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Heimann war als jovialer Bursche, als guter Gesellschafter und strebsamer Kollege unter den Universitätsgenossen eine Zelebrität. Was ihm an Leibeskraft und an Gewandtheit in der Führung der Waffen, die er nie liebte, abging, ersetzte er reichlich durch Humor und schlagfertigen Witz.
Die gefürchtetsten Pauker, die keinen ungeneckt und ungezeichnet ließen, respektierten bald Heimanns Zunge mehr als die bestgeführten Klingen der Gegner. Heimanns Epigramme und Bonmots machten ihrer Köstlichkeit wegen stets die Runde nicht nur in Studentenkreisen; wer ihrer gewürdigt wurde, war gezeichnet für sein Leben. Dabei verwundeten seine Pfeile nur so tief, um zu haften, waren aber in so feine Liebenswürdigkeit getaucht, dass sie verwundeten und heilten zugleich und der Getroffene nach dem ersten Schreck unwillkürlich sein ergötzliches Unglück mit Resignation hinnahm und nur einen Trost darin fand, andere nächstens noch besser gezeichnet zu sehen. Trotz seiner heitern Leichtlebigkeit war Heimann auch höheren Interessen zugänglich. Er konnte, angeregt von lebhaften Freunden und erwärmt durch ein Glas Wein, für politische Ideale, für Poesie und Kunst und für die höchsten Ziele der Wissenschaft in Begeisterung auflodern und gewann dadurch einen Kreis hochgesinnter Kommilitonen, die in heimlichen Zusammenkünften sich tüchtig anregten, förderten und in lautersten Grundsätzen bestärkten.
Von der Universität in den Kampf des Lebens trat Heimann, ausgestattet mit reicher Bildung, leichten, fröhlichen Sinnes und mit leidlich gefüllter Börse. Sorglose Illusion ging mit dem Entschlusse Hand in Hand, mit allen erlaubten Mitteln eine angenehme Existenz zu erringen. Zwei lustige Gesellen, die ihn auch in den größten Gefährden nicht verließen, waren seine Begleiter: Humor und nie ermüdende Rührigkeit.
In richtiger Würdigung seiner Zeit hatte Heimann seiner Ausbildung eine Vielseitigkeit gegeben, die ihn fähig machte, in den verschiedensten Stellungen nützlich zu wirken. Neben philosophischen und juridischen Studien hatte er auch National-Ökonomie, alte und neue Sprachen (selbst hebräisch) betrieben und durch seltene Belesenheit seinen geistigen Gesichtskreis erweitert.
So zog er nach der Hauptstadt, wo das Schicksal die hellen und dunklen Lose gründlicher zu schütteln pflegt als anderswo.
Da Heimann leben musste und die zitternde Elternhand ihm die letzten Sparpfennige bereits zugesteckt hatte, huldigte er dem Grundsatze, zunächst zu nehmen, was sich ihm darbot. Und so saß er, in grellem Gegensatz zu seinem Naturell und Streben, vier Wochen nach seiner Ankunft als Aspirant im Kriminalgerichtsbüro der Hauptstadt und verhörte Falschspieler, Diebe und Mörder.
Diese seinen Intentionen schroff widersprechende Beschäftigung forderte seinen Humor in hohem Grade heraus, und er gab ihm umso unverhohlener Ausdruck, als er nicht daran dachte, dieser Amtstätigkeit eine Stunde länger zu widmen, als ihn die Notwendigkeit zwingen würde. Und so boten die Verhöre, die er vornahm, und die Protokolle, die er führte, das Denkwürdigste, das sich in den tristen Räumen des alten Gerichtsgebäudes ereignete.
Die meisten Verbrecher, welche sich in Erwartung einer schroffen, listvollen und strengen Behandlung zu dem Verhöre frech und verstockt, widerhaarig und mit wohlstudierter Verlogenheit eingefunden hatten, sahen die Position ihres Widerstandes unerwartet umgangen und den Schlupfwinkel entdeckt, wohin sich der Rest menschlicher Empfindung geflüchtet hatte; und wie Sonnenschein und Regen urplötzlich aus dem sterilsten Boden Gräsersprossen hervorlocken, so kommen aus jenem Schlupfwinkel, oft zögernd und scheu, oft blitzartig, die zusammengekauerten, wie im Starrkrampf gebannten Gefühle und besseren Gedanken hervor, erlöst und gelockt durch die unerwartet gemütliche und ergötzliche Art der Behandlung, Fragestellung und Überführung. Wer lacht, der lässt den größten Teil der Widerstands-Besatzung abziehen, und Heimann sorgte oft auf wahrhaft klassische Weise für diesen Erfolg seiner Amtswaltung.
Anfangs verdutzt über diese frivol scheinende Originalität in der Amtierung, wurden die grämlichen Richter durch die guten Erfolge bald eines Besseren belehrt und suchten den seltenen Aspiranten durch Beförderung dem Richterstande dauernd zu gewinnen, als er ihnen unerwartet entschlüpfte und in eine neue Stallung übertrat, die ihm für seine noch mäßigen Bedürfnisse reichlicher zu leben gab.
Einem Freunde schrieb Heimann hierüber:
»Ich bin seit Kurzem Gereralsekretär der ›Entreprise des pompes funèbres‹ und mit dieser Stellung wohl zufrieden. Die Bezahlung ist gut; das Geschäft geht brillant. Direktor und Verwaltungsrat stehen auf dem besten Fuße mit allen Krankheiten und Todesarten und zahlen für Lieferungen en gros und en détail, was verlangt wird. Lungentuberkulose und Typhus, Gehirnerweichung und Leberentartung, Blattern und Steinbeschwerden, Hirnschlag und Herzbeutelwassersucht, Blutvergiftung und die immer lächelnde Cholerine – alle stehen sie mit uns in permanenten Lieferungsverträgen, und wenn von der persischen Grenze gelesen wird, dass dir Pest in einigen Khanaten vielversprechende Besuche abstattet, so ist unser Agent schon unterwegs mit gedruckten Vertragsformularen, um diesen Enkel des größten aller Leichenlieferanten zu einer Geschäftsverbindung mit unserem Land und mit der Hauptstadt zu bewegen! – Wahrlich, wenn es bei dem Tode eines Menschen kirchenüblich heißt: ›der Geist habe sein irdisches Kleid abgelegt‹, so können wir mit einem gewissen Selbstvergnügen sagen, wir sind des Friedhofes großartigste Kleiderlieferungs-Anstalt und können getrost mit Rothberger inserieren lassen: ›Bei uns kostet ein Holz- oder Metallüberzieher vierzehn Gulden, ist aber fein und eine Zierde des Grabes!‹«
In einem zweiten Briefe an den Freund schrieb er neben andern Dingen:
»Du kannst Dir nicht vorstellen, mit welchem Pomp wir Leute begraben, deren Hinterbliebene sich dankbar bezeigen wollen für die Geheimnisse einer ererbten Wertheimischen Kasse! Neulich pompfüneberten wir einen Ritter von ** zum Tore hinaus mit wahrhaft fürstlichem Gepränge. Diese schwarzbehangenen Pferde mit schwarzen, wallenden Federn auf dem Haupte; diese Kolonnen leid- und fackeltragender Bestattungsdiener; diese von Silber und Gold strotzende Musikbande, deren Trompetenseufzer und Trommelgewimmer den Kurs unseres Jammertals bis zur Panik herabdrückte, dieser künstlerisch furchtbar gelungene Metallsarg im Leichenkrönungswagen, den der schwarze Ritterhelm zierte – es war erhebend, empörend, herzbewegend! Der Mann hatte nie ein Pferd bestiegen und hatte es als Börsenreiter wohl auch nicht nötig, um Ritter zu werden; es genügte, in reiferen Jahren als Unfehlbarer der Börse an der Unfehlbarkeit des Papstes Gefallen zu finden und unter hochstehender Assistenz sich taufen zu lassen, um als Ritter zum ewigen Leben einzugehen und im Tode – natürlich gegen reichliche Entschädigung – die außerordentlichsten Ehren einzuheimsen, die wir der Entreprise des pompes usw. vergeben haben. – Bei diesem Aufzug schwoll mir die poetische Ader bis zum Platzen. Ich verfasste ein Gedicht an den ›Verewigten‹, so ehren- und schmerztriefenden Inhalts, dass die Tränen, die der Humor dabei lachte, unter dem Gestöhne der Jamben kaum bemerkt wurden, und ließ es für sinnige Leser und Feinschmecker der Verzweiflung drucken.
»Was geschah? Die Hinterbliebenen des Ritters nahmen die Verse für Ernst, erkundigten sich nach dem poetischen Schmerzbruder, dem Verfasser; erbaten sich mein persönliches Erscheinen in ihrem Palais, zogen mich zur Tafel und behufs Verbesserung meiner Lage in ihr Geschäft – so das ich nächster Tage, überhäuft mit Liebenswürdigkeiten und Geschenken, im Komptoir des großen Bankhauses als eine Art Minister ohne Portefeuille auftauchen und ein ganz neues Leben führen werde!« …
Ja wahrhaftig – ein ganz neues Leben war es, das Heimann von nun an begann.
Er befand sich in dem Hause eines, wie die Welt behauptete und wie er selbst bald berechnen konnte, zehnfachen Millionärs.
Der Reichtum war von dem Vater des gegenwärtigen Chefs in wenigen Jahren, während einer Periode großartigen Aufschwungs, durch kühne und glückliche Spekulationen erworben und rechtzeitig auf solidester Grundlage sicher gestellt worden. Daher überstand Ritter von ** ohne sonderliche Opfer einige mörderische Börsenkrisen und konnte in die günstigen Chancen neuen Aufschwungs, wo das Wagnis gering, der Erfolg aber außerordentlich war, mit großen Barmitteln eintreten. In einigen Momenten der Geldklemme, namentlich zur Zeit eines großen Kriegs, wurde das Bankhaus dem bedrängten Finanzminister durch rasche Beschaffung der Mittel zu einer schwebenden Schuld von großem Nutzen – und die Ritterwürde (mit vertraulicher Hindeutung auf spätere Baronie) war die nächste Belohnung. – Dadurch wurde auch in gesellschaftlicher Hinsicht dem bisher bescheiden zurückhaltenden Hause ein lebhafter Impuls gegeben, und das Leben desselben gestaltete sich von nun an wahrhaft glänzend. Wie die größten Summen spielend erworben wurden, so wurden große Summen auch wieder sorglos ausgegeben für äußern Glanz, für den Genuss aller hauptstädtischen Freuden, Theater, Bälle. Man kokettierte als Mäzen mit der Kunst; Dichter, Maler, erste Bühnenkräfte – namentlich des schönen Geschlechts – gingen aus und ein; eine Bibliothek, eine Bildergalerie wurden angelegt, das neue Palais wurde mit vielgerühmten Deckengemälden geziert, und damit von all' diesen Herrlichkeiten dem Publikum keine unbekannt bleibe, waren die ersten Journalisten Stammgäste des Hauses und eine Anzahl Schnelllober, die in den Spalten der Blätter ihr rühriges Handwerk trieben, wurden in lohnreicher Verpflichtung gehalten.
Dieses leichtlebige, prangvolle Leben wurde nach dem Tode des Gründers des Hauses nicht reduziert, vielmehr war der junge Ritter von **, welcher zudem die Tochter einer ersten Finanzgröße heimgeführt hatte, aufs Lebhafteste bestrebt, die Anziehungskraft seines Hauses durch neue brillante Zutaten zu verstärken. Haustheater, Tableaux, Konzerte mit den ersten »hier weilenden« Virtuosen kamen hinzu, und man scheute keine Kosten, dem Satze: »Leben und leben lassen«, im schönsten, wenn auch gleichzeitig eitelsten Sinne des Wortes zu huldigen.
Auf diesem Boden war Heimann bald heimisch und mit Erfolg tätig.
Zu gebildet, feinfühlig und findig, als dass er seinen Glücksfall bloß als höherer Schmarotzer auszubeuten suchte, ging er auf das Studium und auf die Förderung der Geschäfte ernstlich ein, war bald in der Lage, dem im Wohlleben alles nur heiter und oberflächlich nehmenden Chef einige auffallend gute Dienste zu leisten und eines Tages zu verhüten, dass das Haus in einen auswärtigen empfindlichen Bankrott hineingezogen werde.
Der Chef erwies sich in ausgiebiger Weise dankbar, ließ Heimann auch an einigen erfolgreichen Börsenspielen teilnehmen, zu denen er ihm die Mittel bot, ohne ihn irgendwelchem Risiko auszusetzen. Heimann sah sich binnen Jahr und Tag zu einem recht anständigen Kapitale gelangt, das er wohlweise nicht einem Schwindler »zur höchsten Fruktifizierung« anvertraute, sonder zu Ankauf der besten Papiere benützte, deren Interessen er wieder zum Kapitale schlug. Er konnte dies umso leichter, als er einen namhaften Gehalt bezog, seine Bedürfnisse in vernünftigen Schranken hielt und nach und nach fast ständiger Gast an der Tafel des Hauses wurde.
Letzteres verdankte Heimann ganz anderen Diensten als denen des Geschäftes.
Denn hatte er sich als tränentriefender Poet in das Haus des Millionärs gesungen, so gewann er jetzt durch seine humoristische Gabe die längst getrösteten Erben des Hauses. Tausend Bonmots, Epigramme und satirische Gedichte über Ereignisse der Stadt, der Gesellschft – auch mancher Gäste des Hauses – fein, pikant, nicht verletzend, zirkulierten bald mit dem durchgreifendsten Erfolge; Heimann wurde das Entzücken seines lebens- und lachlustigen Chefs, und es gehörte zu dessen größtem Vergnügen, beim Diner seine Tischgesellschaft mit der Einleitung in heitere Spannung zu versetzen: »Was unser Heimann wieder gemacht hat!« – Dabei wurde Heimann täglich unentbehrlicher als Warmhalter der Journale, als Arrangeur von Hausfesten und als Verfasser von Reimen, die sein Chef so gerne als neckische Geschoße gegen Finanzgrößen, die ihm unsympathisch waren, anonym in die Blätter schwärzen ließ.
Zu alldem kam Heimann noch eine wirklich überraschende Ähnlichkeit mit dem ersten, äußerst witzigen und sehr beliebten Komiker des Hofschauspieles zu Statten. Er war nicht der Mann, eine so glückliche Eigentümlichkeit ungenützt zu lassen; er erfand Anekdoten, machte Witze im Genre seines Doppelgängers, die noch jetzt als Geistesprodukte des Letzteren im Umlauf sind; und endlich trat er auch im Haustheater in einigen der beliebtesten Rollen des Komikers auf, und zwar mit dem besten Erfolg, wobei er sich gerade von Seite des schönen Geschlechts des lebhaftesten Beifalls zu erfreuen hatte. Eine nicht mehr ganz junge und sonst den seltsamsten Studien sich hingebende Nichte des Chefs lachte sich bei diesen Vorstellungen, wie über die zahllosen »Heimanniana« nach und nach in eine förmliche Neigung für den ergötzlichen Gesellschafter hinein – und auf diese überraschende Entdeckung baute Heimann endlich den ebenso kühnen als lustigen Plan: auf dem kürzesten (und nicht mehr ungewöhnlichen) Wege – Ehemann und Millionär zu werden.