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Der dunkelblaue Enzian zum dritten Mal

Aber eines Tages trat in seine Stube ein Bote und überreichte einen Brief von dem Gericht seiner Heimat; in dem war zu lesen, daß er von dem verstorbenen Grafen zum Erben eingesetzt war.

Da schwieg er eine geraume Zeit – Den Anachoreten in der Wüste zu spielen, ist keine Kunst, aber in Alexandrien und Rom! –

Und er trat die Erbschaft an.


Ü rump– ü plump pump rülpste die Dommel am Teich, in dem die Frösche wie eine tollgewordene Spieluhr quakten, ein lauter Vogel sang fern im Bruch – da stand Erich am Fenster und blickte in die Nacht. –

Aber die Gentiana pneumenanthe habe ich wieder gefunden, unter einer Eiche, die Jägereiche nennt man sie, – er blüht früh im Jahr, mein Enzian.

Ein Menschenalter lang – läutete er – bist du unten gewesen und kommst jetzt wieder her zu mir: was willst du hier? Deinem Narren Zucker geben?

Dich, dein Verhältnis zu den Dingen
und diese selbst, so wie sie sind,
in eine Formel zwingen?

Ho! alter Freund, in einem Jahr tanzen die Lettern vor dir und sind deine müden Augen blind.

Oder will er wieder selber Baumeister sein, selber Philosoph?

Ach alter Narr, in einem halben Jahr bist du toll. –

Da stand der silberbestäubte Klöppel still. – Ich werde mir ein Fernrohr kaufen, einen Achtzöller; und dort oben auf dem Turm soll er stehen. –

Dann zündete er Licht an und repetierte die Grundsätze der Astronomie.

Am nächsten Morgen erhielt der Zimmermann den Auftrag, das Kuppeldach des Turmes drehbar zu machen; das Turmzimmer wurde behaglich eingerichtet, der blanke Achtzöller aufgestellt – nun saß er die Nachtstunden durch im Turm, und in seinem Tagebuch wechselten lange Zahlenreihen ab mit großen, flüchtig hingeworfenen Buchstaben. – Doch trat er müde und mit schmerzenden Äugen auf die Galerie und blickte hinab in die stille Nacht oder in den Morgen, wie er gelb und langweilig aus der Heide stieg, so blitzte wohl das Auge auf, und zornig stampfte sein Fuß die verwitternden Steinfliesen. –

Das sehe ich nun alles, mein Geist durchblitzt unendliche Räume und kann sich bei schwindelndem Gehirn sekundenlang vorstellen, wie es in Wirklichkeit – in menschlicher Wirklichkeit sich darstellt. Und ich empfinde Ehrfurcht.

Wovor empfinde ich Ehrfurcht?

Vor der Ausdehnung des Raumes? Vor meiner Schöpfung, die ich nicht zu Ende bringen kann? – Vor dem schlechtweg Unbekannten, dem X? Das ich selbst gedacht, alias erlogen habe? –: Nein vor dem Raum und dem X habe ich keine Ehrfurcht.

Oder vor der Gesetzmäßigkeit der himmlischen Bewegungen? Wäre sie nicht, so zerfiele das Schauspiel in Wirrnis und Staub – : wie kann ich die Notwendigkeit bewundern? – Und diese »Gesetzmäßigkeit«, ist sie nicht ein, wahrscheinlich verlogenes, Bild, das ich mir aus fraglichen Sinneseindrücken und aus Begriffen, die ebenso fraglicher Herkunft sind, gemacht habe? – Ein Wort, durch das ich ein menschliches Nicht-Können in ein tröstend allgemeines Müssen umgelogen habe? Soll ich meine Lügen anbeten? – Und wie steht es im Besondern mit dieser Gesetzmäßigkeit? Da ist noch der Stoff, und an ihm greifen die gesetzmäßigen Kräfte an. Aber wo ein Gesetz herrscht, wird immer ein Widerstrebendes vorausgesetzt –: soll nun das Widerstrebende in der Kraft selbst stecken oder im Stoff, in seiner Trägheit? Eine Kraft im Stoff – zwei Kräfte, die sich um den Stoff streiten, um den Stoff, der wiederum sich, als dem Widerstrebenden, sein eigenes Gesetz aufzwingt, das der Träge –? Darauf läuft es hinaus. Kraft gegen Kraft, eine unentwirrbare, grundlose Einschachtelung von Kräften, und in ihrem ewigen, makroskopischsten und mikroskopischsten Streit soll es eine Gesetzmäßigkeit, eine Norm geben, der sie alle als Widerstrebende untergeordnet sind? – Wer ist der Gesetzgeber? Nun, dafür gibt es vielerlei Worte, und hinter denen grinst der Vierhänder, der Mensch –: Ehrfurcht vor dem Menschen?

Aber der Mensch ist auch ein Stück der Welt, – und so überkommt mich vielleicht die Ehrfurcht vor ihr, die eine solche anscheinende Gesetzmäßigkeit, ein solches Abwägen zwischen Stark und Schwach, besitzt und in ihm sich dessen bewußt wird? – Vor solchem Bewußtwerden Ehrfurcht? Ehrfurcht vor dem, das unter Anderm den Menschen in die Erscheinung stieß?

So bleibt, wenn ich einmal Ehrfurcht hegen will, nur die vor dem Unbekannten, jenem X; und da ich dieses, geschaffen, so habe ich Ehrfurcht vor meiner Weisheit oder meiner Dummheit.

Nun, meine Weisheit besteht, außer jener famosen Schöpfung des X, darin, daß ich weiß: daß da draußen ein Ding steht, von dem ich nur ein Bild habe, – daß meine Sinne zu wenig sind und deshalb dieses Bild einseitig ist; jedes Tier, jede Pflanze, jedes Atom meines Körpers kennt wieder andere Seiten von ihm: weshalb kenne ich diese nicht? – daß – wenn mir auch tausend Sinne zur Verfügung ständen, – ich das so Übermittelte doch nur durch die drei Denkformen verarbeiten könnte: warum habe ich nicht mehr? – daß diese meine Denkformen geworden sind, garnicht da sind zur Erkenntnis, sondern nur zur Unterscheidung des mir Nützlichen und Schädlichen, ein anderes Organ: warum sind sie nur so beschaffen? warum muß ich dies erkennen? – und zum Schluß, daß mein Denken, meine Philosophie, meine Welt nur Worte sind, daß auch das tiefste Erkennen immer subjektiv, immer Bild bleibt, daß ich nichts bin denn ein unzufriedener, faselnder Grammatiker.

Was bleibt mir da von der Bewunderung meiner Weisheit übrig? Die Bewunderung, die Ehrfurcht vor ihrer Unzulänglichkeit, d. i. die Bewunderung meiner zulänglichen Dummheit.

Soll das meiner Sehnsucht Ziel und Ende sein? – Bedauere ich es vielleicht? Dann hätte ich dreißig Jahre zwecklos Kohlen gehauen. –

Wie ein Licht nach dem andern da unten erlischt – nur die Sterne, ich und die balzenden Bauernburschen sind wach – – und sind alle drei das Gleiche – aber was? Das muß sich doch ergründen lassen!

Dummheit? – schwerlich. Weisheit? – unmöglich. Güte? – wäre Blasphemie. Ruchlosigkeit? – wäre Feigheit. Aber Rücksichtslosigkeit? – augenscheinlich. Zwecklosigkeit? – höchst wahrscheinlich. Aber Sinnlosigkeit? – was wissen wir!

Stoff? – niemals. Kraft? – gewiß. Geist? – wo steckt der Unterschied zwischen Kraft und Geist?

Aber sollte ich ihn finden, muß ich dann nicht fürchten, er wird wieder Bild, Spiegel, nur ein Wort sein? –


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