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Siebzehntes Kapitel.
Heimanns Leben 3.

Heimann hatte in der Tat ein mächtiges Wort gesprochen.

Rechas Vater war Orthodoxer der reinsten Sorte.

Zu Lebzeiten seines Bruders, des Gründers des Bankierhauses, gab die religiöse Richtung stets Anlass zu lebhaften Kontroversen, ja argen Verbitterungen; und als der Bruder – man sagte, um den Rittertitel schneller zu erwirken – zum Christentum übertrat, drohte der Bruderzwist unheilbar zu werden.

Nur die Rücksicht auf das »Geschäft« hielt Rechas Vater von dem Schritte vollständiger Trennung ab, da sein Vermögen nicht ohne großen Nachteil aus den Unternehmungen des Bruders gezogen werden konnte.

Rechas Vater zwang sich daher zu einem modus vivendi nach außen, während er innerlich in heftiger Verbitterung verharrte, die nach und nach geradezu unerträglich wurde, als die Bekehrung des jungen Mortara, der Eintritt junger Jüdinnen in Klöster usw. an die Tagesordnung kamen.

Racha wusste daher sehr wohl, welche Freudenpost sie ihren Eltern – denn auch die Mutter teilte die religiösen Ansichten des Vaters – mit der Entdeckung bringe, dass Heimann sich entschlossen habe, zum Judentum überzutreten – wobei sie jedoch weislich verschwieg, dass Heimann dafür auch mit ihrer Hand belohnt werden wolle.

Rechas Vater war außer sich vor Entzücken. Ein Revanchefall ersten Ranges – ein Christ tritt zum Judentum über, dieser Christ ist der Liebling des Brudersohnes, ist berühmt in den weitesten Gesellschaftskreisen – welch' ein Triumph, wenn der Übertritt des jungen Mannes zur Tatsache geworden!

In dieses Entzücken mischte sich alsbald die Besorgnis, dass der Entschluss des jungen Mannes zu früh bekannt und in Folge gefährlicher Einwirkungen wieder aufgegeben werden könnte. Rechas Vater ließ daher Heimann zu einer Unterredung bitten und hinter verschlossenen Türen, unter Liebkosungen und fanatischen Ausbrücken beschwor er den angehenden Konvertiten, bei seinem Vorsatze zu verharren und bis zum vollzogenen Übertritt die Angelegenheit als tiefstes Geheimnis zu behandeln.

Heimann versprach dies, kündigte aber seiner Talmudbeflissenheit alsogleich an, dass er nicht gesonnen sei, länger als vierundzwanzig Stunden auf die Entscheidung zu warten, nach welcher Frist er vom Übertritt zum Judentum, wie – leider auch von ihrer Hand – abzusehen gezwungen wäre! …

Der Ernst dieser Erklärung war nicht fingiert, er war das Erzeugnis einer seit Jahren nicht vorgekommenen Trübend der guten Laune und wohl geeignet, Heimann noch entschiedenere Worte in den Mund zu legen.

Der Champagner war nämlich verflogen. Der unheimliche Geist des religiösen Fanatismus, der bei der Unterredung mit Rechas Vater wie aus einem verderbendrohenden Hintergrunde hervorbrach, erzeugte in Heimann einen Katzenjammer des Humors, der gegen seine Frivolität in Liebe und Religion – den zwei schönsten Gaben des menschlichen Herzens – mit unerbittlicher Selbstkritik loszog; überdies traf gleichzeitig das Schreiben eines Kommilitonen (Namens Sturmeder) ein, welches Eingangs an die gesinnungs- und begeisterungsvollen Zeiten der Universität erinnerte und dann fortfuhr:

»Ich bin nun mit allem, was das Leben und Treiben dieser Welt betrifft, im Reinen. Meine Ansichten stehen fest, meine Grundsätze haben durch geistige Übung jene Durchsichtigkeit und Heilsamkeit erhalten, die ich für notwendig erachte, um die Liebe für alles Schöne und Gute fortwährend lebendig zu erhalten und in ihrem Sinne zu wirken. Ich habe meine Bedürfnisse eingeschränkt, meinen Schlaf verkürzt, treibe asketische Geistesübungen und sehe wie ein Säulenheiliger von meinem höchsten Lebensstandpunkt mit Verachtung herab auf das im erstickenden Brodem wogende, sich wälzende Menschentum, das um nichtiger Ehren, zweideutiger Freuden, verächtlicher Besitztümer willen alles verleugnet, was den Menschen zum Menschen erhebt und würdig macht, sich höheren Wesen ähnlich, ja gleich zu fühlen … In diesem höchsten Wollen und Streben werde ich durch ein Glück erhalten und bestärkt, für das ich keine Worte finde … Eine Künstlerin ersten Ranges, die Zierde unseres Hofschauspiels, eine Schönheit im bezauberndsten Sinne des Wortes, die gleich mir die Würde des Menschen nur in der Veredelung des Gemüts, in der Bereicherung des Geistes und in der Liebe zur Kunst erblickt, hat sich, von meinen Huldigungen überwunden, mit in beglückender Neigung zugewendet und bildet meinen Umgang, meine Seligketi, mein alles! …«

Heimann war anfangs auf das Peinlichste berührt durch die Erinnerung an die schönen Tage edler Schwärmerei, allein das Extravagante des Schreibers dienste ihm bald als Anhaltspunkt, seinen grimmigen Humor zu entfesseln; und so sprang er nach einer Pause nervösen Hinbrütens auf und wanderte selbstredend, unter den seltsamsten Gesten hin und wieder, indem er, den Jargon seiner Schwiegereltern in spe nachahmend, ausrief:

»Wie heißt Veredlung des Gemüts, Bereicherung des Geistes, Würde des Menschen? Soll ich stehen als Säulenheiliger auf einem Fuß und herabsehen auf die Menschheit und herausziehen meine leeren Säcke (er tat es) und verachten den Erwerb und ein anständiges Leben und den Besitz, der erst das Leben lebenswert macht? – Diese Philosophie«, fuhr er in erregter, aber natürlicher Redeweise fort, »entsteht eben nur im Kopf eines Säulenheiligen und nicht im Gehirn eines regsamen, tätigen Menschen, der seiner Bestimmung gemäß arbeitet, erwirbt und auch etwas genießen will. – Der Jüngling der Hochschule, der von dem sauer Erworbenen seiner Eltern lebt, hat leicht schwärmen und auf alles Hohe und Gute ins Blaue hinein schwören; tritt er aber, auf sich selbst angewiesen, ins wirkliche Leben, muss er auf die Mensur mit Sorgen und Entbehrungen, da wird ihm der Weichselzopf krauser Jugendideale ausgekämmt, und von dem ganzen Geniste bleiben nur wenige brauchbare Grundsätze übrig!«

Heimann fühle sich etwas erleichtert durch diese Expektoration, und mit einem Anflug allmälig zurückkehrenden bessern Humors fuhr er fort:

»Es ist wahr, es ist nicht Schwärmerei, nicht eigentlich Liebe, was mich zu meiner Talmudfreundin hinzieht; es ist Spekulation dabei, verwegene Spekulation, und das Feuer, mit dem ich Liebesbeteuerungen vorbringe, ist Theaterfeuer, Kolophoniumblitz. Allein ist mir die Liebe Rechas nicht entgegengekommen, hat sie mir die Bewerbung nicht auffallend nahe gelegt? Beglücke ich sie nicht, indem ich um ihre Hand werbe? Ist nicht etwas wie christliche Liebe dabei, indem ich auf meine Unkosten sie beglücke? … Ich wage das Äußerste für mich, indem ich ohne Liebe, nur mit leidlicher Neigung, um Rechas Hand werbe. Ich riskiere ein großes Malheur für mein Herz, indem ich ohne Liebe in den heiligen Ehestand trete. Wer steht mir dafür, dass ich nicht später, nachdem dies geschehen, in echter wilder Liebe für eine andere entbrenne?«

Er konnte nicht umhin, dieses mögliche Martyrium seines Herzens selbst zu belächeln und setzte dann, nicht ohne sichtliche Verlegenheit hinzu:

»Was den Religionswechsel angelangt, so wage ich ihn nur mit dem festen Entschluss, den Schritt später wieder zurückzutun und meine Künftige mit mir zu nehmen. Die alleinseligmachende Kirche kann also beruhigt sein, sie wird später zwei Schäflein gewinnen statt eines! Es ist ein Glaubenswechsel ›auf Zeit‹, und die Rückkehr des Verlorenen bleibt immer ›in Sicht!‹«

Es war nicht geheuer für Heimanns Stimmung bei dieser frivolsten Reflexion länger zu verweilen; er kehrte schleunigst zu dem empfangenen Briefe zurück, und nachdem er den Schluss desselben noch einmal durchgelesen, brach er in ein ironisches Lachen aus und sagte:

»Also eine Künstlerin – einer Mimin – hat der Säulenheilige sein ganzes Herz zugewendet; und auch sie findet die Würde des Menschen nur in der Veredelung des Gemüts, in der Bereicherung des Geistes und in der Liebe zur Kunst! … Hast Du nichts dabei übersehen, teurer Freund? Hat Deine Freundin keine besonderen Anliegen? … Fährt sie nicht gerne in eigener Equipage? Hat sie keine Neigung zu kostbarem Schmuck, und glänzt sie nicht gerne durch ihre Garderobe, die unmöglich von dem Gehalt ihres Theaters bestritten werden kann? … Bevor ich über diesen Punkt Aufklärung habe, verzeihe, mein Alter, dass ich zweifle, ob Du mit Deiner klassischen Liebe oder ich mit meiner praktischen Ehe das bessere Teil erwählt!«

Die nächste Stunde für Talmudstudien sollte die Entscheidung bringen, und Heimann sah ihr mit seltsam gemischter Empfindung entgegen – als ein Briefchen Rechas zuvorkam und in lebhafter und wirklich rührender Weise den bereits erfolgten Sieg jubelnd verkündete.

Sie hatte mit jener Klugheit und durch nichts zu beirrender Energie, welch den Frauen ihres Stammes eigen ist, zuerst die Mutter auf ihre Seite gebracht und dann mit deren Hilfe den Vater zu überwältigen gesucht: ein Unternehmen von großer Kühnheit und Schwierigkeit.

Einen »Christenmenschen« – und wenn er zehnmal zu Judentum übertrat – durch die Hand seiner Tochter, seines einzigen Kindes, zum Erben seines großen Vermögens zu machen, das ging ihm zu weit, das widerstrebte ihm trotz Mortara- und Klostergeschichten platterdings, und er wehrte sich auch wie ein Verzweifelnder, mit wilden Flüchen, mit Ausbrüchen maßlosen Zornes, mit erschütternden Bitten des Schmerzes, mit Liebkosungen herzbewegender Zärtlichkeit; er war eine klassische Judengestalt im Kampf; allein den Kampf verlor er doch. Mit denselben Waffen, ebenso dramatisch in ihrer Art, bekämpften ihr Frau und Tochter – und so riss er endlich in höchster Aufregung, im wildesten Schmerze, eine Brustlappe seines Hausrocks bis tief herab entzwei und floh, indem er seine Einwilligung gab, in die Einsamkeit seines abgelegensten Zimmers.


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