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Letzte Filmreisen

Daß 1936 mein Unglücksjahr werden sollte, ahnte ich nicht, zumal es so glückverheißend anfing. Ganz große Filmerfolge leiteten es ein. Der Film »Alles hört auf mein Kommando«, zum Beispiel, wurde bei seiner Erstaufführung in Leipzig und Dresden über hundertmal gegeben. Zur hundertsten Aufführung wurde ich nach Leipzig eingeladen, um mich dem dortigen Publikum persönlich vorzustellen. Wenn ich hier niederschreibe, daß mich Tausende und aber Tausende auf dem Bahnhof erwarteten, und daß man mich bald aus dem Zug hinausgetragen hätte, so ist das keine Übertreibung, und die Photographien, die in meinem Schreibtisch liegen, geben einen kleinen Begriff von dem, was sich tatsächlich ereignet hat. Es klingt wie Selbstüberhebung, aber dem ist nicht so. Im Gegenteil, es fehlen mir die Worte, um zu beschreiben, wie es in Wirklichkeit war. Kopf an Kopf standen die Menschen, und für den Weg vom Bahnhof zum Hotel, der höchstens zwei Minuten dauert, brauchte ich ganze zwei Stunden. Man wollte mein Auto einfach nicht durchlassen. Die Menschen waren vor lauter Freude, mich zu sehen, förmlich außer Rand und Band.

In meinen jungen Jahren, als ich das Publikum noch von der Bühne aus begeisterte, spannte man mir die Pferde aus, in meinem Alter warf man sich vor mein Auto und kletterte hinein, um mir die Hand zu drücken. Die Jugend aber drängte sich so lange vor meinem Hotel und rief meinen Namen, bis ich endlich auf dem Balkon erschien und den Begeisterten einige Worte zurief. Ich dankte ihnen tausendmal für den lieben Empfang, aber nun müsse ich mich sofort umkleiden, es sei die höchste Zeit. Um fünf Uhr würde ich schon zum Kino abgeholt.

Während ich das Publikum begrüßte, hatte Wilhelmine rasch das Nötigste ausgepackt und half mir beim Auskleiden, so daß wir beide bereits fix und fertig waren, als man mir meldete, das Auto sei da, um uns abzuholen. Schnell wie der Blitz, das ist der Witz – ja, so hielten wir es immer.

Im Kino gab es die gleichen Ovationen wie auf dem Bahnhof, und diese wiederholten sich bei jeder Vorstellung, so daß ich abends vor Müdigkeit nur so in mein Bett taumelte, um mich für den nächsten Tag zu kräftigen. Auch Wilhelmine war ganz erschüttert von dem, was sich ereignet hatte. Wer es nicht miterlebt hat, kann es nicht erfassen, und so war es nicht nur in Leipzig, sondern auch in Dresden und Chemnitz. Überall brachte mir das Publikum die gleiche Liebe, die gleiche Begeisterung entgegen, und daß es gerade die einfachsten Leute waren, freute mich besonders. Ich sprach mit vielen vor dem Kino, drückte ihnen die Hand, streichelte ihre Kinder, die sie auf dem Arm trugen, und verstand mich glänzend mit ihnen. Es ist nun einmal so: Die Sprache des Herzens wird überall verstanden.

Auch in Dresden wurde ich, wie schon gesagt, mit Ovationen und Liebe überhäuft. In dem Hotel, in dem ich abgestiegen war, hatte der Koch eine Überraschung für mich vorbereitet. Ich bekam eine Torte, auf der die Worte »Alles hört auf mein Kommando. Unserer Adele« standen. Natürlich ging ich zu den Leuten in die Küche hinunter, die sich nicht wenig freuten, mich plötzlich in ihrer Mitte zu sehen. So dankte ich allen, die mich wirklich liebten, denn bloßes Schöntun war mir stets ein Greuel. Ich merkte es auch sofort, ob die Sympathie, die man mir zeigte, echt oder geheuchelt war. Ich hatte dieses Gefühl von meiner Mutter geerbt, die jeden Menschen durchschaute. Leipzig, Dresden und Chemnitz blieben Marksteine in meiner Filmtätigkeit; die Reisen dorthin waren die letzten, von denen ich restlos beglückt zurückkehrte. Leider hatten wir uns beide erkältet und husteten sehr stark, aber es ging Gott sei Dank bald vorüber, denn ich mußte schon am 3. Februar wieder nach Wien, um mit den Aufnahmen zu dem Film »Puppenfee« zu beginnen. Die Regie führte E. W. Emo.

Am 20. Februar war ich mit den Aufnahmen fertig, und am 21. traf ich wieder in Berlin ein. Ab 16. März folgten die Aufnahmen für den Film »Die Fledermaus«. Es war eine aufregende Woche, und ich war froh, als ich sie endlich hinter mir hatte. Einen Tag später, am 24. März, begann ich schon einen Film mit Anny Ondra: »Flitterwochen«. Der Regisseur war diesmal Carl Lamac, mit dem ich viel und stets sehr harmonisch zusammengearbeitet habe. Auf diese Arbeit freute ich mich sehr, aber es war wohl doch etwas zuviel für mich gewesen. Ich hatte mich erkältet, hustete wieder, und eines Tages wurde es mir während der Aufnahme so schlecht, daß ich meinen Arzt, Dr. Paul Glaßmann, bitten ließ, doch sofort zu mir ins Atelier zu kommen. Er kam auch gleich und ordnete Bettruhe an. Vielleicht hatte ich etwas Schlechtes gegessen, vielleicht war ich auch nur überanstrengt, auf jeden Fall mußte ich absagen und verlor dadurch viel Geld.

Aber das war noch nicht alles, was das Schicksal in seinem Schoß für mich verborgen hielt.

Zum Glück ging die Unpäßlichkeit dank der guten Behandlung meines Arztes bald vorüber, so daß ich einer Einladung nach Chemnitz zu einem Filmgastspiel Folge leisten konnte. Es sollte drei Tage lang dauern und war für den 17., 18. und 19. April angesetzt. Wenn mir damals jemand gesagt hätte: »Adele, das ist Ihr letztes Gastspiel«, ich hätte den Betreffenden ausgelacht. Und doch war es so! Am 17. April fuhr ich mit Wilhelmine nach Chemnitz und wurde am Bahnhof von Direktor Seifert und Gattin abgeholt, sehr netten, lieben Menschen. Ihm sah man auf den ersten Blick den ehemaligen Seeoffizier an.

Es war ein ebenso stürmischer und herzlicher Empfang wie in Leipzig. Auch hier standen Tausende und aber Tausende vor dem Bahnhof, auch hier mußte mir die Polizei einen Weg bahnen, weil man mich sonst erdrückt hätte, und Unzählige begleiteten mich noch in mein Hotel, um ein Autogramm zu erhaschen. Ein paar hundert hatte ich ja schon in Berlin vorbereitet, aber das reichte bei weitem nicht. Alle Vorstellungen waren bis auf den letzten Platz ausverkauft, die Kassen brauchten gar nicht aufgemacht zu werden, denn es gab schon längst keine Plätze mehr. Es fand auch ein Presseempfang mit Tee statt, der sehr lustig verlief. Ich mußte mich in das Goldene Buch der Stadt einschreiben und lernte bei dieser Gelegenheit Herrn Bürgermeister Schmidt kennen, der mir sehr schöne Worte über meine Kunst sagte, kurzum, es war ein herrlicher Empfang, und mir wurden so viele Beweise von Verehrung und Liebe entgegengebracht, daß ich bis zu Tränen gerührt war.

Am letzten Abend mußte ich noch eine Abschiedsrede halten und mich unzählige Male verbeugen, dann ging es unter dem Jubel der Kinobesucher und der Leute, die mich draußen erwartet hatten, zum Hotel. Es war wundervoll. Auch meine Abreise gestaltete sich zu einem kleinen Ereignis. Mein Abteil war mit Blumen überfüllt und der Duft so stark, daß ich während der ganzen Fahrt das Fenster geöffnet halten mußte, um nicht zu ersticken.

*

In Berlin angekommen, mußte ich mich erst von den Strapazen der Chemnitzer Tage etwas erholen. Die Woche bis zum 26. verging sehr ruhig. Der 26. selbst war ein Sonntag, ein strahlend schöner Frühlingstag. Ich war noch so froh über meine Erlebnisse und sehr glücklich. Ich bekam an diesem Tag Besuch von Verwandten. Auch Frl. Dr. Gertrud Haupt besuchte mich und wollte mich in meinem Salon photographieren lassen. Ihre beiden schönen Pudel sollten mir dabei zu Füßen liegen. Alles war für Montag, den 27. April, verabredet, aber es kam nicht dazu. Gott hat es anders gewollt. In meinem Studierzimmer lag ein Teppich, der noch aus dem Haushalt meiner Eltern stammte, und den ich, obwohl er schon sehr schadhaft war, aus Pietät liegen ließ, da er mich an meine Kindheit erinnerte. Bei irgendeiner Gelegenheit setzte mir nun jemand den Floh ins Ohr, der Teppich müsse ausgewechselt und durch einen neuen ersetzt werden. Wilhelmine war ganz und gar nicht dafür und meinte, der Teppich befände sich nun schon so lange in meinem Zimmer, und die schlechten Stellen sähe man nicht. Es lägen ja Brücken darüber.

»Warum willst du den Teppich fortgeben«, fragte sie. »Tu es nicht, Dilly. Wenn man sich nicht gleich zu einer Sache entschließen kann, soll man lieber die Finger davon lassen. Sage ab, dann hast du Ruhe.« Als ob sie eine Ahnung gehabt hätte, daß der Teppich mein Unglück verursachen würde.

Am 28. Februar schrieb ich also in mein Tagebuch: »Teppich abbestellt, Gott sei Dank, endlich Ruhe.« Wir waren beide froh, daß diese Angelegenheit auf solche Weise glücklich erledigt war, aber leider war es mit der Ruhe auch jetzt nicht weit her. Ich wurde noch einmal aufgefordert, mir den Teppich ganz unverbindlich anzusehen, und nun willigte ich ein, da ich mir dachte, daß Ansehen ja nichts koste. Wilhelmine war allerdings sehr böse und konnte meine Unentschlossenheit nicht begreifen.

Sonnabends sah ich mir also den Teppich an, und montags sollte er probeweise in mein Zimmer gelegt werden, da ich erst sehen wollte, ob er überhaupt in den Raum paßte. Das Zimmer mußte daher noch am Sonntagabend ausgeräumt werden. Ich selbst ordnete an, den alten Teppich zusammenzurollen und auf die Toilette zu legen, damit er aus dem Weg geräumt sei und ich nicht darüber stürzen konnte, und gerade diese Anordnung wurde mir zum Verhängnis.

 

Hier enden die Aufzeichnungen Adele Sandrocks. Die Darstellung ihrer Krankheit und ihres Todes wurde von der Herausgeberin hinzugefügt.


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