremd darin. Das verkehrt sich rasch ins Gegenteil, wenn man durch seine schlichte Pforte hinein geht: da wirkt die Grösse des Fensters nicht nur als notwendige Lichtquelle für die lange Halle, sondern zugleich wohlberechnet farbig und als linear ins Überzarte entwickeltes Mittelstück in diesen einfachen, doch edlen Pfeilerwänden, dass man die hohe Weisheit seiner Kunst erkennt und ein Gesetz, das die Frühgotik ebenso weise wie später zum Teil auch noch das Rokoko im Aussenbau aus höchstem Kunstgefühl verwandte: die Konzentration des Schmuckes auf wenige Stellen. Die Einfachheit dieser Halle fällt zwar durch ihre Leere und den einfarbigen Anstrich besonders auf; aber sie ist ein berechnetes Mittel seiner Wirkung: statt der Bündelpfeiler einfache Rundpfeiler, deren Kapitale nur zum Chor hin, nicht schon im Langhaus zierliches Laubwerk tragen; in ihrem Sockel, in den Gurten überall Verzicht auf Schmuckwerk, der in einer wohlberechneten Verkleinerung der rhythmischen Maße gegen das Gewölbe hin eine weise Ergänzung findet. Die einfachen Fundamente klingen in streng erwogener Gliederung aus; und was die grauen ungeschminkten Wände verschweigen, das jauchzen die feinen Glasfenster ringsum, zwar auch nicht laut und bunt, zum Teil nur in Grisaillemalerei, doch so lebendig schillernd aus, dass man es sehr bedauern müsste, wenn eine übereifrige Restauration die Wände durch Malerei unruhig machte und so die edle Wirkung ihrer Einfachheit zerstörte, die bei einer Zisterzienserabtei schon durch die Gesetze dieses Ordens erstrebt werden musste.
So ist die Kirche von erhabener Herrlichkeit als Gruft für das bergische Herrschergeschlecht. Wenn man die wenigen noch unzerstörten Grabsteine und Maler betrachtet hat und an der schmucklosen Tür umkehrend noch einmal den ganzen Eindruck dieser schlichten, nicht leeren Erhabenheit aufnimmt, dann überlegt man wohl, wie wenig Mausoleen, das Pantheon der Franzosen nicht ausgenommen, so würdig sind wie dies.
Draussen schliesst man vor dem jubelnden Farbenklang des Frühlings für einen Augenblick die Augen, die ganz noch an die zarte Helligkeit gewöhnt sind; dann geht man wohl noch um den Dom herum, den Chor zu sehen und hier noch einmal dieselbe Schlichtheit in künstlerischer Beherrschung wieder zu finden. Hier fällt die Ähnlichkeit mit dem Kölner Bauwerk auf, zugleich mit der Erstaunung, wieviel edler und auch gegliederter sein einfacher Wuchs – der freilich durch das neue flache Dach nur zugedeckt, nicht aufgelöst ist – gegenüber seinem vielgegipfelten Genossen wirkt. Und dies ist vielleicht ein Kunstgesetz, das sich daraus entwickeln lässt: Wiederholungen, wie sie bei diesen Chorbauten das stärkste Wirkungsmittel sind, wirken selber als Ornament; sie versagen, wenn stets die selbe bis ins Kleinste aufgelöste Sache wiederkehrt; während der einfache Wuchs durch die Wiederholung belebt wird. Ganz abgesehen davon, dass dann die zufälligen Verschiedenheiten, die anders angesetzten, andersfarbigen Steine von selber dem Gleichmass widersprechen und so einen eigenen Rhythmus bilden.
Nun mag man nicht mehr staunen, dass dieses grosse Wunderwerk im stillen Waldtal liegt; man war in einem Heiligtum, und wohlig von seiner grünen Einsamkeit erfüllt, geht man der Dhün entlang, den schönen Weg hinab nach Odenthal, dem Rheintal zu und betet fast, dass hierhin niemals eine Bahn die Horden brächte, dass es so bliebe, was es immer war: der Wallfahrtsort des bergischen Volkes, sein höchster Schatz und seines Landes Heiligtum.