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Und dann zu Ca Fusina ein kurzer Abschied, worauf Herr Heinrich mit seinem Gast in Lederkoller und Federhut seine Gondel rückwärts lenkte, während die andern auf ihren Tieren, die schöne Herzogin an der Seite Candales, die Prinzessin Margaret neben der Rahel, die Dienerschaft aber und die bepackten Maultiere mit den Bewaffneten des Botschafters in einem Abstand folgend, durch die fruchtschwere und duftschwere Ebene in der Richtung aus die Stadt des heiligen Antonius davon ritten.
Die Jahreszeit war die denkbar günstigste. Sie drängte nicht zur Eile, und man machte also kurze Tagesreisen. An vergnüglichen Orten, wie Mailand, Turin, Chamberi, Lyon und anderen hielt man längere Rasten unter fremdem Namen. Denn die Herzogin wollte, wenigstens zeitweise und stellenweise inkognito reisen. Das war lustiger, wie sie sagte, und an manchen Orten unstreitbar bequemer für sie, auch hatte sie noch ihre besonderen Gründe.
So ging der September, der Oktober und auch der November darüber hin. Denn je weiter der Herbst vorrückte, desto kürzer wurden die Etappen, nicht nur wegen der frühen Abende, sondern noch mehr, weil die Fürstin längere Tagereisen immer weniger ertrug. Erst Anfangs Dezember näherte sich die Reisegesellschaft der Hauptstadt. Zu Charenton, wo sie in dunkler Nacht anlangten, fühlte sich die Fürstin plötzlich so krank, daß sie erklärte, nicht mehr weiter zu können. Mit dem sie begleitenden Freund hatte sie sich, wie man annehmen darf, längst eingehend beraten. Und jetzt, im Beisein ihrer Tochter, äußerte sie gegen Candale, daß sie entschlossen sei, sich bei einer Freundin hier auszuruhen und beauftragte ihn, die bewaffnete Eskorte zu entlassen und ihre Tochter, die Prinzessin Margaret, in aller Stille zu deren Tante nach Paris zu bringen.
Die Rahel, ihre Kammerfrau, sollte die Prinzessin begleiten und beiden schärfte sie ein, sich im Haus der Tante so viel als möglich verborgen zu halten, wie auch dem Candale, ihre Rückkehr von Venedig als ein Geheimnis zu behandeln, von dem in der Gesellschaft und am Hof nichts verlauten dürfe, weil ihre Unpäßlichkeit vielleicht doch einige Zeit dauern und dann von sich reden machen könnte, was ihr von allen Seiten Besuche auf den Hals ziehen müßte, die ihr jetzt sehr lästig wären.
Die genannte Tante, muß man wissen, ein Fräulein Anna von Rohan und ältere Schwester des Herzogs Heinrich, wohnte nicht im herzoglichen Palast am Marais. Sie war bucklig und Dichterin und hatte ihre Wohnung in dem sogenannten kleinen Rohanschen Palast am Königsplatz.
Die Freundin aber, bei der die Fürstin in jener Nacht abstieg (und wahrscheinlich hatte sie sich brieflich zuvor angemeldet) war eine Frau von Mitry, deren Vater der Privatsekretär des Herzogs von Sully gewesen war. Sie lebte zu Charenton in beschränkten Verhältnissen und fast ausschließlich von der Freigebigkeit der Herzogin.
Diese Dame erzählte am andern Tag ihren Bekannten mit großer Beflissenheit, daß sie den Besuch einer alten Freundin aus Bethune erhalten, einer Frau Lebon, die bei ihr aus gewissen heiklen Rücksichten ihrer Entbindung entgegensehen wolle. Die Leute, denen diese Eröffnungen gemacht wurden, konnten nicht anders, als sich darüber verwundern. Es war doch nicht nötig, ein solches Geheimnis so eifrig auszuplaudern. Und sie wunderten sich um so mehr, als sie die Frau von Mitry bis jetzt als eine sehr diskrete und wenig plauderhafte Dame gekannt hatten.
Niemand bekam übrigens die Dame Lebon zu sehen. Sie verließ mit keinem Schritt das Zimmer, es hieß, daß sie elend daran sei und das Bett hüte.
Und dann nach ungefähr drei Wochen am 18. Dezember zur Mittagszeit standen die Nachbarinnen der Frau von Mitry unter den Haustüren und erzählten sich mit großer Wortverschwendung die Neuigkeit des Tages.
Die Dame Lebon aus Bethune war vor einer Stunde niedergekommen mit einem Knaben. Die Mutter Millet, die Hebamme aus der Furtgasse, war ihr beigestanden.
Eine kuriose Sache war das mit dem Doktor. Darüber flossen viel Reden. Nämlich die Frau von Mitry hatte aus Paris, aus dem Viertel von Sankt Eustach, einen Arzt kommen lassen, der im Umkreis dieser Pfarrei für den besten Geburtshelfer gelten sollte. Aber er hat die Dame Lebon nicht zu sehen bekommen. Sie wollte ihn nur zulassen im Fall höchster Not. Die war gottlob nicht eingetreten, und so wurde der Doktor, ohne einen Finger gerührt zu haben, mit reichlicher Bezahlung wieder nach Hause geschickt.
Das alles fanden die guten Weiblein der reformierten Charentongemeinde höchst erbaulich. Diese Dame war also gewiß eine gute Christin. Eine Papistische hätte weniger Umstände gemacht. Nicht andere Meinung äußerte auch Mutter Millet, die deutlich durchblicken ließ, daß sie an den Namen Lebon nicht glaube und daß da sicher etwas Vornehmeres dahinter stecke. Oh, ihr könne man nichts weismachen. Solche Wäsche und das andere, so was findet man nicht bei der ersten besten.
Diese Mutter Millet besorgte denn auch die Schenkamme für das Kind, eine jungverheiratete Gärtnersfrau aus dem Dorfe St. Mandé, die drei Wochen zuvor ein Kind geboren und nach wenigen Tagen wieder verloren hatte. Mutter Millet versicherte, daß der Knabe nirgends besser aufgehoben sein könne als bei der Gevatterin Beaumichel, so hieß die Gärtnersfrau.
Die Hebamme brachte selber das Neugeborene nach St. Mandé.
Im Hause der Frau von Mitry verlief indessen alles aufs beste. Die Dame Lebon hatte die Entbindung vortrefflich überstanden, sie konnte schon nach wenigen Tagen wieder auf sein, und alle Nachbarinnen wußten, daß der Besuch der Frau von Mitry in kurzem abzureisen gedenke.
Nur noch einmal gab es eine Aufregung, als eines Tages die Amme des Kindes, die Gärtnersfrau von St. Mandé, plötzlich eintrat, mit verstörtem Gesicht und ganz verängstigt.
Der Kleine war krank. Er litt an schrecklichen Krämpfen, die seinen Lebensatem jeden Augenblick zu ersticken drohten. Und was die Gevatterin Beaumichel am meisten beunruhigte: daß der Knabe nicht getauft war.
Die Dame Lebon, noch ein wenig angegriffen in ihren Nerven, stampfte ärgerlich mit dem Fuß. Was für ein dummes Volk. So soll man den Knaben doch in Gottes Namen taufen.
Dieses seltsame Betragen einer Mutter erinnerte die junge Gärtnersfrau an die verzweiflungsvollen bitteren Tränen um den Verlust ihres eigenen Kindes, über dessen schmerzlichem Sterben sie fast närrisch geworden wäre vor Elend und Herzeleid. Sie war also über die Haltung der Dame Lebon so empört, daß sie sich hütete, weiteres zu äußern und auch die Frage nach dem Namen unterließ, den das Kind erhalten solle.
Unter großer Angst und Hast eilte sie nach Hause, indem sie die ganze Zeit laut vor sich hinbetete, die heilige Jungfrau möge doch das Unglück verhüten, daß der Knabe sterbe ohne die heilige Taufe. Denn sie hielt sich dafür verantwortlich in ihrem christlichen Gewissen.
Und ihr angstvolles Gebet wurde erhört, sie fand, zu Hause angekommen, den Knaben gesund und wohl, die Krämpfe hatten gänzlich aufgehört.
Da beschloß sie nun, dem Kind die Wohltat der heiligen Taufe nicht länger vorzuenthalten, und da sie eine Katholikin war, kam sie gar nicht auf den Gedanken, das Kind kalvinistisch taufen zu lassen. Vielmehr fuhr sie mit dem Wurm nach der Vorstadt von Sankt Anton zu Paris, wo ihre Schwester wohnte, und beide Gevatterinnen trugen den Knaben, dem es von Stunde zu Stunde besser ging, zur Taufe nach der Kirche von Sankt Paul.
Der Mann der jungen Gärtnerin, ein zugewanderter Normanne, hieß Tankred mit seinem Taufnamen. Dieser fremdartige und seltsame Name gefiel der jungen Frau eigentlich ganz und gar nicht. Das war ja wahrhaftig überhaupt kein ehrlicher Christenname. Aber sie dachte in ihrer Einfalt: vielleicht gefällt er der Dame Lebon, die ja aus Bethune ist, das in der Normandie liegt. Und wenn nicht, um so schlimmer für sie; warum hat sie sich so aufgeführt. Und jedenfalls freut es meinen Mann. Ein eigenes Kind würde ich niemals so nennen. Gut denn, heiße er Tankred.
Und also wurde der Knabe Tankred geheißen und im Taufregister von Sankt Paul eingetragen als Tankred Lebon, getauft am Tage vor Weihnachten im Jahr von unseres Heilands Geburt eintausendsechshundertunddreißig. Dieser pfarramtliche Eintrag wurde später ermittelt und figuriert in dem gedruckten Aktenmaterial aus dem ersten Tankredprozeß von 1648.
Soviel also wäre von den Vorgängen in Charenton zu berichten. Im herzoglichen Palast von Rohan aber erschien am Tage vor Sankt Silvester in der Frühe eine Stafette mit der Meldung an den Palastverwalter von der noch am selben Tag bevorstehenden Ankunft der Herzogin.
Mit Postpferden und einem schwerbepackten Reisewagen, den Frau von Mitry für ihre Freundin gekauft hatte, kam sie auf weitem Umweg, um die Leute von Charenton von der Spur abzulenken, und spät in der Nacht in ihrem Palast am Marais angefahren. Sie fertigte ihren Palastverwalter, der sie unter dem Portal mit den kugelbrüstigen Karyatiden empfing, kurz ab, gönnte dem Troß der zahlreichen Dienerschaft kaum einen Blick und begab sich ohne Nachtmahl zur Ruhe.
Am andern Tag, es war der erste des neuen Jahres, ließ sie sich in ihrer Sänfte nach dem Louvre tragen, um der Königin ihre Aufwartung zu machen. Desgleichen tat sie bei mehreren anderen großen Damen der Hofgesellschaft. Alle fanden sie unter großem Bedauern blaß und angegriffen aussehend. Alle konnten nicht Worte genug finden in Bewunderung ihrer heldenhaften Gattenliebe, die ihr die Kraft gegeben, so lange auszuhalten in der ungesunden, feuchten Luft von Venedig. Denn das gehört zu den Eigentümlichkeiten der Pariser und Pariserinnen, daß sie sich außer ihrer Stadt keinen gesunden Ort der Welt denken können, obwohl es doch nirgends so viel stinkt als in dem herrlichen und einzigen Paris.
Sehr befriedigt von ihren Besuchen kehrte die Fürstin in ihren Palast zurück, indessen sie schon unterwegs die Schritte überlegte, die sie wegen des Verkaufs der Ländereien zuerst zu tun gedachte, um den Ankauf des Königreichs Zypern, soviel es in ihrer Macht stand, zu ermöglichen und zu beschleunigen. Diese Gedanken erregten sie aufs freudigste, so sehr, daß ihre Gesichtsfarbe sich darüber zusehends besserte und sie mit ganz rosigem Aussehen zu Hause ankam.
Ihre Freude darf abermals nicht mißverstanden werden. Nicht über die fernen Aussichten freute sie sich, nicht das chimärenhafte Königtum von Zypern lockte sie, die bevorstehenden Geschäfte an sich waren es, die ihr Temperament in Wallung brachten. Einzig der Gedanke, ihrem Gemahl einen Dienst leisten zu können, der viel Anstrengung und Bewegung von ihr verlangte, und wobei es ungeheure und verwickelte Schwierigkeiten zu überwinden galt, schwellte so freudig ihr ehefrauliches Herz.
In diesen Aussichten wurde sie durch einen Brief ihres Gemahls, den sie zu Hause fand, bitter enttäuscht. Darin teilte ihr Herzog Heinrich mit, daß der Patriarch Cyrillus eines plötzlichen Todes verstorben, die Unterhandlungen mit der hohen Pforte infolgedessen abgebrochen und darum auch alle Bemühungen wegen Verkaufs von Ländereien gegenstandslos geworden seien.
Mit den Geldgeschäften, die der Herzogin so verlockend in Aussicht gestanden, war es also nichts und so sah sie ein weites Feld ihres lebhaften Geistes, das zu kultivieren einen wesentlichen Teil ihres Lebens ausmachte, in empfindlicher Weise brachgelegt.
Und auch die andere, sozusagen menschlichere Seite ihres Wesens – denn zwei Seelen, sehr verschieden voneinander, wohnten in der Brust dieser Dame – erhielt zu gleicher Zeit einen solchen Stoß, daß das lebhafte kleine Persönchen ordentlich die Zähne zusammenbeißen mußte, um nicht alle Haltung zu verlieren.