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Wien und der Walzer, das eine ist ohne das andere kaum denkbar. Ich war im allgemeinen nicht sehr für das Gehopse, aber wenn die Stimmung gerade danach war, ließ ich mich hin und wieder doch dazu verführen. Am liebsten natürlich, wenn der Hofballmusikdirektor Eduard Strauß, der schöne, fesche Edi, zum Tanz aufspielte. Bei den Hofbällen oder Bällen bei Hofe – was durchaus nicht dasselbe war – bei denen der ganze Familienschmuck getragen wurde und man die prachtvollsten Wiener und Pariser Toiletten, dazu die reich mit Gold bestickten und mit brillantenbesetzten Orden geschmückten Uniformen der hohen Herren zu sehen bekam, spielte er immer, und wem er vom Podium, auf dem er sich beim Dirigieren im Takte wiegte, zunickte, der durfte schon stolz auf diese Auszeichnung sein. Von der Melodie mitgerissen, gab man sich ganz dem Walzerrhythmus hin, tanzte, bis einem fast der Atem ausging und der in das strahlende Licht der kristallenen Lüster getauchte Saal sich beängstigend um einen zu drehen begann.
Aber nicht nur die Hofbälle, auch die anderen Bälle waren schön. Ein besonderes Ereignis war stets der Industrieball, der sein Gepräge durch die Anwesenheit des Kaisers, der Kaiserin, des Kronprinzen Rudolf, sämtlicher Erzherzöge und aller Standespersonen erhielt. Auch Wilhelmine fehlte nie. Sie war die Ballhyäne in der Familie. Im Fasching gab es wohl keinen Ball, kein Kränzchen, bei dem sie nicht dabei war. Ich bewunderte ihre Ausdauer, aber ich sagte ihr immer wieder: »Hast du denn nichts Gescheiteres zu tun, als dauernd herumzuhopsen?« – »Aber, Dillichen, ich hopse doch nicht. Man muß doch repräsentieren. Wenn man eine schöne Stellung einnimmt, muß man sich der Mitwelt zeigen, dazu ist man verpflichtet. Man kann nicht immer nur Trübsal blasen. Du müßtest das erst recht tun. Denk nur, wie sich deine Verehrer und Verehrerinnen freuen würden, wenn man dich auch mal im Ballsaal zu sehen bekäme.« – »So, meinst du?«
Die einzige Veranstaltung, zu der ich mich regelmäßig aufraffte, war der Konkordiaball. Dort zu erscheinen, hielt ich für eine Pflicht den Herren der Presse gegenüber, namentlich als ich noch jung und knusprig war. Er galt stets als einer der schönsten Bälle und fand in den Sophiensälen statt. Sämtliche hohen Persönlichkeiten nahmen gewöhnlich an ihm teil. Ich erinnere mich noch, daß Kronprinz Rudolf den Ball besuchte, dessen Patronessen wir Schauspielerinnen waren, und zu den Künstlerinnen, die er sich durch seinen Adjutanten vorstellen ließ, gehörte an diesem Abend auch meine Wenigkeit. Während des kurzen Gesprächs bekam ich viel Schönes über meine Leistungen zu hören. Unter den Herren, die ich hier häufig traf und mit denen ich gern plauderte, waren mein lieber Freund Admiral Freiherr von Sterneck, der Feldzeugmeister Merkl und Prinz Ferdinand von Coburg, der eine Loge im Burgtheater hatte und sehr kunstbegeistert war.
Eine kleine Episode, die sich auf dem Konkordiaball zutrug, will ich noch berichten. Im Ballgedränge begegnete ich dem gleichen Hofburgschauspieler, dem ich meine ungünstige Beurteilung bei meinem ersten Probesprechen im Hofburgtheater zu verdanken hatte. Er grüßte mich freundlich und sagte: »Sie sehen, Adele, auch ein alter Theaterpraktikus kann sich in seinem Urteil irren. Ich widerrufe feierlichst mein abfälliges Urteil über Sie. Ja, Fräulein Sandrock, Sie sind nicht nur schön, Sie haben auch Talent, sogar sehr viel Talent, und ich freue mich, endlich Gelegenheit zu haben, es Ihnen persönlich sagen zu können.«
*
Und noch einen Ball habe ich in Erinnerung, den Ball der Stadt Wien. Es war ein Jubiläumsball, also ein ganz großes Ereignis, zu dem auch der Kaiser und alle Erzherzöge ihr Erscheinen zugesagt hatten. Alles war vertreten, was in Wien Rang und Namen hatte. Zu diesem Ball nun wollte Wilhelmine mich absolut mitschleppen. Ich hatte gar keine Lust, aber sie verstand es, so schön zu bitten und mir die Gründe plausibel zu machen, warum ich mich dort sehen lassen sollte, daß ich endlich seufzend einwilligte und sagte: »Also hole mich heute abend ab.« Allerdings hatte ich einem guten Bekannten gesagt, daß ich nicht zum Ball gehen, sondern zu Hause bleiben und studieren würde, was auch meine Absicht gewesen war, aber da mich Wilhelmine nun einmal überzeugt hatte, schlug ich leichtsinnig alle Bedenken in den Wind.
Ich muß noch vorausschicken, daß es jedem Besucher freistand, in Balltoilette oder Kostüm zu erscheinen. Wir, Wilhelmine und ich, hatten natürlich große Balltoilette gewählt, gelbe Atlasroben mit schwarzen Spitzen.
Als Wilhelmine nun gegen halb zehn mit dem Fiaker vorfuhr und ich mich eben anschickte, zu ihr in den Wagen zu steigen, sprang aus der Dunkelheit ein Mann mit einem langen Bart – mein Bekannter – hervor, der mit seinem großen, runden Filzhut und seiner roten Schärpe wie ein Räuberhauptmann aussah, und schrie: »Also doch! Also doch!«
Wir zitterten beide am ganzen Körper, so waren wir erschrocken, aber die Sache kam mir schließlich doch so harmlos vor, daß ich nicht daran dachte, umzukehren und trotzdem mit Wilhelmine zum Ball fuhr. Dort angekommen, mußte ich mich erst von dem ausgestandenen Schrecken erholen. Ich setzte mich in eine ruhige Ecke, aber ich saß noch keine Minute, als auch schon der Räuberhauptmann eintrat, mich durch seine Maske musterte, durch deren schmale Schlitze ich seine Augen funkeln sah, und wutentbrannt von einem Saal in den anderen lief, wobei er, wenn er in meine Nähe kam, Drohungen vor sich hinmurmelte. »Weißt du was, Willy«, sagte ich, »wenn der Kaiser und der Hof fortgehen, verlasse ich den Saal. Man hat mich gesehen, das wird dir wohl genügen, und zum weiteren Bleiben habe ich keine Lust. Komm mit mir nach Hause. Die ganze Freude ist mir verdorben.«
So endete für mich der Jubiläumsball der Stadt Wien. Was war denn schon dabei, daß ich mit Wilhelmine mitgegangen war? Ich wollte ihr doch nur einen Gefallen tun und mußte nun dafür büßen, und zwar sehr. Aber auch darüber war ich nicht verwundert, denn selbst die einfachste Angelegenheit wurde bei mir zum Kampf, und die Ereignisse sorgten schon dafür, daß ich den Einfluß meines Sterns ständig zu spüren bekam. Ich nahm den Kampf jedoch immer auf, habe mich nie unterkriegen lassen und niemals feige kapituliert.
Man war in Wien gewöhnt, nach einem Ball zu Frau Anna Sacher zu fahren und dort zu soupieren. Bei ihr fand sich stets eine nette Gesellschaft zusammen, in deren Kreis der Rest des Abends angenehm verplaudert wurde. Das war für uns nun durch die Begegnung mit dem Räuberhauptmann ins Wasser gefallen. »Komm mit mir ins Chambre séparée ...« Du lieber Gott, das war mir gründlich versalzen worden. Betrübt fuhr ich mit Wilhelmine nach Hause, wo wir noch die halbe Nacht beisammensaßen, die Ereignisse an uns vorüberziehen ließen und zu dem Entschluß kamen, daß der ganze Vorfall unnötig gewesen und kein Grund vorhanden war, sich zu kränken. Eine Lehre zog ich aber daraus: Nie mehr auf einen Ball!