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Köln

Doch aller Nester niederrheinischstes ist Köln. Hier klingt die Landschaft ihren stärksten Klang; hier zeugen auch nach traurigstem Verfall die Überreste mächtiger als sonst von den Jahrhunderten, da hier das Herz von Deutschland war. Kein altes Bauwerk sonst am Niederrhein, das hier nicht aus der gleichen Zeit einen stolzeren Nachbarn hätte; kein blutiges Blatt einer Stadtgeschichte, das hier nicht noch ein schlimmeres fände; kein Verfall, der trauriger gewesen wäre, als der von Köln im achtzehnten Jahrhundert, wo in achttausend Häusern nur noch 40 Tausend Menschen wohnten, darunter 2500 von der Geistlichkeit; kein Aufschwung auch, der resoluter mit einer verkommenen Vergangenheit aufräumte wie der von Köln im neunzehnten Jahrhundert, das heute eine halbe Million Einwohner fast erreicht und also die dritte von den Städten in Preussen ist.

In ihrer Altstadt von den Römern zuerst auf einen flachen Hügel am Rhein gebaut, zieht sie sich heute eine halbe Stunde lang dem Rhein entlang in einem eng ausgefüllten Halbkreis. Wohl war die Rheinaussicht im Mittelalter glänzender, wie uns die alten Stiche zeigen, doch heute noch ist keine am ganzen Rhein ihr gleich. Am schönsten oberhalb von Deutz, wenn über der Schiffbrücke sich St. Martin gemeinsam mit dem Rathausturm rechts vor den Dom hinstellt, aus einem Gewirr von schmalen Häusern und steilen Dächern übergewaltig ragend. Der schwere fünfgegipfelte Turm von St. Martin gibt den Augenpunkt, der Dom in einem matten Duft tritt mehr zurück; die Rheinbrücke rechts scheint fast ein Teil von ihm in ihrem eng verschlungenen Geflecht; der Strom, darin sich alles spiegelt, ist reich belebt von Schleppern und Personenbooten, ihr Rauch mischt sich mit blauen Lüften: soweit das Auge fassen kann, nach rechts und links ein enggedrängtes, aufgeregtes Leben in einem Rahmen kolossaler Baukunst streng gebunden. Noch schöner abends, wenn die Lichtketten am Ufer wohl eine Meile weit hinunter ziehen, und um den Dom von unten ein Feuerwerk zu brennen scheint, daraus die Türme sich gespenstisch heben.

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Köln. Nach einer farbigen Zeichnung von A. Deusser

Man hat ihn freigelegt, sein Wunder zu enthüllen, und hat das Wunder fortgenommen; die Überschneidung fehlt dem Strebewerk der Pfeiler; was sich von unten steil hinauf gesehen zu einem Riesensteinwerk verwirrte und dennoch klar wurde durch den Wuchs der Pfeiler, verliert dies alles platt von vorn betrachtet. Und weil doch niemandem verborgen bleibt, dass dieser Dom zum grossen Teil ein Kind aus unserer Zeit ist, nach alten Plänen zwar, doch schwerlich mit dem alten Geist gebaut, wo jeder Baumeister sein Lebenswerk und sein persönliches Bekenntnis einbauen will – so wurde der Strassburger Münsterturm ein so phantastisches Gewächs – drum steht der Fremde oft enttäuscht vor seinen Massen, um sich an dem Einzelwerk der Knäufe und Portale zu entschädigen. Und geht hinein, wo sich der Riesenbau in eine Einheit dämmeriger Kühle auflöst und nur in den äussersten Seitenschiffen aus dunkler Nacht die runden Fenster mystisch leuchten, wie Himmelsaugen. Doch sieht man ihn, vom Rathaus kommend, durch eine enge Gasse sehr schön in Duft und Schlankheit; und abends, schräg von vorn, wenn an dem Steinwerk der Lichtschein der Laternen sich verklettert und auf einmal mit ihren Umrisslinien sich verbindend die beiden Türme ineinanderwachsen zu einem Turm von ungeheurer Masse.

Doch ist dies nicht die Stadt; die steckt in all den Gassen-Gässchen, die zum Rhein hinunterlaufend den Lebensnerv von Köln, die Hohestrasse, schneiden und deren Lärm in ihre Winkel locken. Wenn hier ein nebeliger Tag die Lichter und Geräusche deckt, wenn eilige Menschen an den kleinen Läden vorüber huschen und oben von der Hohestrasse die grell bestrahlten Häuser wie Zauberbilder in trüb erhellte Gassen leuchten, wenn auf der Hohestrasse selber sich Menschen, Pferd und Wagen drängen in einem fröhlichen Gewühl: dann ist wohl Köln lebendig. Sie ist nicht breit, die Hohestrasse; sie könnte dreimal breiter sein und wäre doch so gleichmässig erfüllt von einem vergnügungsfroh bewegten Menschenvolk. Nur wäre dann das Bild nicht so geschlossen, so Menschen, Läden, Schilder, Wagen ins eins gedrängt. Es stehn nicht viele Häuser dran, die noch erträglich sind, jedoch das Leben flutet lustiger als irgendwo in einer deutschen Strasse: das reiche Köln des Mittelalters, nur modern verkleidet, strömt auf und ab.

Und das ist noch die Stadt: wenn irgendwo ein düsteres Portal sich öffnet und Hallen und Schiffe seltsamer Art, mit rätselfarbigem und überreichem Schmuck beladen, in ihre schwere Stille locken: St. Gereon mit seiner sonderbaren Zwiegestalt, St. Martin mit dem lastenden Portal und St. Maria am Kapitol mit seiner spukhaften Stimmung. Diese schweren in düsteren Farben glühenden Gewölbe romanischer Bauart, das ist Köln, reicher als jede andere Stadt der Welt an solchen Kirchen.

Und das ist Köln: wenn im Museum die alten Kölner Meister ihre Farbenglut enthüllen – so anders als die Festigkeit der alten Oberdeutschen – und in dem letzten Saal die Himmelskönigin von Lochner sitzt mit ihren schmalen Mädchenschultern und dem frühreifen lieblichen Angesicht: da blüht die Frühzeit deutschen Geistes, das späte Mittelalter auf in seiner überzarten Mystik, da werden aus den Bildern die Menschen lebendig, die aus den dunkel glühenden Gewölben kamen und sich die überschlanken Hallen der Gotik erfinden mussten.

Das Rathaus aber scheint ein Fremdes. Wohl steht der alte Turm mit seinem Standbilderwerk vertraut an enger Gasse; doch das Portal im blauen Kalkstein, in eleganter Renaissance mit schlanken Bögen und Pfeilern dem Rathaus vorgebaut, scheint wie von einem Kriegszug heimgebracht. Die Lauben wirken spielerisch – so schön sie sind – in dieser Stadt der düsteren Portale und streng verschlossenen Fassaden; denn solch ein Kölner Haus steht schmal mit vielen Stockwerken und oben sitzt ein spitzes Dach recht wie ein Helm darauf, der viel zu klein ist, schmalbrüstig wie die Mädchen auf ihren alten Bildern mit einem spitzen Hütchen.

Man war nicht sehr für offene Lauben im alten Köln, man war als übertreue Tochter Roms fürs streng Verschlossene. Im Jahre 1788 erlaubte erst der milde Erzbischof Maximilian Franz den Protestanten, auf einem von ihm selbst gestellten Schiff, das vor den Mauern ankerte, ihren eigenen Gottesdienst zu halten. Sechs Jahre später rückten, von ihrer Bürgerschaft mit Jubel aufgenommen, die Jakobiner in die Stadt. Die räumten freilich noch mit vielem auf, am meisten mit den Klöstern und Kapellen, von denen ein ganzes Hundert der Kirche und uns verloren ging. Und weil im neunzehnten Jahrhundert die Architekten zumeist Barbaren waren, trotz aller Altertümelei oder ebendarum: so ist vom alten Köln nicht allzuviel mehr wahrzunehmen, sodass der Fremde – das alte hillige Köln besuchend – verdrossen meist nur neues und schlechtes Bauwerk sieht, das meiste um den freigelegten Dom.

Eins freilich konnten selbst Jakobiner und Architekten der Stadt nicht nehmen; das ist ihr Anblick in der Landschaft, vor allem aus der Ferne. Ob von den sieben Bergen her, vom Bonner Vorgebirge oder aus dem bergischen Land gesehn bei klarem Wetter die vielgetürmte Stadt der weiten Ebene enttaucht: stets fühlt der Blick, hier ist die alte Königin von dieser reichen Welt. Und namentlich auf den Hügeln bei Schlebusch, Gladbach gibt es Ausblicke von zauberhafter Schönheit: wo die Dächer und Türme wie eine Märchenstadt aus zartem blauen Glas gebildet und von der Sonne voll durchleuchtet dem hellen Wiederschein des Rheins entsteigen. Da vermag man sich zurück zu träumen in die Zeiten, wo es den Bund der Hansa in seinen Mauern gründen sah, wo die Flagge Kölns auf allen Meeren wehte, wo sich sein trotziges Bürgertum in wilden Schlachten seiner Erzbischöfe wehrte, wo trotz den Kämpfen der Geschlechter mit den Zünften ein Stadtwesen ohne Gleichen sich entwickelte, sodass Aeneas Silvius, der Italiener, Deutschlands Feind und spätere Papst, erdrückt von ihrer Schönheit schreiben musste: »Nichts kann prächtiger, nichts schmuckreicher in ganz Europa erfunden werden als diese Stadt.«

»Köllen ein Kroin
boven allen Steden schein.«


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