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Am nächsten Morgen kam ihr Brief: Du Lieber, ich habe Dich unsäglich lieb. Ich bin ganz nur Du, denke nur Dich, fühle und träume nur Dich. Ich bin um Dich Tag und Nacht, ich wiege Dich auf meinen Armen in Schlaf und küsse Dich mit meinen Lippen wieder wach. O wie lange haben wir uns nicht gesehen. Aber Geliebter, weißt Du auch, wie lange wir uns schon vorher gesehen haben und gekannt und lieb gehabt, bevor Du mich trugst über den Bach, schon so lange, o wie lange. Wie wir in Indien waren – wie lange ist das her! –ich Dein Page und Du mein Ritter – o wie die braunen Weiber Dich mir neideten! – wie ich Dir sang in dem einsamen Zelt und die Harfe schlug –, weißt Du das wirklich nicht mehr, Geliebter? Ob Du das noch weißt! Und wie lange wir uns darnach noch gesehen haben – und sehen werden!
Wenn ich gestorben bin und Du die alten Wege wieder wandelst, durch die Weidenbüsche, über die Heidehügel, und es Abend wird und die Nebel ziehn –, dann wehe ich leise zu Dir, und Du merkst mich nicht und ich bin doch um Dich, schwebe immer um Dich durch Heide und Wald –, dann setzest Du Dich nieder, müde vom Wandern und trauriger Sehnsucht voll – und ich schmiege vom Rücken her meine Arme um Dich und drücke meine Lippen in Dein Haar – auf Deinen Mund, und Dein warmer Atem durchweht mich wieder –. Warte nur, warte!
Du mußt nun heute zu mir kommen, Vater ist verreist und Alles bereit. Wir gehen zuerst dorthin, wo die Weidenröschen und Erlen stehn; dann wandern wir in den Wald, wo an der glatten Buche der Specht lacht; und dann über die Heide in das Dorf, wo unter der alten Eiche der Champagner wartet. Und dann trägt uns ein Wagen ins Schloß, wo ich zu Dir tanze als Dein Page im schwarzen Pagenkostüm. Und dann – ach dann – ! –
Als Erich kopfschüttelnd den Brief gelesen hatte, schob er eine Patrone in den Pistolenlauf und machte sich auf den Weg.
Auf der Mühlenbachbrücke saß ein Schustermeister und ließ die weißgescheuerten Holzschuhe auf den Zehen baumeln.
Morgen, Examen gemacht? –
Gemacht. –
He is duhn – knurrte er ihm nach und spuckte in den Bach.
Aber Erich ging festen Schrittes weiter und kam nach einer Stunde bei den Schloßteichen an.
Und als er um ein letztes Heckengebüsch bog, flog Loo, dunkelrot gekleidet, wie eine Katze auf ihn zu, riß sein Hemd auseinander und preßte ihren Mund auf seine Brust. Dann hängte sie sich in seinen Arm und führte ihn über die holprige Dorfstraße zum Schloß. Als sie auf der Brücke stehen blieben und den hochrückigen Karpfen zusahen, fühlte sie die Pistole in seiner Brusttasche. Schnell wie ihr Gedanke griff sie zu und zog sie hervor.
Und hiermit will mein Freund sich totschießen? Ach, du dummer Freund! Du hast nur eine Kugel bei dir, und die steckt im Lauf. Soll ich den goldbuckligen Herrn da unten anschießen? Eine Hand darunter oder zwei –
Da krachte der Schuß und goldgelbe Schuppen schwammen auf den kleinen Wellen.
Und jetzt könnte ich sie hinterher werfen – aber sie ist so sauber und blank. Ich werde Kugeln holen – wollen wir Karten schießen? Herzen schießen, rote Herzen schießen? – Weswegen wolltest du dich nur totschießen? Ich komme doch wieder. Ich hol Karten und Kugeln – und dann – gehen wir baden, dummer Heinz! –
Sie eilte fort. – Nun, hast du dein Examen gemacht? Sonst mach's hier! Hinunter! und beiße dich fest in die Laichkräuter und Algen! Wie die Wildente, weißt du noch? – Aber dann schüttelte er den Kopf und lehnte sich über das Geländer und blickte in das trübe Wasser, auf dem junge Enten an den Schuppen, die da noch schwammen, ihre Schnäbel versuchten.
Was meint sie mit dem Wiederkommen? Was meinst du mit dem Wiederkommen? –
Er nahm ihre zwei letzten Briefe aus der Tasche und las sie Wort für Wort.
Das immaterielle, über- und vormaterielle Wesen, das sich unser Denken als Organ gebaut – spukt das auch in dir? Nach deiner Art? Weswegen spuken? Und wenn wir gestorben sind und es ist so? –
Da fühlte er, wie sie sich über ihn lehnte und hörte sie an seiner Wange flüstern:
Glaubst du jetzt, daß ich wiederkomme? – Ich habe dir Kugeln mitgebracht. Karten mit roten Herzen gibt's nicht bei uns, da habe ich ein Buch genommen; das wollen wir zerschießen. Tristan und Isolde – ach lache nicht! –
Da wandte er sich um, – mag es sehn, wer will – hob sie hoch und trug sie über die Brücke –.
Es war Mittag, als sie gebadet hatten und zu der Buche kamen, die da am Rand des Waldes wächst.
Jetzt ist das Buch zerschossen, Loo; und Tristan und Isolde sind wieder einmal tot. –
Lieber, ob nicht die beiden wirklich gelebt haben und noch leben? – nicht als Mensch, ich meine: als Geist, umherschwebend, als –
Als ein immaterielles Wesen – nicht wahr, Loo? –
Und die erzählen nun denen, die ein Ohr haben für Geisterstimmen, ihre Schicksale, traurig-süß. Ließe sich das nicht denken? –
Und eben, wie wir die Geschichte zerschossen, waren sie um uns; sie haben schon heute Morgen dir ins Ohr geflüstert, wir möchten ihr süßes Leben wieder lesen –
Es ist so einsam in der Geisterwelt. – Was werden sie wohl gedacht haben, Heinz, als unsere Kugeln um sie pfiffen? –
Gelacht haben sie. –
Sie hatten sich auf das spärliche Gras und die Moospolster, die aus der Blätterschicht unter der Buche hervorquollen, hingestreckt, Loo dicht neben ihren Freund. Nun legte sie den Kopf auf seine Brust –
Du bist mir noch dein Märchen schuldig. –
Da nahm er ihre Hand und erzählte:
Du weißt, ich wanderte auf dem Vatna Jökull – –
Da klang es: tra–tra–ruuuh!
Der Evolutionist! rief ich und warf mich in den Schnee.
Tra–tra–ruuuh!
Der Evolutionist! ruf ich und rolle über eine Schneebrücke und stürze mit der einbrechenden klaftertief hinab. Ganz langsam und weich schlage ich auf messerscharfen Eisblöcken auf. Jetzt fängt das Denken wieder an – sage ich, dann legt es sich purpurn über meine Augen. –
Und wer sagt dir denn, ob nicht deine Prinzipien und deine Anschauungsformen nicht nur geworden, sondern geradezu erlogen sind, lebenbedingte Lüge sind von Anfang an? – höre ich Howalds Stimme über mir. In einem grausigen Nest von Unsinn und Brutalität endete mein Liebeslied von Reykjavik. Da habe ich den Evolutionisten an den Nagel gehängt und mich verschworen, dir zu folgen.
Denn du hattest recht; aber deine Formel ist halb, mache sie ganz: Die Welt ist das Vergnügen, das Vergnügen ist die Welt! – Das ist der Weisheit allerletzter allerbester Schluß; eine Formel, die in sich schließt eine Wertschätzung alles Lebens, aller Wissenschaft und aller Moral, eine, die Ja und Nein sagt – Wache auf! –
Und unser Schiff bauen wir um; wollen wir die jetztzeitige Litteratur in Ballen unter seinen Kiel heften? Denn ich will urteilen wie der Oräfa, wenn besagte Jetztzeitige unser Musarion nicht in die Lüfte hebt: kraft ihres geringen spezifischen Gewichtes und ihres enormen Auftriebs wird sie es in ein Luftschiff verwandeln – wir steigen in die Lüfte, wir streichen unsere Geige und werden fliegen, fliegen werden wir! –
Und wir bestiegen unser Schiff, nahmen den Grotesken Riesenbogen und geigten längs den Fär-Oer und Shetland Inseln, durch das Skager Rak, Kattegatt und den Sund auf Greifswald zu. Dort schlugen wir dröhnend die Ankerpauke, auf daß wir an Land gingen, und am nächsten Morgen wurde Musarion von den Eldenaer und Wieker Pferden und Schiffern an Land gebracht und vertaut; wir aber begannen mit dem Engroseinkauf der gesamten schönen und philosophischen Litteratur, die die letzten zehn Jahre an das Licht der Sonne gekotzt hatten; dazwischen hurten und soffen wir und schlugen uns die Schädel ein.
Bis es eines Tages in der Gesellschaft ruchbar wurde, daß unser Schiff beschlagnahmt werden sollte. Auf unsere Erwiderung, die Fähigkeit Musarions, als Luftschiff zu fungieren, beruhe auf der Windigkeit der Jetztzeitlitteratur und habe mit dem Staate nicht das Geringste zu tun, ward uns zur Antwort, gerade Dieses träfe den Staat ins innerste Mark – entweder nicht geflogen, oder verstaatlicht und unter Polizeiaufsicht geflogen. –
Da spannten wir einen Droschkengaul vor unsere zwölf Bücherwagen und jagten nach Wiek; und da wir die Saiten beschlagnahmt fanden, stürmten wir auf die Stadtwache und mit zwölf Pickelhauben nimmt Howald es auf –:
Ei, wozu habe ich meine Quart gelernt? Und meine Terz? Und meine brillante Prim? – Die Saiten her! Und hussa nach Wiek! –
Die Bücherballen sind festgebunden, sie treiben uns reißend hoch, daß die Haltetaue klingen und singen – Pfiffe gellen, Blendlichter gespenstern über den Hafen und brüllend und übereinanderkugelnd wie ein betrunkener Bienenschwarm stürmt die Horde an – unsere Freunde voraus, ein Sprung, die Taue durchkappt, und wie eine ungeheure Granate heulen wir hoch! Kugeln schlagen ein, die Wut und Enttäuschung tief unter uns schreit und wimmert herauf, aber wir haben eine Saite befestigt und streichen unsern königlichsten Bogenstrich, und fort fliegen wir, als machten wir Jagd hinter Sonne und Mond. – Am Morgen hingen wir über den südlichen Ausläufern des Ural.
Wohl hatte bei der tollen Flucht sich jeder von uns gesagt, daß es von jetzt an für ihn mit der menschlichen Gesellschaft zu Ende sei: allen Winden und Nöten preisgegeben, sturmgetragen wie der Vogel in der Luft, allein vertrauend auf unsern königlichen Bogenstrich und kriegerischen Paukenschlag würden wir irren durch die Welt, ruhlos von Stadt zu Stadt, rastlos von Land zu Land – ohne einen Gott, dem wir vertrauen und unsere Leiden als liebende Züchtigung, unser Nicht-Wissen als vorsorgliche Huld zuschreiben könnten, an dem wir verzweifeln und dem wir fluchen könnten, ohne eine Wahrheit, ohne ein Ideal, ohne Gut oder Böse, Schön oder Häßlich, Sünde oder Tugend, ohne Liebe oder Haß, ohne Verantwortlichkeit, Gehorsam, Pflicht oder Mitleid, ohne Gesetz oder Willkürlichkeit, ohne Freund und Geliebte, Mensch, Staat, Familie und Gesellschaft, Ding oder Tier – nur uns und unser Musarion und den skeptischen Herrscherblick über die weite Welt; unsere sonnengewöhnten Augen, unsere Flüchtigkeit und wüstenbraune Haut, unser Nicht-Tier, unsere lohende Lust und grüner Ekel würde uns verraten in der alten und neuen Welt, Jeder könnte uns fassen mit seiner schmutzigen Schacher- und stinkenden Alltagsfaust, uns aus seiner verbrannten Kehle anpoltern und mit seinem nervlosen Jargon anhauchen:
Da ist einer! Da ist einer vom Musarion! Ein Musarione! Haltet ihn! haltet ihn! –
Wohl wußten wir das, aber jetzt schwimmen die purpurn und goldnen Morgenwolken gerade unter uns und lassen die Erde verschwinden, und wir selbst sind nichts denn eine goldene schwebende Wolke – Freiheit! Freiheit! –
Was weinst du, Loo? Wenn du weinen willst, gehe ich allein. –
Gleich einem herbstverwehten Ampelopsisblatt liegen im Abendlicht die gewaltigen Seebecken des Lorenzstromes da, wie wir über der steinigen Nordküste des Huronsees stehen. Mit unsern Gläsern sehen wir hoch am südlichen Horizont die Häusermeere Buffalos liegen und glauben als winzigen Silberfäden den Niagarra stürzen zu sehen – da meldet Howald: um elfeinhalb treten wir zwischen Sonne und Mond –, und wir bleiben über unserer unwirtlichen Küste hängen.
Die Nacht ist wolkenlos und still, nur die Seen unter uns branden unhörbar an den Gneisblöcken und Basalten. Hoch und mit seinen Tychostrahlen wie eine geschälte silberne Nagarunga anmutend hängt der Mond über uns, nur der Orion und der Bär sind bei seinem hellen Licht zu sehen. – Unsere Uhren zeigen halbzwölf, da wird der Ostrand undeutlich und verschwimmend, ein flacher dunkler Einschnitt frißt sich langsam ein, ein rostbrauner Kreisschatten saugt die silberne Apfelsine in sich – langsam, geduldig, er hat Zeit–. Und wie eine Stunde verflossen ist, ragt nur der westliche Rand wie eine schmale gleißende Kalotte über den kleineren dunkelrostroten Körper. Hinter ihm flammen leuchtend die Sternbilder in der dunklen Nacht auf, weißgrau und sternenleer ist der Himmel vor ihm; das Auge beginnt zu flimmern, lange rückwärts gerichtete Strahlen schießen von der halbmondförmigen Silberhaube aus – und jetzt strudelt und rennt das dunkelrote weißköpfige Gebilde wie ein riesiger Algenschwärmer mit scheitelständigem Wimperkranz durch die Welt. – –
Aber im Süden hinter den Seen sind Wolken aufgequollen, ein Nachtwind treibt sie unter uns her und wie zerwühlte Kissen, in denen ein Riese schwer geträumt, liegen sie unter uns; und der Algenschwärmer ist enzystiert, eine braune, tote Kugel taumelt er in die Nacht. – Doch um zwei Uhr Morgens ist er vom Rost befreit und lacht wieder mit seiner pausbackigen Bonvivantvisage in die Welt, unschuldig dumm und süß, als wäre nichts geschehn, – und die Wolken unter uns sind glatt und schwellend wie weiße Betten, die auf ein Liebespaar warten. –
Nun treiben wir langsam über die Alleghanis und das Piedmont dem Süden zu; am Abend hängen wir hoch über den Baumwollfeldern Alabamas. – Da, wie der Rand der sinkenden Sonne den Horizont berühren will, versammelt uns unser Fuchsmajor.
Wenn das Rätsel der Schwerkraft gelöst ist, und, ihr Füchse, es ist in diesem Moment geschehn, – jetzt haben wir die Schere, sie zu durchschlagen, und die Kappe, uns gegen ihre Strahlen zu schützen – ein Sprung in den Raum –! So reißen wir uns los von der Erde und folgen der unter uns rollenden auf ihrer Grenze von Tag und Nacht.
Ein unverrückbarer Standpunkt im Raum: und es eilt die Sonne davon und ihre Planeten in gewaltigen Spiralen: folgen wir ihren glänzenden Schleifen!
Berechnen wir die Resultierende der drei Geschwindigkeiten und Wege, finden wir den absoluten Weg und die absolute Geschwindigkeit, mit der wir unserer überwundenen Mutter im gedankenschnellen Laufe folgen! –
Vor uns den Tag und hinter uns die Nacht,
den Himmel über uns, und unter uns die Wellen!
Da war der von Abendwolken durchwogte Kessel, in dessen Mitte wir gehangen, herabgestürzt und rollt als buntfarbiger Riesenball auf dem Boden einer ungeheuren nachtschwarzen Kugel. Zu unseren Seiten die Sonne, fern, stechend und kalt, und die Sternbilder des Südens und Nordens sind um uns. – Fliegen wir, rasen wir durch den Raum, oder hängen wir fest wie ein Adler über unserer Erde?
Aber wir wollen ihre blauen Meere unter uns schäumen, ihre weißköpfigen Berge vom gelben Tag durch rote Dämmerung in braune Nacht sich wälzen sehen –! Da läßt unser Fuchsmajor uns wie schlagendes Raubgevögel niederstürzen –:
Die Sterne sind erblaßt, Wolken und Himmel flammen und flüchten, Orkane rütteln an unserem Schiff – aber unter uns spielen die Cañons des Rio Colorado, rosenrote Zinnen, Türme und gewaltig ummauerte Basteien, quirlen, kreisen, flüchten in die Nacht, eine bunt bekleckste Palette reckt sich die Yukawüste ihnen nach –, da schießen die steilen Osthänge der Sierra Nevada hoch, weißfirnig kommen sie an, schlagen unter uns in roten Flammen hoch und versinken als verbrannte, dunkelglühende Schutthaufen im Osten –. Ein Wolkentanz! Göttliche, rosige, tanzende, kugelnde, umschlingende und umschlungene Leiber: Bacchantinnen sind's, Meerfrauen flüchtend weiße wilde – – und nun kommt Er! Wie ein gewaltiger wolkenumuferter Strom – der Ozean! Silberfarben aufquellend aus dem fernen Tag, tiefblau unter uns und in Purpurtodesfarben gehüllt in den Schlund der Dunkelheit sich gießend. Acht Stunden lang trinkt sie seinen wogenden Purpur, acht Stunden lang hängen unsere durstigen Augen über ihm. – Wieder ein Wolkenleibertanz über gelben Ebenen, und der Göttliche ist tot. Berge und Ströme, der Kailas und Ganyri mit ihrem blauen Schmuck der heiligen Seen, Bergriesen, Dschungeln und braune Wüsten fahren dahin; Babylon, Golgatha und den Nil grüßen wir; Wüsten und Meere tanzen, der wolkenstürmende Atlas flammt und erlischt, der Ozean rauscht stundenlang – da kriechen die Brackwasser und Sümpfe Georgiens hoch, die abendlichen Baumwollfelder Alabamas träumen wieder unter uns und ein Tag ist hin.
Die Saiten gerefft! Die Pauke geschlagen!
Halb in braune Schatten, halb in bläuliches Licht getaucht, frißt sich der unter uns rollende Globus in den Boden der sternbestickten Nacht – biegt seitwärts in gewaltiger Spirale – jetzt nur noch ein purpurner Stern – jetzt verschwindend im galaktischen Staub.
Die Planeten –! Und auch sie nur Staub, in die Nacht gestreute Diamanten – Straßenkehricht, den ein Wind aufwirbelt und verweht.
Und die Sonne beginnt zu wandern, zu kreisen – und ist auch nur ein Stern wie die andern.
Fest, fester und ruhender als irgend ein Ding der Welt, Giordano, stehen wir im Raum; silberner, flimmernder Schimmelbelag überwächst seine gewaltigen Hohlkugelwände.
Da fangen die kosmischen Bilder an, sich zu verzerren, öffnen sich und treten auseinander, beginnen zu kreisen, zu eilen, zu schwirren wie ein liebestoller Schwarm Leuchtkäfer in einer Sommernacht – und werden größer und gewaltiger, kommen über uns – die Hand am Steuer! – –
Der Sternensturm ist vorbeigewirbelt, verwirbelt, verrauscht – ein silberner Rauchring, den einer in den Äther geblasen – eine leuchtender Linse die wir in den Raum gerollt – die sich verliert wie ein sinkender Stern.
Das war die Welt, war »das Ungeheuer von Kraft – die feste eherne Größe von Kraft – das zugleich Eine und Viele – das Meer in sich selber stürmender und flutender Kräfte, ewig sich wandelnd, ewig zurücklaufend, mit ungeheuren Jahren der Wiederkehr – mit einer Ebbe und Flut seiner Gestaltungen – umschlossen vom Nichts als seiner Grenze –« und wir hängend im Nichts, jenseits der Grenze, jenseits der Welt –. – –
Jenseits der Welt? Und nie wieder in der Welt? – fragte Marga und sah uns leuchtend an; dann trat sie an das Fallreep und verließ sausend als ein Meteorit des Nichts unser Schiff.
Horch Loo, der Specht lacht!
Als uns, die wir im Nichts, in grundlosen Abgründen und raumlosen Weiten und Höhen trieben, der silberne Rauchring wieder begegnete, nahmen wir Musarion die Tarnkappe ab und überließen uns den wogenden Strömen der Schwere und fragten nicht: wohin treibt ihr uns? an welcher Sternenklippe spült ihr uns an? – – –
Als wir nach endlosen Jahren Umherirrens und phantastisch-langweiligen Weltenspuks wieder die Erde unter uns sahen, ließen wir unsere Litteratur wie weiße Vögel nieder flattern und schaukelten wieder auf den Wellen des Ozeans. –
In einer windig-kalten, regnerischen Augustnacht landeten wir an der friesischen Küste; dort zündeten wir ein Windlicht an und begannen laut aus den übrig gebliebenen Jetztzeitbüchern vorzulesen. Da begann das Schiff zu stöhnen und zu ächzen, da schwoll es unnatürlich zu einer gewaltigen wimmernden Kugel an, da hob es sich gleich dem schwangeren Bauch eines Meerweibs aus den Wogen und platzte, als wir eine viertel Stunde gelesen hatten, mit einem kurzen kanonenschußähnlichen Knall auseinander.
Am nächsten Morgen trennten wir uns. –
Nach manchen verloschenen Herbsten erhielten wir von Howald einen Brief, durch den er uns zu dem Abschluß seines Lebens einlud. Wir eilten zu ihm.
Um den flechtenfarbigen Säulenstamm einer Buche gelagert, sehen wir zu, wie der Sommer verbrennt; wie er die Substanzen, die er unter der Sonne zusammengebraut, in der Flamme aufleuchten läßt, um sie dann dem alten qualitativen Analytiker in die Retorten und Gläser zu werfen: und im leuchtenden Gold verflüchtigt das Buchengrün, blutfarben der Faulbaum und knallrot Ebereschen und Vogelkirschen, während auf blendend weißen Dochten sich die schwefelfarbigen Birkenfeuer wiegen und tiefpurpurn wie ein glummender Aschenhaufen im Sumpf der Schneeball glüht.
Hörst du, Loo, wie der Specht lacht?
Wenn der Stab dort, um den der Kreis gezogen ist, den kürzesten Schatten wirft, dann soll es geschehn. Wir aber sind elegisch und schauen die Buchen an; als aber der Schatten unseres Stabes nur noch wenige Minuten Zeit bis zu seiner kleinsten Lange hatte, fing Howald mit einer Art Gebrüll also zu reden an:
Saufen wir! Reden wir nicht! Denn das Reden ist aller Trübsal Vater von Anfang an. Waren wir verbummelte Studenten, wenn wir nicht reden könnten? Buschklepper waren wir und stellten den Dienstbolzen und Schnapsausschänken nach und waren höchstens zuweilen etwas mürrische Tagediebe – in den Momenten, in denen jetzt unser Lamentieren am pathetischsten sich gibt, höchstens etwas mürrische, querkäuzige Tagediebe. In der Sonne lägen wir und brieten uns die Haut braun und schwarz, und unsere ganze Sprache wäre ein Nüstern-Blähen und eine Art stiermäßigen Gebrülls beim Anblick zweier Brüste oder eines runden Hinterteils, oder wäre ein Durch-die-Nase-Schnauben und ein inniges Grunzen wie das einer sielenden Sau. Oh, ihr Füchse und verbummelten Studenten, wir trügen in diesem Grunzen und Brüllen die Lösung der Welt, wir wären das Ding an sich, und die Welt bestände nicht aus Ich und Du, wir würden nicht merken und uns nicht einbilden, die Welt sei noch etwas anderes als Schnapsgläser und Weiberschenkel, der Katzenjammer bliebe uns fern und wir trügen nicht den Buckel der schweifenden Sehnsucht, wir merkten nichts von dem Chaos von tausenderlei Meinung und Lüge, in das wir uns hineingeredet, hineingeschwätzt; da wäre kein Wortefadengewirr, da hätten wir nichts zu entknäueln, keinen Anfang, kein Ende des Wortelügenfadens aufzufinden, da tobten wir uns nicht in metaphysischen Paroxysmen, in abschließenden Formeln und Systemen aus, da brauchten wir nicht wie heute dastehn und unseren letzten feinschmeckerischen Spaß zu haben an uns, die wir die Orientierung verloren, da unser Ich sich in Grammatik und unsere Philosophie sich in atavistisches Geschwätz verflüchtigt hat, da brauchten wir nicht außerhalb und jenseits stehen, da lägen wir da und grunzten und brummten uns mit seligen und kuhaugig dummen Augen zu Grab – oh, ihr Füchse und verbummelten Studenten, saufen wir! Reden wir nicht! –
Und nachdem wir noch eine Weile still und unbeweglich dagelegen hatten und den drei, vier Buchenblättern nicht wehrten, die in kleinen spielerischen Spiralen auf unsere Augen und Körper niederfielen, stieß Howald plötzlich einen brüllenden Klageschrei aus und schoß sich eine Kugel in den Bauch.
Horch doch, Loo, wie der Specht lacht!
Als sein Körper erkaltet war, gingen wir in den Wald, um Reisig für den Scheiterhaufen zu sammeln. Hier aber befiel uns eine sonderbar bleierne Müdigkeit, und ein Drängen und Brausen entstand in unseren Ohren, das uns zu unserer Buche zurückkehren hieß. Und hier betteten wir uns um seine Leiche und wühlten uns tief in die gelben Blätter und schliefen ein.
Oh Loo, horch, wie der Specht lacht!
Da senkte sich vor meinen Augen ein Nebel herab und mir war, als habe ich meine Augen fest geschlossen und sähe doch Marga aus dem Nebel treten; und ich fühlte, wie sie mir Augen und Stirn berührte und mich hochzog an ihre Brust. Ein Luftstrom schraubte uns hoch – da holte sie aus ihrem Busen ein Fläschchen hervor, das duftete nach Ruchgras und welkem Thymian, und träufelte Tropfen auf die Schlummernden. Da hebt es sich wie ein Hauch von ihnen, und ist kein Körper mehr, und hängt sich an uns, wispert, lispert und plaudert um uns, und hebt uns hoch und höher, über die Wipfel und Höhn – und werden wie ein Luftzug, ein Wind – und sind Sturm und brausen durch die Lande zum Meer, und dort verteilen wir uns in alle Winde. – Hell und klingend lachte der Specht auf und wiegte sich in elastischen Wellentälern über sie hin, die nach einer sprachlosen Weile sich mit wahnsinnswildem Ungestüm in die Arme preßten.