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Ich brachte den Abend im Rauchzimmer zu, meine Füße auf einen Stuhl gelegt und schläfrig an meiner Pfeife ziehend. Das viele Umherlaufen hatte mich sehr müde gemacht.
Drei junge Leute, die einander fremd waren, als sie eintraten, hatten schnell Bekanntschaft gemacht und sich zusammen an einen Tisch gesetzt. Sie rauchten und sprachen über geschäftliche Dinge, denn ich hörte sie über Prozente debattieren. Daraus ersah ich, daß sie Handlungsreisende waren und aus ihrer schlechten Sprache, ihrem lauten Lachen und Wesen und lächerlichen Prahlereien erkannte ich, daß sie sehr gewöhnliche Leute sein mußten.
Sie sprachen so laut, als ob sie wünschten, daß ich ihnen zuhören und eine hohe Meinung von ihnen bekommen sollte. So schüchtern war ich nun aber doch nicht, daß ich solchen Menschen nicht meine Verachtung gezeigt hätte. Ich rückte geräuschvoll mit meinem Stuhl so herum, daß ich ihnen den Rücken kehrte und hoffte, sie würden meinen Wink verstehen und leiser mit einander sprechen.
Ob sie bemerkt hatten, was ich ihnen andeuten wollte, weiß ich nicht, jedenfalls standen sie aber zu meinem großen Vergnügen bald auf, leerten ihre Gläser, zündeten sich neue Cigarren an und betrachteten sich wohlgefällig im Spiegel. Dabei sprachen sie lang und breit davon, wie die Mädchen ihnen diesen Nachmittag nachgelaufen seien, ihnen Stelldicheins förmlich aufgedrungen hätten und nun wohl schon lange auf sie warten würden. Darauf verließen die Narren lachend das Lokal, gewiß ganz überzeugt, daß sie mir ungeheuer imponiert hätten, denn all ihr läppisches Gerede war doch eigentlich nur für mich bestimmt gewesen. Die Affen! – einer war scheußlicher wie der andere, – der eine hatte sogar eine gebrochene Nase.
Da der ganze Raum mit dem Rauch ihrer schlechten Cigarren angefüllt war, hatte ich nach ihrem Weggang nichts Eiligeres zu thun, als das Fenster auszureißen. Ich setzte mich an dasselbe, um frische Luft zu atmen, und war froh, wieder allein zu sein, als die Thür sich öffnete und der mir jetzt als Kapitän Franklin bekannte Herr eintrat.
»Das haben Sie recht gemacht,« rief er, »ich sah Sie eben von draußen, wie Sie das Fenster öffneten, hier ist ja eine Luft, wie im Kielraum eines Schiffes, welches Guano geladen hat.«
Er sprach etwas durch die Nase. Dies war mir nicht aufgefallen, als er mich auf den Dünen anredete; er sah heiß und ermüdet aus, wie ein Mann, der den ganzen Tag angestrengt gearbeitet hat. Sich einen Armstuhl holend und seine Beine auf einen anderen Stuhl legend, setzte er sich neben mich, danach rief er einen Kellner.
»Trinken Sie etwas?« fragte er mich, als der Kellner kam. Ich bestellte mir ein Glas Grog.
»Und mir bringen Sie, – doch Sie werden sich nicht alles merken, – es ist besser, ich schreibe es Ihnen auf,« sagte er, zog Papier und Bleistift heraus, schrieb ein ganzes Rezept und las dieses mit großem Pathos dem Kellner vor. Es war ein wunderbares Gemisch: eine halbe Pinte Rum, eine halbe Pinte Whisky, ein Gläschen Cüraçao, eine dünne Zitronenscheibe mit der Schale, ein Schub kaltes Wasser, ein Stückchen Eis und etwas Zucker.
Der Kellner nahm das Papier mit einem äußerst erstaunten Gesicht und verließ das Zimmer.
Kapitän Franklin zog nun eine dicke hölzerne Pfeife und einen Tabaksbeutel hervor, stopfte sich die Pfeife und fragte, indem er mich aufmerksam ansah: »Bin ich nicht heute morgen zusammen mit Ihnen geschwommen?«
»Ja,« erwiderte ich.
»Ich dachte zuerst, ich hätte Sie irgendwo anders getroffen. Sie sind Seemann, nicht wahr?«
»Allerdings, das bin ich.«
»Sind Sie schon am Hafen gewesen?«
»Gewiß.«
»Haben Sie unter den Schiffen eins gesehen, welches Ihnen besonders gefallen hat?«
»O ja, an der Mole. Da liegt eine Brigg mit einem weißen Schiffsbild, das ist ein hübsches Schiff; selten sah ich ein schmucker aussehendes Ding,« sagte ich, sehr wohl ahnend, was kommen würde.
»Es ist die ›kleine Lulu‹ und ich bin ihr Kapitän.«
»Ah, wirklich?«
»Ja, und sie ist sogar mein Eigentum.«
»Da gratuliere ich, ich wüßte einen, der an Ihrer Stelle sein möchte.«
»Das glaube ich,« lachte er.
»Du scheinst mir ein zufriedener Mensch,« dachte ich, »eigentlich müßtest du also auch ein guter Mensch sein, aber man kann sich täuschen.«
»Gestern nacht hatte ich ein kleines Rencontre,« sagte er, sich behaglich zurücklehnend, den Rauch seiner Pfeife in Ringen ausstoßend und augenscheinlich erfreut, einen Zuhörer gefunden zu haben, der sein nautisches Kauderwelsch verstehen konnte, »kommt da so ein erbärmlicher französischer Hucker windwärts von mir gerade auf mich zu, als wenn er in mich rein rennen wollte. Ich schrie den Leuten zu, sie sollten abhalten und mir vom Leibe bleiben, denn ich dachte nicht anders, als sie würden mir in den Stern fahren, aber sie hörten nicht. Nach wenigen Minuten hatten sie meinen Segeln allen Wind abgefangen, und erst als ihr Klüverbaum keine Kabellänge mehr entfernt war, warfen sie ihr Ruder herum und kamen mir so dicht längsseit, daß die Brigg die Vorbram-Raa verlor. Es hing an einem Haar, daß sie mich in den Grund bohrten. Wahrhaftig, die Franzosen sind in ihrer Ungeschicklichkeit auf See eine wahre Plage und noch schlechtere Seeleute als die Chinesen. Diese haben aber doch wenigstens die Einsicht, daß sie sich auf ihre Gewässer beschränken und nicht geradezu gemeingefährlich werden; das Franzosenvolk steckt aber seine Nase überall hin. Ein ungeschlachter, schwerfälliger Kerl, mit einem Knebelbart wie ein Splißeisen, wahrscheinlich der Kapitän, rief mir zu, die Rempelei wäre ganz allein meine Schuld. ›Was,‹ schrie ich, ›meine Schuld? das Donnerwetter soll euch erschlagen!‹ Hätte ich Kanonen gehabt, dem schmutzigen Gesindel würde ich heimgeleuchtet haben, ich war grade in der Laune dazu.«
»Ist die ›kleine Lulu‹ nach auswärts gefrachtet?« fragte ich.
Er antwortete bejahend und forschte, zu welchem Schiff ich gehörte. Ich erwiderte, daß ich gegenwärtig ein freier Mann sei.
»An welche Art von Schiffen sind Sie gewöhnt?« erkundigte er sich.
»An große Schiffe.«
»Sie lieben wohl kleine Schiffe nicht?«
»Warum nicht? Kohlenschiffe gefallen mir allerdings nicht, aber das Kommando über ein Fahrzeug wie die ›kleine Lulu‹ würde ich ganz gern übernehmen. Im Ernst gesprochen, augenblicklich würde mir alles recht sein, was sich mir bietet.«
Hier schien er die Absicht zu haben, das Gespräch fallen zu lassen. Ich glaube aber nicht, daß er meinen Scherz, das Kommando über seine Brigg übernehmen zu wollen, mißverstanden hatte.
»Was sind Sie?« fragte er nach einer Pause kurz; »Maat?«
»Ja,« antwortete ich, ohne zu gestehen, daß ich nur vierter Maat war. »Fehlt auf Ihrer Brigg ein Maat?«
»O nein; – und wenn einer fehlte, wie lange denken Sie, daß die Stelle unbesetzt bleiben würde? Heutzutage will jeder den Herrn spielen. Was mir fehlt, sind tüchtige Leute, keine Offiziere. Ich gebrauche noch einige Matrosen.«
»Wie viel Heuer?« fragte ich.
Er sah mich scharf an und sagte: »Drei Pfund zehn Schilling im Monat. Die ›kleine Lulu‹ knausert nicht.«
Ich richtete die Augen auf sein Gesicht und studierte dasselbe, dachte an das schöne Schiff im Hafen, nahm einen Schluck Grog und überlegte: »Soll ich mich anbieten? – ein schönes Schiff ist die Brigg und es giebt manche Kapitäne, die unangenehmer aussehen wie dieser.« Dann erkundigte ich mich nach dem Ziel seiner Reise.
»Sydney, Neu-Süd-Wales.«
»Wenn Sie mich brauchen können, will ich als Vollmatrose mit Ihnen gehen.«
»Ich dachte es mir, daß Sie mir dies Anerbieten machen würden,« sagte er kühl, mich von oben bis unten mit einer gewissen Befriedigung betrachtend. »Welchen Grund haben Sie, sich zu solch einem Dienst zu verdingen? Wollen Sie den Schiffsdienst nur von unten auf versuchen?«
»Das nicht gerade. Aber wenn Sie mich haben wollen, bin ich Ihr Mann.«
»Abgemacht.«
»Wann segeln Sie?«
»Uebermorgen.«
Ich sagte ihm, daß ich den Kontrakt unterzeichnen wolle, könnte aber am nächsten Tage noch nicht an Bord kommen, da ich mich erst ausrüsten müsse; meine Kiste würde ich aber am Abend an Bord bringen.
Er fragte mich, ob ich einen Vorschuß zu haben wünsche. Dies Anerbieten lehnte ich aber dankend ab, denn ich hatte mich doch verheuert um Geld zu verdienen und nicht um es vorzeitig zu verbringen, noch ehe ich segelte.
Es schien mir, daß er sich freute, mich angeworben zu haben. Ich war jung, kräftig und beherzt, und, wie ich glaube, den meisten der Leute, aus denen die Mannschaft kleiner Schiffe zusammengesetzt wird, überlegen, nicht gerade im Schiffsdienst, sondern im Benehmen, in meiner ganzen Erziehung. Jeder Schiffsherr weiß den Wert nüchterner, wohlerzogener Leute im Borderdeck zu würdigen, denn ihr Beispiel übt oft einen stärkeren Einfluß auf die Masse, als die aufgezwungenen Gewohnheiten der Disziplin.
Aus Furcht, meine Verdingung könnte mir am Ende wieder leid werden und ich könnte mich noch eines Besseren besinnen, – denn ich bemerkte wohl, wie sehr ihn mein schneller Entschluß überrascht hatte – spielte er den angenehmen Gesellschafter, bestellte mehr zu trinken und erzählte lebhaft einige amüsante Geschichten. Er war sicher ganz durchdrungen davon, daß nun, wo ich ihn als meinen Herrn betrachten mußte, seine Herablassung mich doppelt anziehen und einen sehr guten Eindruck auf mich machen müsse. Jedoch, obwohl mir seine Art und Weise außerordentlich gefiel, glückte es ihm doch nicht, mich glauben zu machen, daß er wirklich der warmherzige, leichtlebige Mann sei, als den er sich in seinen Geschichten darstellte, seine Augen waren zu kalt, sein schönes Gesicht zu steinern, als daß mich seine Reden bestochen hätten.
Indessen, ich fühlte nicht den geringsten Wunsch, mein Anerbieten zurückzuziehen. Die Stimmung, in die mich der Tod meines Vaters versetzt hatte, war derart, daß mir momentan alles gleichgültig war und ich mich sorglos in jedes Abenteuer gestürzt haben würde, welches geeignet war, mich von meinen trüben Gedanken zu befreien. Damals erschien mir ein Teil der Welt ebenso gut als ein anderer; – es war mir völlig einerlei, in welchen Erdteil mich mein Schicksal führte; mich fesselten keine Bande, ich hatte keine Heimat, die meinen Hoffnungen und Wünschen ein Ziel gab. In der Thal, die ganze Welt lag vor mir, mein Stern konnte kaum blasser und niedriger am Horizont stehen wie jetzt.