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Die steilen, zum Teil schroff felsenhast in die Donau abfallenden Hügel, von denen die weiße Walhalla herunterschaut, breiten sich jenseits Straubing zu Waldbergen aus, deren breite, runde Formen an den Schwarzwald erinnern. Es ist eine der waldreichsten Landschaften Mitteleuropas. Von manchem Gipfel im Bayrischen Wald erblickt das Auge des Wandrers nichts als Wald, soweit es reicht, hie und da einen dunkeln Seespiegel, eine graue oder rötlichgraue Granitwand oder einen weißen Quarzfels. An einem kühlen Apriltage, wo der Schnee noch überall in den Wäldern liegt und an den Waldrändern herausschaut, der Wald selbst fast schwarz unter einer tiefhängenden grauen Wolkendecke steht, und die Bergwiesen fahl, kaum grün angehaucht sind, ist die Landschaft fast melancholisch. Es ist das kälteste, was man sich denken kann. Grün sind dann überhaupt nur die jungen Fichtenschläge. Auch die Felsen sind graulich, und die Häuser grau. Die schwere Rauchwolke, die über dem einen oder dem andern die Glashütte ankündigt, erheitert die Landschaft nicht. Nur nach dem Ausgang zu, wo die Täler breit sind, die Bäche zwischen saftigen Wiesen hingehn, und das Ackerfeld sich höher hinaufzieht, bietet auch der Bayrische Wald freundliche Kulturbilder, die durch die Zeugen der industriellen Tätigkeit gehoben werden. Zwiesel mit seinem hochragenden Kirchturm, Gotteszell mit seinen freundlichen Häusern muten fast wie Marktflecken aus den Alpen an. Von den größern Orten, die »vor dem Wald« liegen, kann man das nicht sagen, vor allem nicht von dem als Übergangsplatz nach Böhmen so wichtigen Schwandorf, das in seinen alten Mauerresten eine echt koloniale Gründung um einen unschönen viereckigen Marktplatz mit lauter unbedeutenden Häusern und schmutzigen Straßen ist. Schwandorf hat eine gewisse nationale Bedeutung als letzte bayrische Stadt gegenüber dem Tschechentum, wo es bei Taus sein Gebiet am weitesten nach Westen vorschiebt. Man würde hier gern eine recht blühende deutsche Stadt sehen. Auch Weiden und Furth im Wald sind unbedeutende Orte der Grenzzone, Tirschenreuth ist durch das Denkmal Schmellers verklärt, des großen Schöpfers des Bayrischen Wörterbuchs, eines der bedeutendsten Geister, die der Bayrische Stamm zur deutschen Wissenschaft gestellt hat. Im übrigen Deutschland ist dieser auch rein menschlich anmutende Bayer nicht nach Verdienst gewürdigt worden, soviel Gutes auch Jakob Grimm von ihm gesagt hat. Sein Platz ist neben den Brüdern Grimm, nicht hinter ihnen.
Die Bewohner des Bayrischen Waldes sind ein genügsames, fleißig arbeitendes Volk, sie haben sich etwas von der bayrischen Heiterkeit bewahrt, unter Verhältnissen, die viel weniger günstig sind als die in und an den Alpen. Die »Waldler« lassen übrigens in der auffallend großen Zahl dunkelhaariger und schwarzäugiger untersetzter Menschen die Erhaltung keltischen Blutes in diesem Winkel vermuten, der geschichtlich zum Waldsaum des alten Bojerlandes, Böhmens, gehört. Vom Böhmerwäldler sind sie trotzdem wohl zu unterscheiden. Für die österreichischen Böhmerwäldler ist nicht bloß das fernere »Reich,« besonders Schwaben und der Rhein, wo früher manche als Hausierer Wohlstand erwarben, ein glücklicheres Land. Das ist ja für alle Gebirgler jedes tiefergelegne Land mit besserm Boden und milderer Sonne. Er fühlt auch den bayrischen »Waldler« sich schon überlegen. Und mit Recht. Die bayrischen Waldbewohner sind in denselben Gebirgsteilen wohlhabender als die österreichischen. Dort sind nicht Fürsten und Grafen die Großgrundbesitzer, sondern der bayrische Staat selbst, der wohl weiß, was er an diesem kräftigen Bauernstande hat. In Österreich stehn ein Fürst Schwarzenberg, der in Südböhmen über 145 000 Hektar besitzt, und einige kleinere Herren zwischen den großen Bauern und dem Staat. Von solchen Herren sind die Leute abhängiger als vom Staat. Es ist ein schlechter Zustand für die Bauern und für den Staat; gut ist er nur für den Grundherrn und seine paar tausend Beamte, Waldhüter usw. Der österreichische Böhmerwaldbauer wohnt und ißt schlechter als der bayrische und weiß das auch sehr gut. Beiden gemein ist, hier kann man sagen zum Glück, das bayrische Phlegma, sonst wäre der Unterschied noch fühlbarer. Während sich aber der bayrische Waldbauer auch der wohltätigen Seite dieser Nationaleigenschaft, nämlich der läßlichen, humanen Verwaltung erfreut, die in dem wichtigen Forstfach immer rationeller geworden ist, hat der österreichische eine zum großen Teil tschechische Beamtenschaft über sich, und das empfindet er noch stärker.
Eigentümliche Züge prägt das Hinübergreifen des bayrischen Stammes an dieser Stelle den westlichen Deutschböhmen auf. Auch auf der böhmischen Seite ist der Bayer der Vertreter der Kraft und Derbheit, der Genußliebe und der Frömmigkeit; aber er liebt nicht die geistige Anstrengung, läßt vieles an sich vorbeigehn, ohne aufzusehen. Da zeigt der obersächsische und der schlesische Böhme einen ganz andern Charakter. Fast alle politisch und wissenschaftlich bedeutenden Deutschböhmen stammen aus dem böhmischen Erzgebirge und Mittelgebirge, hier liegt auch heute die politische Entscheidung über das Schicksal der Deutschböhmen. Der Westen, wo der bayrische Stamm im Pfälzerwald und Böhmerwald vorherrscht, trägt wenig dazu bei. Im Böhmerwald und im Oberpfälzerwald mag die Armut und Abgelegenheit der dünnen, städtelosen Bevölkerung eine gewisse Apathie erzeugen. Was für Geistesgaben aber hier in der Stille heranwachsen, davon sind Gluck und Adalbert Stifter Zeugen. Im Egerlande haben wir dagegen einen der reichsten Teile Böhmens, eine blühende, verkehrsreiche Stadt und einen urkräftigen Bauernstand. Aber was die Egerländer für das Deutschtum leisten, das machen sie mit Saufen ab, sagt man im übrigen Böhmen. Wo es gilt, einen großartigen Kommers zu feiern, da müssen die Egerländer heran mit ihrer echt bayrischen Festfreudigkeit. Der Unterschied greift bis nach Oberfranken hinüber. Sogar im Königreich Sachsen kann man in dem germanischen Teil, im Vogtlande, die bayrisch-oberfränkischen Charakterzüge noch recht gut durchfühlen, obwohl gegen Sachsen gerade wie im Fichtelgebirge auch die konfessionelle Grenze zwischen Katholiken und Protestanten sehr merklich ist.
Mit verschiednen Mitteln verfolgen die Bayern diesseits und jenseits der Grenze mit demselben Eifer, derselben liebevollen Hingebung denselben Zweck, die Pflege des Leibes. Den Hauptunterschied macht dabei eigentlich nur das Getränk. Der Bayer trinkt fast nur Bier, der Böhme und der Österreicher wechseln mit Wein ab, wobei sich das Unerwartete herausstellt, daß der Wein hier gerade so massenhaft genossen wird wie dort das Bier. In den kleinen Städten Niederösterreichs trinkt der Bürgersmann nicht selten an einem Abend seine sechs bis acht »Halbe« Wein. Dieser österreichische Wein ist allerdings etwas teurer als das bayrische Bier. Für zwanzig bis vierundzwanzig Pfennige stillt der Niederbayer seinen ersten Durst mit einem Liter frischen Bieres. Um diesen Preis gibt es auch in den weinreichsten Gegenden Österreichs keinen trinkbaren Wein. Schon das ist ein Grund, warum der Österreicher noch weniger spart als der Bayer. Dann kommt aber die Sorge für das Essen; die wird ernst genommen, oft leider ernster als jede andre. Frau Sorge steht am Herd der deutsch-österreichischen Familie, nicht als Armut, nein als Verschwenderin von Fleisch, Mehl und Schmalz, sie sorgt, daß die Schnitzel, die Bäuschel, das Gebackne und am Spieß Gebratne, das Luftgselchte und das Rauchgselchte, das Saure und das Eingmachte, die Knödel, die Nocken, die Nudeln, die Strudel, die Schmarren, die Strauben, und wie alle die künstlichen Erzeugnisse heißen, in tadelloser Güte auf den Tisch kommen. Die Gastfreundschaft, auch in einfachen Familien, leidet unter dem Bestreben der Hausfrauen, ihren Tisch nur mit dem Besten zu besetzen. Es ist mir vorgekommen, daß ich mit dem Hausherrn allein zu Tische saß, weil die Hausfrau über dem ganzen Essen nicht in der Küche abkommen konnte. So mag die im niedern Bürgerstand Bayerns und Österreichs einst weitverbreitete Sitte entstanden sein, daß der Mann überhaupt allein zu Tische saß. Dennoch ist in den bessern Kreisen in Österreich die Geselligkeit noch nicht so in Schlemmerei und Protzerei ausgeartet wie in Deutschland. In Bayern ißt man auch viel, aber nicht so gut wie in Österreich. Zum Biere würden auch manche Feinheiten der österreichischen Küche gar nicht Passen; dagegen sind die eigentümlichsten Erzeugnisse der bayrischen Küche, die Mannigfaltigkeit der Würste, der Sauerfleische und Tellerfleische, der Knödel, des »Abgebräunten« bestimmt, zum Bier genossen zu werden. Man braucht keinen Physiologen zu fragen, um zu begreifen, daß zu einem bittersüßen, gehaltreichen Getränk, das nicht voll ausgegoren ist und nach altem Brauch mit sieben bis acht Grad Wärme getrunken wird, keine feinen Speisen passen.
Hier wäre ja nun der Ort, von der oft gerühmten und verspotteten Biergleichheit der bayrischen Gesellschaft zu reden. Ich ziehe es aber vor, oft Gesagtes nicht zu wiederholen, denn diese Gleichheit liegt nicht darin, daß Fürst und Bettler ihre Maß für vierundzwanzig Pfennige trinken; dem bayrischen Bier sind andre Seiten abzugewinnen. Ist es nicht eine große Sache, daß es gelungen ist, ein der Verfälschung und Verteuerung ungewöhnlich ausgesetztes Volksgenußmittel bei riesig wachsendem Bedarf rein und billig zu erhalten? Was trinkt man in Nord- und Westdeutschland für Bier, und wie teuer muß es das Volk zahlen! Ich habe das Hofbräuhaus nie betreten ohne den Wunsch, daß es in andern Ländern und auf andern Gebieten nachgeahmt werden möchte, denn es hat ohne Frage heilsam gewirkt. Auch die äußere Wirkung darf nicht übersehen werden, daß das bayrische Bier eins der wenigen deutschen Erzeugnisse ist, die ihren Weg um die Welt nur auf Grund der verbürgten Reinheit gefunden haben. Auch davon wäre zu reden, daß man begonnen hat, den Genuß des von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stärker, d. h. alkoholreicher gewordnen Bieres einzudämmen. Das hat Schwierigkeiten, aber im Interesse des Volkswohlstandes und der körperlichen und sittlichen Gesundheit des Volles mußte dem Übermaß des Biertrinkens entgegengetreten werden. Wohin soll es kommen, wenn es Dörfer in Oberbayern gibt, wo die mäßigen Männer nur einige wenige sind, es aber nicht an Lümmeln fehlt, die täglich, solange das Geld reicht, zehn Maß Bier trinken?