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Bei der Fortsetzung der Beratung wurde beschlossen, daß die Wach-Einteilung dieselbe bleiben sollte, wie sie bisher gewesen, Deacon den Befehl über die Backbord- und Banyard den über die Steuerbord-Wache übernehmen solle. Ich für meine Person brauchte, da ich als Kapitän fungierte, keine Wache zu thun, sondern konnte nach Gefallen kommen und gehen.
Der Koch, über die vorhandenen Lebensmittel befragt, gab an, daß noch ein guter Vorrat Trinkwasser im Kielraum verstaut sei und sich ebenso Proviant zur Genüge, für wenigstens noch sechs Monate, im Lagerraum befände.
»Nun, Maats,« sagte ich, »da wir hier alle gleiche Rechte haben, muß auch beschlossen werden, wie es mit den für die Kajüte bestimmten Vorräten gehalten werden soll; sollen dieselben auf alle Köpfe verteilt oder zur Benutzung der Dame reserviert werden?«
»Wat müg woll de Dam girn eten? un wo vel Tied warden wi bruken, üm Deacons Insel antaulopen?« fragte der Schöne.
»Wir werden zwei Monate und mehr gute Fahrt brauchen.«
»So lat't dat Mäten behollen, wat tau de Spieskammer von de Kajüt gehört,« rief Welchy, »ik bün taufreden mit der Vorderkastell-Ratschon. Rinfleisch is en gauden Eten. Mi dücht, 's wier gerecht, wenn wi de Häuner un Ahnt' un wat süs noch für de Kajüt sien sall, utwesseln gegen Rum. Wat meint Ji dortau, Jungs?«
Ich wandte mich zu Deacon und sagte: »Wenn du wünschst, deine Insel zu erreichen, so lass' den Kurs nicht durch das Rumfaß führen. Wird der Rum frei gegeben, so wird die Brigg bald einer schwimmenden Hölle gleichen.«
»Du sollst gleich meine Antwort haben,« erwiderte er, sich im ganzen Kreise umblickend. »Wi känen mit den Rum maken, wat wi wullen. Wovel is dorvon da, Scum?«
»Na, nich alltauvel,« antwortete der Koch.
»Glik seggst du, wovel?« schrie Blunt.
»Ein Faß vull.«
»Dat is allens?« stöhnte Sam.
»Jungs, wi möten uns Ratschons utdeelen,« sagte Deacon, »tweimal den Dag, bet allens utsupen is.«
»Giwt 't achter nich noch annern Branwien as blos Rum?« erkundigte sich Welchy.
»Je, ja, da steiht noch Brandy un Whisky in Boddeln in de Spieskammer.«
»Gotts en Dunner! Allens möt nah vörn bröcht warden, Rum un allens. Dat süll mal ein Lustborkeit warden,« schrie der Schöne.
»Alles muß aber mit Gerechtigkeit zugehen,« fiel ich nun ein. »Wir in der Kajüte haben doch auch unser Teil zu verlangen.«
»Dat is wohr, deilt muß warden, un ihrlich,« erklärte Sam.
»Zuerst laßt uns nun aber frühstücken,« schlug ich vor, »und danach können zwei Leute aus jeder Wache mit dem Koch nach hinten kommen, da zählen wir dann die Flaschen und verteilen sie.«
Dieser Vorschlag wurde angenommen und die Leute begaben sich nach dem Vorderkastell. Dabei sangen sie, tanzten, machten Luftsprünge, jagten sich um das Langboot und durch die Küche, alles in der Freude auf das in Aussicht stehende Getränk.
Ich ging nach vorn, mir den Anschein gebend, die Segelstellung zu inspizieren, schlich mich dabei aber in das Deckhaus und nahm dort rasch aus dem Werkzeugkasten des Zimmermanns einen kleinen Bohrer. Hierauf begab ich mich, während Deacon im Vorderkastell war und Banyard als Wachhabender das Deck auf und ab schritt, wieder in die Kajüte, um mir eine kleine Handlampe zu holen. Mit dieser stieg ich in den Raum, wo die Rumfässer lagen. Sie befanden sich dicht unter der Luke, trotzdem aber war die Finsternis so groß, daß ich ohne die Lampe eine Stunde hätte herumtasten können, um sie zu finden. Als ich das erste Faß untersuchte, fand ich es leer, das zweite aber war voll.
Ich setzte den Bohrer an den untersten Teil des Faßbauches und bohrte an mehreren Stellen durch. Aus jedem Loch lief der Rum sogleich in einem dünnen, aber ununterbrochenen Strahl. Nachdem dies besorgt war, zog ich mich vorsichtig zurück und gelangte unbemerkt in meine Kajüte, wo ich den Bohrer durch das Fenster in die See warf. »Nun,« dachte ich, »mögen sie rauskriegen, wer das gethan hat, jedenfalls ist Miß Franklin von einer Gefahr weniger bedroht.«
Ich klopfte an die Thür der Koje, in welcher ich sie verlassen hatte, und fand sie schon etwas ruhiger. Mein erstes war natürlich, daß ich ihr von den getroffenen Vereinbarungen erzählte, nach welchen sie in keiner Weise befürchten dürfe, belästigt zu werden, da sie thatsächlich nur meiner Sorge allein überlassen wäre. Das arme Kind hatte, wie ich sah, bitterlich geweint, denn seine Augen waren noch ganz rot; als ich aber zu ihm sprach, lächelte es und seine Hände fest auf meinen Arm legend, rief es: »Sie sind der einzige Freund, den ich jetzt habe; Sie werden nicht leiden, daß die Menschen mir etwas zuleide thun.«
»Ich kann keine großen Versprechungen machen,« antwortete ich, tief gerührt von der Holdseligkeit und Unschuld, mit welcher sie mir ihr Vertrauen auf meine Hilfe ausdrückte, »Sie müssen mich nach meinen Thaten beurteilen.«
So sprechend führte ich sie aus der engen Koje und bat sie, auf einer der gepolsterten Bänke der großen Kajüte am Tische Platz zu nehmen. Hier erzählte ich ihr, daß die Leute mich zu ihrem Kapitän erwählt hätten, und erklärte ihr in möglichster Kürze das eigentliche Motiv zur Meuterei, indem ich ihr Deacons Geschichte von dem vergrabenen Schatz mitteilte.
Ich fügte hinzu, daß die Leute gewünscht hätten, ich solle die Brigg um das Kap Horn nach der Südsee führen und daß wir zu dieser Reise wahrscheinlich neun bis zehn Wochen brauchen würden. Dann sprach ich zu ihr von ihrem Bruder, und obgleich ich wohl wußte, wie sehr ich sie täuschte, als ich von der Sache mit einer gewissen Zuversicht auf Rettung sprach, so gelang es mir doch, sie etwas aufzuheitern, und das war mir die Hauptsache. Sie war so gänzlich unwissend über alles, was die See betraf, daß ich ihr wirklich hätte einreden können, was ich wollte, sie würde es mir geglaubt haben.
»Wie werden wir nur einmal von diesen furchtbaren Menschen loskommen?« seufzte sie.
Ich sagte ihr, daß ich vorläufig noch nicht im stande sei, diese Frage zu beantworten, weil dazu eine sehr reifliche Ueberlegung gehöre.
»Alles Vorgegangene erscheint mir wie ein schrecklicher Traum,« rief sie schaudernd. »Ich möchte ja so gern tapfer sein; aber mein Mut bricht zusammen, wenn ich daran denke, daß ich mich doch eigentlich unter einer Bande Verbrecher befinde und gar nicht absehen kann, wie die Zukunft sich für mich gestalten wird.«
Dabei sah sie mich mit traurigem Lächeln an und ihre Augen blickten so hilfeflehend wie die eines Lammes, das seine Mutter verloren hat.
»Sie haben wirklich nichts von den Leuten zu fürchten,« sagte ich, »sie sind Ihnen herzlich zugethan. Als ich noch im Vorderkastell war, sprachen sie oft mit Bewunderung und Begeisterung von Ihnen. Und glauben Sie mir, sie werden sich zehnmal besinnen, ehe sie Ihnen zu nahe treten; denn ich habe ihnen meine Meinung deutlich gesagt. Außerdem aber giebt es auch Ehre unter Dieben; sie glauben, auf dem Wege zu sein, ihre Taschen mit Gold zu füllen; ich habe ihnen gesagt, ich würde ihnen meinen Anteil für Sie überlassen, und diesen Anteil mir zu rauben, verbietet ihnen ihre Spitzbuben-Ehre.«
Schon Tage vorher war ja zwischen uns schon genug, bei manchem gemütlichen Geplauder, vorgegangen, um dieser meiner Sprache eine nicht mißzuverstehende Bedeutung zu geben. Es stahl sich also, trotz ihres Gefühls des Verlassenseins und ihrer Furcht, eine Röte in ihre Wangen, die ihre Schönheit durch allen Kummer hindurch mehr wie je hervorhob.
»Ich bin es ganz zufrieden, auf Ihren Anteil gefallen zu sein,« antwortete sie mir naiv; »wir sind ja immer gute Freunde gewesen.«
»Schenken Sie mir nur volles Vertrauen, dann werde ich den Mut haben, allen Schwierigkeiten zu begegnen und die Aufgabe durchzuführen, die ich mir gestellt habe,« erwiderte ich.
In diesem Augenblick erschien Deacon in der Kajüte. Er war die Treppe munter herabgekommen, wurde aber verwirrt und schüchtern, als er plötzlich Miß Franklin erblickte.
Sie stand auf und trat dicht zu mir.
»Du kennst diese Dame,« redete ich ihn an, »und weißt, daß wir sie in einer Weise erschreckt haben, die für englische Seeleute nicht sehr ehrenvoll ist. Um so mehr wirst du ihr jetzt als gebildeter Mann diejenige Achtung erweisen, die man Frauen überhaupt, im besonderen aber hilflosen Frauen zollt, und dich dabei erinnern, welche Güte sie stets für uns alle hatte.«
Er machte ihr eine Verbeugung und sagte:
»Sie sind vollständig sicher bei uns, Fräulein. Jack Chadburn wird für Sie sorgen. Wir haben gegen Ihre Person nicht das mindeste, im Gegenteil, wir alle schätzen Sie hoch und haben uns gefreut, so oft wir Sie sahen, weil wir erkannten, daß Sie Mitgefühl für uns hatten und es gut mit uns meinten; aber Ihr Bruder – –«
»Der Kapitän ist nicht mehr an Bord, Maat,« unterbrach ich ihn, »was hat es da noch für einen Zweck, von ihm zu sprechen? Wenn du durchaus jemanden anklagen willst, so wähle dir den alten Windwärts dazu. Dies würde Miß Franklin eher anzuhören vermögen, vorausgesetzt, daß du deine Zunge zügelst und deinem Haß gegen diesen Mann nicht in zu starken Worten Ausdruck giebst.«
Er nahm hierauf plötzlich eine hohe Gönnermiene an, lächelte verbindlich und erwiderte:
»Nun wohl, ich will mich aller weiteren Worte, die unangenehm berühren könnten, enthalten; ich hoffe, Miß Franklin, Ihnen noch beweisen zu können, daß ich nicht ganz der schlechte Mensch bin, für den Sie mich ja augenblicklich halten müssen. Sie können meiner Fürsorge versichert sein; Sie sollen mir noch danken für das, was ich an Ihnen thun werde, denn die Ausstattung, die ich Ihnen zu geben gedenke, wird Ihnen zeigen, wie gut ich es mit Ihnen meine.«
Sie wollte auf diese Worte etwas entgegnen, aber die Stimme versagte ihr. Ich nahm ihre Hand, um sie meine Gegenwart besser fühlen zu lassen und den Eindruck zu mildern, den die Sprache dieses in der That wohl übergeschnappten Menschen in ihr hervorrufen mußte, und sagte schnell, um die Peinlichkeit der Situation zu brechen:
»Höre, Deacon, ich dächte, wir thäten gut, nachdem wir vorhin unser Verhältnis mit der Mannschaft geregelt haben, jetzt auch die Verabredungen zu treffen, die uns hier als Hinterdeck-Bewohner lediglich allein angehen. Du hast doch nichts dagegen, wenn Miß Franklin die Kajüte ihres Bruders bezieht?«
»Nichts würde mir angenehmer sein,« antwortete er.
»Ich werde die Koje nehmen, die sie bisher bewohnt hat, und du und Banyard wählt unter den beiden anderen.«
»Da werde ich die da nehmen,« meinte er, auf die meinige weisend, »die gefällt mir, und Banyard wird behaglich genug in der gegenüber weggestaut sein.«
»Gut,« sagte ich, »so wären wir auch hiermit im reinen. Und nun, Miß Franklin,« fuhr ich fort, »werde ich nach dem Frühstück dem Koch Anweisung geben, Ihre Sachen in Ihr neues Gemach zu räumen. Sie können, ganz nach Gefallen, in diesem Gemach oder in der großen Kajüte Ihre Mahlzeiten einnehmen, überhaupt thun, was Sie wollen. Niemand wird sich erlauben, Sie zu belästigen oder zu stören. So lauten unsere Vereinbarungen mit der Mannschaft. Nicht wahr, Deacon?«
»Ganz richtig,« antwortete er. »Alles ist, wie du gesagt hast, und jeder an seinem Teil wird halten, was er versprach.«
Ich fühlte den Druck ihrer Hand; es war dies wohl ein unwillkürlicher Ausdruck ihrer Dankbarkeit für mich, aber ich war doch unsagbar glücklich darüber und fühlte mich sehr gehoben. Noch länger sie der Gesellschaft Deacons auszusetzen, hieß ihr eine Pein bereiten, ich fragte sie deshalb unter dem Ausdruck größten Respektes, ob ich die Ehre haben dürfe, sie nach ihrer Kajüte zu geleiten, bot ihr mit einer Verbeugung meinen Arm und führte sie mit soviel Würde und Feierlichkeit, als ich Seebär nur irgendwie anzunehmen im stande war, hinweg. Ich wollte mit diesem ausgesucht feinen Benehmen dem Manne, welcher vor uns stand, einen Begriff von meiner Lebensart und der Wichtigkeit geben, welche das junge Mädchen in meinen Augen besaß.