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Der Rehbock

Wein, Heinz, Wein! Wir gehen ins Dorf – auf die Kirmes gehn! Tanzen, süßer Heinz! Und einen kalten Fasan mit Preiselbeeren! Und roten Burgunder will ich trinken –

Da schwang er sie hoch und sie umpreßte mit ihren Beinen seine Brust und bog sich weit zurück, und so begann er zu laufen, keuchend, Hügel auf, Hügel ab, bis er häuptlings mit ihr in das blühende Heidekraut stürzte. Aber als er sie ganz entkleidet hatte, entriß sie sich ihm und lief nackt auf die Höhe des Hügels – denn sie waren in einer kleinen Mulde gestolpert, in der das Heidekraut mit zähen Zweigen sich bis über ihre Knie verstrickte. Und die Hände über den Rücken verschränkt blieb sie stehen und genoß ihre Nacktheit und die endlos blühende Heide mit ihrem Mittagsschweigen und ihren abertausend summenden Bienen. Als er sich ihr aber nähern wollte, floh sie vor ihm und raste in wilder Flucht geradewegs auf das Dorf zu, dessen Kirchturm hinter einem blauschwarzen Kiefernwald wie eine spitze Lanze in den Himmel stach. Das Heidekraut zerriß ihre langen Strümpfe, aber ihr Haar blieb fest und es währte lange, bis er die Flüchtige, atemlos gegen seinen Schoß Hinsinkende erreicht und wütend zu Boden geworfen hatte.

Als sie sich wieder angekleidet hatten, gaben sie sich die Hand und gingen weiter, wie ein Geschwisterpaar, das sich in einem dunklen Walde ängstigt. – Bei einem kleinen Birkengebüsch stutzten sie und sahen Rehe in dem spärlichen Grase äsen. Da bat sie ihn um die Pistole und schoß, vorsichtig auf den Knien näherkriechend, auf den ihr zunächst stehenden Bock. Das Tier zuckt zusammen, seltsam matt und dünn hallt der Schuß in die Heide und in weiten Sätzen wippen die Aufgeschreckten über die Hügel hin, dann versinken sie hinter der letzten Purpurwelle. –

Er wird schon verenden – dann gab sie ihm die Pistole zurück und sah mit scheuen Augen zu, wie er in den Lauf eine neue Patrone schob. Als sie in das Dorf gekommen waren, fragten sie sich zu der Vogelrute hin, wo auf einer hohen Stange der hölzerne Vogel saß – ein runder unförmiger Kloben, denn Kopf, Flügel und Schweif sind schon herabgeschossen.

Wenn ich den Königsschuß schieße, wirst du Königin, Dorfkönigin, Spaßkönigin. –

Dann ließ er es sich einige Bitten kosten, bis man ihn in die Schützenzunft aufgenommen hatte, tat drei Schüsse und schoß den Vogel herab. Und unter Gebrüll hoben ihn ein Dutzend Kameraden auf ihre Schultern und trugen ihn so unter Hochrufen und Lachen in das Zelt, wo man ihn in einen Gehrock steckte und ihm die Königskette um den Nacken hängte. Loo dagegen blieb in ihrem roten Kleid, ihr wurde ein bunter Georginenkranz aufs Haar gesteckt, Parade wurde vor dem neuen Königspaar gehalten, und dann ging der Zug ins Dorf – die Musikanten blasen und die dicke Trommel knallt.

Und das Pokulieren begann, und bald hatte Erich ein Gelüste, seinen drei Hofdamen die Kleider herunter zu reißen, bald zuckte es ihm in der Hand, seinen Mitpokulierenden mit einem Säbel die Köpfe vom Rumpf zu schlagen, daß das Blut in Springbrunnen in die Höhe schösse und als warmer Regen auf ihn und seine Königin niederfiele; aber er begnügte sich, mit einer feinen bissigen Ironie seine Untertanen gegen sich aufzustacheln und beim Tanz seinen Damen obszöne Dinge ins Ohr zu flüstern – sie waren es zufrieden und waren auch noch mit anderem zufrieden gewesen. Dann aber tanzte er lange mit Loo und seine Blicke vergruben sich schmerzlich in ihre traurigen Augen.

Als es Abend werden wollte, verabschiedete er sich und ließ seinen Thron leer. – Der letzte Tag vor dem Nichtmehrsein, jetzt rüstete er sich, hinzugehen zu den anderen, geschwundenen, fern im Westen hinter den dunklen Wäldern. Er putzte seinen Himmel blank und rein und rundete zart seine duftigen Schäfchenwolken und bemalte sie mit Gold und Rot und strich mit seiner weichen Hand noch einmal über seine Sonne – dann ruhte er aus und legte sich klar und weich zum letzten Male über seine Erde, die närrische Erde, den tollen Stern.

Sie waren in ein Wirtshaus gegangen, das etwas abseits vom Dorf an der Landstraße lag, und vertrieben sich die Zeit und wehrten sich gegen die Zeit, indem sie mit nachdenklichen Augen den Dreiecken und Kreisen zuschauten, die Erich mit einem Stock in den Sand des Gartens zeichnete, bis er plötzlich aufschaute und mit trockener Stimme fragte:

Und nachher? –

Aber da er ihre angstvoll großen Augen sah, blickte er wieder fort und zeichnete seine Kreise weiter. Von ferne kam ein Wagenrollen – da nahm er sein Glas und goß es auf die Kreise aus –:

Eine kitschige Symbolik – aber wir müssen gehen, müssen gehen, Loo. –

Der Wagen hielt, mit zurückgehaltenem Atem hörten sie den Kutscher nach ihnen fragen, da traten sie mit zögernden Schritten aus der Laube und stiegen ein. – Die Laube verschwand, die Linde vor dem Haus und das Zelt mit dem hellen Tuch, – einige Häuser, dann waren sie allein auf dem weiten Weg.

Aber der Luftzug und die Sonne, die hier draußen noch nachmittaghell auf den Wegen und Stoppelfeldern brannte, das Getrappel der Pferde und die roten keck aus dem dunklen Laub hervorfunkelnden Beeren der Eberesche und die gelben schwarzscheckigen um die Räder wirbelnden Blätter der Ahornbäume machten ihr Blut wieder schneller kreisen; die Stoppelfelder lagen da so prall und grell, die Leute grüßten, und die Sonne funkelte und lachte –: Oh wir leben! Denk doch, wir leben – leben! – Donnernd polterte der Wagen über die Schloßbrücke, aber die beiden, trunken vor Lebens- und Abschiedsglück, sahen noch immer nur sich –; da hielt der Wagen.

Wir sind da, Loo. –

Der Gärtnerjunge kam auf sie zu und überreichte eine Depesche ihres Vaters, daß er am nächsten Morgen käme.

Es ist gut so – sagte Loo, und sie wankten auf ihr Zimmer.


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