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Ferien vom Theater

Mittlerweile war wieder ein Jahr vergangen, und da wir alle sehr erholungsbedürftig waren und ich überdies durch meine Gastspiele so viel verdient hatte, daß ich mir eine Reise leisten konnte, hatte ich mit meinem Bruder Christel verabredet, uns mit ihm, seiner Frau Emmi und den Kindern am Achensee in Nordtirol zu treffen. Mein Bruder hatte auch die Pflegerin mitgenommen, die Klein-Jutta von Anfang an betreut hatte. Man kann sagen, die gute Frieda Hüglin, jetzige Frau Kasper, gehörte zum Hause Sandrock, denn sie war allein fünfundzwanzig Jahre bei meinem Bruder in Stellung. Nach seinem Tode, als meine Schwägerin den Haushalt auflöste und nach Meiningen übersiedelte, übernahm ich sie als Stütze.

Mama, Wilhelmine und ich fuhren also an den Achensee. Es war die letzte größere Reise, die meine geliebte Mutter unternahm, denn sie fing an zu kränkeln, und wir waren daher überglücklich, alle an dem Ort, den sie so sehr liebte, um sie versammelt zu sein, um ihr unsere Liebe zu beweisen.

Über diesen Aufenthalt erschien viel später im »Neuen Wiener Tageblatt« ein Aufsatz, »Familie Sandrock am Achensee in Tirol« betitelt, der folgendermaßen lautete:

»Aus dem großen Speisesaal gelangte man in die Glasveranda, die alle Sonnenstrahlen so kokett an sich zog. Dort war es, wo Münchener Gemütlichkeit und harmlose Fröhlichkeit ihr Wesen trieben, wo allsommerlich der Tisch der Sandrock stand. Wohl ging es, seitdem das Hotel vom Kloster, dem der See gehörte, verwaltet wurde, nicht mehr so toll her wie einst unter der Sängerfamilie, als die Grafen und Barone mit den schönen Wirtstöchtern bis in die späte Nacht hinein mitten unter den Bauern saßen und flirteten, zechten und tanzten. Nein, solchem Tun hätte der Herr Prälat, der hinter der Wiese im weinumrankten Schweizerhäuschen residierte, schon den nötigen Dämpfer aufgesetzt, denn er hielt streng auf Ordnung. Aber allzu klösterlich nahm auch er es nicht, der joviale alte Herr, der selbst einmal in seiner Jugend ein flotter Korpsstudent gewesen, und so war denn ein wenig jener singenden, jodelnden Lustigkeit zwischen den Wänden des Hauses hängengeblieben. Vor allem lag dies an den Sandrocks. Sie gehörten zum Hotel fast so unzertrennlich wie See, Wald und Wiese. Sie bildeten gewissermaßen den eisernen Bestand unter den Gästen und nahmen ihren Platz als Mittelpunkt der Gesellschaft mit liebenswürdiger Selbstverständlichkeit ein. Jeder freute sich, wenn er sich ihrer Tafelrunde einreihen und so einen Teil an Witz, Humor, übermütiger Laune und fröhlicher Geselligkeit miterleben konnte. Der Dirigent dieses ganzen Korps war, wenn er nicht gerade Holz hackte, Christel Sandrock, Kunstmaler, Sänger und Schriftsteller, der seine Freunde veranlaßte, mit ihm ein regelrechtes Schrammelquartett zu gründen. Er selbst spielte die Geige außerordentlich gut. Manchmal gab es reizende, lustige Musik, und wer die zwei schmucken Tiroler Dirndl, die allabendlich Gstanzeln und Schnaderhüpfeln sangen, nicht kannte, hätte wohl kaum in ihnen die allergefeiertste Heroine und die Trägerin ruhmvoller Burgtheatervergangenheit vermutet. Nur wenn Adele ab und zu doch einmal auf das Theater zu sprechen kam, von Wien, von Direktor Burckhard und Schlenther, von den Bühnenerlebnissen und den künstlerischen Plänen plauderte, dann züngelten die Flammen ihres Temperaments zwischen den Worten, und mancher hochdramatische Unterton schwang im Glockenklang der Stimme mit. Dann begriff man auch, daß diese Künstlerin, obgleich schon auf der Höhe ihres Ruhms, nach immer neuen Höhen strebte. Wilhelmine hingegen hatte, seit sie mit ihrer Schwester Adele nach Berlin gegangen, ihre Rollen auf der Bühne des Burgtheaters gegen ein anderes Rollenfach auf der Bühne des Lebens vertauscht, das sie sich in entsagungsvoller Entschlossenheit erkoren. Sie war der gute Geist der ganzen Familie geworden, Helferin, Beraterin, Trösterin und vor allem, wann und wo immer es not tat, hingebungsvolle Krankenpflegerin. Als solche wich sie acht Jahre hindurch nicht von der Seite ihrer hochbetagten Mutter, die einst in ihrer holländischen Heimat eine berühmte Schauspielerin gewesen, und an deren Vorbild sich Adelens große Kunst entfaltet hatte. Noch jetzt haftet der alten Dame die schöne Geste der ehemaligen Heroine an. Nun aber war sie der zärtlich umhegte und umhätschelte Mittelpunkt ihrer ganzen Familie. Um in deren Mitte den Sommer zu verbringen, hatte sie noch einmal, es sollte zum letztenmal gewesen sein, die Reise an den geliebten See unternommen und sonnte sich hier nun in all der Liebe, die sie umgab. Wenn sie des Morgens im weißen, faltigen Gewand, das sie mit soviel Matronenwürde trug, aus ihrem Zimmer kam, brachte Wilhelmine Kissen, Tücher und Decken nach, Adele rückte den bequemsten Stuhl in die Sonne, auf das schönste Plätzchen, und alles war bemüht, Mutter Sandrock möglichst behaglich zu installieren. Nun schläft sie längst in kühler Erde, aber auch ihr lebensfroher Sohn, der Christel, ist dahingegangen. Vorzeitig und viel zu früh für einen, der es verstanden hat, Freude und Frohsinn um sich zu verbreiten und dem Leben Schönes abzugewinnen. Alles hat sich geändert und verändert, nur Adele, die große Künstlerin, und Wilhelmine, die treue Schwesterseele, sie sind sich gleich geblieben. Seite an Seite sind sie jetzt, nach fast drei Jahrzehnten, zurückgekehrt nach Wien, ihrer künstlerischen Heimatstadt, an die Stätte, von der einst Adelens Ruhm ausging, um sich dann weithin in der Welt bis nach Amerika zu verbreiten. An dieser selben Stätte feiert sie heute den größten Triumph, der einer Künstlerin zuteil werden kann: den Sieg ihres Genies über die Macht der Zeit.«

Wilhelmine blieb stets bei der Mutter, während ich mit meinem Bruder fischen ging. Auch Edgar ging mit uns und manchmal auch meine Schwägerin; Jutta und Frieda pflückten Erdbeeren oder Alpenblumen für den Sonntag. Danach trafen wir uns alle auf der »Sandrocksruhe«, einem idyllischen Plätzchen mitten im Walde. Dort wurden dann die Strümpfe für die Großen und Kleinen gestopft. So hatte auch jeder bei der Erholung seine Arbeit. Ohne Arbeit war niemals jemand, am allerwenigsten ich. Ich hatte am Achensee eine Handarbeitslehrerin kennengelernt, ein Fräulein Manhard aus München, mit der ich viele Decken, Spitzen und Taschentücher arbeitete. Damals kamen eben wieder die kleinen Spitzen – Frivolitäten nannte man sie – in Mode, und infolgedessen gab es allerhand Neues zu lernen. So vergingen die schönen Tage, man wußte kaum wie, und bald mußten die Kinder wieder zur Schule. Also hieß es, sich langsam zur Abreise rüsten, zuerst nach München, dann nach Berlin, wo die Arbeit schon auf mich wartete.

Wenn ich mich im Gebirge aufhielt, ging ich meistens als »Dirndl« herum oder in Gebirgskleidung. Auch war mein erster Gang stets in den Stall, um die Kühe, Kälber, Schweine und das Kleinvieh zu besichtigen. Über nichts konnte ich mich so freuen, als wenn ich junge Enten, Hühner oder kleine Gansl zu sehen bekam, mit einem Wort, ich interessierte mich für alles, und wenn die Knechte und Mägde mich von weitem sahen, riefen sie mir zu: »Es ist alles gesund im Stall, Bäuerin!« und das machte mir viel Spaß.

Natürlich ging es mir nicht immer so gut wie am Achensee, wenn ich auf Reisen war. Später, als ich schon viel filmte, kamen mir die Direktoren in die Kurorte nachgereist, oder ich wurde aus der Badewanne geholt, weil man mich am Telephon sprechen wollte. Das ist keine Übertreibung, das ist wahr. Die Kurärzte in Kudowa und Mergentheim fragten mich immer: »Na, wird man Sie wieder aus der Wanne holen? Wann wird endlich die Zeit für Sie kommen, wo Sie sich einmal gründlich ausruhen?« – »Im Grab«, war meine Antwort. »Da habe ich dann Zeit genug. Jetzt rühre sich der Mann, es kommt die Nacht, wo man nicht wirken kann.« So hatte ich immer nur meine Arbeit vor Augen; sie war für mich nie eine Last und immer ein Segen.

*

Ich kann wohl sagen, daß ich viel gearbeitet habe. Solange ich ganz gesund war, habe ich auch den Sommer genützt und stets gedacht, wenn es auch kein Geld regnet, so tröpfelt es, und ich bin gut dabei gefahren. Ich war stets eine gute Hausfrau und habe für alles gesorgt, aber es mußte auch alles wie am »Schnürchen« gehen. Bei mir konnte man immer kommen, wenn der Tisch gedeckt war. Es wurde stets so viel gekocht, daß jeder satt wurde und noch eine Person hätte mitessen können.

Mein Tageslauf sah folgendermaßen aus: Ich wurde auf die Minute geweckt, je nachdem ich Probe oder Filmaufnahmen hatte, um sechs oder sieben Uhr, wenn ich frei war, um Punkt zehn, bekam mein Frühstück, wobei ich Post und Zeitung las und Autogramme unterschrieb, dann ging's schnell ins Bad. Ein Spaziergang in den Grunewald, mit Buch oder Rolle unter dem Arm, schloß sich an. Auch einen Strumpf oder ein Paar Handschuhe nahm ich gewöhnlich zum Stricken mit.

Wenn weder Probe noch Aufnahme war, wurde Punkt drei Uhr gegessen. Dann kam ein Schläfchen an die Reihe, und zwischen fünf und halb sechs trank ich meinen Nachmittagstee. Den Rest des Nachmittags wurde studiert, Theaterstücke oder Filmrollen, um Punkt neun wurde zu Abend gegessen, und dann zog ich mich in meinen Wigwam zurück. Manchmal plauderte ich noch etwas mit Wilhelmine, aber meistens hatte ich zu arbeiten, und das konnte ich am besten nachts.

Meine Kleidungsstücke liebte ich sehr, und wenn ich einmal an ein Kleid oder einen Mantel gewöhnt war, konnte ich mich schwer von ihnen trennen. Eine Hutänderung bedeutete für mich eine Katastrophe. Ich hatte ein Filzhütchen, das mit Erdbeeren garniert war. »Dillichen«, meinte Wilhelmine, »wir sind jetzt mitten im Winter. Willst du nicht etwas anderes draufgeben, vielleicht ein Vögelchen, wir haben doch so viele schöne Sachen liegen?« – »Du hast wohl ein Vögelchen in deinem Kopf?« erwiderte ich. »Ich trage den Hut, wie er ist. Was kümmern mich die Erdbeeren? Ich trage eben Erdbeeren im Winter.« Und genau so war es, wenn Wilhelmine mir sagte: »Heute ist doch Sonntag. Zieh doch mal ein recht schönes Kleid an.« Sie wollte mich immer schön haben, die gute Seele. Aber auch dafür war ich nicht zu haben. »Ich bin immer sonntäglich angezogen«, gab ich ihr zur Antwort. »Du weißt, ich liebe keine Änderungen.« Ja, früher, als ich noch Liebhaberinnen spielte, war mir für meine Rollen nichts zu teuer. Auch für den Film ist mir nichts schön genug, aber außerhalb meines Berufs, im täglichen Leben, hatte ich niemals das Bedürfnis, Aufwand zu treiben. Die Schneiderinnen der großen Modehäuser, die »Direktricen«, fuhren damals für mich nach Paris, um mir die schönsten Stoffe für meine Roben auszusuchen. Der Mantel, zum Beispiel, den ich als Fürstin Feodora im Burgtheater trug, repräsentierte einen großen Wert, ebenso der Mantel der Magda in Sudermanns »Heimat«. Auch meine Abend- und Ballkleider waren durchweg mit schwerer Silberstickerei bedeckt. Der größte Teil dieser Kleider kommt mir jetzt für meine fürstlichen Rollen im Film sehr zustatten. Mein Pelzjäckchen, welches ich im Winter trage, mein »Katzi«, wie ich es nannte, mochte ich am liebsten. Auch darin leistete ich heftigen Widerstand, wenn Wilhelmine meinte, ich solle meinen Sealmantel aus dem Schrank holen. »Und was bleibt für den Film?« war meine Gegenfrage. Ich war eben zu sehr an mein Katzi gewöhnt und wollte mich nicht von ihm trennen.

Auch in der Theater- und Filmgarderobe herrschte bei mir peinliche Ordnung. Mein Schminktisch hatte stets aufgeräumt zu sein, das wußten alle meine Garderobieren. Nichts durfte schief, alles hatte gerade in Reih und Glied zu liegen, so daß man jeden Gegenstand, ohne hinzusehen, finden konnte. Bevor die Garderobiere meine Kleider anfassen durfte, mußte sie sich erst die Hände waschen. Wie hätte ich auch meine Kleider so lange haben können, wenn ich nicht so vorsichtig mit ihnen umgegangen wäre? Wenn sie dann zu Hause wieder ausgepackt wurden, nachdem ich monatelang in ihnen gespielt hatte, war ihnen nichts anzusehen. Sie wirkten stets wie neu. Nun übernahm sie meine Schwester, pflegte sie sorgsam und bewahrte sie auf. Ja, bei mir hatte Ordnung zu herrschen, und das in allen Dingen. Ich litt es nie, wenn sich meine Haustochter in ihrer Kleidung vernachlässigte. Sie mußte Hauskleider tragen, abwechselnd je eine Woche lang in Blau und Rosa, weiße Schürzen und Häubchen; darin duldete ich keinen Widerspruch, denn durch die Kleidung, die ich ihr stellte, konnte sie ihre eigenen Sachen schonen. Zum Abwaschen standen ihr Gummischürzen zur Verfügung.

Ich konnte überhaupt niemand in meiner Nähe vertragen, der nicht gut gewaschen und peinlich sauber war. Baden und schwimmen durften sie daher, sooft sie wollten. Aber auch auf den moralischen Lebenswandel meiner Haustöchter hatte ich Einfluß. Meine erste Frage lautete stets: »Hast du einen Schatz?« Sagte sie: »Ja«, fuhr ich fort: »Dann laß ihn laufen, mein Kind. Es kommt nichts dabei heraus. Er verdreht dir nur den Kopf, und du bist dann für deine Arbeit untauglich.« Sagte sie: »Nein«, und es kam dann doch heraus – denn ich merkte so etwas sofort – gab es nur ein Entweder-Oder. Trotzdem liebten mich meine Hausangestellten sehr. Sie hatten Familienanschluß und waren oft acht bis zehn Jahre bei mir in Stellung. Heute noch bekomme ich Briefe von Mädchen, die bei mir waren, nun längst verheiratet sind und mir schreiben, wie gut sie es bei mir hatten.


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