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Das Efeublatt

Die Nacht flog über den Nebelheeren hin und her; sie lugte durch die Türritzen und Fenster und Spalten, hinter die sich das Getier des Tages vor ihren Kulpaugen geflüchtet hatte.

Nun hockte sie zwischen dem Efeu und den feuchten Mauerresten des Turmes und schielte zu dem Fenster hoch. Da sah sie zwei Menschen stehen, nackt, und ihn ein Tuch über die Blöße seiner Freundin werfen. Und sie schmiegte das Haupt mit dem langen losen Haar an seine Schulter und legte den Arm fest um seinen Nacken, so schauerte der Atem der Nacht herauf. –

Kennst du das Märchen vom fehlenden Reim?– fragte sie ihren schweigsamen Freund.

Es war einmal ein großer Magier, der arbeitete Tag aus Tag ein und die stillen Nächte durch in seinem Laboratorium. Die langen Nachtwachen, die giftigen Dämpfe und die furchtbaren Erscheinungen hatten ihm den Famulus geraubt; nun mußte er allein arbeiten, Tag und Nacht, Sommer und Winter.

Aber eines Tages, am Nachmittag des heiligen Weihnachtsfestes, ließ er die Feuer erlöschen, wusch sich und ging in ein anderes Zimmer, das geschmückt war mit Krokodilpanzern und staubbedeckten Versteinerungen; an den Wänden hingen sie, auf den Tischen und Schränken lagen sie, ja von dem hohen Kanonenofen glotzten sie herab. Er sah mit einem finstern Blick über sie hin, holte aus einem Schrank einen großen Bogen Papier und setzte sich vor einen Tisch: Jetzt werde ich von meinem Leben schreiben.

Und er fing an zu schreiben in einer schweren klingenden Sprache, lauter Reime – stundenlang, bis ihn das heilige Abendläuten aufsehen hieß; er legte die Feder hin und sagte:

Ich will eine Pause machen. Mir fehlt ein Reim – vielleicht finde ich ihn, gewiß, ich finde ihn. – Da läuten sie: was dieses Plasma sich doch für seltsame Häuser baut – und der Muschelpetrefakt auf meinem Tisch, jedes Atom von ihm ein Sonnensystem: wenn diese Dinge einmal sprechen könnten mit Worten, wie wir sie verstehn, ob sie auch das Wörtchen wozu? kennen? Ob sie es auch wenden und drehen werden nach allen Seiten und es dann in heller Verzweiflung von sich werfen – wozu?

Doch mir fehlt der Reim – – Wie die Glocken läuten! Das ist nun alles für mich vorbei – Glauben und Jugend und Freunde – o ich hatte viele Freunde, aber ich traute ihnen zu sehr – und dann machte ich Reisen – Reisen – wie ist mir? Fand ich nicht auf einer meiner Reisen den Reim? –

In einem finsteren Geklüfte Karmels liegt eine Höhle und gräbt sich mit ihren ultravioletten Krallen tief hinein in das steinerne Herz des Berges. In dieser Höhle, fern, wo es so still wurde, daß das ungeheure Schweigen mir mit Donnerstimmen in die Ohren schrie, liegt ein kleines Gemach.

Dunkelrote Teppiche rollen von den Wänden, die selber schimmern wie Amethyst, Ambra brennt auf goldenen Dreifüßen, Smaragde, Opale und dunkelgrüne Chrysoberylle blinken, schwellende Diwane ziehen sich an den Wänden entlang – das war die Wohnung einer jungen Fee.

Beim Lesen hatte der Schlaf sie übermannt, daß ihre Hand, die ein Buch hielt, hinabgesunken war, – mitten auf ihrer runden Brust aber saß ein Falter und wiegte mit seinen blauen Flügeln. Und das Schweigen, das draußen mit Donnerstimmen schrie, war hier nicht mehr.

Behutsam ließ ich mich vor ihr nieder auf ein Gepardenfell und stahl das Buch, ein seltsam gebundenes, voller Schnörkel und sich verschlingender Arabesken.

– »als nunmehro der vierundzwanzigste Vers des heiligen Buches Mann geworden war, ging er in die Welt, um sich das schönste Weib, das es gab, als Ehegespons zu suchen. Er wanderte und wanderte, durch alle Fährnisse und Nöte, vergrub sich in Klüfte und Schluchten und stärkte seine Augen am Lichte tausender Sonnen und seinen suchenden Geist an Geweben und Gespinsten von Nichts – dann war ihm wohl, als hätte er die Ersehnte im Arm – doch sie zerflatterte ihm wie der Duft der Rose – du fühlst ihn, er durchdringt dich und macht deine Augen glänzen, aber du weißt nicht wie? und wo?

Da begannen Falten sich in seine Stirn und Wangen zu graben, und seine Augen wurden hart.

Aber eines Tages klopfte er an die enge Tür eines Buches und sprach zu dessen Herrn, der hervortrat, angetan mit einem weißen Seidenkleide: Ich bin der vierundzwanzigste Vers des heiligen Buches, der da heißt: In Allem Ist Und Alles Ist, O Mensch – – –«

Als ich bis hierhin gelesen hatte, schwirrte der Falter von der Mädchenbrust herab und verdeckte den Vers mit seinen schimmernden Flügeln – ich blickte auf und sah die Augen des Mädchens in den meinen ruhen, da ließ sie ihre Arme auf meine Schultern sinken und drückte ihren Mund auf den meinen. –

Aber als sie eines Abends in meinen Armen schlief, fiel mein Blick auf das Buch, das ich vor Jahresfrist oder mehr von mir geworfen hatte, und suchte den Vers – da ergrimmte der Falter und wuchs und schlang seinen Rüssel um mich und trug mich und warf mich – – Unter einem Ginsterbusch, der seine gelben Blüten über mich streute, fand ich mich wieder –

Da trat aus dem Walde vor mir ein Wanderer, staubbedeckt, das Antlitz von glühenden Sommern verbrannt und von beißenden Wintern zerrissen, eine Narbe der ganze Mensch. Der kam auf mich zu und fragte: Habt Ihr sie nicht gesehen? Ich bin der vierundzwanzigste Vers des heiligen Buches, der da heißt: In Allem Ist Und Alles Ist, O Mensch –ich suche das Mädchen, das mir bestimmt ist vom Anfang bis zum Ende der Welt –

Da ging er weiter, über den Bach hinüber, über die Wiesen, die Felder, bis er hinter den Hecken aus Haseln und wilden Rosen verschwand.

Jetzt fiel der Felsen von meiner Brust und ich schrie ihm nach: Ja, ich habe sie gesehen, ich habe sie besessen, ich habe ein Jahr oder mehr an ihrer Brust geruht – sie war der Reim! Sie war der Reim! Doch ihr Bild ist mir verschwunden, kein Bild, kein Laut oder Hauch –.

Der Abendwind tat sich auf, eine Amsel schlug im nahen Waldesrand – dann brach ich meine Reisen ab und fuhr heim. Werde ich sie wiedersehen? Ihr Kuß war sanft, und ihre Lippen waren weich und süß. –

Da sah die Nacht, wie das blanke Weib aus dem schwarzen Tuch sich hochzog zu ihres Liebsten Mund; und hörte es dann leise weiter sprechen:

Als so der Magier gedachte, wie er einstens den Reim besessen, hörte das Geläute der Glocken auf, und erstaunt blickte er hoch. Dann schüttelte er grimmig-traurig den Kopf und ging in das Laboratorium zurück, wo er die Rolle mit den tönenden Reimen fluchend zerriß und mit den Fetzen das Feuer anfachte unter den rußigen Kesseln und Retorten.

Das ist das Märchen vom fehlenden Reim. Kennst du es nicht? Kennst du es nicht? – Wie kalt ist der Wind, o trage mich in meine Kissen zurück. –

Das hörte die Nacht und sah, wie der Jüngling seine Freundin auf die Arme nahm, und sie sich um ihn klammerte wie eine weiße Schlange.


Die Sonne hing schon gleich einem roten brennenden Ballon im Osten, als Erich auf der Höhe stand, wo der Sumpfporst blüht.

Wo hat sie das Märchen her? Will sie, daß ich alles Strebens Wurzel und Krone in ihr und ihrer Liebe finde? Ihr liebes Spielzeug werde, ihr zärtlicher Besitz? –

In den Tälern lag der Nebel wie ein Meer, und die Wipfelgruppen der Erlen und Eichen sind Klippen, um die es brandet – eine steile Insel, ein flacher Himmel und eine brennende Kugel, die aus gelben Dünsten sich hebt: da ließ er sich auf ein Polster von Rasenbinsen nieder, um sich an dem Schauspiel zu weiden.

Und wie er seine Augen von den leise quirlenden Massen fort auf die Sonne wandte, bemerkte er auf der glühenden Scheibe einen Fleck; er blickte schärfer und sah, daß er eigentümlich zitterte und schwankte –

So wird ein Falke, der über einem Nebelmeer rüttelt, zum Sonnenfleck –

Jetzt fiel der Punkt blitzschnell in die Tiefe –

Wie mancher andere Fleck, der sich so zwischen uns und die Wirklichkeit schiebt, mag so zur Erde stürzen! Wie manches Wort noch, das uns die Aussicht versperrt – nicht jedes Wort?

Ziehen wir nicht mit Worten und Formbildern die Welt in uns und suchen sie dann, wenn sie in unserem Besitz ist, dieser zu entkleiden und streifen die verschlammten Netze ab von dem köstlichen Meeresschatz? Und was haben wir dann: das nackte bloße blanke Ding, das aber dennoch in unseren Gedanken steckt – in uns –?

Denke ich nicht zuerst das Chaos, aus dem ich eine Wortwelt bilde, die ich sodann durch Abstreifen der Worte zum Ding an sich konstruiere?

Muß ich nicht so meine Formel: Ich schaffe die Welt – verbessern in die: Ich bin die Welt? Einmal Chaos, einmal Wortwelt, einmal Ding an sich?

Suche ich also nicht Loo durch meine Vorstellung, meinen Wunsch und Besitz in mich zu verwandeln, sondern vielmehr: denke ich sie nicht erst, schaffe ich sie nicht zuerst in mir, ist sie nicht ein Teil von mir, mit dem ich schalte, wie mir behagt?

Wie könnte ich jemals ihr zärtliches Spielzeug werden! Ist sie nicht ich! Bist du nicht ich, du süßes Märchen?

Ich bin die Welt! –

Aber wenn alles Menschenleben zerstiebt, so hängt doch droben noch düsterrot die erlöschende Sonne – ah! wie nun ihre warmen Strahlen in den Nebel greifen, sie zu langen Locken und Bändern spinnen und in die Höhe ziehen, um aus ihnen die weißen Wolkenbälle zu weben und zu nähen, und dann den Wind rufen und ihre Weberkünste ihn forttragen und weitersegeln heißen durch die blaue Sommerwelt!


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