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Neuntes Kapitel.
Ein Wohnzimmer auf See.

Wir gingen um sieben Glasen (halb acht) zum Frühstück. Diese Mahlzeit bestand aus frischem, am Lande gebackenem Brot (heute nämlich) und Thee, einem sonderbar aussehenden Getränk, welches freigebig mit hellgelben Stengeln verdickt war. Einige unter uns, welche Süßigkeiten liebten, strichen Syrup auf ihr Brot, andere zogen Schweinefett vor, was vielleicht ein geeigneterer Ersatz für Butter ist.

Es fiel mir auf, daß sich keiner meiner Maats irgend etwas mitgebracht hatte, ich meine irgend welche billige Zuthaten zu dem harten Zwieback und zähen Salzfleisch, welches fortab unsere tägliche Mahlzeit bilden sollte. Man hätte vermuten dürfen, daß die Kiste eines jeden doch wenigstens etwas enthalten würde, was aus dem Laden des Kaufmanns oder Eßwaren-Händlers entnommen worden war. Davon war aber nichts zu sehen.

Es ist sonderbar, aber wahr, der Matrose vergeudet lieber an einem einzigen Abend den Verdienst einer zwölfmonatlichen Arbeit, als daß er sich für eine lange Fahrt auch nur eine einzige kleine Annehmlichkeit verschafft.

»Laßt uns heut' abend glücklich sein,
Was kümmert uns das Morgen?«

Das ist der Wahlspruch dieser leichtlebigen Menschen.

Will der freundliche Leser an die Luke treten und einen Blick zu uns hinunterwerfen?

Ich sitze auf einer oberen Pritsche, mit dem Kopf gegen die Decke unserer Behausung stoßend, die Beine herunterbaumelnd, mein Töpfchen Thee auf meiner Matratze, eine Zinnschüssel zwischen den Knieen und mein Einschlagmesser in der Hand.

Der Raum ist reich an hervorstechenden Einzelheiten, er ist nichts anderes als eine hölzerne Höhle, welche augenblicklich wiederhallt von den Stimmen ihrer Bewohner und dem lauten Rauschen der am Bug sich brechenden Wogen. Je zwei Lagerstätten sind übereinander gebaut; sie reihen sich in doppelter Linie auf jeder Seite des Vorderkastells. Einige Leute verzehren ihr Frühstück, gleich mir, auf ihren Pritschen sitzend, andere benutzen die befestigten Kisten als Tische. Einige, welche schnell gefrühstückt haben, um lange rauchen zu können, blasen dicke Wolken in die Luft, welche mit dem Dampf des Thees vermischt bald eine Atmosphäre bilden ähnlich einem Londoner Nebel.

Das ist das erste Bild; es folgt das zweite!

Aus Rücksicht für die Ohren des Beschauers gebe ich dasselbe mit Weglassung aller groben Flüche. Allerdings büßt die Zeichnung dadurch ihre wahre Färbung ein, denn Saft und Kraft gehen verloren, wie bei einem Lustspiel des Franzosen, dem man die pikante Würze streicht.

Schade drum; doch immerhin, hier ist das Bruchstück einer Unterhaltung, wie sie der Vorderdeck-Matrose führt:

»Maat, schaff' mi mal dien entfamtigen Schrubberbesen ut dat Licht. Wo sall de Minsch woll seihn, ob hei nich Würm in sien Essig hett, wenn du in de Sünn rümmer trampelst,« so schnauzte der mürrische alte Liverpool-Sam, welcher an der Spitze der Steuerbord-Wache stand, einen Mann an, der zufällig seinen Kopf zu weit in das Tageslicht vorgestreckt hatte, welches durch die Luke schien.

»Billy,« ruft ein auf einer Eckpritsche liegender Mann, »Hest du seihn, wo dat Blitzmäten gistern abend danzt hett? Da sall mi ein'n noch von Hornpips snaken.«

»Hest du Däskopp dat noch nie seihn? Wat was denn da wider grots dorbi?« entgegnete der Angeredete.

»Wat da wider dorbi was? Na, mi dücht, dat Mäten dreiht' sik jo up sien Teehn, as wullt' sei en Tau ut sien Bein'n dreihn; dat was doch seker sihr schön!«

»Mi het dat pläsierliche Lid von dat Känguruh vel beter fallen,« meinte Billy, sein Brot kauend, »un wo de Kierl dorbi rümhoppte, grad as so'n Diert dit mit sien Swanz dauht. Dat was wat för mi. De Buk hett mi orndlich wackelt vör lachen. En por von dese Kierls künnt' ok würklich gaud naug singen, äwer wert sünd sei deshalb doch nix; sik as Mannslüd tau so'ne Fickfackerien her tau gewen, – na, dat künnt mi grad passen. Wat mügen sei blot den ganzen Dag äwer maken? sei warden woll in Bedd liggen.«

»Jimmy, sei en gauden Kierl un lat mi mal en Tug ut dien Pip dauhn,« bittet der kleine Welchy. Und Jimmy nimmt gefällig seine geschwärzte Pfeife aus dem Mund, trocknet hübsch anständig die Spitze auf seinem Aermel ab und reicht sie dem Maat.

»Ik will dreimal distellirt warden, wenn ik dacht hadd, dat dese Brigg so'ne Geswindigkeit hett,« bemerkte einer. »Hürt blot, wo sei sümmt.«

»Billy,« ruft wieder der Mann von der Eckpritsche, »weitst du, as ik gistern sach, wo de Diern sik so dreihte as en Küsel, da schot's mi dörch den Kopp, ik künn am En'n dese Fixfaxerien ok, wenn ik blot de richt'gen Schauh dortau hädd, un mi dran versäukte; wat würd ik denn för'n Sack Geld verdeinen bi dat Tiater!«

»Je ja, je ja, du würdst en smucken Kierl in so'n Kemedi-Uptog afgahn, dat würdst du,« brummt der alte Liverpool-Sam, »un de Lüd würd'n woll nich uphören tau appeldiren, wenn du mit dien Elefantenknaken as 'ne Kreih vor sei rumhüpptest.«

Da Liverpool-Sam ein alter Seebär und von der Mannschaft gefürchtet ist, erhält er keine Antwort.

»Dat wunnerborste Danzen, wat ik seihn hew, sach ik von en jung Kierl, hei näumte sik Alf, an Burd 'ner schottschen Bark,« bemerkte jetzt ein Mann mit sandfarbenem Haar, genannt Suds, was, wie ich glaube, sein wirklicher Name war.

»De jung Alf!« unterbricht hier ein Mann, der bisher nur zugehört hatte, »ja, de kenn ik, en snurrigen lütt Kierl mit en grote Warz up de Näs'. Hei hadd sien lütt Finger verlorn un wegen dat Bramwiensupen müßt hei ümmer sien' Schipps wesseln, un wenn de Burs benebelt was un nich an Burd sinnen künnt, denn lög hei umher un schrieg un hulte, sien Schipp wier stahlen.«

»De Mann kannst du di insalten, dat is nich mien, mien was nich lütt, äwer ik will mi sülwst dat Genick ümdreihe, wenn sien Fäutspitzen nich so liecht wirn, dat hei en slapenden Minschen up de Bost tredden künn, ahn em tau wecken. So was de Mann, up mien Seel', un nau will ik Jug wat von de vertellen. Also da was't enmal, da drapen wi en Wallfisch. Wi un de Wallfisch, wi drieben längssid von ennanner, un mi dücht jo woll, dat oll Diert was fest inslapen. Wat dauht mien Alf? Hei nümmt sik en Lien, löpt dormit in dat Takelwark un makt de Lien an de Fock-Raa-Nocke fest. Denn kümmt hei wedder dal, trödd up de Schanzkleidung un swingt sik räwer up den Puckel von dat Biest. Denn raupt hei den Hochbootsmannsmaat tau, hei süll mit de Vigelin upspelen. De Hochbootsmannsmaat deiht dat ja ok un nau güng't los: Alf, mit de Lien in de Hand, dormit hei nich ersupen künn, wenn dat Diert upwaken un fortmaken süllt, hoppt un springt mit Tehn und Hacken up den Fisch rümmer as up en Danzbodden. De ganze Schippskumpanei, Kapteihn un Maats un Passagiers, all' seihn tau, un schüddern sik vör lachen. Da up enmal nümmt so en verdammte Portugies', de tau de Mannschaft hürte, en Schauerstein un smit dormit nah den Wallfisch. Nanu hädd Ji äwer wat seihn künn: de ganze See ümher was nix as Schum, so flüg dat Diert mit sien Swanz, Maats, ik segg Jug, en Swanz, so lang as uns' ganz Vorderdeck. Un de Alf, wat meint Ji, dat hei ded? De nahm ganz gemüdlich dat Seil twischen sien Bein', treckte sik doran rup bet tau de Raa, kümmt denn runner, un makt de Schippers und de Passagiers en nüdlich Kumpelment. Wat!? So wat hett doch noch keins von Jug seihn?«

Ein schallendes Gelächter beantwortete die Frage des Erzählers und Billy schrie:

»Du olles Lägenmul unnersteihst di, uns so'n Garn uptaubinnen?«

»So wohr as ik lew', nie het's en wohrer Garn gewen,« beteuerte Suds, und schwor einen Eid nach dem andern für die Wahrheit seiner Geschichte.

»Na, da möt de Kierl woll en Vedder von de wunnerlich ollen Beilgen west sien, de drei Däg in de Buk von en Wallfisch sett hett,« sagte der kleine Welchy.

»Wer was dat?« fragte Suds eifrig, um die Wahrheit seiner Geschichte durch eine ähnliche bestätigen zu hören.

»Moses was't nich – äwer en anner Jud' was't – dat is ganz seker,« antwortete der Welchy.

»Jung Alf äwer was kein Jud',« schrie Suds, »hei was ut Limerick!«

»Ji Schaapsköpp!« ruft da ärgerlich einer der Maaten, welcher zwar selbst nicht Gelehrsamkeit genug besitzt, um den Beiden auf die Spur helfen zu können, aber von einer Ahnung beschlichen ist, daß sie Unsinn schwatzen.

»Hürt up mit Jug verflüchtigen Dummheiten oder ik smit Jug von de Pritsch runner.«

»Dat probbier mal, du Grotmul,« schrie Suds, »hal die dortau äwer irst all Mann tausamen.«

»Wat seggst du?« brüllt der andere, »ik will di wiesen, wat ik dortau Annere bruk,« – springt auf und packt Suds bei den Füßen. Nun folgt ein Kampf; der alte Sam geht fluchend aus dem Wege. Nach wenigen Minuten fliegt Suds samt seiner Matratze, Theetopf und Tabakpfeife auf den Boden.

Schnell springt er auf, haut zu, der andere auch; sie packen sich, ringen und werfen sich das Bettzeug zum Gaudium der andern an die Köpfe, welche, ungestört auf ihren Pritschen liegend, dem Schauspiel zusehen und unter brüllendem Gelächter die Kämpfenden ermuntern.

Jetzt schlug's acht Glasen, da nahm der Lärm ein Ende; es war Zeit zur Ablösung der Wache, wir mußten nun auf Deck.

Solche Auftritte sind häufig, aber selten ernst gemeint; sie sind so schnell vergessen, wie sie kamen.


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