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Zehntes Kapitel

Wie die Herzogin ihren Gemahl verliert und ihren Sohn beweint

So hätte sich die Herzogin über den Verlust des Jarzais getröstet, aber tief schmerzten sie die Nachrichten von ihrem Gemahl.

Dessen erstes Jahr in Graubünden war glorreich verlaufen. In kurzer Zeit waren ihm dort die schönsten Lorbeeren seines Lebens erblüht. Er hatte sich der Grafschaft Chiavenna bemächtigt und dann im Engadin zweimal die Kaiserlichen geschlagen. Die Spanier, unter der Anführung des Herzogs Serbelloni, hatte er bei Morbegno besiegt und zur gänzlichen Räumung des Val Tellin gezwungen. Damit aber hatte er die ihm vom Kardinal zugewiesene Aufgabe glänzend erfüllt.

Und da Herzog Heinrich fühlte, daß er von da an dem Lande nur zur Last fiel, um so mehr, da es ihm gänzlich an Mitteln fehlte zum Unterhalt seiner Truppen, wünschte er nichts sehnlicher in seiner Ehrlichkeit, als vom Minister den Befehl zum Rückzug zu erhalten. In diesem Sinne schrieb er an Richelieu.

Aber der Minister spielte den Schwerhörigen und gab weder den Befehl zum Rückzug, noch schickte er die dringend erbetenen Subsidien. Es kam, wie Rohan es vorausgesehen. Die Erbitterung im Lande wuchs, und bald waren allen Parteien die Franzosen so verhaßt, als nur je die Spanier.

Ein merkwürdiger, seltsamer Mann besiegelte das Schicksal des armen Rohan. Was war er? Ein Patriot? Ein Held? Ein Schurke?

Georg Jenatsch hieß er mit Namen und war kein anderer als jener Oberst Genaste, der, damals in venetianischen Diensten, mit Herzog Heinrich die Fahrt auf der Brenta zu machen die Ehre hatte, als dessen Gemahlin von Venedig nach Paris zurückkehrte.

Als calvinistischer Prädikant hatte er seine Laufbahn begonnen, der wie wenige es verstand, das gemeine Volk zu fanatisieren. Im Jahre 1621 erschlug er mit eigener Hand den Pompejus Planta, das Haupt der spanisch-katholischen Partei. Dann wurde er Kriegsmann und er diente ein Zeitlang der Republik Venedig mit großer Auszeichnung.

Als Rohan in das Land der grauen Bünde kam, stellte er sich ihm mit seinem ganzen Anhang nebst dem ihm gehörigen Regiment zur Verfügung, und bald wurde Oberst Jenatsch dem Herzog unentbehrlich in allen wichtigen Unternehmungen.

Aber auch hier wieder erwies sich die Menschenkenntnis des Rohan in ihrer ganzen Kurzsichtigkeit. Er sah in Georg Jenatsch den Mann, dem das Bewußtsein, für sein Vaterland und die heilige Sache seiner Religion zu streiten, ein genügender Lohn war. Mit solch romantischen Voraussetzungen enttäuschte der Herzog in diesem ehemaligen Bauern alle heimlichen Erwartungen eines glühenden Ehrgeizes sowohl wie einer unbegrenzten Habsucht, die der Herzog freilich, auch wenn ihn eine bessere Philosophie beraten hätte, zu erfüllen nicht imstande gewesen wäre.

Kurz, dieser Jenatsch verriet den Rohan schmählich. Während er ihm noch immer die tiefste Ergebenheit heuchelte, stachelte er im geheimen seine Landsleute im französischen Heere zur offenen Empörung auf, setzte sich persönlich in Verbindung mit den Spaniern, trat plötzlich zum Katholizismus über und ließ sich zum Obergeneral aller bündnerischen Lande ernennen. Als solcher nötigte er zuletzt Rohan zu schimpflichem Vertrag und Rückzug.

Verschuldet war diese Unehre der französischen Waffen in Wahrheit von Richelieu. Aber Rohan hatte nichtsdestoweniger die ganze Verantwortung dafür zu tragen, und er mochte ahnen, was das zu bedeuten habe gegenüber dem Kardinal, immer bereit, den Einzelnen dem Wohl des Ganzen, oder was sein allmächtiger Wille dafür erklärte, aufzuopfern.

Rohan erhielt zunächst vom Hof den Befehl, sich in Hochburgund mit dem Herzog von Longueville zu vereinigen; aber zu Gex an der französischen Grenze ward ihm von sicheren Freunden die Nachricht, daß er verhaftet und vor das Kriegsrecht gestellt werden solle.

Auf Gerechtigkeit durfte er nicht hoffen, und so zog er sich, nur von seinem Sekretär begleitet, nach Genf zurück. Von hier schrieb er an den König und bat Seine Majestät, ihm zu vergönnen, sich in dieser Stadt einige Zeit ausruhen zu dürfen, da er sich von den Strapazen des Feldzuges und einer kürzlich überstandenen Krankheit sehr erschöpft fühle. Er erhielt keine Antwort.

Und bald merkte er an deutlichen Zeichen, wie peinlich es seinen Genfer Glaubensgenossen sei, ihn bei sich zu beherbergen. In der Tat hatte der hohe Rat dieser Republik gute Gründe, alles zu vermeiden, was den König von Frankreich und seinen Minister erzürnen konnte.

Der große Heinrich von Rohan war nun ein Ausgestoßener auf der ganzen Welt. In dieser Not und Bekümmertheit richtete er seine Blicke nach Deutschland. Bernhard von Weimar belagerte eben die Stadt Rheinfelden. An ihn schrieb der Herzog und schilderte ihm in bewegten Worten seine verzweifelte Lage. Der trutzige Weimarer soll Tränen vergossen haben beim Lesen dieses Briefes. Er lud den Herzog ein, zu ihm in sein Lager zu kommen. Er wolle sich lieber, so schrieb er, für immer mit Frankreich entzweien, wenn es sein müßte, als seinen Freund in der Not zu verleugnen. Er ging so weit, sein Heer heimlich zu verlassen und, allein von dem Prinzen von Hessen-Kassel begleitet, dem Herzog bis nach Burgdorf im Lande von Bern entgegenzukommen.

Ein solches Wiedersehen hätten sich die beiden nicht träumen lassen: weder damals, als sie bei dem Frühstück des Kardinals sich zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht gegenübersaßen, noch bei dem nachfolgenden glänzenden Fest im Rohanschen Palast, wo der Weimarer des Herzogs heimliche Lieblingshoffnung so grausam enttäuschte, vielleicht ganz ahnungslos; denn es ist sehr ungewiß, ob der Marquis von Ruvigny den ihm gewordenen Auftrag im Sinne des Auftraggebers auch wirklich erfüllt hat.

Der Prinz von Hessen-Kassel erbot sich, dem Herzog Heinrich sein Regimentskommando abzutreten, der aber ablehnte, fest entschlossen, als Freiwilliger in Reih und Glied zu kämpfen – und zu sterben, wenn es Gott wolle.

Rohans Ahnung erfüllte sich. Nur wenige Tage nach seinem Eintritt in das Heer des Weimarer kam es zwischen diesem und den Kaiserlichen zu einer der blutigsten Schlachten jener Zeit, aus welcher Bernhard von Weimar als ruhmbedeckter Sieger, Herzog Heinrich von Rohan aber mit einer tödlichen Verwundung hervorging.

Eine Musketenkugel hatte ihn in den Schenkel getroffen und ihm den Knochen zersplittert. Man brachte ihn nach der Abtei von Königsfeld, dort starb er am dreizehnten des Aprilmonds im Jahre 1638. Seine Leiche wurde nach Genf überführt und in einer Kapelle des Doms von St. Peter beigesetzt.

Mit allem Pomp geschah dies, dessen die kleine calvinistische Republik fähig war. Die guten Genfer dachten: Um einen Toten, Hund oder Löwe, wird sich die Welt nicht weiter kümmern; sie mußten nichtsdestoweniger nachträglich eine berühmte Inschrift wieder auslöschen, die... aber das ist später zu erzählen.

Für die Herzogin von Rohan jedoch war es jetzt an der Zeit, ihre Trauergewänder aus den Schränken hervorzuholen. Dieselben erfüllten auch jetzt noch ihre frühere Bestimmungen. Die Herzogin trauerte jetzt doppelt. Zugleich mit dem Gemahl beweinte sie den Sohn. Nun auf einmal empfand sie dessen Tod als einen schweren und unersetzlichen Verlust.

Zu Lebzeiten des Gemahls hatte dieser Sohn nur eine fortgesetzte peinliche Verlegenheit, eine ewig drohende Gefahr für sie bedeutet. Darum hatte sie ihn gehaßt. Sie gestand es sich jetzt.

Darum hatte sie ehemals die Nachricht von seinem Tode mit wahrer Befriedigung aufgenommen. Sie verhehlte sich's nicht mehr. Wie ein Bleigewicht war's ihr von der Seele gefallen. Wie befreit von einem beklemmenden Alpdruck hatte sie aufgeatmet bei der Trauerbotschaft. Eine Freudenbotschaft war's für sie gewesen. Aus einem Gefühl freudiger Dankbarkeit heraus hatte sie den ganzen kostbaren Trauerprunk besorgt und – dann in die Schränke gesperrt.

Anders lagen heut die Dinge. Nun war der Gemahl dahin, der einzige Mensch, der sie wegen der Existenz jenes Tankred zur Rechenschaft ziehen konnte. Nichts stand nun im Wege, wenn Tankred noch lebte, öffentlich mit ihm hervorzutreten, seine Anerkennung als Sohn Herzog Heinrichs beim höchsten Gericht, den Gesetzen gemäß, zu beantragen und auf Grund gerichtlicher Entscheidung einen Parlamentsbeschluß herbeizuführen, der das Testament des Verstorbenen aufhob und Tankred in die Rechte und Vorteile einsetzte, deren sich jetzt dessen Schwester allein und in vollem Umfange erfreute.

Denn diese Tochter hatte Herzog Heinrich als alleinige Erbin eingesetzt, ohne mit dem Geringsten die Gemahlin zu bedenken, die es anders erwartet haben mochte und sich nun auf ihr kontraktlich festgelegtes Leibgeding und ihr nicht sehr beträchtliches Sondervermögen eingeschränkt sah, indessen die Tochter triumphierte.

Ein furchtbares Mittel aber war der Herzogin in die Hand gegeben, jene Hochmütige zu erniedrigen und sich furchtbar zu rächen an der undankbaren und unnatürlichen Tochter, die ihre Mutter verleugnete, ein furchtbares Mittel – wenn Tankred noch lebte.

War er wirklich tot? Nicht mehr lebendig zu machen?

Empfindlicher hätte das grausame Schicksal sie nicht treffen können, als ihr jetzt den Sohn vorzuenthalten, wo er ihrem Leben, wenn es noch einen Reiz für sie haben sollte, nötiger schien als ihrer Lunge die Lust zum Atmen.

War er wirklich nicht wieder lebendig zu machen?

Ein dunkel-geheimnisvolles (und nur zu richtiges) Gefühl in ihr, verbunden mit der magischen Kraft ihrer Wünsche, gab ihr heimlich eine unbestimmte Hoffnung. Sie reiste zum zweiten Male nach Prefontaine, diesmal ohne ihre Tochter.

Auch wurde Herr La Brière oder von La Brière, genannt Herr von Préfontaine, diesmal nicht in einer Prügelei unterbrochen durch ihre Dazwischenkunft. Er saß behaglich beim Nachtisch und schälte sich eben eine dritte Birne, als man ihm den hohen Besuch meldete.

Leider aber hinderte sein kulinarisches Behagen nicht, daß ihm bei dieser Meldung im ersten Augenblick ein heftiger Schreck durch die Glieder fuhr, infolgedessen sein rotes Gesicht, das allmählich ins Blaue spielte, um den hängenden Schnauzbart her noch um einen leisen Grad bläulicher wurde.

Er faßte sich jedoch rasch. Denn er durfte sich beglückwünschen, keine Forderung der Klugheit außer acht gelassen zu haben.

Als Normanne von Geburt, wie auch als frommer Calvinist – die Herzogin hätte keinen Katholiken unter den Ihrigen geduldet – lebte er in der Furcht des Herrn, und besonders blieb er sich allezeit bewußt, daß diese Furcht nicht zum wenigsten in der Richtung des Herrn Kardinals von Richelieu gut angebracht sein dürfte.

Jene Knabenräuber hatten verdächtige Worte fallen lassen. Ganz sicher war der Kardinal im Spiel. Nun: der Herr von Préfontaine konnte sich, wie gesagt, das Zeugnis geben, klug verfahren zu sein. Die Kundschafter des Kardinals, wenn sie seines Tuns geachtet, waren gewiß mit ihm zufrieden.

Er hatte nicht nur in dem nahen Städtchen Breuil bei Meister Hochetête einen Sarg für den Knaben bestellt; er hatte auch dafür gesorgt, daß der Pfarrer von Préfontaine der Einsenkung beiwohnte und alles richtig in sein Kirchenbuch eintrug.

Er brauchte also vor der Herzogin nicht zu erschrecken. Alle Formalitäten waren erfüllt. Dennoch wurde es ihm von neuem ein wenig unheimlich, als die Herzogin, seine Begrüßung kaum in acht nehmend, in nervöser Unruhe nach dem Grab ihres Sohnes fragte.

Herr La Brière führte sie in die Kapelle. Wie schade, daß er nicht für frische Blumen zuvor gesorgt hatte. Zwar zeigte sich die Platte reichlich bedeckt mit

Kränzen und Sträußen; aber daß sie einmal frisch gewesen, das mochte lange her sein.

»Kann man die Platte abheben«, fragte die Herzogin.

Doch ihres Vasallen entsetztes Gesicht, in dem der gewaltige Schnauzbart jetzt fast mitleiderregend herunter hing, brachte sie schnell von dem Gedanken ab, denn sie war im Herzen arglos und vermutete hinter dem kalten Entsetzen ihres ehemaligen Stallmeisters und Reitlehrers ein volkstümlich-religiöses Motiv.

»Nein, nein«, wehrte sie ab, sie fühlte es selber, es möchte ein Unrecht sein, die Ruhe des Toten nicht heilig und unverletzlich zu halten.

Und wie sie das Wort aussprach, da kam es über sie, das plötzliche und ganz sichere Bewußtsein vom Tod, vom unabänderlichen Tod des teuren Sohnes. Und es überwältigte sie, wie nie in ihrem Leben sie etwas überwältigt hatte. Und sie warf sich hin und drückte ihre Stirne gegen die Grabplatte und brach in ein so heftiges Schluchzen aus, daß der schnauzbärtige Normanne ganz hilflos dabei stand. Bitterschmerzlich weinte sie. Noch nie waren heißere Tränen um ein Kind von einer Mutter vergossen worden.

*

Dennoch lebte Tankred.

Der Marquis von Ruvigny besaß in der nächsten Nähe von Calais ein Schloß, man nannte es Charlemotte. Dahin hatten zunächst die vermummten Soldaten den geraubten Knaben gebracht. Er blieb daselbst unter der Obhut der Frau des Kastellans, bis Herr von La Sauvetat ihn zu Schiff nach Holland abholte. Dort angelangt, gab der Kapitän den Entführten bei dem Schulmeister Simon Cernolle in dem Dorfe Gravensande, unfern vom Haag, in Pension, wo der Junge bald groß und stark wurde und vielleicht in dem Augenblick, da die Herzogin auf seinem vermeintlichen Grab weinte, dem Simon Cernolle seine Gerste ausdrosch oder sich mit der Dorfjugend herumprügelte.


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