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Der dunkelblaue Enzian zum vierten Mal

Zornig brauste heute der November durch den Wald, legte – willst du wohl! – die stolzesten Kiefern auf die Decke und schmiß Fetzen auf Fetzen die hangenden und jagenden Wolken in die Nacht; fegte und pfiff um Dach und Turm, rasselte in den Schiefern, rauschte im Schilf und wühlte in den klatschenden Wassern der Teiche.

Der macht reine Bahn, dachte Erich, der pustet die weißdochtigen Schwefelflammen und die Blutlichter im Sumpf hurtig aus und läßt die Goldtaler der Buchen rollen. – Den Lichtenhagen roden sie aus – 's ist just das rechte Wetter. Da wird die Jägereiche gewesen sein und der Enzian ausgeläutet haben am Niederrhein. – Rauchende Schlote und dröhnende Hämmer und zwischen ihnen das stinkende Gewürm – mich soll's wundern, ob Das nicht noch die Abendwolken und den Himmel beschmutzt; dann gehört ihnen dieser Stern, dann sind sie seine Herrn – o was für Herren! O, 's ist just das rechte Wetter. –

Da kam durch das Pfeifen und Pusten des Sturms der Traum. – Der nimmt ihn bei der Hand und führt ihn zu einer breitästigen Eiche. Die Männer, die dort stehen und ihre Äxte wetzen, sehen sich mit einem seltsamen Lächeln an, sie werfen die Kittel ab und streifen die Hemdärmel hoch und spucken in die Hände und heben die Äxte und – schlagen in den Baum. – Die braunen Holzscheite stieben, ein Zittern läuft durch seine Äste – da neigt er sich, senkt sich, da – schlägt er krachend hin. – Doch zwischen seinen Ästen hoch wächst eine blaue Blume, wird größer und höher und wird eine mächtige dunkelblaue Glocke, übermannshoch, und schwankt leise auf dem biegsamen Stiel. – Nun heben die Holzhacker wieder ihre Äxte –: da beginnt sie ein tiefes und volles Läuten im Wald, der ganze Wald klingt, Luft und Erde klingt – – jetzt kracht sie rasselnd ineinander. –

Da erwachte er, Ziegel polterten von den Dächern und zerrissene Sturmwolken hasteten über den Morgenhimmel. –

Ein Gemälde von den beiden Königskindern hing in dem Zimmer, in dem Erich seine Vormittage zu verbringen pflegte.

– Ein roter Herbstabend, durch den ein Kranichheer zieht –: o wie schön ist die Sehnsucht, aber ihr Ziel ist ihrer nicht wert. Wie habe ich nicht eine Lösung, eine enthüllende Formel des Unergründlichen, das mich umlagert, ersehnt –! Und was habe ich am Ende gefangen: die Erkenntnis einer Unmöglichkeit, eines Unsinns. – Wie das Laub der Bäume über Nacht zerstoben ist, auf den Wellen schaukelt und sich verhaspelt hat in dem rissigen Schilfrohrhaar, ist mein Sehnen zerstoben und zerflogen.

Wie es sich krümmt unter dem Winde, das gelbgraue Rohr, wie die Wellen glucksen und schnappen, wie die Wolken kugeln, wie verkaterte Zechbrüder torkeln sie hin –: wie schön ist diese Welt des Scheins, aber sie ist der Bewunderung und Liebe nicht wert, denn es ist ein sinnlos gewalttätiges Wirken, in das wir die Schönheit, unsere Schönheit, unser aufreizendes Gefühl nach Neuem und Anderm hineinlügen.

Lügen –. Aber wenn es eine Lüge gibt, muß es eine Wahrheit geben, ein Ding besteht nur durch seinen Gegensatz; damit Alles Unsinn ist, muß Alles Sinn sein. – Kann nicht gerade das Bestehen der verschieden großen Kräfte und ihr gegenseitiges Sich-Abwiegen und zu überwinden Suchen der Sinn sein? überwinden wollen, herrschen wollen, um zu herrschen, der Zweck? Um der Lust willen am Herrschen?

Ja, wenn ich die Natur aus mir erklären will, finde ich tausend Erklärungen. Dann biegt und quält der Wind dort das Rohr, weil er es biegen und quälen will und seine Lust daran hat – wie er mein Schloß in Staub blasen würde, wenn er die Macht dazu hätte. Dann leuchtet dort der Himmel so sehnsüchtig rot, weil er so will; er würde klingen, – o mit welchem Ton! – wenn er könnte, um sein schmachtendes Herz zu hören, um an seinem sehnsüchtigen Leid sein unermeßliches Jauchzen zu haben. – –

Wer sagt mir, daß solche Erklärungen, die ich aus mir schöpfe und über die Natur breite, notwendig inadäquat sind? – Sie sind mit ihren Begriffen und Urteilen geworden, folglich – –.

Nun, gilt der Einwand? Doch nur, wenn nur sie geworden, und die Welt, die sie zu erklären suchen, ewig sich gleich und seiend wäre. Aber diese Welt ist selber geworden, ist ein immer wechselndes Ergebnis der sich abwiegenden und ringenden Kräfte, und so mit ihr eng verknüpft sind unsere Erklärungen das geworden, was sie heute sind. Können wir da so plump diese von jener trennen, beide als etwas Grundverschiedenes auseinander halten? Das, was in ewigem Wechsel und Anders-Werden einmal Kraft, einmal erklärender – was erklärender? –: gerade diese und sich erklärender Geist ist, als zwei fremde, feindliche, garnicht in Beziehung zueinander zu stellende Größen setzen? – –

So habe ich ein sich immer anders darstellendes Ding, das sich sich selber anschaulich macht, sich selber erklärt, – weshalb? –: weil es so will, weil es sich erkennen, sich seiner bewußt werden will.

Alles tobende Kraft, alles sich seiner bewußt werden wollender Geist. Wie nenn ich's? – O nenn es nicht! Weißt du, die Worte haben eine trügerische Hülle von Gefühl – Worte sind Fallen. Nenn es das Namenlose, nenne es »Das«, »Es« –.

Und wir und unsere Erklärungen nichts mehr, aber auch nichts weniger als eine augenblickliche Stufe der Selbsterkenntnis des Namenlosen?

Und meine Ehrfurcht – wohl vor mir, aber als einem jungen Erklärungsversuch des Namenlosen, und nicht – –. Öffnet sich mir da nicht ein Tor, so deutung-hoffnungsvoll, so weit, so tröstend – so abschlußverheißend? –

Am Nachmittag schwenkte der Wind nach Norden um und vertrieb vom gelbblauen Himmel die fliegenden Wolkenlappen.

Es wird klar bleiben, sagte Erich und schritt über die Brücke zum Turm, und einige Tage so währen. Wird es frieren diese Nacht? –

Am andern Morgen war die Erde fest geworden; hart und polternd rollten die Wagen, und hell klapperten die Holzschuhe der Jungen, die mit roten Gesichtern und die Fäuste in die Taschen gebohrt zur Schule trappelten und auf dem Pfützeneis das erste Glitschen versuchten. Die hölzerne Brücke knirschte und klang hohl, als Erich über sie zurückschritt.

Die Rispen des Schilfrohrs sind mit Reismehl gepudert, die Gräser weiß bereift und die letzten Blätter fallen ab, schwarz und zusammengeschrumpft.

Und als Erich nach einigen Wochen am Fenster stand, nach der Windfahne und den Wolken sah und seine Instrumente ablas und dann die Wetterkarte erhielt, fand er, daß das Tief über Schottland und Irland in der Nacht eine schmale Zunge über die Niederlande bis in das bergische Land vorgestreckt hatte. Die Temperatur stieg stetig und langsam, die Windfahne tastete unruhig hin und her und ratlos quirlten die Wolken durcheinander, hier und da fiel sachte der spärliche Reif von den Bäumen – da rückte er seinen Sessel an das Fenster und wartete auf den ersten Schnee. Nach einigen Stunden kamen die ersten Flocken an, einzeln, verloren; und jetzt tanzen und wirbeln sie herab und werden mehr und mehr und Luft und Erde wird weiß.


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