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Die Mücken

Reißend und sonnenfroh flog der neue Tag herauf, doch wie braune Schnecken langsam krochen Erich die Stunden daher – aber die Stunde Wegs den Bach hinauf, den Flügelschlag einer Stunde den Bach hinab –! Das Gras lag noch zertreten und zerdrückt – Tandaradei! – er wühlte sich hinein, kreuzte die Arme hinter dem Kopf und blinzelte wartend ins Licht.

Aber er wartete und wartete, eine halbe, eine geschlagene Stunde ging hin. Da sprang er hoch und blickte umher – nichts, nur der brennende zitternde Mittag. Und wieder verrann eine Stunde und glühte senkrecht die Sonne herab; Wolken blutgieriger Bremsen und pfeifender Mücken umschwärmten ihn, summend, singend, stechend und quälend – er schlug um sich, tauchte abgerissene Weidenzweige ins Wasser und schlug damit um sich, flüchtete in die Schatten der Erlen – aber ganze Schwärme stiegen aus dem kochenden Sumpf. Da warf er die Kleider ab und suchte Schutz in dem Bach, streckte sich über den Sand und ließ die perlenden Wasser über sich rinnen. Nun hatte er Ruhe vor den Stechborsten und haarfeinen Stiletts seiner schwirrenden Feinde; sie stoben fort und suchten sich ein anderes Wild.

Aber jetzt kam ihm der Durst, trocken, zungenklebend. Der trieb ihn hoch, daß er sich ankleidete und ingrimmig scheltend nach dem nahen Eichendorf lief, – eine stöbernde Mückenwolke sang hinter ihm her.

Und dort, in der Wirtschaft Zur alten Eiche, trank er, aß und trank und trank –

Allerhand Volk kam herein, Pfahlbürger und Fuhrknechte, ein Trupp Viehjuden schlurfte herein, schmutzig und kotstinkend, und fuhr in seinem Schacher fort.

Haben sie dem das Gesicht verhauen! –

Hat sich gefecht, hat sich mit's Rasiermesser von die Doktors gefecht. –

Ein Unfug, der sich immer breiter macht, – rief ein junger, schwarzröckiger Volksschullehrer – eine Sünde, sich derart den Körper zu verstümmeln! Eine Unmoralität, der verfluchten Eitelkeit wegen mit seinem und seiner Mitmenschen Leben zu spielen! –

Was! einen Unfug, Eitelkeit, eine Sünde – Unmoral! – rief Erich aufspringend und in den Kreis tretend – und Sie schwarzröckiges Pfaffengeknete wagen das mir zu sagen?

Wie? Wenn ich handele, wie mir behagt, nennt ihr das Unmoral? Ja, ihr nennt's so. Ihr duckt euch, ohnmächtig, hassend, vergeltungwartend, und nennt meine rücksichtslose Kraft unmoralisch, böse, weil ihr sie nicht habt, weil sie euch schadet – was sie mir ist, darnach fragt ihr nicht. Ach, was wißt ihr Gesindel von mir! – –

O, ihr kennt wohl die süße Trunkenheit der Rache, die mir die Klinge in die Hand drückt – aber ihr seid schwach, ihr wagt und könnt euch nicht rächen, sagt uns aber, ihr wolltet es nicht und vergebt. Aber spart ihr nicht ihre Süße dem Siege der Gerechtigkeit auf, auf dann, wann ihr in eurer erbettelten – pfui Teufel! – Ewigkeit und Seligkeit lacht und jubelt und jauchzend und lobsingend euch freut an dem Duft unserer höllegebratenen, schwefelgeschmorten Ruchlosigkeit, Ungerechtigkeit, unserer – Stärke?

Nicht wahr, ihr nennt mich gut, wenn ich euch nicht schade und alles das, was ich mir errauben und in mich zwingen könnte, euch überlasse – nein, mit euch teile – sonst wäre ich ein verdächtiger Verächter. – Und böse, wenn ich lebe, wie ich will, nach meinem Gesetz und meiner Moral, wenn ich sorge, daß mein Handeln meine Eigenart und mein Gewissen nicht beschmutzt, mich mir nicht verekelt, wenn ich meine Lebenskraft nach außen werfe, dem Gegner ins Gesicht, auf daß ich nicht über mich selber herfalle und mich zerschlage, mich zu meiner eigenen Hölle machen muß?

Eure Güte ist Ohnmacht, eure Geduld Warten-Müssen, eure Verzeihung Schwäche, eure Seligkeit Zinsen für erhaltene Prügel; euer Gut das euch Pöbel Nützliche – mein Gut das mir – mir allein Nützliche und Genehme.

Ihr lügt eure Schwächen um in Verdienste, in entsagende hoffende langweilige Tugenden: verlangt aber nicht von mir, daß ich tue und denke wie ihr: ihr habt eure Welt, ich die meine, ihr habt keine Ahnung von der meinen, sie ist euch ewig fremd, sie und ihre »Moral«: so schmuggelt nicht eure Welt in die meine, betrügt, belügt und bezaubert und knechtet nicht meine Moral mit der euren!

Moral? Moral? Gut? Bös? Ihr moralisiert mich gut, wenn ihr mich nicht fürchtet, böse, wenn ihr meinen Schlägen entgegen bangt. Meinthalb. Wähnt aber nicht, daß ich deshalb diese Faust, die euch peitschen könnte, böse nenne, unmoralisch nenne – sie ist mir gut, gut und höchst moralisch, weil sie tut, was ich will. Maßt euch nicht an, daß ich euch, die ihr mich aus bangen, müden, dummen Augen anstarrt, gut heiße – ihr seid mir schwach, feig, schlecht und schlecht! Was ich kann, will und tu, ist gut – das ist meine Moral, ist die Moral, ich bin das Maß der Moral – und ihr seid feige Hunde! – –

Wollt ihr nicht? – – Oder wollt ihr lieber eine Runde Bier? –

Sie knurrten und schielten ihn an – die Runde kam, da tranken sie mit – weswegen sollten sie auch nicht mittrinken?

Dann ging er nach draußen und setzte sich mit einem neuen Glas unter den Kastanienbaum.

Er hat Nietzsche gelesen, meine Herrn, und ist dazu betrunken. Gehen wir beiseite. Er wird schon daran zu Grunde gehn. –

Dann sprachen sie noch eine Weile durcheinander, tranken und gingen nach Haus.

Als die Sonne schon schräg über den Dächern stand, trank Erich das letzte Glas und ging. Er ging, den Hut in der Hand und den Rock am Stock über der Schulter getragen, und der kühle Lufthauch, der über den schattigen, hochgelegenen Fahrweg strich, trug ihn in einer leichten wiegenden Stimmung weiter. Von rechts her blinkten die Türme des Schlosses herüber.

Glänzt nur und blinkt! Ich kenne eine weiße Haut in euren Mauern, die tausendmal schöner glänzt und blinkt, – und die gehört mir, mit Leib und Seele mir. Haha! mit Leib und Seele mir! –

Ein Hügelrücken, der aus einem duftigen Birkental aufstieg, lockte ihn mit einem Ausblick über den langgestreckten Bruchgraben, die Wälder und den farbenfrohen Westen.

Sieh, wie ein flacher grüngoldner Weinbecher ist der Himmel über die Erde gestülpt. Dort, wo die sinkende Sonne hinter dem Himmelsglase leuchtet, hängen purpurgoldne Schaumtropfen an der Weinschale, und drüben im Osten, wo der Mond rot und gespenstisch groß durch sie hindurch blinkt, liegt blauschwarz die kalte Nacht hinter ihr und reißt blutrote Risse in sie. – Nun werden die Rotweintropfen im Westen aussehen wie brennender Purpur, die ganze Schale leuchtet und flammt – hörst du nicht, wie sie klingt? Ein klingender, mächtiger Ton, süß und lang, als wollte er nicht enden – laß mich aufgehen, großer Gott, in deinem Farbenklang, selbst du werden und rosenrote klingende Welt! – –

Mit meinen Denkformen arbeite ich meine Sinneseindrücke um zur Welt. Und nehme ich einen Teil dieser Welt heraus, so kann ich von ihm meine menschlichen Zutaten nicht mehr abstreifen, um ihn als ein Ding für sich hinzustellen. Versuche ich, ihn zu erklären, so beschreibe ich meine Zutaten, also mich – durch wen? durch mich – empfinde ich seine Schönheit, so empfinde ich mich, den Schöpfer des Schönen; und bewerte ich ihn nach Gut oder Böse, so bewerte ich mich, mich den Schöpfer moralischer Werte.

So habe ich eine Ichwelt und daneben, dahinter eine andere Welt, ein Chaos für mich, ohne Ordnung, Zahl und Zeit, Raum und Ursächlichkeit. Gut und Böse, Schön und Häßlich, Sein und Nichtsein, das ich aber in mich umschöpfe, das ich umschaffe zur bunten Wirklichkeit – ich, das kleine Tier das große wilde Chaos – dieses Himmelsweinglas, das da über mir hängt voll von Wein und Trunkenheit, und das ich an die Lippen setze, durstig, durstig – O Welt! O Gott! O Ich! –

Er stand auf, blickte mit trunkenen Augen in seine Welt und machte sich auf den Weg.

Aber als er die ersten Häuser im Dorf erreicht hatte, leuchtete ihm ein Wirtshausschild entgegen. Leute saßen am Fenster und er meinte, sie nickten ihm freundlicher zu als sonst. So trat er ein, trank und war guter Dinge. Und die Nacht endete damit, daß er mit früheren Trinkkameraden zusammengeriet und – am nächsten Morgen sich nackt vor dem Klavier liegen fand, an dessen Kerzenständern er seine Kleider aufgehängt hatte.


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