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Die Kleidungsstücke und die Wäsche, welche ich mir in London gekauft hatte, waren wohl geeignet, auf dem Quarter-Deck getragen zu werden, konnten mir aber in meiner Stellung vor dem Mast gar nichts nutzen.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen, bei welchem ich mit Kapitän Franklin und seiner Schwester leider nicht zusammentraf, nahm ich meinen Weg zur Stadt, um einen für meinen Zweck geeigneten Kleiderladen aufzusuchen. Nachdem ich auf meine Nachfrage hin zurecht gewiesen worden war, betrat ich einen solchen und wurde dabei Zeuge eines Auftritts, der mir wert erscheint, hier berichtet zu werden, als Beispiel der Behandlung, welche Matrosen von den Harpyen am Lande erfahren.
Der Laden wurde von einem Mann Namens Aaron gehalten, welcher sich während meiner Abwesenheit von Bayport dort niedergelassen hatte. Ein roher englischer Matrose hatte einen Wortwechsel mit ihm, als ich eintrat. Hinter einem Schreibpult stand ein junger Mensch, vermutlich Aarons Sohn. Ringsumher hingen Röcke, Westen und dergleichen, und auf Gesimsen lagerten große Stöße farbiger Hemden, Stiefel, Schuhe, Mützen, Gürtel und jede Art Tand, der von den Händlern zur Ausrüstung einer Teerjacke für nötig erachtet wird.
Aaron stand mitten im Laden, er war ein schmächtiger kleiner Mann mit jüdischem Accent; jedes Glied an ihm bebte vor Aufregung. Der Matrose stand ihm drohend gegenüber und schimpfte ihn unter Flüchen einen gemeinen Dieb.
»Da sall de entscheiden,« schrie er, als ich eintrat. »Maat, hier is en Hund von Bedreiger, de seggt, ik wier em seben Pund schüllig för drei Dag elendiges Logis in en olle Barack, wo de Dierns nicks deden, as den ganzen Dag Fisch kaken. Hei het sik von mi en Vörschußweßel ergaunert, un will nau de Fründlichkeit hebben, mi dorup en oll Hos' för ein Pund antaureknen. – Wat! Du miserabliger Lippfisch!« brüllte er plötzlich, indem er sich Aaron zuwandte, »willst du mi seggen, dat de Hos' ein Pund wert is?« und wies dabei mit einer Geberde unbeschreiblichen Abscheus auf ein Paar alte, widerwärtig aussehende Hosen, die Aaron in der Hand hielt.
»Nu Sir, woll'n Se mal mich heren?« sagte Aaron, indem er schmeichelnd zu mir trat. »Ich kann seh'n, daß Se sind e feiner Mann und ich hab gern ßu thun mit feine Herrn, wenn's sich handelt um e Geschäft. Da is der Seemann, der kam ßu mer in mei bescheid'nes kleines Haus –«
»Wat, wo näumst du dat, du Spitzbauw?« schrie der Matrose dazwischen, »– bescheiden? – Du meinst woll be..., du Lump.«
»Ich sage, bescheiden, Sir,« erwiderte Aaron mit Würde und fuhr dann zu mir gewandt fort: »Ich gebe Se mei Wort drauf, echte Geraniums in de Fenstern und Gemälde in de Wohnßimmer und in de Schlafßimmer. Sprech ich Ligen oder sprech ich de Wahrheit, Itzig?«
»De pure Wahrheit. – Wenn der Herr ßweifelt, kann er geh'n und selbst seh'n; 's kost' nischt,« antwortete der junge Aaron.
»Se heren, was mei Sohn sagt, Sir,« fuhr der Alte fort. »Gut also, de Mann kam höflich, fragt nach Wohnung; gut, ich sag em, was se kostet; gut, er is ßufrieden; er ißt und trinkt, wie e Kenig, geschmortes und gebratenes Geflügel zum Mittagessen, Eier und Fisch ßum Frühstück und Pudding jeden Tag. Gut, er betrinkt sich einmal, ßweimal, viermal, siebenmal, siebenmal in drei Tagen, so lang er lebt in meinem Haus, Sir! Meine Tochter Rachel is schwach geworn in de Kniekehl'n, um 'n ßu bedienen mit dem besten Branntwein, echt'm französischem Odiwi, duftendem Jamaika-Rum und bestem Wachholder. Der Mann weiß nich, was er hat getrunken, denn er hörte nich auf, bis er hatt' den Verstand verloren und wenn ich red'te von de Kosten, da haut' er uf'n Tisch und schrie: ›ach was, de Kosten.‹ Und nu, als ich em ßeige de Rechnung, e reiner Spott, wenn ich rechne, was er hat verßehrt und mer gekostet und als ich mich erbiet', mit acht Pfund ßufrieden sein ßu wollen und noch daßu ßu geben de scheenen Hosen hier – Gott straf' mich, wenn nich rein geschenkt –, da wird er wild und gebt mer schlechte Namen.«
Hier hielt er inne, um Atem zu schöpfen, da ging aber der Matrose wieder los, Aaron antwortete, Itzig krähte dazwischen und es wurde ein Geschrei, daß ich es nicht mehr aushielt. Ich verließ den Laden trotz Aarons Zetern und Schwören, daß er der billigste Mann in Bayport wäre und schöne Ware gäbe für wenig Geld. Ich sah, der Seemann war in schlimmen Händen, konnte ihm aber nicht helfen, denn kein Gesetz der damaligen Zeit schützte den leichtlebigen Matrosen, sobald er in die Klauen solcher Blutsauger gefallen war.
Aller Wahrscheinlichkeit nach verhielt sich die Sache so: Aaron war ein Matrosenmakler, d. h. eine Person, die ein Logierhaus für Seeleute hielt und Schiffe, denen es an Mannschaft fehlte, mit Matrosen versorgte. Zweifellos war der Mann in Aarons Haus gekommen, ohne einen Pfennig Geld in der Tasche zu haben. Dieser hatte ihn aufgenommen gegen Ausstellung eines Wechsels, in Höhe des üblichen Angeldes, welches einem angeworbenen Matrosen als Vorschuß auf seine Heuer gezahlt wurde, sowie er sich an Bord meldete. Laut dem ausgestellten Wechsel stand aber dem Makler das Recht zu, den Betrag des Vorschusses auf dem Schiffe zu erheben und sich davon, nach Maßgabe seiner Forderungen, bezahlt zu machen. Mit dieser Sicherheit in Händen versetzte er alsdann den Matrosen mit giftigem Gebräu möglichst oft in eine Trunkenheit, welche ihm vollständig das Gedächtnis für das raubte, was er verzehrte. Hiernach war es dann leicht, die Rechnung beliebig aufzustellen, denn alle Aarons, männliche und weibliche, beschworen, bei vorkommenden Einwendungen, hoch und teuer die Richtigkeit derselben. In der Regel wurde aber noch ein kleiner Rest belassen, für welchen man dem Betrogenen noch irgend ein altes Kleidungsstück aufhalste, mit dem schließlich der Ausgeraubte vom Makler nach dem Schiff gebracht wurde.
Man sieht hieraus, wie diese Vorschußwechsel ein System bilden, durch welches sich die Matrosen zu wehrlosen Opfern ihrer Gläubiger machen und sich jedem Betrug und jeder Beraubung preisgeben; – sie sind für die Teerjacke ein ebenso großer Fluch wie die Trunksucht. Solange gegen diese Wechsel nicht eingeschritten wird, werden die Seelenverkäufer von Matrosenmaklern ein Ruin für jeden unbedachten Seemann bleiben.
Ich ging in ein anderes Kleidergeschäft – es gab eine Menge solcher in Bayport, – und da ich durch das eben erlebte Schauspiel gewitzigt war, gelang es mir, wie ich glaube, den Verkäufer zu überzeugen, daß ich seinem eigenen Geschäftszweig nicht fern stände und über die üblichen Preise der Waren gar wohl Bescheid wisse.
Der Bedarf eines Matrosen an Kleidungsstücken ist im Grunde genommen sehr unbedeutend. Viele beschränken sich auf das geringste Maß und sind auch in der Qualität nicht wählerisch. Indessen giebt es doch einige Stücke, ohne welche nicht auszukommen ist. Es sind dies: Gurt und Messer, Seestiefel, wollene Strümpfe, Südwester und dauerhafte wollene Hemden, direkt auf dem Leibe zu tragen. Trotzdem habe ich Leute gekannt, die sich einschiffen ohne viel mehr Kleidung als das Hemd und die Hosen, die sie auf dem Leibe trugen, und so abgerissen waren, wie nur irgend ein Armer aus einem Arbeitshause.
Diese Leute verlassen sich darauf, daß ihre Maate, die doch selbst oft mit der Kleidung übel daran sind, ihnen aus Gutherzigkeit einen Rock oder ein Paar Hosen und bei schlimmem Wetter sogar Stiefel leihen. Mehr als einmal habe ich einen Mann ins Takelwerk steigen sehen mit bloßen Füßen und weiten Leinwandhosen, wenn die Taue vom Frost hart und steif waren und mir die Hände selbst in dicken Winterhandschuhen froren. Dies geschah aber nicht, weil der Mann gegen die Kälte abgehärtet war, sondern weil er weder Stiefel noch andere Beinkleider besaß. Die Gerechtigkeit verlangt aber, hinzuzufügen, daß der Seemann, der in dieser Weise heruntergekommen ist, meist selbst die Schuld trägt.
Nachdem ich die Musterrolle unterzeichnet hatte, war mein nächstes Geschäft, mich an Bord der Brigg zu begeben, um sie mir anzusehen. Da das Wasser im Hafen Hochstand und die Schanzkleidung der Brigg mit der Mole in gleicher Höhe war, so hatte ich einen guten Ueberblick, noch ehe ich sie betrat. Sie hatte mehr Spannung, als ich gedacht hätte; ihr Deck bildete vorn und hinten eine gleiche Ebene und war für ein Kauffahrteischiff sehr weiß gescheuert. Im übrigen war das Aussehen des Decks, der Kombüse, der Kajütentreppe, der Oberlichter etc. ein sehr einfaches, aber solides und festes. Ebenso befanden sich auch ihre Boote in gutem Zustande, nur wunderte es mich, daß die Hühner- und Entenkäfige, anstatt in dem Langboot zu stehen, wie ich es sonst zu sehen gewöhnt war, hier unter demselben standen.
Die Mannschaft, welche soeben eine neue Vorbram-Raa gekreuzt hatte, war gerade beschäftigt, die Segel an derselben zu befestigen. Zwei Leute saßen dabei rittlings auf den Raanocken. Ein breitschulteriger Mann in einem Strohhut und bequemen Sommeranzug stand auf dem Hinterdeck und sah, die Augen mit der Hand gegen die Sonne schützend, den oben arbeitenden Leuten zu. »Dies,« dachte ich, »muß der Maat sein.«
Als ich das Schiff betrat, rief er mit barscher Stimme: »Halloh! was wollen Sie hier?«
»Mir die Brigg ansehen,« antwortete ich.
Er starrte mich an und fragte, wer ich wäre.
Ich erwiderte: »ein Vollmatrose.«
»Suchen Sie ein Schiff?«
»Nein, ich habe mich für diese Brigg verheuert.«
Er sah überrascht aus, betrachtete meinen Anzug von oben bis unten und war im Begriff, etwas zu sagen, nahm aber davon Abstand, da der Kapitän gerade in dem Augenblick aus der Kajüte auf Deck kam. Diese schien mir nach dem flüchtigen Blick, den ich durch das offene Oberlicht hineinwarf, ein behaglicher Raum zu sein, ausgestattet mit Teppichen, einer Hängelampe und sonstigen Bequemlichkeiten, wie sie ein Zimmer wohnlich und gemütlich machen; auch Kojen bemerkte ich an jeder Seite. Einen imponierenden Eindruck machte das nun freilich nicht auf mich, da ich die großen, prachtvollen Schiffssalons der nach Indien und China bestimmten Passagierschiffe gewohnt war. Aber gut oder schlecht, mir konnte das einerlei sein, da ja meine Hängematte ihren Platz im Vorderkastell hatte.
»Ah, da sind Sie ja,« sagte Kapitän Franklin, als er mich erblickte. »Wir werden morgen früh um vier Uhr hinausbugsiert werden. Waren Sie es, der mir sagte, er könne vor heut' abend nicht an Bord kommen?«
»Ja, Sir.«
»Das ist mir unangenehm; es ist noch ein Haufen Arbeit zu thun. Ich habe noch einen Matrosen geheuert, dem fehlt nur Brille und Tonsur, dann ist er der richtige Kaplan,« sagte er lachend. »Nun nehmen Sie Abschied vom Hinterdeck; Sie gehören von nun an nach vorn, mein Mann, und da giebt es keine Herren. Sie werden sich viele Kenntnisse auf dieser Brigg aneignen, und wenn Sie sich anstellig erweisen, werden wir, denke ich, gut miteinander auskommen.«
Ich machte einen Gang um das Deck und warf dabei einen Blick in die Vorderluke, unter der ich nun hausen sollte. Als ich mich dann wieder zum Verlassen des Schiffes anschickte und an die Seite kam, glotzte mich der Maat scharf an und schrie: »Heh, wohin denn? Ich denke, Sie sind ein Mann der Brigg.«
»Ganz recht, Sir.«
»Dann bleiben Sie, – es ist genug Arbeit zu thun.«
»Ich werde kommen, wann ich fertig bin, und das wird diesen Abend sein,« antwortete ich, um ihn merken zu lassen, daß ich vor der Hand noch kein Schiffshund sei, den er grob behandeln könne. Er machte ein sehr mürrisches Gesicht, sah aber wohl ein, daß er besser thäte, sich noch nicht so zu zeigen, wie er war, denn er hätte dadurch leicht die Brigg um einen kräftigen Mann bringen können. So verkniff er sich also, was er an Freundlichkeiten alles auf der Zunge haben mochte, und ich ging meiner Wege.