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Drittes Kapitel.
Der Hafen von Bayport.

In dem schönen Bett des Gasthauses hatte ich einen gesunden Schlaf. Als ich erwachte, blieb ich noch eine halbe Stunde liegen und überließ mich meinen Gedanken. Dabei konnte aber nichts Gutes herauskommen; ich stand also auf, wickelte mir zwei Handtücher zusammen und ging mit diesen unter dem Arm den Quai entlang bis zum Sandufer, wo ich mich auszog, um mich durch ein Schwimmbad zu erfrischen.

Als ich hierbei, nach etwa einer Meile, an eine Boje kam, bemerkte ich den Kopf eines Menschen und fand, daß ich einen Gefährten hatte. Derselbe rief mir zu: ob wir zurück um die Wette schwimmen wollten.

»Ich bin dabei,« antwortete ich, und als wir in einer Linie waren, legten wir los. Es war ein herrlicher Morgen und die See glatt wie ein Teich, so recht geeignet für solch ein Vergnügen; bald aber bemerkte ich, daß mein Genosse zwei Fuß schwamm, während ich einen zurücklegte. Da gab ich den Scherz auf, erklärte mich für geschlagen und nahm mir Zeit.

Die Bewegung in dem herrlichen Wasser that mir wohl, die düstere Stimmung, welche sich meiner bemächtigt hatte, als ich wach im Bett lag, wich allmählich von mir; ich empfand Freude an der schönen Natur um mich her, an dem Anblick der steilen Klippen, die in der Morgensonne glänzten, an den rot bedachten Häusern und dem Wald von Masten der im Hafen liegenden Schiffe.

Als ich zu dem Platz zurückkehrte, an welchem meine Kleider lagen, sah ich meinen Schwimmgefährten am Strande auf- und abgehen, um sich in der Sonne zu trocknen. Während ich mich anzog, kam er dann zu mir und richtete einige artige Worte an mich, die ich erwiderte, im übrigen beachtete ich ihn aber nicht besonders, obwohl ich nach seiner Redeweise und seinem Aeußeren einen Seemann in ihm vermutete.

In das Gasthaus zurückgekehrt, legte ich zunächst meinen neuen Anzug an und ging dann ins Gastzimmer hinunter. Ich war in der richtigen Laune, zu frühstücken, weiß aber der Kuckuck wie es kam, mein Appetit – anstatt ein angenehmes Gefühl zu sein – erfüllte mich mit einem gewissen Unbehagen. Er war wie ein Finger, der auf meine Börse deutete; er war wie eine Stimme, die mir ins Ohr raunte: »Jack, Hunger kostet Geld und dein Geld ist knapp; nimm dich in acht, Schiffsmaat, sonst könntest du einmal Hunger haben, aber nichts zu brocken und zu beißen.«

Das war unangenehm, trotzdem aber bestellte ich mir ein Frühstück und verzehrte es auch nach der gehabten Bewegung mit wahrhaftem Genuß.

Zur Unterhaltung nahm ich mir eine Lokalzeitung und las die Gerichtsverhandlungen: Joseph Leek belangt Michael Dowe wegen dreizehn Schilling Zinsen von einem Pfund Sterling, welches besagter Leek dem besagten Dowe auf sieben Wochen geliehen hatte. »Herr Gott, wie langweilig.« dachte ich und suchte nach interessanteren Dingen in dem Blatt, so einen kleinen Mord oder dergleichen, als die Thür sich öffnete und meine Schwimmbekanntschaft in Begleitung einer Dame eintrat.

Da niemand weiter im Zimmer war, den ich hätte ansehen können, so betrachtete ich mir die beiden.

An mancherlei Zeichen erkannte ich nunmehr ganz sicher, daß der Mann ein Seemann war, ich sah das an seiner Kleidung, seinem Gang und sonstigen Eigentümlichkeiten, die eben nur ein Seemann bemerkt. Sein Gesicht trug jene rötliche Farbe des Sonnenbrandes, die gut aussehenden Männern kleidsam ist, und er sah wirklich gut aus. Dagegen war der obere Teil seiner Stirn, da, wo die Mütze ihn schützte, frauenhaft weiß. Den unteren Teil des Gesichts deckte ein Schnurr- und Kinnbart. Im ganzen machte er mit seinen glänzenden blauen Augen, seiner wohlgeformten Nase, seinem hellbraunen Haar, seiner geraden, schön gebauten Gestalt, nicht steif wie die eines Soldaten, sondern graziös, mit dem behaglichen, etwas schlingernden Seemannsgang, den Eindruck eines schönen Mannes.

Seine Gefährtin gefiel mir aber noch besser und infolgedessen, fürchte ich, habe ich sie länger angestarrt, als schicklich ist.

Eine reizender aussehende kleine Frau hatte ich noch gar nie gesehen. Klein kam sie mir wenigstens vor, mir, der ich eineinhalb Zoll über sechs Fuß in meinen Schuhen stand. Ihr braunes Haar trug sie geflochten und über einen Kamm gesteckt; ihre Augen waren von herrlichem, schmelzendem Braun; Sittsamkeit und Ernst sprachen aus ihnen, dunkle, fein gezeichnete Augenbrauen beschatteten sie, das weiche Brünett ihrer Gesichtsfarbe war tief genug, um vermuten zu lassen, daß der Ort ihrer Geburt in Breiten gelegen haben mußte, die eine heißere Sonne hatten als unsere Insel; ihre Wangen waren von zartem Rot überhaucht. Sie war zum Anbeißen hübsch.

Ich vermochte meinen Blick gar nicht von ihr abzuwenden, und das war kein Wunder, nachdem ich zwei Jahre hindurch hauptsächlich nur schwarze oder gelbe Gesichter mit Plattnasen, Schlitzaugen und vorstehenden Backenknochen gesehen hatte.

Das Paar setzte sich an einen Tisch, der dem, welchen ich einnahm, gegenüber stand, die Dame mit dem Gesicht, der Mann mit dem Rücken mir zugewandt. Während beide ihrem Frühstück zusprachen, that ich, als wenn ich ganz in meine Zeitung vertieft sei, in Wirklichkeit aber schielte ich meist verstohlen nach meinem lieblichen vis-à-vis, dessen Stimme mich bezauberte und dessen Perlzähne ich jedesmal leuchten sah, wenn, es lächelte oder sprach. Wer mochte wohl der Glückliche sein, dem es gelungen war, diese Augen in Liebe aufleuchten zu machen? Es war für mich kein Zweifel vorhanden, daß dieses Wunder von Schönheit versprochen oder vergeben, ich meine verlobt oder verheiratet sein müsse. Mit dem Manne vor mir aber nicht, das erkannte ich; nein, sein Benehmen war weder das eines Bräutigams noch das eines Ehemannes; es war, ich kann nicht ausdrücken was es war, ich sah eben nur, was es nicht war. Ihr Benehmen war harmlos-freundlich und voll ruhiger Vertraulichkeit, und das ist alles, was ich an dieser Stelle davon sagen kann.

Da ich Appetit auf einen Zug Tabak bekam, verließ ich das Zimmer, steckte mir draußen meine Pfeife an und schlenderte weg, um einen Blick auf den alten Ort zu werfen und mir einmal die Schiffe im Hafen anzusehen, aber ohne jeden Gedanken daran, mich etwa von hier aus einschiffen zu wollen.

Willig, wie mich die Notwendigkeit gemacht hatte, eine Zeit lang als Vollmatrose unter Segel zu gehen, duldete es meine Würde doch nicht, auf etwas Geringerem als einem tausend Tonnen-Schiff zu dienen. Ich kannte ziemlich genau die Art Fahrzeuge, welche nach Bayport handelten oder dort anlegten. Es waren nur Dampf- oder Segel-Kohlenschiffe, Getreide- oder Holzschiffe. Die Vorderkastelle waren moderige, finstere, schmutzige Behältnisse, und was die Arbeit anlangte, so wurde alle Zeit, die nicht im Kielraum oder im Takelwerk zugebracht wurde, dem Pumpen gewidmet.

Die Gedanken eines mit einem bestimmten Entschluß umgehenden Menschen steuern immer einen besseren Kurs im Freien als in der Stube; sie kommen durch irgend etwas, worauf zufällig das Auge trifft, auf eine neue Idee oder finden in einer Unterhaltung neue Gesichtspunkte. Einsam an die Decke zu starren oder auf dem Teppich auf und ab zu laufen, mag für Poeten ganz gut sein, aber ein Mann, der sein Brot auf andere Art als durch die Einbildungskraft verdienen muß, kann nichts Besseres thun, als sich unter Menschen zu begeben.

Ich gelangte auf meinem Wege zunächst an die Werften. Diese waren groß und die Molen erstreckten sich ein beträchtliches Stück in die See hinein; sie gewährten einen schönen Nothafen für schlechtes Wetter. Die Quais, nahe an der Stadt, waren hauptsächlich von Schiffen besetzt, die Kohlen ausluden oder Ballast einnahmen. An manchen Stellen arbeiteten Dampfkrahne, und eine Menge Schiffe, drei Reihen nebeneinander, lagen an der südlichen Mole, mit Leichtern längsseits der äußeren Reihe. Einige Schmacken fuhren aus dem Hafen; ein paar Dampfschiffe machten Dampf auf und sandten dichte Wolken schwarzen Rauches in das reine Blau des Himmels.

Der ganze Platz war voller Geschäftigkeit, und von da aus, wo ich stand, ungefähr in der Mitte des westlichen Hafendammes, übersah das Auge ein so heiteres, sonniges Bild, daß es das niedergeschlagenste Herz mit Freudigkeit und Hoffnung erfüllen mußte.

Mit zärtlichem Blick betrachtete ich die alte Stadt, sie war ja mein Geburtsort. Ich konnte das Dach des Gebäudes sehen, wo ich in die Schule gegangen war. Hier an der Werft angelte ich oft einen ganzen Nachmittag über; ohne mich zu rühren, saß ich dabei auch selbst im stärksten Regen und war glücklich, wenn ich einen Aal fing. Nicht ein Stein war hier, an den sich nicht irgend eine Erinnerung geknüpft hätte. Wie oft hatte diese Stelle auf See meinem Geiste vorgeschwebt, wie oft war ich während der dunklen Nachtwachen in Gedanken durch die engen Straßen gewandert bis hinauf auf die sonnigen Wiesen, auf denen ich mich als Knabe, auf dem Rücken liegend, unter Butterblumen gesonnt hatte. Ja, das waren schöne Träumereien gewesen; aber wie oft war ich aus ihnen auch jäh aufgeschreckt worden durch eine Welle, die plötzlich über mich hinstürzte, oder durch den barschen Ruf, Segel zu kürzen.

Ich blickte auf die verschiedenen Schiffe im Hafen mit kritischem und – ich gestehe es – auch etwas verächtlichem Auge. Meine letzte Reise hatte ich auf einem Schiffe gemacht, groß genug, daß eins dieser Fahrzeuge ihm als Langboot hätte dienen können. Große Schiffe haben die Eigentümlichkeit, zu bewirken, daß einer, der an sie gewöhnt ist, naserümpfend auf Topsegel-Schoner und Dreihundert-Tonnen-Barken herabsieht. Da bemerkte ich auf einmal eine Brigg, welche dicht am vordersten Teil des gegenüberliegenden Hafendammes lag, die meine Bewunderung erregte. Es war ein wahres Muster von einem Schiff, es erschien mir fehlerlos. Der Bug war rein und scharf, das Brustholz des Galions eine anmutige Bogenlinie, mit einem schönen Schwung nach hinten; die leichte Schwellung deutete auf Dauerhaftigkeit; um den schwarzen Rumpf lief ein weißer Streifen; den Bug schmückten hübsche, vergoldete Verzierungen, die das Schiffsbild, ein weiß gemaltes Meermädchen, umgaben. Dieses Bild stand sehr im Kontrast zu den geschmacklosen Galions der anderen Schiffe, von denen die meisten ganz roh gearbeitete, fleischfarbig gemalte Frauengestalten waren, ja, eins sogar einen Mann in hellblauem Rock mit großem schwarzen Hut darstellte. Ohne Zweifel sind die Schiffsbilder der Franzosen Meisterstücke gegen die unsrigen.

Ich war überzeugt, daß Bayport nicht der Bestimmungsort der Brigg war. Einige Matrosen waren eben beschäftigt, die zerbrochene Vorbram-Raa auf Deck herabzulassen. Dieser Unfall war wahrscheinlich bei einem Zusammenstoß geschehen, und vermutlich war auch bei derselben Gelegenheit ihre Seite berieben worden, denn ein Schiffsjunge war auf einem kleinen Gerüst am Backbordbug mit Anstreichen beschäftigt. Außer der Verletzung dieser Raa, welche in der Mitte so rein durchgebrochen war wie eine Tabakrolle, erschien die Takelung des Schiffes so vollendet wie die eines Kriegsfahrzeugs. Es hatte in der That gewissermaßen das Ansehen einer Marine-Brigg. Ihre Tops waren stark, sie hatte kurze Reulstengen, lange Raaen und war breit gebaut, was ihrem unteren stehenden Tauwerk eine große Ausdehnung gab.

Ich dachte, unter vollen Segeln müßte sie ein schönes Bild gewähren, und mein geistiges Auge sah sie vor sich, wie sie unter aller Leinwand, jedes Segel voll und steif, in einer mondhellen Nacht in den Tropen leise rauschend die Wogen durchschnitt.

Andere Dinge, die bald mein Auge fesselten, trieben mich weiter und ließen mich bei den mir immer von neuem entgegentretenden Erinnerungen die Brigg schnell vergessen.


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