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Achtes Kapitel.
Unter Segel.

Ich legte mich auf meine Pritsche und schlief viel schneller ein, als ich es bei der sehr schwülen Luft für möglich gehalten hätte.

Um welche Zeit und in welchem Zustande die Leute an Bord kamen, habe ich nicht erfahren. Daß sie sehr pünktlich gewesen sein sollten, möchte ich bezweifeln, jedenfalls aber sind sie sehr geräuschlos heimgekehrt. Diesen Punkt betreffend, ist ein Vorderkastell sehr gut geschult. Nie wird absichtlich ein Maat die berechtigte Ruhe des andern stören. Es gilt dies gewissermaßen als ein stillschweigend angenommenes Gesetz unter der Mannschaft. In einer Versammlung, sei es in der Kirche, oder an einem andern Ort, wo Stillschweigen zur Sache gehört, kann dieses nicht strenger beobachtet werden, wie hier. Die Freiwache, oder die Leute, welche an der Reihe sind zu schlafen, werden von ihren Maats eifersüchtig vor jeder Störung gehütet.

Dies ist sehr vernünftig und zum allgemeinen Besten, denn auf See kann niemand wissen, wie lange er seinen, der Wache halber immer nur auf vier Stunden bemessenen Schlaf ungestört genießen kann, und wie viel Tage und Nächte vergehen können, ehe ihm wieder Ruhe vergönnt ist.

Als ich aufwachte, hörte ich die Hafenuhr zwei schlagen und auf einigen großen Schiffen vier Glasen. Das Vorderkastell hallte wider von dem Chor der tief Atmenden und Schnarchenden. Bei dem flackernden Licht der Lampe konnte ich halbwege die Leute auf ihren Pritschen liegen sehen, – einige mit über die Seiten herabhängenden Beinen, andere mit den Füßen höher als der Kopf. Einen Mann bemerkte ich in tiefem Schlaf auf dem Boden sitzend, den Rücken gegen eine Kiste gelehnt, die Arme gekreuzt und den Kopf fast bis auf die Knie herabgesunken.

Dies war der Kerl, der ins Wasser gefallen war. Er trompetete durch die Nase, daß es klang, wie wenn die Schulterbretter einer Schiffsseite, wie es manchmal beim Anlegen vorkommt, knirschend an einer Mauer entlang streichen.

Man muß eine ganze Lehrzeit auf See abgedient haben, um im stande zu sein, inmitten solchen Nasen-Orchesters schlafen zu können. Zum Glück für mich war ich als Maat in derselben Wache mit einem Schiffsjungen zusammen gewesen, dessen Schnarchen in der Stille der Nacht wie das Schnauben eines am Schiff vorbeistreichenden Walfisches klang. Ich konnte daher diesem Raspeln, Sägen und Gurgeln ein abgehärtetes Ohr entgegenstellen und ohne Anstrengung meinen Schlaf fortsetzen.

Bum! bum! ging es da plötzlich über mir, und gleich darauf brüllte eine rauhe Stimme: »Freiwache! alle Mann! – rup mit Jug mien Jungs!«

Der Ernst des Lebens trat nun mit seiner ganzen Kälte wieder an mich heran; nach wenigen Minuten waren wir alle auf Deck.

Es schien ein klarer Tag werden zu wollen; der Wind blies frisch vom Ufer. Der Rauch des Schleppdampfers, welcher uns aus dem Hafen bugsieren sollte, flog vom Schornstein in gerader Linie der See zu. Die Leute der Molenwache standen da und gaben acht, ob wir ihrer Hilfe bedürfen würden; außer diesen war um den ganzen Hafen herum keine menschliche Seele zu sehen. Die Morgendämmerung lag kalt und grau über der Stadt, aber die Sonnenscheibe hob sich schon am Horizont, und der Himmel erglänzte auf jener Seite von ihrem flammenden Licht.

Das Schlepptau der Brigg wurde bereit gehalten und bald kam der Dampfer und legte sich vor uns. Eine Leine, an welcher das Schlepptau befestigt war, wurde an Bord des Dampfers geworfen und das Tau auf diese Weise angeholt. Nach kurzer Zeit war die Brigg von ihren Pfahlringen am Hafendamm befreit. Darauf zog der Schlepper an, drehte unsern Bug herum und brachte uns in die Mitte des Hafens. Bald darnach hatte unser Schiffsschnabel die Richtung seewärts, der Schlepper gab mehr Dampf, die Schaufelräder plätscherten, das Bugsiertau spannte sich mit summendem Ton, und einen Augenblick später glitten wir, die Molen schnell hinter uns lassend, der offenen See zu.

Als wir so dahinfuhren, der vom Dampfer aufgewirbelte Schaum gegen unsere Backen rauschte, und die Brigg der rasch kommenden Flut entgegentanzte, wurde der Befehl gegeben, Klüver- und Stagsegel zu setzen. In der nächsten Minute schon gingen diese Segel an ihrem Leiter auf und es erfolgte der weitere Befehl für die Top- und das Focksegel. Schnell wurden die Falle bemannt, und als ich ins Takelwerk sprang, die Fock spannen zu helfen, wurden die Segel unter dem munteren Gesang der Mannschaft aufgeholt.

Von meinem hohen Sitz auf der Fockraa, hatte ich gute Aussicht auf das Land und das blaue Wasser des englischen Kanals. Die ausgehende Sonne strahlte über die stille, noch schlafende Stadt, und ließ jedes nach der See hinausliegende Fenster wie eine lodernde Pechpfanne erscheinen. Einen herrlichen Anblick boten die grünen Abhänge des Ufers, die blaßgelben Dünen und die felsigen Ränder der Küste. Frisch, und gleichzeitig warm, wehte die Brise, es war unmöglich, sich dem erheiternden Einfluß des klaren, schönen Morgens zu entziehen.

Als sich unsere Segel im Winde füllten, schleppte das Kabeltau, welches uns mit dem Dampfer verband, bald schlaff im Wasser. Ich begriff nicht, daß wir nicht einfach unsere Untersegel und Bramsegel den schon stehenden hinzufügten und dem Dampfschiff davonfuhren. Die Brigg bei dieser Brise bugsieren zu lassen, erschien mir gerade so, wie wenn man einem willigen Pferde die Sporen giebt. Indessen, was kümmerte das mich, der Kapitän mußte wissen, was er that.

Das Schleppschiff verließ uns endlich, nachdem wir ein Dreimeilen-Seezeichen passiert hatten, und als es, bei uns vorbei, zum Hafen zurückdampfte, brachten seine Leute uns ein Hurrah, welches wir erwiderten. Auf der See ist für Sentimentalität keine Zeit, sonst würde mich die Trennung von diesem letzten Lande, welches uns mit der Heimat verknüpft hatte, veranlaßt haben, meine Arme auf das Geländer des Vorderdecks zu stützen, meine Augen auf das blaue Land zu richten und mich meinen Gedanken hinzugeben.

Alle leichten Segel waren bereits gesetzt; es blieben nur noch die großen Segel zu hissen, und da gab es alle Hände voll zu thun. Der Koch hatte die Wahrheit gesprochen, als er über das laufende Tauwerk klagte. Die Scheiben in den Blöcken drehten sich schwer, wir mußten alle unsere Kräfte zur Aufhebung der großen Segel einsetzen und hatten schwere Arbeit mit den Läufern. Ich, der ich vollgetakelte Schiffe gewohnt war, schimpfte nicht schlecht über das Windezeug dieses zweimastigen Fahrzeugs.

Als endlich alles klar war, begann die Brigg, bei dem frisch blasenden Winde, zu zeigen, wie sie laufen konnte. Das Wasser auf ihrem Wetterbug spritzte beinahe bis zu den Krahnbalken auf. Wenn man über die Leeschanzkleidung sah, war es, als ob man aus dem Fenster eines Eisenbahnwagens blickte: Schaum und Seegras schossen nur so vorüber.

Nachdem Ordnung auf dem Deck hergestellt und alles an seiner Stelle war, wurden wir gemustert und in Wachen abgeteilt. Die Steuerbordwache hatte den Zimmermann, welcher gleichzeitig als Hochbootsmann fungierte, zum Führer erhalten, die Backbordwache war unter Befehl des ersten Maat gestellt worden. Dieser Wache gehörte ich an. Das war mir nicht angenehm, denn es lag etwas in dem Gesicht des Mannes, was mir nicht gefiel.

Er hatte einen großen, breiten Mund, wie auf See die sogenannten Eisenfresser und am Lande die Preiskämpfer und Raufbolde zu haben pflegen. Eins hatte ich sehr bald erkannt – und das war, daß er bei allem, was er that, sich auf Ansichten des Kapitäns berief. Hieraus entsprang eine Art Dienstbetrieb von seiner Seite, welcher von der Mannschaft sehr unangenehm empfunden wurde. Er war ein Mann, dem es besonderes Vergnügen gewährte, alle schlechten Eigenschaften des Kapitäns zu Quälereien für uns auszubeuten, ein Mann, der alles auf die Spitze trieb. Seinem Charakter entsprach sein Aeußeres; so schlecht jener war, so häßlich war dieses; er war eine Mißgestalt, deren langer Oberkörper auf unverhältnismäßig kurzen Beinen stand; bei herabhängenden Armen reichten die Finger bis unter die Knie. Sein Hals war mit einer dichten Schicht borstigen roten Haares bedeckt, dafür war aber sein Gesicht kahl. In demselben klebte an Stelle der Nase ein garstiger Höcker, ähnlich einer großen Warze, mit zwei ungeheuerlichen Löchern. Diese Widerlichkeit wurde noch dadurch erhöht, daß er mit dem rechten Auge schielte. Der Mann, welcher den Namen Billy trug, meinte einmal, dies Schielen käme wahrscheinlich von der Gewohnheit her, das Auge im Schlafe immer offen zu halten, um stets zu beobachten, welcher Wind draußen und in der Laune des Kapitäns wehe. Dies hatte zur Folge, daß der Maat von da ab unter uns nie mehr anders als der alte Windwärts genannt wurde, obgleich er eigentlich Nikolas Sloe hieß. Um seine Personalbeschreibung zu beenden, bemerke ich nur noch, daß er über zwei Reihen gesunder, glänzend weißer Zähne verfügte, die ich unbedingt für falsch gehalten hätte, wären sie nicht so lang wie Hauer gewesen. So also sah der alte Windwärts, der erste Maat der ›kleinen Lulu‹, aus.

Wir wurden jetzt angestellt, das Deck zu waschen. Die Scheuerbürsten wurden vorgeholt und die Eimer an der Vorderpumpe gefüllt. Der Kapitän war nach unten gegangen und hatte das Deck unter der Hut des alten Windwärts gelassen, der mit den Händen in den Hosentaschen umherstreifte. Mich schielte er öfter an, als mir lieb war, paßte auf, wie ich scheuerte, und stand offenbar auf der Lauer, etwas zu entdecken, um mir einige seiner ausgewählten Schmeicheleien sagen zu können. Ich gab mir Mühe, seine freundliche Absicht zu vereiteln, indem ich mein Bestes that. Während ich aber scheuerte und sorgsam auf den Wasserstrom achtete, welcher aus den Eimern über das Deck gegossen wurde, und mit meinem Schrubber bald an den Speigaten, bald am Ankertau, bald an der Hauptluke entlang fuhr, mußte ich doch unwillkürlich meiner Thorheit fluchen, die mich einen solchen Beruf hatte erwählen lassen, einen Beruf, welcher mich von allen Annehmlichkeiten des Lebens fern hielt, mir alle geistigen Genüsse und geselligen Freuden versagte und mir so grobe, erniedrigende Arbeit unter einer so empörenden Behandlung auferlegte. Ich bin überzeugt, daß, wenn für die Insassen eines Gefängnisses ein auch nur ähnliches Zwangsverhältnis eingeführt würde, das Mitleid der Philanthropen erregt und eine Revolution im Gefängniswesen hervorgerufen werden würde. Und was für den Stand des gewöhnlichen Seemanns noch besonders verhängnisvoll wird, ist das, daß er, wie kein anderer Stand, meist total ungeeignet für jeden anderen Broterwerb macht.

Also, mein kleines Männchen, du, der du von Marryats Romanen zu deinem Papa läufst, um ihn zu bestürmen, dich Seemann werden zu lassen, folge meinem Rat: bleibe auf der festen Scholle von Mutter Erde. Sie ist freundlich, trachtet dir nicht nach dem Leben, läßt dich in der Nacht ruhig schlafen, stellt dir die Wahl frei unter tausend Beschäftigungen und führt dich zu jeder Art Freuden und Genüssen. Aber die See! Sie ist stets auf der Lauer, dich zu verschlingen, sie ist eine Göttin, die nie aufhören wird zu versuchen, diese grausame Absicht auszuführen, so lange du in ihrem Dienst bleibst. Sie giebt dir schlechte Nahrung, schwere harte Arbeit, lange langweilige Zeiten der Gefangenschaft und entläßt dich zuletzt als armer Mann, falls du das Glück hattest, der Sandmatratze zu entgehen, welche sie für dich immer unter den Ungetümen der Tiefe bereit hält.


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