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Siebentes Kapitel

Ein Frühstück bei Kardinal Richelieu. Heinrich von Rohan und Bernhard von Weimar

Aber wie erklärte sich dieses plötzliche Erscheinen des Herzogs in Paris?

Antwort: Der König hatte ihn unvermutet zurückgerufen, der Kardinal hatte Absichten mit ihm. Zu nichts Geringerem war er ausersehen, als mit französischem Gelde und einem Heer des Königs nach dem Val Telin zu gehen, um dort im Verein mit den Graubündener Protestanten der spanisch-österreichischen Okkupation ein Ende zu setzen.

Nicht von Richelieu war der Gedanke dazu ausgegangen. Vielmehr hatte der Herzog selber dem Kardinal-Minister den Vorschlag unterbreiten lassen, kurz nach seiner Konferenz mit dem Obersten Genaste während jener denkwürdigen Fahrt auf der Brenta zwischen Venedig und Ca Fusina. Und Richelieu war unverzüglich in Rohans Plan eingegangen.

Endlich also wieder eine große militärische Mission. Dazu eine, wie sie der Rohan sich nicht schöner wünschen konnte, denn zum erstenmal sah er sich jetzt in der Lage, seinem König und zugleich der Sache des Protestantismus mit seinem Talente zu dienen.

Um so weniger Zeit aber hatte er auch jetzt wieder für seine Frau übrig. Er mußte dem König und der Königin den Hof machen und mit Richelieu und dem Kriegsminister Beratungen pflegen.

Doch einige freie Minuten gab es immerhin, und die Frau Herzogin benützte dieselben aufs eifrigste ihm ihre geheimen Hoffnungen und Absichten auf den Weimarer als zukünftigen Schwiegersohn leise und vorsichtig zu Gemüte zu führen.

Ihre Einflüsterungen fanden bei dem Herzog ein williges Gehör. Diese Verbindung schien in der Tat seinen eigenen Wünschen zu entsprechen. Denn hier stand Größeres in Aussicht als nur eine einfache Familienallianz, ein Ziel hoher Politik winkte hier. Die beiden protestantischen Parteien, die französische und die deutsche, gleichsam in einer Ehe miteinander zu vermählen, das war in Wahrheit eine seines hugenottischen Ehrgeizes würdige Sache.

Und so konnte er nicht anders, als seine unvergleichliche Gemahlin abermals aufrichtig zu bewundern, die diesem genialen Gedanken zuerst das Wort geliehen.

Nicht ohne feine Berechnung hatte der Kardinal gerade diesen Zeitpunkt gewählt, den Rohan nach Paris zu ziehen. Er wußte, daß es dessen heißester Wunsch war, dem protestantischen Helden aus Germanien einmal persönlich zu begegnen, als dem Manne, den er, nebst dem Schwedenkönig, am höchsten verehrte von allen Kämpfern für das Evangelium, um in seinem Stil zu reden. Und korrespondierende Wünsche und Gefühle durfte der Kardinal bei dem Weimarer voraussetzen. Ein baldiges Zusammentreffen unter ihnen zu vermitteln, das würden ihm beide, dessen war der Kardinal sicher, nicht gering anrechnen.

Er lud also, schon am dritten Tage nach Rohans Ankunft, die beiden Glaubenshelden zu einem intimen Frühstück zu sich, und es mochte dem genialen Politiker eine prickelnde Genugtuung gewähren, bei diesem Symposium sich als den einzig Gewitzigten zu fühlen gegenüber zwei Ahnungslosen, deren er sich bedienen wollte, weil er sie brauchte, und die er schon jetzt entschlossen war, sich aufzuopfern, sobald sie ihm nicht mehr nützlich wären.

Man stelle sich das Bild nur vor: Den Rohan und den Weimarer einander gegenüber in ihrem unverbrüchlichen calvinistischen Schwarz, jener nach seiner Gewohnheit sauertöpfisch vor sich hinblickend, trotz aller verehrungsvollen Sympathie für sein Gegenüber, dieser, der Weimarer, voll kindlichen Vertrauens, aber auch nicht ohne kühnen Eroberertrotz in den strahlenden blauen Augen; und zwischen beiden der Richelieu in Purpur und Hermelin, mit dem schmalen blassen Gesicht unter der breiten Stirn, die großen dunklen Augen, während er sprach, manchmal wie in Verwunderung auf seine Gäste gerichtet, die sich, trotz ihrer vorausgegangenen Selbstermahnung zur Vorsicht, nun leichter, als er es zu hoffen gewagt hatte, in das ebenso feinmaschige wie weitläufige Garn seiner Politik einspinnen ließen.

Und mit ironischem Wohlgefallen bemerkte er, wie das grämliche Gesicht des Rohan sich um so mehr aufheiterte, je deutlicher der hugenottische Herzog die warme Freundschaft herausfühlte, die der Weimarer offen gegen ihn an den Tag legte.

Gehobenen Gemüts verließ Herzog Heinrich den Minister und seinen deutschen Verbündeten. Das Frühstück unter sechs Augen hatte im Schloß des Kardinals zu Rueil stattgefunden, wo Herzog Bernhard als der Gast des Ministers weilte; aber obwohl der Rohan nun eine lange Fahrt vor sich hatte bis nach seinem Stadtpalast am Marais bei Unserer lieben Frau zu den Blauen Mänteln, kam er dennoch zu Hause an, ohne mit all seinem Nachdenken die Lösung des Rätsels gefunden zu haben, das sich ihm bot: nämlich wie es anzustellen wäre, den Weimarer auf diplomatische Weise und ohne der Würde des Hauses Rohan etwas zu vergeben, auf die bewußten geheimen Absichten des herzoglichen Ehepaares aufmerksam zu machen.

Doch er hätte sich das Kopfzerbrechen sparen können: seine Frau hatte, wie immer, bereits für ihn gedacht.

Durch den Marquis von Ruvigny mußte es geschehen. Als Deputierter der reformierten Kirche von Frankreich sah dieser sich ohnedies fast verpflichtet, dem Herzog von Weimar aufzuwarten. Er war also die unverfänglichste Person, die erste Andeutung fallen zu lassen. Und natürlich mußte es so geschehen, als ob es sein eigener Gedanke sei, ihm eingegeben nicht von persönlichen Beziehungen und Interessen, sondern von ernsten Erwägungen politischer und religiöser Natur.

Also geschah es, und nach dem Bericht Ruvignys über den Erfolg seiner Sendung – der Weimarer hatte ihn stumm aber wohlgefällig angehört – durften sich die Rohanschen einige Hoffnung machen. Sie beschlossen darum, dem Weimarer in ihrem Palast ein glänzendes Fest zu geben, und niemand wird den Herzog allzu großer väterlicher Eitelkeit beschuldigen, wenn er dabei die stolze Schönheit seiner Tochter sozusagen als keinen geringen Faktor mit in die Rechnung einstellte.

Wie aber hätte er mit etwas rechnen sollen, was ihm verborgen war? Und wie konnte er ahnen, was für ungeheure Versprechungen dem Weimarer von Richelieu unter der Hand gemacht worden, solche Versprechungen, – nie dachte Richelieu daran, sie zu erfüllen – daß, so meint der Chronist, ein ausgedehntes Herzogtum am Oberrhein diesem Prinzen Ohnefurcht und Ohnehabe nur noch eine Art geringer Anzahlung dünkte auf größere Ansprüche und Forderungen, die, immer höher und strahlender sich erhebend in seiner blühenden Junggesellenphantasie, in nichts geringerem gipfelten, als in der Machtgewalt der deutschen Königskrone und dem weithin ragenden Thron der Cäsaren. Denn beides, den deutschen Königsthron und die römische Kaiserwürde, dem mürbe gewordenen Hause von Habsburg mit französischer Hilfe zu entreißen, mußte in jenem Augenblick einem kühnen und verwegenen Geist möglicher scheinen als je.

Ein Kaiserthron aber war, trotz allem, zu hoch für eine Rohan. Und so kam es, daß das Fest im Marais ergebnislos verlief und der Weimarer kurz darauf sich verabschiedete und abreiste, ohne daß von seiner Seite, sei es persönlich, sei es durch eine Mittelsperson, das leiseste Wörtchen laut geworden wäre über die Angelegenheit, die dem Herzog Heinrich, und noch mehr seiner Gemahlin, so sehr am Herzen lag.

Und nicht wenig gedemütigt in seiner stolzen Seele, verließ mit dem anbrechenden Frühling auch der Herzog Rohan die Hauptstadt, um vom oberen Elsaß aus mit einem Teil der dort stehenden königlichen Truppen auf bewunderungswürdigen Eilmärschen mitten durch die Schweiz und die Grauen Bünde den Schauplatz seiner neuen Tätigkeit zu erreichen.

Mehr als gedemütigt, im Innersten erbittert fühlte sich die Herzogin. Und für sie führte die so eifrig, aber vergeblich betriebene und nicht erfolgte Brautwerbung durch den Weimarer nachträglich eine Folge mit sich, die ihr in ihren Fortwirkungen im höchsten Grade verhängnisvoll wurde.

Die Herzogin konnte es der Prinzessin jetzt weniger als je verzeihen, daß diese sich für ihre Bemühungen, der Tochter eine glänzende Partie zu verschaffen, so wenig entgegenkommend gezeigt hatte. Und als eines Tages Mutter und Tochter wegen dieses Themas in heftigen Wortwechsel gerieten, da konnte es sich die Herzogin nicht versagen, der Prinzessin ein giftiges Wort hinzuwerfen über den beschämenden Korb, den sie sich nun von diesem Weimarer geholt hatte. Die Tochter richtete sich hoch auf.

»Das ist unwürdig von Euch, Mutter,« rief sie in ehrlicher Entrüstung; »denn Ihr wißt nur zu gut, daß ich dem Bernhard von Weimar so wenig nachgefragt habe und nachfrage als einem der andern.«

»Ihr könnt dennoch nicht leugnen,« entgegnete hohnvoll die Mutter, die sich keine Mühe gab, ihre Schadenfreude zu verbergen, »daß er Euch verschmäht hat, dieser fremde Abenteurer, dieser Nachgeborene von Weimar, dieser Prinz von Habenichts. Er ist davongegangen und Ihr sitzt da.«

»Er wird Euch nicht zur Schwiegermutter gewollt haben.«

Mit diesem bösen Wort erhob sich die Tochter, und Zorn und Verachtung verhäßlichten fast ihr schönes Antlitz, indem sie heftigen Schrittes den Saal verließ.

Sie befahl ihre Sänfte und ließ sich zu ihrer Tante, dem alten Fräulein Anna von Rohan tragen die am Königsplatz wohnte. Dieser erklärte sie, daß sie entschlossen sei, das Haus ihrer Mutter mit keinem Schritt mehr zu betreten. Ihre Mädchenapanage mache sie unabhängig, und wenn die Tante sie nicht behalten wolle, so werde sie eben irgendwo bei väterlichen Verwandten ein Unterkommen suchen und wenn es draußen in der verlorensten Provinz sein sollte.

Dem alten Fräulein aber fiel es nicht ein, die Prinzessin von ihrem Entschluß abbringen zu wollen. Sie stand selber schlecht mit Margarete von Bethune, ihrer Base, und gönnte dieser gern jeden Ärger.

Und also erhielt die Herzogin von Rohan noch an demselben Tag von dem Fräulein Anna von Rohan die Nachricht, daß die Prinzessin sich weigere, in die mütterliche Wohnung zurückzukehren, und der Erwartung sei, die Herzogin werde in ihrem eigenen Interesse es nicht zum Äußersten treiben, sondern auf jede Anwendung von Zwang verzichten, und auch keine Schwierigkeiten erheben, den Trousseau ihrer Tochter mitsamt der ihr persönlich zustehenden Dienerschaft in das Haus der Tante zu überführen. Was denn auch die Herzogin, nachdem der erste heftige Ausbruch leidenschaftlichen Zornes sich gelegt hatte, für das klügste und angenehmste fand.

Sie war sehr geknickt von diesem Ereignis. Denn wenn sie auch einstweilen noch nicht von ferne ahnte, was für Unheil für sie aus diesem leidigen Zerwürfnis hervorgehen sollte, eines sah sie schon jetzt ganz klar: daß in diesem Streit die Welt sich auf die Seite der Prinzessin stellen werde.

Und so geschah es. Die Prinzessin Margret erfuhr nicht nur keinen Tadel wegen ihres immerhin ungewöhnlichen Betragens, sie wurde sogar von jedermann dazu beglückwünscht. Denn alle Welt glaubte nicht anders, als daß sie das mütterliche Haus nur darum verlassen, weil sie an dem Leben der Herzogin ein Ärgernis nahm und um ihren guten Ruf fürchtete, in der Nähe so offenkundiger Unordnungen, wie man sie sich von ihrer Mutter erzählte.

Die Gesellschaft, und um so mehr, je weniger sie selber tugendhaft ist, braucht von Zeit zu Zeit einen Sündenbock, dem sie dann alle Schmach zusammen mit einem ausgiebigen Maß von moralischer Entrüstung aufbürdet.

Das war im Augenblick die Herzogin von Rohan. Und so übersahen die guten Leute gern das Unkindliche und Unschickliche im Betragen der Tochter. Und mit einem wahren Nimbus von Tugend umwob die Welt das Haupt dieser Prinzessin – es ist so dankbar, Schönheit zu schmücken – die im Grund, und ihr späteres Verhalten legt das nahe, vielleicht nichts weiteres war als ein sehr eigensinniges und über alle Begriffe hochmütiges Ding.

Die Herzogin aber sah sich im Handumdrehen in einer höchst peinlichen Isoliertheit, und ihre frühere mütterliche Besorgtheit um ihre Tochter, die nur halb aus selbstischen Gründen entsprungen, verwandelte sich in tiefen Haß.

Am meisten kränkte sie das Betragen des Marquis von Ruvigny. Sie hätte ihm hingehen lassen, daß er auch in Zukunft der Freund und Vertraute ihrer Tochter blieb, die sozusagen auf seinen Knien groß geworden. Sie hätte nicht von ihm verlangt, mit der Prinzessin zu brechen. Sie hätte es ihm sogar verziehen, wenn er nach dem Auszug der Prinzessin etwas weniger häufig in ihr Haus gekommen wäre.

Aber er kam gar nicht mehr.

Das ertrug sie schwer. Und noch wußte sie nicht, welchen Streich der Rothaarige gegen sie im Schilde führte, der nun täglich bei ihrer Tochter ein und aus ging und, wie von jeher, für ihren Berater galt in allen wichtigen und unwichtigen Dingen.

Und sehr wichtig allerdings, und mehr als das, war eine Angelegenheit, die der Marquis bald nach ihrem Zerwürfnis mit der Mutter bei der Prinzessin zur Sprache brachte. Er war aber in seinen einleitenden Worten nicht glücklich, die stolze Margret fuhr ihn bös an.

»Mein Herr,« rief die Prinzessin mit eisiger Kälte, »Ihr vergeßt, daß ich Euch verboten habe, in meiner Gegenwart den Namen der Herzogin von Rohan auszusprechen.«

Sie lag lässig auf einem Ruhebett ihres Boudoirs ausgestreckt. Ihr Auge blickte streng. Ihre großen regelmäßigen Züge wurden hart. Die Blatternarben zu beiden Seiten ihres stolz geschwungenen Mundes röteten sich. Ihre feine weiße Hand, die aus einem Bukett spanischer Spitzen hervor über die Lehne hing, zitterte.

Sie konnte es nicht vertragen, daß man ihre Befehle nicht achtete.

Der Marquis von Ruvigny saß, mit dem Rücken gegen das Fenster, vor dem Arbeitstischchen der Prinzessin, auf dem eine elfenbeinerne Schatulle stand mit dem Miniaturbild des Herzogs Heinrich auf dem Deckel. Die Strenge der Prinzessin machte ihn einen Augenblick betreten.

»Aber Ihr werdet mir Euer Leben lang dankbar sein,« wagte er zu erwidern, »wenn Ihr gehört habt, um was es sich handelt.«

»Ich will es aber nicht hören.«

Der blasse, schmallippige Mund des Gouverneurs der Bastille verzog sich spöttisch.

»Nun denn,« begann er nach einigem Überlegen, »so will ich Euch, da Ihr Ernstes zu hören nicht aufgelegt seid, ein Märchen erzählen, daraus Ihr Euch nach Belieben eine Nutzanwendung ziehen mögt; darf ich?«

»Wenn es Euch Vergnügen macht«, antwortete sie begütigend.

»Also, es war einmal ...«

Und mit großem Geschick und sorgfältiger Überlegung jeder Wendung erzählte Ruvigny sein Märchen: die anonyme Geschichte von der heimlichen Geburt Tankreds.

»Was soll das, warum erzählt Ihr mir das?« fragte, als er geendet, die Prinzessin unwirsch.

»Auf daß Ihr die Nutzanwendung daraus ziehet.«

Er schaute sie nicht an bei diesen Worten, er schien vielmehr mit großer Aufmerksamkeit das Miniaturbild auf dem Deckel des elfenbeinernen Kästchens zu studieren, das den Herzog von Rohan in voller Kriegsrüstung darstellte. In der Seele der Prinzessin, die sich Mühe geben mußte, ihre lässige Haltung zu bewahren, kämpfte ein sehr natürliches Gefühl mit dem Stolz – auf den sie so stolz war. Und diesmal unterlag der Stolz.

»Sollen diese ungeheuerlichen Dinge auf meine Mutter zielen«, platzte sie heraus.

»Ihr habt es selber ausgesprochen«, antwortete der Marquis trocken.

Die Prinzessin war aufgesprungen.

»Und mir erzählt Ihr diese Greuel?« fragte sie bebend vor Aufregung. »Warum mir? Ich frage es zum drittenmal. Bin ich die Hüterin und Wächterin meiner Mutter? Bin ich die Richterin ihrer Taten?«

»Vielleicht nicht«, versetzte Ruvigny mit kalter Ruhe. »Aber vielleicht deren unschuldiges Opfer. Hört mich an.«


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