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Siebzehntes Kapitel

Soldatentod. Tankred wird von Margarete von Rohan noch im Grabe verfolgt

Die Herzogin-Witwe blieb also nicht untätig. Zunächst veranlaßte sie ihren Sohn zum Eintritt in die Truppen des Parlaments unter dem Oberbefehl des Fürsten von Conti, indem sie damit rechnete, daß ein solcher Schritt wohl geeignet wäre, ihrem Sohne die Gunst der Parlamentsherren zu gewinnen.

Tankred wurde als Freiwilliger eingereiht und bekam während der Belagerung der Hauptstadt durch die Armee des Fürsten von Condé bald Gelegenheit, sich durch Tapferkeit, ja Todesverachtung hervorzutun. Und obwohl nur als gemeiner Reitersmann in den Reihen kämpfend, wie einst sein unglücklicher Vater Heinrich von Rohan, sein Vater im Sinne des Gesetzes, unter den Mauern von Rheinsfeld, so gelang es ihm doch, seinen Namen in den Mund von ganz Paris zu bringen und das Parlament auf sich aufmerksam zu machen.

Als die Dinge nun so standen, reichte seine Mutter, die Herzogin-Witwe von Rohan, die unterdessen ein umfangreiches Aktenmaterial zusammengestellt hatte, ihre Berufung ein gegen das in Abwesenheit ihrer Partei gefällte Urteil vom 26. Februar des Vorjahres. Und diese Berufung wurde bereitwillig von der hohen Körperschaft entgegengenommen, die in einer Präliminarsitzung den bewußten Beschluß des königlichen Staatsrates als dem Edikt von Nantes widersprechend – man fand jetzt den Mut dazu – für unwirksam erklärte und den Prozeß Margarete von Bethune nebst Anhang kontra Margarete von Rohan-Chabot und Gemahl der alleinigen Kammer des Edikts zur endgültigen Entscheidung überwies.

Damit hatten Tankred von Rohan und die Herzogin-Witwe, seine Mutter, ihre Sache so gut wie gewonnen.

Der neue Gerichtstag wurde angesetzt auf den 1. Februar, also fast auf den Jahrestag der ersten Verhandlung; Tankreds Schicksal aber entschied sich bereits an dem vorangehenden Tage, dem einunddreißigsten des Monats Januar, in der Weise, wie zu Anfang dieser Erzählung bereits angedeutet worden.

An diesem einunddreißigsten des Januar unternahm es der Herzog von Noirmoustiers, von der Pariser Partei, mit einer Abteilung seiner Reiterei den festen Platz Brie-Comte-Robert im Südwesten von Paris durch einen verwegenen Handstreich dem Feind zu entreißen, der sich seit wenigen Tagen zuvor dort festgesetzt hatte. Unter den dreihundert jungen Leuten, die sich dieser gewagten Expedition freiwillig anschlossen, befand sich auch Tankred von Rohan.

Das Unternehmen mißlang. Die Besatzung von Brie-Comte-Robert erwies sich stärker, als die Pariser vermuten konnten, und nach mehreren blutigen Scharmützeln entschloß sich der Herzog von Noirmoustiers, seine Leute noch am Abend nach Paris zurückzuführen.

Er kam ungefähr bis nahe an das Dorf Vincennes heran, während gerade die Wintersonne jenseits des Flusses sich blutig gegen Montrouge niedersenkte. Da, in dem sogenannten Val de Fécan, stieß er plötzlich auf eine feindliche Reiterpatrouille aus der Festung von Vincennes, in deren Anführer er den Grafen von Bussy-Rabutin erkannte. Die Patrouille des Grafen, aus zehn oder zwölf Mann bestehend, konnte den drei hundert Parisern nicht standhalten, sie wandte sich zur Flucht. Und die Pariser hinter ihnen her, den Fliehenden am nächsten Tankred von Rohan mit sechs bis sieben Mann zur Seite. Diese sieben oder acht Mann weit im Vorsprung vor den Ihrigen, bemerkten es nicht in ihrem Eifer, daß ihr Führer die Verfolgung des Grafen aufgegeben und bereits wieder seinen friedlichen Marsch auf das Tor von St. Anton zu fortsetzte.

Dagegen war dies von dem Grafen von Rabutin wahrgenommen worden, der sich jetzt, sein Pferd herumwerfend, angreifend gegen seine Verfolger wandte, unter denen sich Einer durch besondere Angriffslust hervortat, ein auffallend junger Mann von fast noch knabenhafter Gestalt, das schmale bläßliche Gesicht von einem üppigen Schmuck braungoldener Locken umgeben. Vier seiner Kameraden stürzten um ihn her von ihren Pferden; er selber hatte bereits zwei Feinde mit seinen Pistolen niedergestreckt und drang nun mit dem Degen auf die übrigen ein, als er plötzlich aus der Flinte eines Musketiers getroffen, heftig aus der Schulter blutend, niedersank.

Dies war Tankred von Rohan. Die königlichen Soldaten hielten ihn für tot und machten sich daran, ihn auszurauben. Als aber einer davon, ein blondgeschnauzter Deutscher aus dem Regiment des Grafen Dona, ihm in hastiger Ungeduld und wenig sänftiglich die Stiefel von den Füßen riß, kam der Totgeglaubte ins Bewußtsein zurück und öffnete groß die Augen.

Nach seiner Kleidung und Wäsche mußte es ein Vornehmer sein. So packten ihn die Soldaten wieder auf sein Pferd und ritten mit ihm bei einbrechender Nacht, in Erwartung einer guten Belohnung, nach Schloß Vincennes, wo sie ihn dem Kommandanten, Herrn von Drouet, auslieferten, der den Schwerverwundeten, ahnungslos, mit wem er es zu tun hatte, in einem Seitenbarren der Stallung auf das Heu lagern und von dem Chirurgen der Festung verbinden ließ.

Als gegen Mittag des folgenden Tages die Herzogin-Witwe von Rohan sein Geschick erfuhr, war Tankred bereits verschieden.

Der Tod war dem Urteil der Richter zuvorgekommen.

»Schon oft hatte das Machtwort eines Königs oder Ministers diese Trotzigen und Stolzen des Gerichtspalastes«, so schrieb Roger Graf von Rabutin, »in unwürdiger und beschämender Weise auseinandergetrieben, wenn sie sich weigern wollten, eine neue drückende Steuerforderung oder sonst einen Willkürakt zu sanktionieren; etwas wie gestern aber war der illustren Gesellschaft noch nicht widerfahren. Denn da ist ihre Versammlung gesprengt worden von der allerhöchst eigenen Person Seiner grausigen Majestät des Todes selber, dessen Spruch ihnen sozusagen mit eiskaltem Stahl das Wort vom Munde abgeschnitten, also daß ihnen eine geraume Weile die Mäuler davon offen standen.«

Und trotzdem sollte Tankreds Schicksal mit dem Tode keineswegs erledigt sein. Noch im Grabe wurde er vom Haß seiner Schwester verfolgt. Das kam so.

Gleich am ersten Tage nach dem Tode ihres Sohnes hatte die Herzogin-Witwe ihren Vetter Franz von Bethune, Grafen von Orval, zu ihrer Tochter abgesandt, um ihr einen Vertrag anzubieten, dahin lautend: daß ihr, der Herzogin-Mutter, von ihrer Tochter und deren Gemahl in ehrlicher Gutwilligkeit und ohne Hinterhalt zugestanden werde, ihren Sohn Tankred im Dom zu Genf in der Gruft ihres Gemahls, des Herzogs Heinrich, zu bestatten, wogegen die Mutter sich verpflichtete, die Kosten eines längst geplanten Denkmals für Herzog Heinrich, die auf Lasten der Tochter und Erbin gehen sollten, allein aus ihrem Weibergut und Wittum zu bestreiten und dennoch für Größe, Form, Gestalt und Umfang dieses Monumentes allein ihrer Tochter die Entscheidung zu überlassen.

Dieser Vertrag hatte der jungen Herzogin und ihrem Gemahl vorteilhaft geschienen, und sie hatten ihn beide unterschrieben.

Und also begrub darauf die Herzogin-Witwe ihren Sohn Tankred mit großem Pomp im St. Peter zu Genf an der Seite des Herzogs Heinrich und ließ auf die Platte eine Inschrift setzen, über die man lächeln kann, die aber der betrübten Dame und Mutter in jenen Tagen sicherlich aus ehrlichem Glauben und aufrichtigem Herzen kam.

Diese Grabschrift lautete:

Tancredus

Rohani Ducis filius

Hic situs est

Qui paternae virtutis

Et tanti nominis

Verus Haeres

Pro Parisiensibus obsessis

Anno MDCIL. aetatis suae IX.

Fortiter dimicans

Globo plumbeo transverberatus

Cecidit

Gentis suae fato potius quam suo

Ostensus terris tantum.

Posuit

Margarita Bethunia

Rohani Ducissa

Videa dolorosa, Mater inconsolabilis

Aeternum aeterni luctus sui

Monumentum

Quod manes cineresque diu testetur

Amatos.

Auf Deutsch:

Hier ruht

Tankred

Des Herzogs von Rohan Sohn und

Wahrer Erbe

Seines großen und verdienstvollen Namens.

Er starb

Von einer Kugel getroffen im tapfern Kampf

Für das belagerte Paris

Im Jahr MDCIL, seines Lebens im IX.

Zu größerem Unglück für seine Familie

als für ihn selber,

Ward er vom Himmel dieser Erde nur

gezeigt.

Margarethe von Bethune,

Herzogin von Rohan

Die trostlose Witwe und schmerzhafte Mutter

Hat als Zeichen ihrer ewigen Betrübnis

Dieses Denkmal gesetzt,

Daß es ihrer mütterlichen Zärtlichkeit

für

Die Manen des teueren Hingeschiedenen

Ein Zeugnis sei allen kommenden

Jahrhunderten.

Es konnte nicht fehlen, daß dieses Epitaphium in seinem Wortlaut der Herzogin von Rohan-Chabot zu Ohren kam. Sie fand die Schrift empörend. Sie fand sie auch lächerlich und verlogen. Sie nannte sie einen Skandal, den sie unmöglich dulden dürfe.

Und da sie gerade mit Anna von Österreich besser stand als je, wurde es ihr nicht schwer, die Königin-Mutter für ihre Angelegenheit zu gewinnen.

Denn auch die Königin fand das genannte Epitaphium geschmacklos, sogar schamlos, und versprach Abhilfe.

Sie hielt Wort. Und so geschah es, daß an einem Tage ausgangs September des Jahres 1650 in dem Hohen Rat der Republik zu Genf das folgende Schreiben verlesen und nicht nur mit offenen Ohren, sondern auch weit offenen Mündern angehört wurde:

»An meine sehr werten und guten Freunde, die Mitglieder des Hohen Rats von Genf!

Sehr werte und gute Freunde!

Wir haben in Erfahrung gebracht, daß die Herzogin-Witwe von Rohan, in ihrem Haß gegen unsere Base, die Herzogin von Rohan, verharrend, die Absicht hat, die leiblichen Überreste eines gewissen Tankred in dem Grab Unseres Vetters, des Herrn Herzogs Heinrich von Rohan, beisetzen zu lassen. Da diese Handlung aber ein Unrecht gegen das Andenken des Verstorbenen, sowie ein Verstoß gegen unsere eigene Autorität bedeuten würde – da wir durch den allbekannten Erlaß unseres Parlamentshofes die Ansprüche des obgenannten Tankred als fälschlich angemaßte abgewiesen haben –: so bringen wir, nachdem wir Rat und Meinung Unserer sehr verehrten Frau Mutter, der Königin, eingeholt haben, Gegenwärtiges zu Eurer Kenntnis, um Euch mit aller möglichen Affektion aufzufordern: Nicht dulden zu wollen, daß der Körper des besagten Tankred in Genf empfangen, noch in dem Tempel beigesetzt werde, wo die Gebeine des Herrn Herzogs Heinrich von Rohan ruhen.

Indem wir erwarten, daß Ihr uns diese Satisfaktion geben werdet, bitten wir Gott, daß er Euch, sehr werte und gute Freunde, in Seiner heiligen Gnade und Obhut behalte.

Bourg-sur-Mer, am 2. September 1650.

Gezeichnet: Ludwig.

weiter unten:

De Lomenie.«

Dieser Brief war diplomatisch abgefaßt. Er stellte die Sache so hin, als ob Tankred erst beigesetzt werden sollte, was zu verhindern die Genfer aufgefordert wurden. Die Herren aber kannten sich aus im Stil solcher Schriftstücke. Sie wußten, daß Seine allerchristlichste Majestät keine Leichenausgrabung wünschte. Nur um die ärgerliche Grabschrift handelte es sich.

Und darum gingen sie hin und bestellten Werkleute und ließen die Platte abmeißeln und die Schrift vertilgen, daß auch nicht ein Buchstabe davon übrig blieb.

Das war im Grunde nicht übel getan, denn es sollte ja über der Gruft das Monument des großen Herzogs Heinrich sich erheben, was denn auch bald darauf geschah in fast pomphafter Gestalt, noch heut zu schauen im Dom zu St. Peter: Über hohem Sarkophag von schwarzem Marmor, den zwei gewaltige Löwen tragen, der Herzog in sitzender Haltung, zweifelhaft vor sich hinausblickend, aber kaum wie ein Sieger, eher wie ein Besiegter, mit einem Ausdruck voll Trauer und Melancholie.

Was würde er aber erst für ein Gesicht machen, wenn er sich nun dazu verdammt sähe, durch alle Zeiten hindurch und immerwährend vor seinen Augen die Grabschrift eines Sohnes zu haben, von dem er im Leben kein Wort je gehört hat.


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