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Ihr war't so schön, nun seid ihr umgeboren –
Mein einzig Glück, hier hab' ich es verloren.
Goethe
Florian erfuhr den Wunsch der Frau Rätin, ihr ein Anlehen zu gewähren, in dem Augenblicke, als er einer wichtigen Angelegenheit halber nach dem gräflichen Schlosse gerufen wurde ...
Der Graf von Ahnrode gehörte zu den reichst Begüterten seines Standes im weiten Umkreis der Monarchie. Er hatte die Tochter eines fürstlichen Hauses geheiratet und setzte nun seinen größten Ehrgeiz daran, selbst ein fürstliches Haus zu führen. Seit er mit dem Rang eines Generals aus dem Militärdienst getreten, erschien er regelmäßig jeden Sommer und Herbst auf seinen Gütern, wo er in einem ausgedehnten Schlosse glänzend Hofhaltung hielt. Eine verschwenderische Gastfreundschaft öffnete das Haus des Grafen zahllosen Verehrern und Schmeichlern. Was den Grafen selbst von manchem Fürsten unterschied, das war die Art, wie sein Aufwand, freilich zu seinem großen Schaden, ohne Voranschlag in die Welt hinein bestritten wurde. Der Graf hatte die Eigenheit, den Anblick des Geldes zu hassen. Er rechnete nie. Geld nur zählen zu hören, was ihm ein Schauder. Ihm gefielen Pferde, er musste sie haben; er sah die neueste Form der Equipagen, sie musste beschafft sein; er liebte Musik, eine Hauskapelle stand ihm zu Befehle; er wollte reisen, auf die Sekunde fuhr er davon, und die ganze Reiseroute warteten bestellte Pferde, ihn ohne Aufenthalt weiter zu führen.
Dass eine solche Haushaltung besonders ihre Diener sehr gut nährte, versteht sich von selbst. Der gräfliche Vertraute und Rat nebst dem Rentmeister wussten davon zu erzählen.
Bei dem großen Aufwand des Hauses waren Anleihen an der Tagesordnung, die nie ohne Nebenabfälle geschlossen wurden.
Eine Finanzklemme machte eben den feinen Köpfen wieder zu schaffen, als ein sonderbares Schicksal plötzlich ganz in der Nähe einen Millionär aus den Wolken fallen ließ.
Glücklicher, wohl zu beachtender Zufall! Man instruierte sich über diesen Punkt und fand alsbald, wie man sich mit Nutzen des Falles bemächtigen könne. Man zitierte also den Millionär aufs Schloss, und zwar in jene Abteilung desselben, welche der Rat bewohnte.
Florian hatte die Einladung nicht ohne tiefen Schrecken vernommen.
Dass hier von Geld die Rede sein könne, wo das Glück alle Tage aus und ein ging, das kam ihm nicht in den Sinn. Es durchrieselten ihn Schauer der Befangenheit, einen Palast, den er nur mit zager Bewunderung aus der Ferne zu betrachten gewohnt war, heute zum ersten Male zu betreten, zwischen hundert übermütigen Dieneraugen Spießruten zu laufen, vielleicht in der Verwirrung den rechten Weg zu verfehlen und endlich mit kurzem Prozess wieder fortgejagt zu werden.
Das war eins.
Zum andern beunruhigte ihn die Frage:
»Was kann's im Schlosse für mich geben? Ist mein Unglück noch nicht all? Haben sie mit das Zigeunerleben noch nicht vergeben?«
Unter solchen Befürchtungen gelangte Florian in den Park und durch die Hauptallee bis an den großen umgitterten Hofraum, wo ihn ein Diener sogleich in Empfang nahm und auf dem kürzesten Weg zum gräflichen Rat führte.
Dieser ließ ihn im Vorzimmer eine anständige Weile stehen, schickte dann einen Diener heraus, um ihn ein Gemach weiter zu führen.
So was wie hier hatte Florian noch nicht gesehen.
Ein Teppich durchs ganze Zimmer, dass man über eine Rosenflur zu gehen meinte, Glasschränke voll Silbersachen, alle Wände voll Spiegel, Bilder, Statuetten; und die rotsamtenen – »was sind das nur?« dachte Florian, »liegt oder sitzt man darauf?«
Er meinte Sofas und Fauteuils.
Hier hatte Florian wieder Zeit, sich vor Erstaunen müde zu sehen, bis im Nebengemache eine vornehm-scharfe Stimme erscholl – die Türflügel lebhaft, aber geräuschlos auseinanderflogen und der Herr Rat knarrenden Stiefels und klirrenden Sporns hereintrat.
Ein Diener zog die Türe hinter dem gestrengen Herrn wieder zu – und ein Herrschaftsbeamter und ein Bauer als Millionär standen einander gegenüber.
Es hätte all der Zeremonien nicht bedurft, um Florian bis zum Kinde einzuschüchtern.
Der Herr Rat betrachtete Florian einige Augenblicke mit strengen Blicken und sagte dann:
»Setzt euch!«
Florian wollte sich mit dem schmalsten Streifen eines Sammetsessels begnügen und wäre bald vor lauter Bescheidenheit daneben auf den Boden zu sitzen gekommen.
Nun war er ziemlich sattelfest und horchte mit hörbarem Herzklopfen auf die Eröffnungen des gräflichen Rates.
Dieser fuhr nach einer beklemmenden Pause unverschämt barsch los:
»Nun, er hat ja ein merkwürdiges Glück erlebt! Er wird doch bald wissen, was in einem solchen Falle zu tun sein wird? Was will er denn mit seinem vielen Gelde anfangen?«
Florian musste sich ein breiteres Stück Sessel erobern, um nicht hinab zu gleiten. Er fand keine Antwort. Nach einer Weile fuhr der Beamte fort:
»Er hat da vor Jahren ein sauberes Leben geführt? Was soll das heißen? Weiß er auch, was das Amt zu solchen Streichen sagt? Er wird große Freunde brauchen, um diese alten Sünden ungeschehen zu machen!«
Florian bebte, »da ist dein altes Übel wieder«, dachte er, »es wird doch nie ein Ende nehmen!«
Wieder nach einer Pause fuhr der Rat etwas milder fort:
»Höre er ... Es kommt doch meist auf die Menschen selber an, ob sie Freunde oder Feinde haben. Ich will ihm einen Rat geben. Es kommt auf ihn an, ob er sehr gute und sehr wichtige Freunde haben will.«
Florian nickte verwirrt, nur um ein Lebenszeichen zu geben.
Der Rat fuhr freundlicher fort:
»Es wäre auch traurig, wenn man euch in eurem neuen Glück hinfür stören wollte. Ihr sollt euern Reichtum in Ruhe und Frieden genießen; hört nur, ohne Anfechtung wegen geschehener Dinge; aber wünschen muss man auch, das ihr euern Reichtum zu Nutz und Frommen eurer Freunde gebraucht – jener Freunde nämlich, die euch gegen Anfechtungen schützen und sicher stellen!«
Für Florian hatte die Sprache noch viel Dunkles, er blickte daher nur mit gutmütig-stieren Blicken auf.
Nun eröffnete der Rat im Tone überraschender Vertraulichkeit, dass in diesem Augenblick alles darauf ankomme, eine Summe von einmalhunderttausend Gulden Sr. Exzellenz, dem Grafen, zur Verfügung zu stellen, so zwar, dass für diese Gefälligkeit das Rentamt dem Darleiher, Florian Leander, alljährlich zweitausend Gulden Zinsen zahlen und ihm die geliehene Summe für ewige Zeiten gut schreiben werde.«
Nach dieser Eröffnung stand der Herr Rat höchst artig auf, nahm Florian, der noch starr dasaß, bei der Hand und sagte:
»Wollen Sie, Herr Leander, dass wir von Ihrer Einwilligung Sr. Exzellenz berichten?«
Florian war aufgestanden, nickte geistesabwesend zweimal mit dem Kopfe und wendete sich, um ins Freie zu gelangen.
»Nun gut denn«, sagte der Rat äußerst freundlich: »Sie sind gerettet, wenn Sie bei dieser Gesinnung bleiben, und – hören Sie – keinem Menschen sagen, was hier geredet worden!«
Florian wurde an der Türe wieder von einem Diener in Empfang genommen und über eine Hintertreppe ins Freie nach dem gräflichen Park geführt.
Er war hier eben allein gelassen und fing an wieder aufzuleben, als ich eine die Hauptallee daher stürmende Reihe von Wagen und Reitern in neue Bestürzung versetzte.
Es war Se. Exzellenz, der Graf, in Begleitung jener Gesellschaft, von welcher Florian letzten Sonntag bei dem Steinhaufen überritten wurde.
Florian drückte sich in ein Gebüsch und wartete ab, bis der glänzende Aufzug vorüber war.
Wie herrlich sah das alles wieder aus, wie unnahbar, wie überirdisch! – Aber eben hatte ein Beamter, um diesem Glanze die nötigen Mittel zu verschaffen, bei Florian ein Anlehen von einmalhunderttausend Gulden kontrahiert ...
Von nun an hatte Florian die verklärende Kraft seiner Augen verloren.
Alles erschien ihm düster, unterhöhlt, im Wanken. Nach solchen Erlebnissen schien er durch nichts mehr überrascht werden zu können.
Dass ihm gelegentlich auch der Hagenbacher eine kleine »Schlappe« anvertraute, die ihm aus seiner übertriebenen Pferdeliebhaberei erwachsen; dass der gerühmte Wittauer mit der brennroten Weste erschien, um in Verbindung mit Florian noch einmal Geschäfte zum Besten seiner à zu fünfzehnhundert Gulden verheirateten Kinder zu beginnen; dass ihm viele Menschen als habsüchtige Schmeichler nahten und ihn sozusagen zum Beichtvater gegenseitiger Verleumdungen machten, um einander aus seiner Gunst zu verdrängen; dass der Herr Pfarrer ihn sogar in den Text seiner Predigt über Stellen aus den heiligen Evangelien brachte – das und vieles andere nahm er kaum besonders mehr in Betracht.
Er war schon stumpf gegen den Reichtum, ehe er ihn hatte; er wusste überhaupt nicht mehr, ob er nicht schon mehr zu leihen versprochen, als er überhaupt erhalten sollte ... Aber dennoch stand ihm noch eine Prüfung bevor, die ihn mächtig aus der dumpfen Stimmung rüttelte und ihn fast um den Verstand brachte ...
Florian hatte sich folgenden Tages nach getaner Arbeit auf die Beine gemacht, um neuen Zudringlichkeiten zu entfliehen und um einem Bedürfnis nach freier Bewegung zu genügen, das ihm vom Zigeunerleben her geblieben war.
Als er bereits eine erklecklichen Kreuz- und Querweg zurückgelegt hatte, schlug er die Richtung nach dem Hallhof wieder ein und gewahrte eine alte Frau, welche, ihn erblickend, verlegen und hastig nach einem Seitenwege auswich, offenbar in der Absicht, Florian nicht zu begegnen.
Es war die alte Walburg, bei welcher Florian an arbeitslosen Tagen zu Mittag zu essen pflegte; die gute Alte hatte ihn immer freundlich wie eine Mutter behandelt, war auch seit Florians glücklichem Schicksal nicht bei ihm erschienen und entwich sogar in diesem Augenblick vor ihm, um nicht den Schein auf sich zu laden, als habe sie ihm nachgehen wollen.
Florian erriet sogleich, was das bedeuten solle und wollte ihr, tief gerührt, nach, um ihr zu sagen, dass er nur deshalb seit dem Glücksfall noch nicht bei ihr gewesen, weil er die Zeit her überhaupt kaum bei sich selbst gewesen – aber bevor er die gute Alte noch erreichte, hörte er eine Stimme hinter sich, die seinem Namen rief.
Er hielt stille, blickte hinter sich – der Striemer war's, derselbe, der ihm einst die Marianne streitig machte und sie auch gewann.
Es war bekannt genug, wie er sein armes Weib seitdem traktierte, ein roher und fauler Bursche war und blieb.
Der Striemer näherte sich Florian mit frechem Lächeln und mit gegen das Ohr gerücktem Hut. Dabei war er blass vor Galle, dem Gimpel, dem dummen Burschen Florian mit einem Anliegen kommen zu müssen.
»He, du da – nu, Florian«, sagte er und knopperte an einem dürren Halm – »du hast wahrhaft Eselsglück, guter Freund, man hört's durchs ganze Land; wie hat nur so was kommen können, denkst du denn deiner alten Kameraden noch? Nun, immerhin Glück auf! Sollst's haben und behalten. Wo willst du hin? Ich geh' eine Weile mit.«
Florian verzichtete, der Walburga nachzueilen und ging dem Hallhof zu; ein tiefer Widerwille machte ihn erblassen; er erwiderte kein Wort.
Der Striemer aber ließ sich nicht beirren.
»Ich weiß«, fuhr er fort, »mir bist du nicht sehr grün. Mir wirst du wenig zu Liebe tun; aber meinem Weib. Sie schickt mich nicht, das muss ich doch gleich sagen; aber ich hoff', Kamerad, du hast sie nicht vergessen und hebst ein Pflichtteil für sie auf!«
Florian erblasste noch tiefer.
»Ich weiß, was man sagt«, fuhr der Striemer fort, »man sagt, ich sei meinem Weib nicht treu und sei meinem Weibe nicht fein genug. Auch in der Arbeit sei ich kein ganzer Mann. Ja. Was frag' ich danach? Kurz und gut, weißt du, warum ich da bin? Du sollst dem Gekräh ein Ende machen. Wozu wärst du reich geworden? Du liebst mein Weib noch; ich weiß. Gib ihr, geb meinem Weib' von deinen unverdienten Sporteln. Kerl, das ist der Unterschied. Das Schicksal hat unrecht und gibt dir allein. Mach's gut – und ich will dir etwas sagen« –
Mit schütterndem Gelächter setzte er hinzu:
»Gibst du mir eine Summe, die der Mühe wert ist – so will ich dir die Freude machen und Marianne wieder feiner traktieren und ihr in Zukunft etwas treuer sein!«
Dies beispiellose Frechheit wühlte Florians Herz um und um, ein dunkles, schreckhaftes Rot überströmte sein Gesicht, die Stirnadern schwollen, die Fäuste ballten sich, um dem Schurken, der ihm früher Weh und Ingrimm genug verursacht, endlich einmal gründlich vorzunehmen.
Aber der Striemer wusste die drohenden Zeichen nach ihrem ganzen Umfang zu würdigen, sagte: »Hoho, nur keinen Truthahn spielen«, und setzte sich in ziemlich raschen Trab; doch Florian gedachte sich das Opfer nicht entschlüpfen zu lassen und spornte seine Schnelligkeit mit günstigem Erfolge – als plötzlich hinter ihm eine Stimme rief und ihn in seinem Kriegerlaufe aufhielt.
Die Stimme musste Florian wohl bekannt, sie musste von eindringlicher Wirkung auf ihn sein, da er auf ihren ersten Laut hin wie vom Donner gerührt stehen blieb, rückwärts blickte und die Farbe änderte.
Es war die Stimme seines Retters, die gerufen hatte.
Der Friedländer kam einen Feldrücken herauf, den Hut unter dem Arme, das Gesicht von den letzten Strahlen der Abendsonne beleuchtet; er lächelte und nickte freundlich und kam bequemen Schrittes näher.
Florian konnte sich eine gute Weile nicht von der Stelle rühren.
Eine zu seltsame Wandlung seiner Stimmung ging vor sich und – die Freude über des Retters Erscheinen wurde plötzlich durch einen Gedanken, einen so peinvollen Argwohn getrübt.
Wie ein Schwert fuhr es ihm durch die Seele, dass der Friedländer am Ende auch wie alle anderen jetzt erscheinen könnte, um eine dunkle Seite seiner Verhältnisse zu enthüllen und – als Bittender das letzte, schönste Ansehen eines Namens zu zerstören.
Der Gedanke war für Florian so entsetzlich, dass er zuckend aus seinem Erstarren auffuhr – der Erklärung seines Retters zuvorkommen wollte – ihm entgegen eilte – schluchzend an die Brust fiel, als wolle er sagen:
»Redet nicht, o sagte nichts, erhaltet meinem Glauben das Vertrauen – was liegt am Gelde? Nehmt alles, alles hin!«
Der Friedländer mochte ahnen, was in Florians Gemüte vorging. Gerührt ließ er ihn an seinem Herzen, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte lächelnd:
»Du Kind! Arm' Wild des Glückes! Gelt, ein reicher Mann wie du kann auch seine Plage haben, gelt du machst Erfahrungen? Komm, komm, sei ruhig. Ich bin nicht gekommen, dein Leid zu mehren, sondern zu erleichtern – dort ist ein Feldrain, dort lässt sich ruhig beieinander sitzen, komm, mein Freund, gar vieles hab' ich dir zu sagen.«
Und sie gingen langsam hin.
Wie sich ein zitterndes Kind an die feste Hand des Vaters klammert, so hielt sich Florian bebend an die Hand seines Retters.
Die milden Worte hatten den Krampf seines Herzens in sanfte Rührung aufgelöst und Tränen, reichliche, warme Tränen netzten Florians Wangen.
Beide setzten sich auf den Rain, und Friedländer fuhr fort:
»Ich habe dich seit dem Tage deiner Erbschaft nicht aufgesucht, obwohl ich in der Nähe war, weil ich es für gut befunden, dass du Erfahrungen machest, die dir einmal frommen werden. Wie ich sehe, haben die Erfahrungen sich etwas heftig eingestellt und dir nicht wenig zugesetzt; sie aber getrost, mein Freund, ich bin gekommen, um dein Weh zu lindern und deinem Aug' den freundlichen Schein des Lebens, soweit es möglich ist, zurückzugeben. Denn, mein lieber Florian, es ist nicht gut, alles nur im guten Schein und Schimmer – aber auch nicht gut, in allem nur Nacht und Untrost zu erblicken. Vieles, mein Freund, ist besser, als es scheint, und vieles scheint nur besser, als es ist. Gelt, gelt! So manche, die du beneidet und stets verehrt hast, wie haben die dir wenigen Stunden die Augen über sie geöffnet! Gelt, und so viele arme Menschen, wie hat sie ihr Leben mürbe und herb gemacht, dass sie schon beim Anblick eines Reichen knicken oder stumm im Herzen wüten. Ja, mein Freund, es gibt viel Elend in der Welt, aber das eine ist verschuldet und das andere nicht. Was kann der eine dafür, dass er arm geboren wurde, fort und fort die schwersten Lasten trägt und doch kaum das verdient, was er vonnöten hat? Aber andere, die im Überflusse stecken von Geburt an, wenn die in Klemmen kommen, dann ist es in den meisten Fällen ihre Schuld. Niemand will mehr einfach bleiben, aus falschem Ehrtrieb kleidet man sich öfter und schöner, als es nötig und vernünftig ist, isst man über Mittel und Gebühr, such zu viel kostbare Freuden außer'm Hause. Die meisten Eltern geben das üble Beispiel den Kindern und der Nachbar seinem Nachbar. Was ist die Folge? Die Kinder werden ihre Kinder wieder und noch schlimmer verziehen – und wie soll das schließlich enden? Statt hinunter zu sehen auf die, welche weniger haben, sieht man immer nur hinauf zu denen, welche mehr besitzen. Man sagt nicht mehr, das passt nicht für dein Leben, man fragt nur, wie beschaff' ich mir des Reichern Putz und Lust? Und so kommt es, dass zu Vermögen noch Vermögen notwendig wird und dass man borgen muss, wenn man nicht verdienen kann oder will und dass man oft nicht ehrlich verdienen kann, wenn man schnell verdienen muss! So drückt und reißt eins am anderen, und es muss zuletzt in Brüche gehen. So ist es in den Städten, so ist es leider oft auch auf dem Lande! O mein Sohn! Noch vieles hätt' ich dir zu sagen, du kannst es aber noch nicht fassen. Genug, du hast auch einmal tiefer in die Welt geblickt, hüte dich aber, gar zu schlimm von allem zu denken. Es gibt auch unverschuldete Klemmen, der Ehrlichste und Wohlhabendste kann darein geraten. Doch genug für heute. Anderes noch hab' ich dir zu sagen; es wär' für viele eine Nachricht voll Wehmut, für dich, mein Sohn, wird es eine Nachricht sein, dein Herz und Leben unbeschwerlicher zu machen. Höre ...«
Florian lächelte. Sein ganzes Herz war wieder Licht. Die liebe Art, wie der Friedländer zu ihm sprach, machte seien Seele schwelgen. Er klammerte seine Rechte verstohlen an Friedländers Rocksaum und sagte:
»Mag ich nun hören, was da will, solange er da ist, solange ich den Saum seines Gewandes fasse, ist mir schon zu helfen.«
Der Friedländer fuhr fort:
»Florian, seit einer Stunde ist die Nachricht gekommen, dass deine Erbschaft durch plötzliche Unglücksfälle arg zusammengeschmolzen. Viele, bei denen hohe Summen angelegt waren, haben Bankrott gemacht, was du alles in allem behalten wirst, kann höchstens noch auf sechzigtausend Gulden sich belaufen ... Lächle nicht zufrieden; trotz deiner letzten Erfahrung hättest du mit Millionen sehr viel Gutes tun, sehr viel Elend mildern können, du wirst noch später auch so denken. doch ist das Beste jetzt, dass zu zufrieden bis mit dem, was du behältst, du wirst auch so noch vieles Elend lindern können!«
Der Friedländer teilte ihm nun weiter mit, wie er sich bereits nach einer Wirtschaft für ihn umgesehen, wie sie diese in einigen Tagen kaufen wollen, dass Florian zu Tätigkeit und frischer Lebenslust gelange; Friedländer versprach, solange noch zu bleiben, bis alles in rechten Gang gekommen.
Dann standen beide auf und gingen nach dem Hallhof.
Es war Nacht und dunkel geworden und kein Stern am Himmel.
Am Hallhof sagte der Friedländer:
»Gute Nacht, ich bleibe hier die Nacht«; – Florian ging – nein, er schwebte wie ein Seliger dem Taubenschlage zu.
Bald trat er durch das Tor des Nebenbaues, stieg die schwanke Leitertreppe hinaus, stand vor der Türe des Taubenschlages und machte eben Anstalt, sie mit dem Schlüssel aufzusperren – als sich auf einmal grelle Lichter rings entzündeten und eine malerisch-grauenvolle Szene zeigten.
Nicht weit von Florian stand die krass blickende Gestalt des Nachwächters Strander, der eben im Begriffe war, sich mit einem gezückten, langen Messer über ihn zu stürzen; aus allen Winkeln des Nebenbaues aber traten, mit Lichtern in der Hand, bekannte und unbekannte Menschen rettend und rufend hervor, – darunter der geheimnisvolle Fremde aus dem Weilerhause.
Dieser zeigte ernst und blass nach dem Strander und sagte mit ernster Stimme:
»Genug der Freiheit dieses Bösewichtes; der Raubmörder der Kinderräuber, der Brandstifter gedenkt soeben seine Verbrechen durch neuen Mord zu mehren – hinweg mit ihm, sein Zahltag ist gekommen!«