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Sechstes Kapitel

Der sinnreiche Gedanke des Marquis von Ruvigny wird ins Werk gesetzt. Die Prinzessin will nicht heiraten

Und also ging am andern Tag, wie es die Herzogin ihrer Tochter angekündigt, die Reise nach Préfontaine in der Normandie, einem Erbgut der Herzogin von ihrem Vater her und Pachtlehen eines Herrn La Brière, früheren Stallmeisters im Hause des berühmten Finanzministers.

Dieser Lehensmann der Herzogin, ehemals ihr Reitlehrer, jetzt ein Mann hoch in den Fünfzig, mit schneeweißem Haar und lang herabhängendem Schnauzbart in seinen, breiten Normannengesicht, war eben im Schloßhof damit beschäftigt, einen Stalljungen, der ein Pferd unsanft behandelt hatte, eigenhändig durchzuprügeln, worüber das wohlgenährte rote Gesicht noch röter wurde und wie eine Blutlache im Schnee von dem weißen Haar abstach.

In diesem Augenblicke war's, daß die Karosse der Herzogin vierspännig durch das hohe Einfahrtstor rollte und den Herrn von Préfontaine, wie er vom Volk genannt wurde, in seiner tätlichen Ausübung schloßherrlicher Justiz jäh unterbrach.

Ohne Federlesens schleuderte er den heulenden armen Sünder wie ein Werkzeug zur Seite und eilte nach dem Wagenschlag, den der Torwart bereits aufgerissen hatte. Und sprachlos starrte er die Hoheiten an, die er recht gut kannte, während er trotzdem seinen Augen nicht traute, ob sie es wirklich seien oder nur ihre Erscheinungen: so unglaublich und unerhört dünkte ihn das Ereignis.

Erst als die Herzogin, trotz beginnender Fettheit, mit überraschender Beweglichkeit aus dem Wagen gesprungen und lachend sich entschuldigte wegen des Schreckens, den sie den Leuten einzujagen scheine, gewann Herr La Brière wieder einigermaßen seine Fassung.

Viel weniger verwunderte sich dieser schnauzbärtige Normanne, nachdem er sich von seinem ersten sprachlosen Erstaunen erholt hatte, über das, was ihm ihre Hoheit eine Viertelstunde später droben in seinem Arbeitskabinett so vertrauensvoll eröffnete, während die Prinzessin Margret, von der alten Schwester des kinderlosen Witwers begleitet, sich das Schloß und seine Umgebung ansah und sich über das schöne Obst im Garten erfreute, der mit dem goldenen Füllhorn seiner Früchte das Auge zu ergötzen wohl imstande war.

Herr La Brière, genannt Herr von Préfontaine, nahm ohne die leiseste Kritik in seiner Seele die Gründe hin, die ihm die Herzogin auseinandersetzte, warum ihr fürstlicher Gemahl und sie selber sich gezwungen sahen, einen Sohn vor der Welt zu verheimlichen, der von seinem Vater nicht nur Rang und Namen, sondern auch die religiösen und politischen Grundsätze erben sollte.

Der ehemalige höfische Stallmeister, ein wenig verbauert in dem Winkel seiner Provinz und in nicht geringerem Grad seinem Calvinismus ergeben wie seine Oberherrschaft, fand auch in seinem heimlichsten Innern nichts gegen diese Gründe einzuwenden, da es ihn keine Überwindung kostete, dem gehaßten Richelieu und dessen berüchtigten Handlanger, dem Pater Josef, jede noch so ungerechte Gewalttat zuzutrauen.

Und ohne alles Besinnen erklärte er sich bereit, den heimlichen Prinzen in seinem Hause aufzunehmen und aufs beste zu verpflegen.

Das genüge noch nicht, bemerkte die Herzogin. Die Gegenwart des Kindes in seinem Hause brauche eine Erklärung. Er müsse sich notwendig dazu verstehen, den Knaben für seinen eigenen auszugeben, den er wegen unehelicher Geburt bis jetzt zu Paris verborgen gehalten, nun aber willens geworden sei, bei sich zu erziehen und mit der Zeit zu adoptieren.

»Ein uneheliches Kind mit meinen weißen Haaren«, wagte mit einem heuchlerischen Lächeln der ehemalige Stallmeister einzuwenden.

Die Herzogin drohte mit dem Finger.

»Ich möchte nicht darauf wetten,« versetzte sie mit schalkhafter Koketterie, »daß Ihr nicht ... aber,« brach sie ab, »nicht wahr, Ihr seid einverstanden?«

Und der »Schloßherr« von Préfontaine war in der Tat einverstanden, nicht ohne sozusagen unsichtbar in sich hineinzulächeln bei dem Gedanken, daß er von nun an nicht leicht eine Mahnung wegen rückständiger Abgaben zu fürchten haben werde.

Ihre Hoheit erhob sich.

Im Saale nebenan stand eine Erfrischung bereit für sie und die Prinzessin; doch die beiden machten es kurz. Sie wollten noch diesen Tag nach Schloß Beaumesnil gelangen, wo sie auch am Abend zuvor genächtigt hatten.

»Also, mein Lieber, innerhalb acht Tagen wird eine sichere Person die bewußte Sache in Eure Hände übergeben.«

Und Mutter und Tochter stiegen ein, und unter vielen Komplimenten des Herrn La Brière und seiner alten Schwester rollte das herzogliche Viergespann durch den Torbogen wieder davon.

Die sichere Person aber, die jene bewußte Sache zu Händen des Herrn von Préfontaine übergeben sollte, war der Marquis von Ruvigny.

Als ihn die Herzogin um diesen Dienst anging, setzte er als selbstverständlich voraus, daß sie mit ihm nach Charenton gehen werde, um wenigstens einmal vor langem Abschied ihren Sohn zu umarmen. Sie aber meinte, das sei zu gefährlich, das könne Aufsehen erregen. Diese Ängstlichkeit fand er übertrieben, doch besann er sich und machte ihr einen anderen Vorschlag.

Er kannte einen kleinen Gasthof zu Neuilly, es war zugleich die dortige Posthalterei und hieß »Zum roten Roß«. Daselbst konnte die Herzogin sich unter falschem Namen ein Zimmer bestellen, wo sie ihn mit dem Kinde erwarten mochte, er würde dann unter dem Vorwand eines Frühstückes absteigen und ihr den kleinen Tankred zuführen. Dieser Gedanke schien sie zu entzücken. Lebhaft ging sie darauf ein.

»Wie ihr alles wohl überlegt,« rief sie aus, »ich von selber wäre nicht daraufgekommen.« Und sie konnte nicht Worte genug finden, ihrer Freude Ausdruck zu geben.

In unauffälliger Weise nahm Ruvigny bei Frau von Mitry zu Charenton den Knaben Tankred in Empfang, der im Wagen heftig weinte, weil er fühlte, daß es für immer fort ging von seiner guten Mutter, der jungen Gärtnersfrau von Saint-Mandé. Und nur von seinem Kämmerer begleitet, der nicht wußte, um was es sich handelte, fuhr der Marquis mit dem heimlichen Prinzen nach Neuilly, wo er aber vergeblich nach der fremden Dame fragte, die ihn erwarten wollte. Sie war nicht gekommen.

Und also setzte Ruvigny, nachdem er eine Stunde lang umsonst gewartet, seine Reise fort, indem er sich über das Betragen der Herzogin seine eigenen Gedanken machte. Er brachte aber ihren Sohn, wie er es versprochen, noch an demselben Tag bis zur Stadt Evreux, wohin sich Herr von Préfontaine, durch Ruvigny verständigt, begeben hatte, um sein vorgebliches uneheliches Kind zu sich zu nehmen, jedoch nicht ohne zuvor seine alte Schwester ins Geheimnis gezogen zu haben, auf deren Verschwiegenheit er übrigens mit Sicherheit rechnen durfte.

Die Herzogin von Rohan hätte dieses heikle Geschäft niemand anderem als ihrem Freund Ruvigny anvertrauen mögen. Sie war darum über dessen Bereitwilligkeit hierzu aufrichtig gerührt und bewies dem Getreuen ihre Dankbarkeit nicht nur mit Worten. Sie verhätschelte vielmehr auf jede Weise den ergebenen Freund, der denn auch vollkommen mit ihr zufrieden sein durfte, bis sie sich nach einiger Zeit plötzlich in den kleinen René von Jarzay verliebte. René du Plessis de la Roche-Pichemer, Graf von Jarzay lautete sein voller Name. Weniger voll klang sein Beutel, und die Herzogin mußte damit anfangen, daß sie ihm ein Regiment kaufte, um nur einigermaßen eine Figur machen zu können. Denn er hatte, zusammen mit seinem Kameraden Cinq-Mars, alle seine Einkünfte bei jener Marion Delorme vertan, der früheren Geliebten des Kardinals Richelieu, die damals am Königsplatz einen wahrhaft herzoglichen Palast bewohnte, wo die Hugenotten wie die Papisten mit gleichem Eifer zur Messe gingen und so viele Söhne vornehmer Familien ihr Gold wie in einen bodenlosen Abgrund warfen. Der stolze Cinq-Mars selber, dieser intime Freund und eine Zeitlang so einflußreiche Günstling Ludwigs XIII., der einige Jahre später in ihrem Hause gegen Richelieu konspirierte, verließ es eines Tages für immer, um noch am selben Abend das Schafott zu besteigen. Den Jarzay verjagte sie schmählich, nach dem sie ihn kahl gerupft. Dieser wurde nicht geköpft, er hatte das Glück, der Herzogin von Rohan zu begegnen, die ihm ein Regiment kaufte.

Ein solches Betragen nun gereichte wohl ihrem guten Herzen, aber nicht ihrem guten Ruf zur Ehre, den sie damit endgültig kompromittierte.

Aber so war einmal die temperamentvolle Tochter des großen Sully, die, wie gesagt, allmählich zur Fettheit neigte, ohne deswegen an Geschmeidigkeit und Rührigkeit einzubüßen.

Man muß sie entschuldigen. Sie zeigte sich vielleicht nicht sehr empfindlich im Punkt ihrer Frauenehre, um so vernehmlicher sprach in ihr das ästhetische Gewissen; denn Graf Jarzay konnte an Schönheit und Gestalt und Jugend eine Art Candale redivivus genannt werden, und ungefähr das Gegenteil davon durfte der Marquis von Ruvigny heißen, dem das aber kein genügender Grund schien, – so sind wir Männer – zu so schnödem Verrat von seiten seiner alten Kinderfreundin. Und so war es bei dieser Gelegenheit, daß der erste Gedanke der Rache in ihm keimte, wozu sich, wie die Dinge lagen, früher oder später eine günstige Gelegenheit geben mußte.

Unterdessen beschäftigte sich die temperamentvolle kleine Herzogin, wie man glauben wird, nicht ausschließlich mit ihren Liebeshändeln. Eine große Sache erfüllte ihr Trachten, deren glückliche Durchführung ihrer aktiven Natur mindestens ebensosehr am Herzen lag als die Liebe selber. Diese Sache mit größter Umsicht und hartnäckiger Unermüdlichkeit zu verfolgen, gewährte ihr, zu ihrer Ehre sei es gesagt, wirklich eine noch größere Befriedigung als jede Art galanter Eroberung, worin eben doch nur die Hälfte ihres Lebens bestand, abgesehen von ihrem Eifer für die Religion, der sie außerdem auszeichnete.

Diese große Sache war die Verheiratung ihrer Tochter. Der Mutter schien es dazu die höchste Zeit. Sie selber hatte man viel jünger schon verheiratet. Und sie dachte darin im besten Sinne mütterlich. Denn das Nebenbei ihrer Gedanken sich klarzumachen und zum vollen Bewußtsein zu bringen, hütete sie sich weislich. Wie schon erwähnt, besaß sie die glückliche Fähigkeit, von ihren Gedanken alles weit entfernt zu halten, was ihr nicht paßte, was diese Gedanken irgend in Verwirrung zu bringen geeignet schien.

Und so konnte nichts in der Welt sie zwingen, sich klarzumachen, daß sie eben ihre Tochter aus ganz besonderen Gründen sich gern vom Hals geschafft hätte.

Und wäre nicht obendrein auch dies ein echt mütterlicher Gedanke gewesen – da einmal ihr Haus und ihre Lebensweise keine gesunde Luft abgaben für eine erwachsene Tochter, die anfing, Augen und Ohren zu bekommen für Dinge, die sie doch nichts angingen und gelegentlich über gewisse hochmütige und verächtliche Blicke verfügte, womit sie eine sorgliche Mutter kränken und beunruhigen mußte?

Nun aber lebte ihr Gemahl verbannt in Venedig und saß, zusammen mit seinem getreuen Sekretär, dem Sieur Priolo, über unendlichen Haufen verstaubten Papieres und schrieb an seinem Buch: »Von den Tugenden eines guten Fürsten« und seinen Memoiren, betitelt: »Von den denkwürdigen Begebenheiten in Frankreich, seit dem Tode Heinrichs IV. bis zum Frieden von Alais im Monat Juni des Jahres 1629«. Und hatte keine Zeit und keine Gedanken, sich mit derartigen Lappalien zu beschäftigen, als die Überlegungen und die Schritte sein mögen, eine Prinzessin vorteilhaft zu verheiraten; wie er denn überhaupt sein Leben lang die eigenen und privaten Angelegenheiten gegen die der Religion und Politik zurückzustellen, ja zu vernachlässigen gewohnt war. Mußte also notwendig an seiner Statt die Mutter denken und handeln.

Und sie tat es nicht nur mit Lebhaftigkeit, Unermüdlichkeit und Umsicht, sondern auch, so weit dies an ihr lag, mit überraschendem Glück. Sie scheute keine Mühe, sie schreckte vor den schwierigsten Schritten nicht zurück. Viermal führte sie ihre Verhandlungen – denn zu verhandeln war ihre Stärke – genau bis zu dem Punkte, wo es nichts weiter mehr bedurfte als des Jawortes der Prinzessin.

Und alle viermal waren es die günstigsten und schmeichelhaftesten Partien, die man sich innerhalb des Königreiches nur denken konnte. Aber die Prinzessin zeigte sich wenig dankbar dafür. Ihr allzu hoher Stolz auf der einen und eine allzu steife Tugend auf der anderen Seite, die ihr die Mutter im verächtlichsten Lichte zeigten, verhinderte sie, auch nur dem guten Willen dieser Mutter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie betrug sich genau wie jene Prinzessin in dem bekannten Ammenmärchen, mit der sie auch die strahlende Schönheit gemein hatte, als welcher selbst einige zurückgebliebene Blatternarben zu beiden Seiten der schön geschwungenen Nase und der verächtlichen Mundwinkel nichts anzuhaben vermochten, von so zarter Reinheit war ihre Haut, die von der dunklen Pracht ihres üppigen Haares um so heller und leuchtender abstach.

Wie ihre Märchenschwester, gefiel sie sich förmlich in wegwerfenden Bemerkungen über ihre Freier. Man kennt die übermütig kindischen Reden jener anderen. Da war ihr der eine zu dick. Sie sagte: »Oh, das Weinfaß.« Der andere zu lang. »Schwank und lang«, sagte sie, »hat keinen Gang.« Der dritte zu dick: »Kurz und dick, hat kein Geschick.« Der vierte zu blaß: »Im Blut arm, macht's Herz nicht warm.«

Margarete von Rohan hatte nicht ganz die gleichen Sprüchlein; aber der Sinn ihrer Reden lief auf dasselbe hinaus.

Der erste, der ihre Hand begehrte, war der Herzog von Bouillon, der Bruder des heute so berühmten Fürsten Turenne. Sie sagte: »Einen Herzog der Wildsäue sollt' ich heiraten!« Es ging nämlich ein alter Spott am Hof, daß das Herzogtum Bouillon, mitten in den Ardennen gelegen, mehr Wildschweine als sonstige Einwohner beherberge. Indessen war es eine souveräne Herrschaft und unabhängig von der Krone Frankreichs.

Als zweiter ließ ihr der Herzog von Nemours und Prinz von Savoyen einen Antrag machen. »Das müßte lustig sein,« spottete sie, »ein Land, wo die Kinder als kleine schwarze Kaminfeger auf die Welt kommen.«

Der Herzog von Longueville (also ein Prinz reinsten bourbonischen Geblüts) wurde Witwer, und sofort legte die Mutter Hand auf ihn. Er erwies sich auch willig, aber die Prinzessin tat ganz entrüstet: »Lieber gleich den Ritter Blaubart als einen Witwer.«

Langwierige Unterhandlungen führte die Mutter mit jenem anderen bourbonischen Fürsten, dem Grafen von Soisson. Er lebte zur Zeit wegen seiner Teilnahme an der Verschwörung Gastons von Orleans gegen den König, d. h. gegen Richelieu, in der Verbannung zu Sedan. Dieser stellte eine Bedingung. Die Prinzessin müßte sich zum Katholizismus entschließen können. Dazu brauchte es der Einwilligung des Vaters. Und siehe, die Herzogin von Rohan verpflichtete sich, sogar diesen ungeheuren Stein aus dem Wege zu räumen, das schwerste Eingeständnis, das sie machen konnte.

Aber alle Opfer blieben umsonst. »Der da,« sagte die Prinzessin, »der ist ja schon mit Gaston von Orleans verheiratet. Oder er ist dessen Lakai, der seinem Herrn die Kastanien aus dem Feuer holt, wie ein guter Pudel den Stein apportiert, den sein Brotgeber ins Wasser geworfen hat.«

Also ärgerliche Reden führte die Prinzessin, sei es aus wirklichem Hochmut, oder auch nur, um ihre Mutter zu kränken, die sie von Tag zu Tag aufrichtiger haßte.

Zum Unglück wurden ihre Reden herumgesprochen, und trotz allem Respekt vor der einzigen Erbin des Herzogs Heinrich gab es doch am Hofe genug Leute, die sie wegen ihrer unziemlichen Sprüche lächerlich zu machen suchten, so daß sie etwas mehr ins Gerede kam, als es für ein junges Mädchen gut ist.

Ihre besonderen Freunde, der Marquis von Ruvigny gehörte dazu, und nicht zum wenigsten ihre alte Tante, das Fräulein Anna von Rohan und noch andere, drangen darum im Ernst in sie ein und suchten ihr klarzumachen, daß es nicht gut sei, den Bogen allzu straff zu spannen und den Übermut allzu weit zu treiben. Und diesen gab dann auch die Prinzessin gesetzte und ruhige Reden, dahin gehend: sie achte sich überhaupt zum Heiraten noch viel zu jung, und als eine Rohan und alleinige Erbin ihres Vaters habe sie nicht nötig, sich zu übereilen, und was derartige Reden oder Ausreden mehr sein mochten.

Um diese Zeit, es war jetzt im fünften Jahr nach Tankreds Geburt, sprach ganz Paris von nichts anderem als von der Ankunft des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar am Hof zu Saint-Germain. Besonders die Hugenottischen regten sich darüber auf. Sie sahen in dem Weimarer eine Art Doppelgänger ihres Herzogs Heinrich von Rohan, dazu berufen, der Sache des Calvinismus noch wichtige Dienste zu leisten. Die wiederholten Konferenzen des germanischen Kriegshelden und Verteidigers ihres Glaubens mit Richelieu belebten auf einmal wieder ihre kühnsten Hoffnungen und ließen ihnen sogar den Kardinal in günstigem Lichte erscheinen, als welcher demnach doch nicht so schlimm sein konnte, da er nun, indem er dem Weimaraner großmütigst Unterstützung versprach, die protestantische Religion selber zu unterstützen schien.

Auch die Herzogin von Rohan äußerte sich in diesem Sinne. Sie hatte dabei ihre besonderen Hintergedanken. Denn wie sie sich nun einmal daran gewöhnt hatte, jeden Mann, der nur in Betracht kommen konnte, in das weitgespannte Netz ihrer Heiratspolitik einzubeziehen, so tat sie jetzt heimlich auch mit Bernhard von Weimar, und dieses neue Projekt ihres findigen Kopfes schien ihr fast das glänzendste und glücklichste von allen. Auch konnte sie sich nicht enthalten, bei ihrer Tochter dessentwegen einmal vorsichtig auf den Busch zu klopfen.

Dazu bot sich eine sehr günstige Gelegenheit. Die Ältesten der calvinistischen Gemeinde von Charenton, meist Mitglieder des hohen Adels, hatten den Weimarer auf den 31. Oktober, als den entscheidenden Tag der deutschen Kirchenreformation, zu einem feierlichen Gottesdienst im dortigen Tempel eingeladen, und Bernhard hatte die Einladung freundlich angenommen. Auch die Herzogin von Rohan und ihre Tochter waren dazu geladen und verfehlten nicht, sich nach der Predigt, zusammen mit anderen ihres Standes, dem berühmten Feldherrn im schwarzen Harnisch vorstellen zu lassen, der durch sein einfaches und leutseliges Auftreten bereits die Herzen von allem Volk gewonnen hatte.

Mit der Fürstin und deren Tochter sprach der Herzog fast wie mit alten Bekannten und Freunden, erkundigte sich mit ungeheuchelter warmer Teilnahme nach seinem alten Freund, wie er sich ausdrückte, dem Herzog Heinrich, und ließ dabei nicht ohne Wohlgefallen seine Blicke auf der königlichen Gestalt der jungen Prinzessin ruhen, die darüber leicht errötete, was die Mutter noch niemals an ihr beobachtet hatte.

So fiel es ihr also leicht, nachdem der Weimarer sich mit verbindlichen Komplimenten verabschiedet, ein paar Worte gegen ihre Tochter fallen zu lassen, die deutlich genug erkennen ließen, worauf die Mutter hinauszielte.

Und siehe, die mütterlichen Anspielungen reizten diesmal die Tochter nicht zu spitzigen Reden oder verächtlichem Achselzucken wie sonst, sondern wurden von der schönen Prinzessin nur mit einem verlegenen und fast demütigen Niederschlagen der Augen und einem nachdenklichen Schweigen erwidert.

»Endlich«, jubelte die Herzogin in ihrem Innern.

Aber sie hütete sich, ein weiteres Wort zu riskieren und benützte dafür das Schweigen während der ganzen Dauer der Heimfahrt, die Möglichkeiten oder Schwierigkeiten zu überlegen, wie in diesem besonderen Fall die Sache einzufädeln und mit Vorsicht anzuspinnen sei, wobei sie nur zu deutlich fühlte, daß sie diesmal ein Terrain vor sich hatte, auf dem ihr fast jede Orientierung fehlte.

So war sie wohl müden Kopfes, aber nicht mutlos, als die Karosse endlich vor den Kolossalkaryatiden des inneren Portals im Hof des herzoglichen Palastes anhielt. Als der Wagenschlag sich öffnete, stieß sie einen Schrei aus. Hatte sie ein Gespenst gesehen?

Nein, er war es selber, er war es leibhaftig und in Fleisch und Blut, ihr Gemahl, der Herzog Heinrich, der die Arme nach ihr ausstreckte und die Aussteigende – der kleine Schreck hatte sie nicht getötet – an seine Brust drückte; worauf nun die Herzogin ihrerseits den Gemahl aufs lebhafteste und freudigste umarmte und küßte.

Und das war nicht einmal eine Komödie, denn man mußte es dieser Frau lassen, daß sie ihren Gemahl auf ihre Art herzlich liebte.


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