Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.
Mein Willkommen zu Hause.

Es war Juni, als ich nach einer Abwesenheit von zwei Jahren und vier Monaten in die Heimat zurückkehrte. – Als vierter Maat, mit einem Monatseinkommen von einem Pfund, hatte ich zwanzig Pfund erhoben. Mit dieser Summe in der Tasche fühlte ich mich nach Art der Seeleute nicht wenig stolz. Freilich mußte ich einen Teil davon sogleich für Kleidung ausgeben, denn mein Anzug, in welchem ich das Schiff in den Docks verließ, war mehr malerisch als anständig. Er bestand aus einem paar Hosen, die mit Flicken von verschiedener Farbe besetzt waren, keiner Weste, einer alten Lootsenjacke, zwei nicht zusammengehörigen Schuhen und einem alten Filzhut, den ich mit einem Bootshaken aus dem Wasser gefischt hatte, als wir aus der Höhe von Hongkong lagen. –

Die Sache hatte ihren Grund in dem Umstand, daß, als ich mich für die Reise ausgestattet hatte, ich auf keine längere Fahrt als bis Madras und wieder zurück rechnete. Bei unserer Ankunft daselbst wurde das Schiff aber als Frachtschiff geheuert, und elf gesegnete Monate lagen wir in der Bai von Petschili vor Anker, unter schwerer, oft recht schmutziger Arbeit. – Kleidungsstücke waren weder für Geld noch gute Worte zu haben, nicht einmal ein Chinesen-Kittel, denn diese Schelme hatten nichts anderes zu verkaufen als Geflügel und Eier. So nützte sich mit der Zeit Stück für Stück meiner spärlichen Ausrüstung ab, bis ich nichts mehr besaß, als einen alten Rock, ein paar vollständig zerlumpte Hosen, das Vorderteil und die Aermel eines Hemdes und einen Südwester. Mir blieb schließlich nichts übrig, als die Stücke, deren ich durchaus bedurfte, für einen hohen Preis an Rum, Tabak, meine silberne Uhr, zwei gute Pfeifen und vier Pfund baren Geldes von der Mannschaft zu erhandeln. –

Jetzt, – mit zwanzig Pfund in meinem Vermögen hatte es indeß keine Schwierigkeit gehabt, mich in London mit einem so schönen Anzug zu versehen, daß ich getrost in ihm hätte Hochzeit machen können. Außerdem hatte ich noch einige andere ansehnliche Einkäufe gemacht und in meine Kiste verstaut, und zwei Tage nach Ankunft des Schiffes fuhr ich nach meiner Heimat, d. h. nach Bayport, unter welchem Namen ich einen kleinen blühenden Seehafen der Südküste verberge. –

Achtundzwanzig Monate hindurch hatte ich nichts wie Himmel und Wasser, und ab und zu in der Ferne einmal einen Uferrand gesehen. Diese Einförmigkeit war nur hin und wieder unterbrochen worden durch das Anlegen an einer Tropenstadt, wo wir dann während der Glühhitze des Tages Ladung einnahmen, die Nacht hindurch aber, nach Yankee-Brauch, in einer Schenke schwelgten. – Nach solchem Leben war der Anblick der reichen englischen Landschaft, der herrlichen Felder und Wiesen, des wogenden Getreides und der gebräunten, auf ihre Gabeln und Sensen gestützten Arbeiter, ein Labsal für das Auge. Man kann sich nicht satt sehen an so viel unvergessener und doch neuer Schönheit. Ich lehnte mich so lange aus dem Wagenfenster, bis Ruß und Staub in meinen Augen mich beinahe nichts mehr sehen ließen. Gott weiß, welch' liebe Erinnerungen die heimatliche Landschaft in mir erweckte. Es tauchten in mir Gedanken auf an meine Mutter, die schon seit zehn Jahren tot war, an meine Schulzeit, die Bücher, welche ich damals las, und an meine knabenhaften Hoffnungen und Bestrebungen; – tausend freundliche Bilder schimmerten mir aus der Vergangenheit herüber wie blaue Blicke aus wolkenbedecktem Himmel. –

Seit der letzten Nachricht von meinem Vater waren fünfzehn Monate vergangen, aber ich hatte nie daran gedacht, daß in einem solchen Zeitraum viel geschehen kann, um das Leben eines Menschen in andere Bahnen zu lenken, sein Glück zu zerstören, seinen Charakter zu ändern, ihn plötzlich ostwärts zu werfen, nachdem er bis dahin immer westwärts steuerte. Junge Seeleute beschweren sich nicht oft den Kopf mit Grübeleien dieser Art. –

Es war Abend, als der Zug Bayport erreichte. Die untergehende Sonne schien von der Seite auf die roten Dächer der Stadt und die grauen Mauern des Kirchturms; ihre letzten Strahlen machten die Wetterhähne auf den Häusern wie Gold erglänzen und beleuchteten die beiden Hügel, auf deren einem des Küstenwächters Haus stand und zwischen welchen in tief dunklem Blau der Spiegel der See lag.

Ich hatte meinem Vater von den Docks aus geschrieben, daß das Schiff angelangt wäre und wann er mich erwarten könne. Als ich den Zug verließ, sah ich mich daher auf dem Perron um, ob der alte Mann gekommen sei, mich zu empfangen und zu bewillkommnen.

Es war jedoch niemand da, den ich kannte. Ich nahm mir deshalb einen starken Burschen zum Tragen meiner Seekiste und ging von der Station die bekannte Straße entlang, an deren Ende das Haus meines Vaters lag.

Die Sonne war jetzt untergegangen und Dämmerung lag auf den Häusern der engen Straße. Ich begegnete vielen Menschen: – Leuten von den kleinen Küsten-Fahrzeugen, die mit ihren Mädchen scherzten, Dienstboten, die Besorgungen machten, und Seeleuten von den im Hafen liegenden Schiffen, welche an den Schaufenstern des Pastetenbäckers und des Juweliers standen und laut schwatzten.

Gefolgt von meinem Gepäckträger, erreichte ich das alte Haus und drückte auf die Thürklinke, wie ich es soviel hundertmal in vergangenen Tagen gethan hatte. Ich ließ meine Kiste auf den Hausflur stellen und blieb dann horchend stehen in der Erwartung, meines Vaters Stimme zu vernehmen und ihn mir entgegenstürzen zu sehen.

Indessen alles blieb totenstill und mir wurde unbehaglich. Ich sagte mir: »Jack, der Alte hat die Bude verlassen, und du bist hier ein Eindringling in eines andern Mannes Reich, – besser, du machst die Thüre wieder von draußen zu und hältst erst Nachfrage.«

Als ich aber meine schwere Kiste stehen sah, entschloß ich mich doch wieder anders. – »Was kann es schaden,« dachte ich, »du versuchst es erst hier, – irgendwo wird doch wohl ein dienstbarer Geist sein.« – Ich hustete, aber das nutzte nichts. – »Ach, – was wirst du hier lange fackeln,« brummte ich vor mich hin und stieß die Wohnzimmerthür auf. – Der erste Blick überzeugte mich sofort, daß mein Vater hier doch noch leben mußte; – du lieber Gott, wie heimelte es mich an: – da standen ja die alten, mir vertrauten Möbel, – da hing die altmodische Uhr mit dem silbernen Zifferblatt und lauten Tick-tack, – dort der ovale Spiegel, über dem Kamin, – das Modell des Schooners, – das Bild meines Vaters und das – nein – das Bild meiner Mutter nicht; – das war fort. – An seiner Stelle hing in einem Rahmen eine ganz erbärmliche Stickerei, die Auffindung Moses darstellend.

Ich kehrte auf den Flur zurück und rief, so laut ich konnte: »Schiff ahoy!« – Auf diesen Ruf hörte ich oben eine weibliche Stimme aufkreischen und schreien: »Herr Gott, wer is denn da, – was wollt Ihr hier? – packt Euch, – Ihr habt hier nichts zu suchen!« –

»Na, beruhigen Sie sich und kommen Sie herunter,« entgegnete ich und ging verstimmt in das Wohnzimmer zurück, wo ich mir ein Glas Sherry aus einer auf dem Büffet stehenden Flasche eingoß, um mich für diesen unangenehmen Empfang zu trösten.

Es war wahrhaftig zu arg, in dieser Weise nach einer so langen Abwesenheit begrüßt zu werden. – Wo war mein Vater? Hatte er meinen Brief nicht erhalten? – Nicht einmal eine Tasse Thee war für mich vorbereitet; – das hatte ich mir, weiß Gott, anders gedacht. – Meine Vorstellung von einem herzlichen Händedruck, einem guten Abendbrot mit einem heiteren, langen Geplauder und danach einem guten Bett, schien gründlich ins Wasser gefallen. Statt all dessen dieser Empfang von der widerwärtigen Stimme da oben, und dieses ausgestorbene Zimmer. – Meine Kiste barg ein gut Teil prima Honigtau (Kautabak), eine chinesische Börse und noch verschiedene andere Kleinigkeiten für den alten Mann. – Ich hatte ihn nicht vergessen; und dafür nun diese Vernachlässigung meiner Person! Wahrhaftig, mir war, als hätte mir jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen.

Ich warf mich ärgerlich in einen Armstuhl und wartete auf das Frauenzimmer. Endlich hörte ich das Schlappen von Pantoffeln auf der Bodentreppe, gleichzeitig öffnete sich aber auch die Hausthür, jemand reinigte seine Stiefel auf der Thürmatte und es wurde eifrig geflüstert. »Ah,« dachte ich freudig, »da ist er gekommen.«

Ich sprang schnell auf und eilte nach dem Hausflur; bei der dort herrschenden Dunkelheit konnte ich aber nur am Fuße der Treppe eine Art Magd erkennen, die grade fragte: »Sind Sie das, Madame?«

»Na, wer denn anders, du dumme Gans?« kam die Antwort zurück.

Ich drehte mich nach der Stelle und bemerkte nun in der Nähe der Hausthür, dicht bei meiner Kiste, einen Mann und eine Frau. Die Gesichter zu unterscheiden, war bei der Finsternis nicht möglich, – das aber wurde mir klar, – mein Vater war der Mann nicht.

»Bitte«, sagte ich so höflich, als ich es vermochte, »wohnt Mr. Chadburn nicht hier?«

»Was, Sie wissen nicht – – –«

»Wissen, – was?« unterbrach ich.

»Mrs. Chadburn, meine Teure,« sprach der Mann, »wäre es nicht zur Schonung deiner Gefühle das beste, wenn ich mit unserm jungen Freund in das Wohnzimmer trete und du es mir überließest, ihm dort, während du dich die Treppe hinauf begiebst und deinen Hut ablegst, – die angreifende, – die schmerzliche –« –

Bei Nennung des Namens ›Mrs. Chadburn‹ prallte ich vor Erstaunen einen Schritt zurück und stieß dabei an die Magd, welche sich – wahrscheinlich, um über meine Persönlichkeit ins reine zu kommen – dicht hinter mich geschlichen hatte und mir um die Leeseite meines Rückens herum in das Gesicht starrte.

Der Mann mit der sanften Stimme ergriff nunmehr meinen Arm und sagte, während er mich aus dem Flur in das Wohnzimmer geleitete:

»Mrs. Chadburn erfreut sich leider keiner sehr kräftigen Konstitution, sie – –«

»Wer, zum Henker, ist Mrs. Chadburn?« fiel ich ihm heftig ins Wort. – »Wer sind Sie? – Wessen Haus ist dies? – Wo ist mein Vater? –«

Er schüttelte traurig mit dem Kopfe, – wobei ich, ihn näher betrachtend, bemerkte, daß er, bis auf ein weißes Halstuch von der Größe einer Serviette, schwarz gekleidet war, eine lange Nase, kleine schwarze Augen und ein glatt rasiertes Gesicht hatte; – darauf schritt er mit der Miene eines Leichenbitters auf das Buffet zu, goß sich dasselbe Glas, welches ich soeben benutzt hatte, voll Sherry, – trank, – setzte sich, kreuzte seine dünnen Beine und faltete die Hände.

Diese Ruhe ließ mich beinahe aus der Haut fahren und ich war eben im Begriff, meine Frage mit dem gehörigen seemännischen Nachdruck zu wiederholen, als er gefühlvoll lispelte:

»Junger Mann, Ihr Vater ist nicht mehr.«

»Wollen Sie mir sagen, daß er tot ist?« –

»Tot und begraben, mein armer junger Freund.« –

»Wann starb er?« –

»Gestern waren es zehn Monate.« –

Diese Nachricht traf mich so unerwartet, daß ich nach dem in meiner Nähe stehenden Tisch fassen mußte, um mich zu stützen; derselbe kam durch mein Gewicht ins kippen, und ein Glas Wasser mit einer Rose darin fiel auf den Teppich. Fast in demselben Moment lag auch schon der schwarze Kerl daneben, um das Wasser mit seinem Taschentuch aufzutupfen, und dabei jammerte er: »Ach Gott, der Teppich wird Schaden gelitten haben, – dieser wertvolle Teppich – ein echter Brüsseler;« und während er rieb, fuhr er fort: »aber er starb glücklich; – ein Muster von Frömmigkeit und Tugend war an seiner Seite, als er den letzten Atemzug that, und drückte ihm die Augen zu.« –

Es gelang mir, meine Gefühle zu beherrschen. Ich fragte, ob die Frau, mit welcher er gesprochen, meines Vaters Frau gewesen sei. Da stand er vom Teppich wieder auf, setzte sich und antwortete:

»Ja, dieses edle Weib war Mr. Chadburn's Gattin. Jetzt ist sie seine Wittwe; aber –« fügte er hinzu und dabei ließ er die schwarzen Hauer sehen, die seine Kiefern schmückten, als er seinen großen affenartigen Mund zu einem Grinsen verzog –, »er wolle mir hiermit auch mitteilen – nicht im Vertrauen, denn es sei kein Geheimnis –, daß Mrs. Chadburn wahrscheinlich nicht mehr lange Mrs. Chadburn heißen werde.«

»Das habe ich mir gedacht,« bemerkte ich. – »Nach Ihrer Sorge um den Teppich war es nicht schwer zu erraten, daß Sie hier Kapitän werden wollen.«

Er antwortete hierauf nicht weiter, sondern nickte nur mit einem herablassenden selbstzufriedenen Lächeln vor sich hin.

Ich war augenblicklich in Verlegenheit, was ich sagen oder thun sollte, und starrte sinnend den Menschen an. Die Thatsache, daß mein Vater, ohne mich davon wissen zu lassen, zum zweitenmal geheiratet hatte, – und, wie ich jetzt erkannte, eine Frau, die im stande war, so bald nach seinem Tode ihre Liebe auf einen so widerlichen Gesellen zu übertragen –, hatte meinen Gram auf den Strand laufen lassen und meine Gefühle in einen durchaus unkindlichen Kanal geleitet. Mein Blick schweifte nach der Stelle der Wand, wo früher das Bild meiner Mutter hing; – an seinem Platz nunmehr dieses Scheusal von Tapisseriearbeit zu sehen, machte mir das Blut sieden.

»Wo ist die Witwe,« schrie ich, – »will sie sich vor mir verstecken? – Rufen Sie sie herunter; ich muß sie einiges fragen.«

»Jede Frage, die Sie zu stellen wünschen, junger Mann, bin ich durchaus in der Lage zu beantworten«, erwiderte der Kerl näselnd.

»Was wissen Sie davon!« sagte ich verächtlich.

»Von was, Sir?«

»Ich wünsche zu wissen, ob mein Vater kein Eigentum hinterlassen hat, – wessen Haus dies ist!«

Der Mensch verdrehte die Augen, daß sie so weiß aussahen, wie ein Paar Vogeleier im Nest.

»Junger Mann, dies sind sehr weltliche Dinge, denen Sie so eilig Ihre Gedanken zuwenden,« sprach er salbungsvoll. »Haben Sie denn gar keine Klage für den Toten, kein Bedauern?«

»Ich möchte Ihnen raten, mich nicht länger ›junger Mann‹ zu nennen.« sagte ich, »ich könnte sonst leicht auf eine Art mit Ihnen reden, die Ihnen wenig gefallen würde. Wenn ich irgend welche Rechte habe, so bin ich hier, sie zu behaupten; – ich verlange, Mrs. Chadburn zu sprechen.«

Nachdem ich dies gesagt hatte, wollte ich selbst nach dem Flur gehen, um sie zu rufen, als sie plötzlich ins Zimmer trat. – Jedenfalls hatte sie an der Thür gehorcht.

Sie trug ein Päckchen in der Hand, ich achtete aber nicht darauf, sondern sah ihr ins Gesicht, um zu erkennen, was für eine Art Schiffsbild sie wäre. – Da der Schwarze die Rücksicht hatte, jetzt ein paar Lichter anzuzünden, so zeigte mir der Schein derselben eine Dame, die ungefähr vierzig Jahre zählen mochte, dicke Augenbrauen und statt der Augen nur ein Paar Schlitze hatte; Kinn und Backen waren sehr fleischig und letztere zierte ein Flaum, der ganz gut das Messer eines Barbiers vertragen hätte.

Da sie nicht zu sprechen anfing, machte ich ihr eine Verbeugung und sagte: »Ich höre, Sie sind Mrs. Chadburn.«

»Ja, das ist vorläufig noch mein Name,« antwortete sie mit einem Blick auf ihren Freund.

»Während Sie oben waren, Madam,« fuhr ich fort, »habe ich einige Neuigkeiten vernommen. Ich bin indes weniger überrascht, daß mein Vater tot ist, als darüber, daß er zum zweitenmal geheiratet hat.«

»O, in der That!« rief sie und warf ihren Kopf zurück, als ob sie erwartete, ich würde unverschämt werden.

»Ich wünsche zu wissen,« sagte ich, »ob er vor seinem Tode von mir sprach und Sie beauftragte, mir irgendwelche Mitteilungen zu machen.«

»Nicht, daß ich wüßte,« erwiderte sie. »Seinem Testamente nach habe ich Ihnen nur dieses Päckchen einzuhändigen, und ich thue dies hiermit unter Zeugenschaft von Mr. Lickwater.«

Sie überreichte mir das Päckchen. – Als ich es öffnete, fand ich darin meines Vaters Uhr, nebst Kette und Siegel. Ich wickelte die Sachen wieder ein und steckte sie in meine Tasche; in sentimentaler Stimmung befand ich mich dabei gerade nicht.

»Weiter besagt das Testament betreffs des jungen Mannes nichts, Mrs. Chadburn?« fragte Mr. Lickwater.

»Nichts, wie dieser Herr sich selbst überzeugen kann, wenn er meinen Rechtsbeistand Mr. Henson, Mulberry Road Nr. 9, aufsuchen will.«

»Ich kam hierher, um meinen Vater zu besuchen, ihm wieder einmal seine alte Hand zu drücken, ihm von meiner letzten Reise erzählen zu können, – ich finde ihn im Grabe; – das ist hart. – Wem gehört jetzt dies Haus?«

»Mir!« entgegnete Mrs. Chadburn, sich in die Brust werfend. –

»Es war aber meines Vaters wohlerworbenes Eigentum.«

»Junger Mann,« piepte der widerwärtige Lickwater, »aus Schonung für Mrs. Chadburn's Gefühle und um Zeit zu ersparen, erkläre ich Ihnen hiermit, daß der Verstorbene, dessen Tod wir beklagen, laut Testament alles seiner Witwe vermacht hat.«

»Nämlich sein Haus samt Einrichtung,« erklärte die Genannte eifrig einfallend, »denn er hatte weiter nichts, als sein Jahrgeld, das aber hörte auf, als er starb. Gott weiß, wenn ich nicht meine Ersparnisse hergegeben hätte, würde er nicht die Hälfte der Pflege gehabt haben, wie ich sie ihm zuteil werden ließ. Er kann mich unmöglich wahrhaft geliebt haben, sonst würde er sein Leben versichert haben.«

Es war mir wohl bekannt, daß mein Vater nur von seiner Pension gelebt hatte, und deshalb zweifelte ich auch nicht, daß seine Witwe und Lickwater die Wahrheit sprachen; was aber auf meine Laune einzuwirken begann, das war die ungastliche, unfreundliche Aufnahme. Das ganze Gespräch wurde stehend geführt, nicht einmal zum Niedersitzen wurde ich aufgefordert. Indessen, das konnte auch in einer gewissen Verlegenheit seinen Grund haben, – ich schwieg deshalb eine Zeit lang in der Erwartung, daß meine Stiefmutter die Pause vielleicht wahrnehmen würde, mich einzuladen, im Hause zu schlafen und bei ihr Abendbrot zu essen, – aber Gott bewahre, – nichts davon kam über ihre Lippen. Im Gegenteil, sie schielte mich nur mit allen Zeichen von Argwohn und Furcht an und brach das Schweigen nicht. Dieses Verhalten war mehr, als ich ertragen konnte. Ich vermochte meinen bis hieher verhaltenen Grimm nicht mehr zu bemeistern und platzte in voller Wut heraus: »Ich sehe, daß ich hier im Wege bin und besser thue, mich zu packen.«

Hiermit wollte ich gehen, Lickwater aber fragte – wohl, um doch noch etwas zu sagen, mit einem gezwungenen, verlegenen Lächeln: »Beabsichtigen Sie längere Zeit in Bayport zu bleiben?«

»Nicht lange genug, um das Aufgebot zu hindern oder diese treue Witwe in Ausgaben für Thee und Seife zu stürzen,« antwortete ich höhnisch. »Essen Sie in Frieden das Brot dieser ganz für Sie passenden Frau, Sie würdiger Mann, und fürchten Sie nicht, daß ich versuchen werde, Ihnen auch nur einen Bissen zu entziehen.«

»Wirklich, junger Mann, solche Sprache bin ich nicht gewöhnt!« fuhr er mit unterdrückter Wut heraus, indem er ganz rot vor Zorn sich hastig den Rock zuknöpfte, während Mrs. Chadburn sich angstvoll an ihn drängte und schrie: »O, der Elende!«

»Was steht zu Diensten?« rief ich, meine Mütze auf den Tisch werfend und mir den Anschein gebend, als ob ich seine Bewegungen für einen auf mich beabsichtigten Angriff deute, dem ich begegnen wolle.

Erschrocken über meine Worte und Haltung, prallte Lickwater zurück, stieß dabei an einen hinter ihm stehenden Kohlenbehälter und stürzte über diesen. Im Fallen faßte er das Kleid von Mrs. Chadburn, sodaß diese rücklings gegen das Feuergatter taumelte und alle Kamingeräte umwarf. – Es war ein Höllenspektakel, – er fluchte und wetterte so schön, wie ich es nur je auf einem Schiffe gehört hatte, und sie schrie Zeter und Mord, was sie nur schreien konnte.

Das ließ mich nun ziemlich kalt, und da ich mein Herz erleichtert und alles gesagt hatte, was ich hatte sagen wollen, ging ich mit einem herzhaften Seemannssegen hinaus, nahm meine Kiste, trat aus die Straße und schlug die Thür hinter mir mit einem solchen Krach zu, daß es dröhnte wie ein Kanonenschuß.

Einige Augenblicke wartete ich noch, um zu sehen, ob Mr. Lickwater etwa Lust verspüre, mir zu folgen, da ich aber vergeblich harrte, winkte ich einem Träger in einer weißen Bluse, der auf der andern Seite der Straße ging, übergab ihm meine Kiste und schritt ihm voran nach dem Gasthaus zum »Weißen Hirsch«, dessen Besitzer mir von früher her gut bekannt war.


 << zurück weiter >>