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Der Bauchhaarige

Wo das Sonnentier Actinosphaerium im Grundschlamm des Kosakenkolkes rollt, wo die prachtvoll grünen Desmidiazeen und zierlichen Diatomeen gleiten und als selbstherrlicher Räuber dieser Welt der Ruderfüßler und Große Wasserkäfer haust, lebt ein rätselschweres, bauchhaariges Wesen, der Chaetonotus chuni.

Man weiß wenig von ihm, man ist noch mit der Frage der Zugehörigkeit der Gastrotrichen, d. i. der Bauchhaarigen, beschäftigt; kennt man aber die, kann man bestimmt sagen: es ist kein Infusorium, es ist ein Fadenwurm, ganz bestimmt ein Fadenwurm, Herr Collega, so ist das Rätsel, mit dem sich der Bauchhaarige umhüllt, gelöst. – Dieses Rätsel wollte Erich lösen.

Es ist doch nur ein Wortspaß – murmelte er und schleuderte die Flasche mit dem Rest des Schlammes, aus dem er die Bauchhaarigen gefischt, in den Kolk zurück; hängte das Planktonnetz zum Trocknen an einen Weidenast und etikettierte eine Reihe anderer Gläser –

Ja nur ein Wortspaß. Man füllt eine Rubrik, schlingt einen neuen Knoten, freut sich und damit hat die Sache ihr Ende – mit einem Wortspaß; und damit vertreiben Leute ihr Leben, mit einem Wortspaß. Es mag auch ein Augenspaß sein, ein Trost vielleicht, daß auch diese Plasmawürste leben und leiden – leiden? Gefressen werden! Das Leiden bezweifle ich – das ist unser Privileg. – –

Da kommt ihr Vater! Ein Graf mit Ketscher und Botanisiertrommel! Ein würdiger Nachkomme derer von Raesfeld! Beim Teufel! ein würdiger Schwiegervater! Ich möchte ihn sprechen hören.–

Er trat auf den alten Herrn zu und entschuldigte sich, daß er ihm ins Gehege gekommen sei.

Sie schaden ja nicht meinem Besitz, wenn Sie sich die Mühe machen, ihn zu durchforschen. –

Nun ja, ich gebe Ihnen ein paar Worte mehr – sie stehen zur Verfügung. –

Der alte Herr lächelte und bat ihn, ihm eine Durchsicht der Gläser zu gestatten.

Bitte; aber es sind nur Worte, immer Worte, Herr Graf. Ich suche nur das Rätsel des Chaetonotus zu lösen. –

Sie setzten sich ins Gras, und der Graf betrachtete bedächtig kleine Schlammproben unter der Lupe und setzte dann mit einem Grashalm die weißen Striche auf die Glasplatte des Algensuchers.

Der Chaetonotus chuni zweifellos. –

Nicht wahr? Man müßte eine Kultur von ihm anlegen. Das Rätsel muß geknackt werden. –

Und zwar bald, sonst kommt Ihnen ein Anderer zuvor. –

Zweifellos. Die Lösung schwebt in der Luft – ein glücklicher Griff, und der Mann hat sein Lebenswerk getan. –

Gewiß. – Wir haben eine viertel Stunde bis zu mir. Begleiten Sie mich? –

Gerne. Aber bedenken Sie, es sind nur Worte; Rätsel und Lösung sind Worte –

Sie fangen wohl nach wortlosen Begriffen? Damit kommen wir nicht weit. Sie wissen, man sagt, unsere natürlichsten Begriffe und Stellungen zu den Dingen seien Irrtum und Lüge von Anfang an. – Bist du toll geworden, Loo? –

Er sprang auf und eilte auf das Sumpfloch zu, in welchem Loo über die Graspolster, die sich um die Erlenstamme gebildet hatten, auf sie zu turnte. Aber lachend sprang sie aus dem gefährlichen Gebiet.

Den Weg hab ich schon tausendmal gemacht! – Ach, gehen Sie mit meinem Vater auf die Schmetterlingsjagd? Haben Sie ein komisches Schmetterlingsnetz! –

Sie ergriff das Netz und schwang es kreisend um sich, daß Erich die Tropfen ins Gesicht flogen.

Da sah sie die Gläser, die neben ihm im Grase standen.

Was haben Sie hier? – Der Große Bauchhaarige aus dem Kosakenkolk – was für ein Unsinn! Weg damit! Und das! – Fort mit dem Zeug! – – Laß uns gehen! –

Jaja. Sie kommen doch mit? Gewiß kommen Sie. –

Gewiß komme ich. –

Er nahm sein Netz, zerriß es mit einem Ruck und schmiß es den Gläsern nach, die Loo in den Kolk geworfen hatte. Sie gingen durch den Sumpf, durch den soeben Loo gekommen, sprangen von Erle zu Erle und balancierten dann vorsichtig über einen schmalen Pfad, der unter ihren Schritten wogte wie junges Eis. – So waren sie eine Weile gegangen, wortlos, Loo voraus – als Erich plötzlich einsank und schnell bis zu den Hüften im Schlamm steckte. –

Mit bösen Augen hatte Loo ihm zugesehen, wie er sich an einer Erle, die ihr Vater zu ihm niedergebogen, herauszog, und war dann mit den Worten: Ich werde vorausgehen und für den verunglückten Herrn trockene Kleider bestellen – wütend fortgelaufen.


Bad, Anzug und Wäsche war für Erich bereit, aber vergeblich suchte er nach einem Brief, einer Karte, einem Wort, nur nach einem Zeichen von Loo. Da kleidete er sich um; es schien der Anzug eines Gärtnerjungen zu sein – es war ihm gleich, aber der Durst quälte ihn. Da stand auf einem Tischchen ein Glas Milch und ein belegtes Brot –

Er nahm das Glas und setzte es an den Mund, aber mit einem Fluch riß er es zurück und warf es auf die Steinfliesen.

Du Teufelinne! –

Da trat sein Wirt ins Zimmer –

Wer stellte Ihnen denn das hier hin? – Aber wie wär's, wenn wir den Bauchhaarigen für heute in Frieden ließen und einmal zusähen, was Raesfeld an Diatomeen besitzt? –

Sie gingen hinab und stiegen in den Nachen; und Erich ruderte, durch den Schloßgraben und den Schilfwald in den langgestreckten westlichen Teich. – Nymphäenblätter, dicke aufgetriebene Algenwatten, ein Schwanenpaar, das wütend das trichterförmige Netz angriff, erschwerten ihre Arbeit; aber als sie genügend Material hatten, gingen sie an Land, siebten, sonderten, glühten und färbten, bis die blendenden Wolkentürme, die vorher ihr schönes Licht in das Mikroskop geworfen, zu dunklen Gebirgen wurden und mit wilden Zacken und schneeglänzenden Gipfeln zu ihnen herüberdrohten. Da schoben sie die Instrumente beiseite und Erich verabschiedete sich, denn es war sicher, daß die nun schiefergraue Bergmauer mit Gewittern ging; den Wagen, den ihm sein Wirt anbot, lehnte er ab.

Auf den Gängen, im Hof oder Garten, an ihrem Fenster – von Loo war nichts zu sehen. Da schlug er den Kragen gegen den in großen Tropfen schon niederschlagenden Regen hoch und eilte ins Freie.

Hier überholte ihn der Sturm, warf ihm den Hut vom Kopf, daß er über die Felder tanzte –

Zwei Monde lang hatte der Himmel gebrannt und geglüht und unendliche Wassermassen hochgehoben, jetzt warf er sie in einem Gusse herab, Sturm und Gewitter hinterher. Die Luft ward zu Wasser, klatschenden, schlagenden, gießenden, prasselnden, unheimlich brausenden Wassern, die die Stürme hin und her warfen, dort es als eine kompakte Masse glatt auf die Erde schleudernd, dort es sich in die Hände werfend und als gischtenden Schaum wieder in die Wolken wirbelnd. Hier riß der Sturm, auf weiten Feldern seine Brüder zu einem singenden Keil zusammenschweißend, eine jähe Lücke in die brausenden Wasser und verteilte sich dann heulend über die Wälder, bahnte sich hier, vertausendfacht, seine zusammenbrechenden Wege, um sich drüben auf den Heiden wieder zu eins zu ballen und im Hui! über die Hügel zu tanzen – Wacholder und Heidebüschel hinterher. Da spaltete ein Schlag den Himmel in zwei Teile, und polternd rasselten die Trümmer herab! Da wieder einer! – Da! – Dort! Ein Riese stand da oben und zerhieb den Himmel in Fetzen, und wie Hagelschlag unaufhörlich kollerten die rollenden Trümmer herab. Und aus den zerfetzten Rissen fuhr der entfesselte Sturm und stampfte Wälder und Felder in Grund – Feuerjoh! Feuerjoh! Im Schloß hat's eingeschlagen! – Feuerjohoho! Die Scheune brennt, das Schloß brennt! – Brand! Brand! Das ganze Dorf brennt! – Hoho! Das Fräulein! Fangt sie! Das Fräulein ist toll geworden! Fangt sie! Hussa ho! Fangt sie!

Doch sie war schneller als ihre Verfolger. Von Liebe und Furcht gejagt, flog sie durch den Sturm und Lärm. Fangt sie! Schon hatte sie die Chaussee erreicht – Fangt sie! – jetzt bog sie in die einsamen Waldwege ein – o sie kannte die einsamen Waldwege! Noch zwei, drei beherzte Burschen sprangen ihr nach – dann lockte neuer Feuerlärm sie zum Dorf zurück.

Da kämpfte sie sich wieder durch zum Weg; laufend, kriechend, liegend – die nassen Büsche zerschlugen ihr Gesicht, Regen und Sturm warfen sie hin und her. Dann trieb sie ein jäher Blitz, der spukhaft die Gegend erhellte und polternde Donnertrümmer auf sie warf, wieder auf den rechten Weg. Haare und Kleider flatterten in dem schlagenden Sturm – er warf sie zu Boden – in den Graben – da krachte ein abgerissener Ast neben ihr nieder – sie stolperte, stürzte – doch weiter! nur weiter! immer weiter! Zu ihm! Zu ihm! Zu Füßen will ich ihm liegen – aber mir soll er gehören, mir allein! Mir allein! Jauchzend schrie sie es in den Sturm. –

Du Teufel! Du Teufelinne! Das Lied sang der Sturm und Donner in Erichs Ohren den ganzen Weg; warf ihn hin und her – Du Teufelinne! Süße Teufelinne! Da spellte ein Blitz eine Pappel neben ihm – in zehn, zwanzig glühenden Schlangen fuhr er in den Boden und als leuchtendes Schwert wieder hoch in die Nacht. Schlag sie tot, schlag sie tot, die Teufelinne! Ho! du Sturm schlage sie tot! Da fegte er ihn über den Weg und rollte ihn in den Graben – er watete in ihm fort, von dem der gießende Regen wie ein Schaum und Nebel wieder hoch stieg. Er fiel, raffte sich hoch und erkletterte mit Händen und Füßen den Weg. O wie schmerzt der Regen auf dem bloßen Kopf! Als spülte er Haare, Haut und Knochen fort! Da tanzte eine blaue Kugel über dem Weg, da fern über den sturmgebeugten Bäumen, nun hier, jetzt da – O du blauer Blitz, o du tanzende Kugel – tanze sie, tanze sie tot, den Teufel! Da sprang sie mit einem klatschenden Donner auseinander – Heißa! Klatsche sie tot! – Der Wind verschlang's, warf ihn hin und her, quirlte und wirbelte gelbe Wolken wie Schwefelstaub durcheinander und schmiß sie hussa ho! in den brechenden Wald. – Du Teufelinne, süße Teufelinne! O du schöne Teufelinne! Was tat ich dir? O schlagt sie tot, schlagt sie doch tot!

Rief sie da nicht? – Oh, die Teufelinne kommt! Da floh er vor ihr her wie ein wolfgejagtes Tier. – Heinz! – Schlagt sie tot! – Heinz! – Da hatte sie ihn ereilt und riß ihn zurück – er stieß sie fort in den Schmutz –. Da umschlang sie seinen Leib und er schleifte sie hinterher –. Schlage mich, Heinz, o bitte, schlage mich! – Da drängte sie sich hoch, umklammerte mit beiden Händen seinen Arm und preßte sich an ihn. – Ich will ja nur dich haben, aber dich allein, ich dich allein! – – Sie halten mich für toll – Heinz! sie wollen mich fangen wie einen tollen Hund! O ich bin auch von Sinnen, bin ja toll – – Der Sturm warf die Taumelnden hin und her – und der soeben eine Pause gemacht, brach mit neuem Ungestüm über sie. Da fegte er ein Meer wirbelnder Blätter hoch über ihnen her und warf es weit in die Heide, die grau und unsäglich wild vor ihnen lag.

Hussa! mein schönes Lieb! Hussa! –Wollen wir fliegen? Kannst du nicht fliegen, süßer Teufel? –

Er riß sie hoch, sprang windgetragen über den Graben und flog mit ihr Hand in Hand über die Hügel – jauchzender Sturm und Blätterwirbel hinterher. Hussa! Ich habe dich lieb, du schöner Engel – Hussa! Du süße Schöne, wir fliegen – o du Wilde, Schöne wir fliegen – fliegen –

Da warf sich der Sturm auf eine andere Seite, wirbelte sie um und rollte sie den Hügel hinab. Dann holte er noch einmal Atem in die brausende Brust und spie ihn aus, daß die Wacholder und Heidebüschel wieder über die Hügel tanzten. – Dann legte er sich stöhnend auf die Seite und sank in Schlaf; die zerfetzten Wolken da oben und da auf Erden die jagenden Blätter und verwehten Menschen mochten sehen, wo sie eine Ruhestatt fänden. –

Auf der Heide wurde es still. Nur droben die Wolken trieben noch ihr Spiel und erzählten sich in ihrer hastigen Weise, daß nun Regen kommen würde, langer wochenlanger Regen.


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