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Drittes Kapitel.
Ein Tag des Herrn

 

Der Reichen Gärten seh' ich blühn,
Ich seh' die goldne Saat:
Mein ist der unfruchtbare Weg,
Den Sorg' und Mühe trat.

Doch weil' ich gern mit stillem Weh
In froher Menschen Schwarm
Und wünsche jedem guten Tag,
So herzlich und so warm.

Uhland

 

Es kam ein schöner Frühlingsmorgen; er sollte Gott und der Ruhe gehören. Sonntäglich schien auch die Natur zu feiern, während in der Menschen Brust Behagen und Andacht rege wurden.

Florian saß am sogenannten Fenster seines Taubenschlages und blickte wie von einer hohen Warte auf das Dorf hinab.

Sein Anzug war vollendet und entsprach dem heiligen Tage aufs Beste; seine Stimmung war angenehm heiter.

Oft schon war es Florian in solcher Lage vorgekommen, als lehne ein unbekannter Freund an seiner Schulter, blickte mit ihm auf Welt und Menschen, errate seine Gedanken und helfe ihm Gespräche führen; als er einmal zerstreut den lieben Unbekannten sehen wollte, flüchtete dieser in das gegenüber hängende Spiegelchen und sah – ihm selber ähnlich auf ein Haar!

Seit jenem Augenblicke spielte in solchen Stunden immer ein Lächeln um Florians Mund als Zeichen, dass er den Schelm da neben sich wohl erkenne und nun für den besten Freund auf Erden halte; so auch heute.

An Stoff zu Gedanken in solchen Lagen fehlte es nie.

Im Dorfe ist jedermann ein öffentlicher Charakter, und eine mündliche Chronik sammelt die Erlebnisse der Familien wie der einzelnen von Haus zu Haus. Doch gibt es auch hier versiegelte Herzblätter, die nur mit dem heißen Messer besonderer Forschung geöffnet werden können.

Florian kannte Jung und Alt im Dorfe, aber seine gutmütige Natur hob nur die bessere Seite an jedem hervor, und seine winzige Lage brachte es mit sich, dass ihm die Verhältnisse anderer leicht im Übermaße glänzend und glücklich erschienen; gerade heute fand er wieder Stimmung und Muße, von seinem Taubenschlage her Ausguck zu halten und Menschen und ihre Geschicke zu betrachten.

Und siehe, da war es wie gewöhnlich der Herr Förster, der sich aus dem gegenüber liegenden Hause auf den »Umweg« nach der Kirche machte und die Reihe der Kirchengänger eröffnete.

Die Metallknöpfe seines Rockes blitzten, seine Schritte griffen straff und rasch aus; er pflegte vor der Kirche immer ein Stück der nahen Waldung zu besuchen und beim Buchenwirt ein Gläschen Schnaps als Herzstärkung mitzunehmen.

»Er ist es ja«, dachte Florian, den stattlichen Mann betrachtend, und zog den Kopf etwas von der Wandöffnung zurück, um nicht gesehen zu werden.

Der Förster war schon eine Strecke gegangen, als sein Knäblein, sonntäglich geputzt, aus dem Hause lief und seinem Vater nachrief; still und bitterlich dreinsehend, weil er ihn nicht mehr »erschreien« konnte, ging er wieder zurück, warf dann und wann ein Steinchen unter der gehobenen Kniekehle weg, setzte sich an den Fahrweg hin und begann ein Spiel im Sande.

Florian betrachtete mit ehrfurchtsvollen Blicken das schöne Försterhaus, es war ihm, als höre er in der neugeziegelten Vorhalle feierliche Schritte, sehe die vielen gezogenen Mützen, welche täglich aus- und eingetragen wurden, rieche geröstete Kaffeebohnen und sonst vornehme Sachen und höre aus den Zimmern die Uhren feierlich durcheinander picken; von den Wänden der Vorhalle blicken die glotzäugigen Hirschköpfe mit den großen Geweihen.

Florians Gedanken machten sich aus dem Staube, um nicht so durch Halle und Zimmer witternd, ertappt zu werden.

»Wie gut haben es viele Menschen«, dachte er, »man baut ihnen schöne Häuser auf, zählt ihnen Jahr für Jahr ein ihr bares Einkommen hin, sie säen nicht, sie ernten nicht und wissen doch, was sie haben. Wie gut lebt der Herr Förster. Er hat mehr, als er braucht, wo er hinkommt, versetzt er die Hüt' in Unruh, Präsente kommen angestiegen, und was hat er zu tun? Spazierengehen! Hat er weiter als ein anderer Mensch in den Wald? Die Bäume selber haben Respekt vor ihm; Brust heraus, Bauch hinein, stehen sie da und zieh'n die Schultern an, wenn sie ihn kommen sehen und raunen sich ins Ohr: habt acht, der grüne Fuchs, dort spackt er wieder daher!«

Florian nickte lächelnd gegen die Schulter, als wollte er beifällig sagen: »Hast recht, Freund, mein Denken hat grad' eben das Gleiche sagen wollen!«

Eine brennrote Weste lenkte Florians Augen und Gedanken jetzt ein Häuschen weiter.

Der Wittauer trug die Weste.

Er war aus seinem Hause, legte die Hand über die Augen, blickte nach der Sonne, nach dem Dorfe, machte eine hohle Hand hinters Ohr, um nach den Glocken der fernen Kirche zu horchen, und ging dann die Stufen eines Geländers herab, um nach dem Baumgarten zu gelangen; er bückte sich oft und hob kleine Holzsplitter auf, die er auf die Holzschichte neben der Scheuer legte.

»Geschäftelt muss sein«, dachte Florian beim Anblick dieses Mannes, »sein Fleiß brennt immer wie seiner Sonntagsweste; an Feiertagen wird ihm die Welt zu eng, Sonne, Mond und Uhren gehen ihm zu langsam, alles möchte er vorwärts schieben, – hat es aber auch zu was gebracht!«

Florian ging die Lebensgeschichte eines Mannes respektvoll durch, der nahezu mit nichts beginnend, im Handel Haus und Hof erworben und seitdem vier Kinder, wie er sich auszudrücken pflegte: á zu fünfzehnhundert Gulden, ausgeheiratet hatte. Sein Fleiß und Glück waren Duzbrüder, wie man sagt; namentlich seines Glückes wegen hieß es: ihm kälbert ein Holzschlegel auf der Achsel. Und dennoch war der Mann immer still, bescheiden, einfach im Leben; seine Wanderschnürschuhe hatten eine Art Berühmtheit erlangt, indem sie in der Tat mit beispielloser Meisterschaft drunter und drüber geflickt waren, dass es den rauesten Wegen unmöglich war, zwischen eine solche Verkettung von Umständen, Leder und Naht, zerstörend einzudringen.

Florian verfiel in allerlei Gedanken.

»Was muss in einem solchen Menschen für eine Freudigkeit wohnen«, dachte er, »sozusagen kein Helfgott rechts und links, sich alles selbst verdanken, Haus und Hof, Weib und Kinder und Sach' für alle; und wiederum, das Kind sein von so einem Vater – wie gut doch haben es viele Kinder!«

Es war die flammenrote Weste wieder, die Florians Auge auf sich lenkte und sein Denken störte.

Der Wittauer stand jetzt hinter seinem Obstgarten auf dem Hügel und sah nach verschiedenen Richtungen aus.

»Er schickt sein Augenlicht und seinen Westenschimmer den Kindern entgegen«, dachte Florian, und wirklich erschien jetzt eine Gruppe Menschen, aus Eltern und Kindern bestehend, am Saume des Buchenwaldes, fast zu gleicher Zeit eine ähnliche Gruppe auf dem Rücken der Dürnsteiner Höhe und eine dritte auf dem sogenannten Dreifaltigkeitsweg.

Die drei Gruppen oder Familien bewegten sich behaglich gegen den gemeinsamen Mittelpunkt und Familienstamm, den Wittauer, hin; die Kinder sprangen, Liliputanern ähnlich, hin und wieder.

»Da kommen sie vor der Kirche alle zusammen«, dachte Florian, »und erzählen sich das helle Blut in die Wangen, und jetzt bringt die Wittauerin die süß-braune Morgensuppe, den Kaffee, und saftige Zigeunerwangen, Pfingstkuchen dazu, und alles wird glückselig und alles, was eines sagt, ist recht, und der Wittauer hat keine Sitzruh' und legt die Arm' über'n Rücken und spackt die Stube hin und her und sagt nicht viel und aber lächelt bis über die Stirnfalten vor Vergnügen, denkt: meine Kinder, á fünfzehnhundert, und was sie noch erben; seine Zipfelmütz' ruft: mir wird zu warm, und er legt sie weg; und mittlerweile dampfen die Ulmerköpf', und die Weiber schreien: meinnot, es ist zum Versticken, Männer dampft barmherzig! Und sehen doch zitterselig auf; und die Mutter Wittauerin schenkt ein, und die Kinder springen herum, und der Großvater führt eins ums andere durch die Stube, und es ist ein Leben, eine Freude, eine Liebe und ein Glück – wie gut, wie gut doch haben es viele Menschen!«

Florian ließ seinen Kopf sinken, dann blickte er wieder auf und nickte gegen seine linke Schulter; er sah nicht fröhlich dabei aus.

Ein trübes Lächeln spielte um seinen Mund, als er sich erinnerte, dass er heute noch nichts gegessen habe und vor Mittag auch nichts genießen werde.

»Dafür habe ich eben andere mit Pfingstkuchen kommuniziert«, dachte er, um seine Heiterkeit wieder aufzurichten; es gelang ihm nicht sogleich.

Von der fernen Kirche tönte das erste Glockenzeichen, als Florian aus allerlei Gedanken wieder zu sich kam; es war im Dorfe belebt geworden.

Festlich gekleidete Kinder bildeten Gruppen vor den Häusern, dort und hier stand ein Bursch hemdärmelig auf dem Anger und rauchte in die stille Morgenluft, zwischen den Häusern lief hie und da ein weiblicher Kuriert mit fliegenden Haaren, um den Mädchen Zeit und Sammelplatz für den Kirchgang anzusagen.

Florian zog sich von seinem Fenster zurück, setzte den Hut auf und verließ sein Taubengemach.

Als er hinter sich zugeschlossen hatte, sagte er lächelnd vor sich hin:

»Es könnte sonst jemand was hineintragen wollen«, und das neue Schlüsselchen betrachtend, setzte er mit voller Heiterkeit hinzu:

»Wie rar, wie rar, sein eigener Herr sein!«

Unten wollte er eben das große Brettertor öffnen, als er durch eine Spalte gewahrte, dass sich drüben eben alles zum Kirchgang anschicke. Schüchtern hielt er inne und beschaute sich den Aufzug stille.

Der Hallhöfer trat aus der Türe; ihm folgte sein Weib.

Das Gesinde stellte sich ohne Schüchternheit respektvoll beiseite, und die Knechte lüfteten die Hüte.

Der Hallhöfer schritt ernst und langsam aus; groß, beleibt und im vollen Sonntagsstaat war er eine ansehnliche Erscheinung. Er ging, ohne rechts und links zu sehen, am Hause hin und war das lebendige Bild jener ernst-behaglichen Naturen, welche, mitten in bedeutendem Besitze, darauf verzichten, ihre Umgebung stets mit kleinlichem Befehlen in der Hetze zu halten.

Desto eifriger teilte die Hallhöferin vor ihrer Abfahrt große und kleine Denkmünzen aus.

Hier war die Türe nicht wohl verwahrt, dort lag ein Hausrat noch unsonntaglich vor den Blicken, dazwischen gab es vergessene Aufträge für die daheimbleibende Magd. Alles wurde aber ohne Strenge und offenbar deshalb vorgebracht, um noch einige Male Halt machen undzurücksehen zu können auf ihre erwachsenen Kinder, zwei Burschen und ein Töchterlein, welche hellfarbig prangend, zum Kirchengange bereit aus der Türe folgten. Mit der Aufmunterung, daheim und in der Kirche des zu denken, folgte sie »in Gottes Jesu Namen« ihrem vorangegangenen Manne.

Jetzt gesellten sich die beiden Söhne des Hauses zu den Knechten, und nicht ungeneckt flogen zwei Mägde nebst dem Töchterlein des Hauses an ihnen vorüber nach dem Nachbarhofe.

Florian ließ »das reiche Hauswesen« eine Strecke voran, drückte sich dann leise durch das Brettertor, nahm den Umweg durch den Obstgarten, wo er, über den Zaun steigend, die Richtung nach dem Pfarrdorfe einschlug.

Es war auch höchste Zeit.

Schon erklang das zweite Glockenzeichen. Auf Wegen und Stegen, aus Tälern, über Höhen wanderten Züge von Kirchgängern dem Gotteshause zu.

Florian wich von den belebten Wegen ab und ging durch das Birkenwäldchen dem Laufe des Mühlbaches nach.

Weich und lieblich spielten die Wellen der Lüfte um sein Haupt, klar und sänftlich lag der Sonnenschein auf Wald und Flur.

Florian fühlte sich in diesem Augenblick wieder von jener wundersamen Stimmung überkommen, als ob er alles Körperlichen ledig nur als Geist auf Erden wandle, alles sehend und hörend, selber nicht gesehen und nicht gehört.

Fernab schritten die Menschen in geselligen Scharen dem Gotteshause zu, er sah alle, er kannte jeden, er konnte den Inhalt der Gespräche erraten; wer aber mochte ihm erblicken, ihn beachten, wer mochte seine Gedanken erraten?

War es doch, als blicke die Natur verwunderten Auges auf den stillen Wanderer, der einst, als ihre Lüfte wüteten, ihr Wälder brausten und voll herbstlichen Entsetzens ihre Sterne erloschen, unbedeckten Hauptes Flur und Wald durchirrte und den Tod in grauenvollster Art zu suchen schien.

Ja, das Toben seiner Seele war groß gewesen, es hatte sich darum gehandelt, an schöne Güter des Lebens Leib und Seele zu klammern und sittlich zu Grunde zu gehen – oder entsagend, jene Güter als Ballast von sich zu werfen und arm, aber erleichtert, weinend, aber verklärt, das Rettungsufer zu besteigen. So war Florian schwer gestorben, um erleichtert fortzuleben, hatte anderen Schätzen entsagt, um sich selber besitzen zu dürfen –

»Florian ertrag's, sei still, ertrag's!« hörte er über sich in den Lüften, als er in wehmütigen Gedanken weiter ging ...

Eine Erscheinung passte so recht in Florians Gedanken.

Drüben auf der Dauberhöhe trat in diesem Augenblicke eine weißgekleidete Frauengestalt aus dem Tannenwalde und ging, indem sich ihre hochschlanke Gestalt vom Dunkel blendend abhob, am Waldsaume hin, bis sie den Kamm des nahen Hügels betrat und weiterschreitend wie eine überirdische Erscheinung den blauen Frühlingshimmel zur Folie hatte; nur das leise Wehen ihres Kleides ließ die maßvolle Bewegung der Erscheinung gewahren, hinter der zwei andere Frauengestalten in dunklen Kleidern folgten.

War sich Florian eben wie ein abgeschiedener Geist, der ungeseh'n auf Erden wandelt, vorgekommen, so schien er jetzt in die Gefilde der Seligen getragen, wo die Gestalten unserer Lieben, dachte er, in so duftiger Ferne und Verklärung uns zuerst erscheinen werden.

So dachte er seine selige Mutter im Jenseits entgegen kommen zu sehen, so hoffte er, wenigstens aus der Ferne, sein verlorenes Agathle wieder zu erblicken, so ... in welche Gedanken und Bilder verlor er sich nicht bei der Betrachtung!

Indessen war die weißgekleidete Frauengestalt auf ihrem Gange nach der Kirche bis auf den Fahrweg herabgekommen, welchen auch Florian bald betreten musste.

Es hätte dieser Näherung nicht bedurft, um Florian die wundersame Erscheinung erkennen zu lassen.

Er kannte sie wohl, die Bewunderung aller, die Sehnsucht Unzähliger, das Leid und Weh gar vieler: Liane Fribert war es, welche mit ihrer Mutter und Schwester das schöne Haus dort oben bewohnte, täglich in einem anderen Kleide zum Vorschein kam und ihr schwarzes Haar in immer neuen Windungen zu flechten und mit Blumen zu zieren verstand; hieß es ja, im Garten der Freu Rath könne man allmorgendlich ein leises Brausen vernehmen, da sich die Blumen um den Vorrang stritten, im Haar der Liane ihren Ehrenplatz zu finden, je es gebe Blumenschlachten, in deren Folge ganze Puderwolken von Duft über dem Garten schwebten!

Mochten nun solche Sagen immerhin als Scherze gelten, sie zeigte doch, wie sehr selbst dichterisch die Leute mit der Schönheit jenes Fräuleins sich befassten.

»Ist für sie nicht schon ein Paradies auf Erden?« dachte Florian, »so schön sein und so reich – wo man nur erscheint, auch schon das Wunder aller Augen sein: wie haben viele Menschen doch den Himmel schon auf Erden!«

Selbst die Mutter und Schwester des Fräuleins gingen wie ein zärtliches Gefolge hinter ihr, sorgfältig achtend, dass kein Stein den Fuß des Lieblings gefährde.

Florians Auge ruhte auf der Rätin Fribert.

Hier lebte eine Mutter, die ihr Kind vor Augen hatte, die wohl sagen durfte, die Freuden ihres Kindes seien ihr schönstes Glück, sie wünsche sich keine größere Seligkeit, als die sie habe.

Florian musste seiner mit Kindesaugen gesehenen Mutter gedenken.

Ging sie vielleicht unsichtbar hinter ihm her?

Wenn es den Seelen der Abgeschiedenen erlaubt ist, auf Erden ungesehen zu wandeln, wie muss da manche Mutter ihr armes Kind erblicken, dachte Florian.

Ein Flüstern glaubte er hinter sich zu hören – froh erschrocken blickte er um – »Mutter!« wollte er rufen, – aber es war nichts – ein Heidevogel hatte sich hören lassen, er flog jetzt auf und davon ... Da erklang das dritte Glockenzeichen, und Florian erwachte aus seinen Träumen; es tat Eile not.

Als Florian das Pfarrdorf erreichte, war die Gemeinde bereits in der Kirche versammelt; ein Blick auf die Turmuhr zeigte ihm, dass der Gottesdienst heute um eine volle Viertelstunde früher als sonst begonnen habe; der Grund dieses Umstandes sollte ihm auch bald ersichtliche werden.

Vor dem Pfarrhofe standen einige vornehme Wagen, und mehrere Kutschen in hellfarbigen Livreen gingen schweigsam zwischen den Wagen hin und her; unter dem Vordach des nahen Wirtshauses waren fünf Reitpferde angebunden, darunter zwei mit Damensätteln; nicht weit davon saß ein Reitknecht entblößten Hauptes auf einer Holzschichte und horchte andächtig den Klängen der Orgel; der Galajäger neben ihm, mit grüner Uniform und weißem Federbusch schien große Lust zu haben, statt auf den Gottesdienst zu achten, von hohen Herrschaften und »noblen Passionen« zu plaudern.

Florian war der Letzte, der durch den offenen Flügel des Haupttores in die Kirche trat.

Auch hier sah es heute zum Erstaunen verändert aus.

Was die Kirche an Schmuck aufzubieten hatte, war festtäglich aufgeboten. Kunstblumen und frische Gartenblüten, silberne und vergoldete Leuchter schmückten Haupt und Nebenaltäre, dunkelrote Samtstücke maskierten die Nebenwände des Hauptaltares und die Kanzel sowie auch einen der Kanzel gegenüber angebrachten, schön geschnitzten Betstuhl.

Hier saß ein noch rüstig und militärisch aussehender, bejahrter Herr mit grauen Haaren, die rings um die Stirne aufwärts strebten und einen natürlichen Lockenwall bildeten; das Gesicht war voll und von jener verwitterten Farbe, die bei gedienten Militärs häufig gefunden wird. Ein dichter Schnurrbart, wohl gestutzt, bedeckte die Oberlippe.

Der Herr – oder um ihn gleich als Grafen von Ahnrode, Ritter mehrere Orden und General außer Diensten, aufzuführen, war schwarz gekleidet; ein Ordensband im Knopfloch machte sich bemerkbar.

Im Ganzen schien die ernste, ungezwungen-straffe Haltung des Grafen eine weltliche Autorität darzustellen, vor welcher wie vor einem ehrwürdigen Mittelpunkt die Umgebung rücksichtsvoll oder gezwungen zurückzuweichen pflegt. Die linke Hand in blendend weißen Glaceehandschuhen auf dem Samt des Betstuhls ruhen lassend, blickte der Graf gegen die Kanzel auf, ohne den Prediger anzusehen, sein Auge fixierte vornehmer Weise überhaupt keinen bestimmten Gegenstand.

In gemessener Entfernung rechts und links vom Betstuhle des Grafen standen zwei feingekleidete Diener, der eine ein Andachtsbuch für Se. Exzellenz in Händen haltend, der andere mit der Bestimmung, nach geendigter Predigt den Pult des Betstuhles für das Andachtsbuch geräuschlos und ehrfurchtsvoll aufzuschlagen.

Einige Schritte hinter dem Betstuhle des Grafen waren an der Wand zwei längere und durch einen Zwischenraum getrennt Betstühle angebracht, in deren einem zwei junge Damen, die Baronessen von Täuler, im anderen eine ältere Dame Platz genommen hatten.

Auf dem Emporium rechts vom Altare saß zuvorderst der junge Graf von Ahnrode; hinter ihm eine Anzahl Herren mit und ohne Kopfhaare.

Drückte sich an gewöhnlichen Sonntagen die andächtige Gemeinde bis an den Hauptaltar vor, so war heute der ganze Vorderraum der Kirche von der Kanzel herüber durch ein Gitter abgesperrt und das Volk gezwungen, in respektvoller Ferne entweder seiner Andacht nachzuhängen oder die fremde Welt vor sich mit starren Blicken anzustaunen.

Um den Wundern des Tages gerecht zu werden, wusste der Prediger aus dem scharfzeichnenden Inhalt des Evangeliums jene flachen Moralgesetze abzuleiten, welchen das Gemüt des Menschen bequemlich folgt, ohne sich die Sohlen wund zu ritzen; mit einem Worte: der Prediger hielt eine diplomatische Kanzelrede, welche im Ganzen etwas sagte und auch nichts, offenbar die weltliche Autorität im samtbehangenen Betstuhle mehr als den Erlöser am Altar im Auge hatte, ohne ihr gerade durch zu platte Nahelegungen unangenehm zu werden; es war »Wolle gedengelt« wie das Volk zu sagen pflegt.

Das Hochamt sollte am Glanze des Tages die Krone aufsetzen.

Denn während am Altare Messgewänder, Monstranz und Blumen und Lichter das Auge vollauf anzogen, erquickten vom Emporium her die Orgel und die Kapelle des Grafen das Ohr mit angenehmen Harmonien weltlicher Kirchenmusik.

Bei alledem war die Zeit der überraschenden Feierlichkeit doch knapp bemessen.

Nach Verlauf einer Stunde sang der Priester das »Ite missa est«, die Segenerteilung erfolgte, es verstummten Spiel, Gesang und Glockenklingen, und durch Weihrauchwolken verließ der Priester den Altar.

Eine Pause tiefster Stille folgte.

Die Umgebung des Grafen erwartete ehrfurchtsvoll ein Zeichen des Aufbruchs; das Volk blieb neugierig stehen, um zu sehen, was folgen werde.

Jetzt ein Blick des Grafen, und der eine der Diener sprang herzu, um das Andachtsbuch zu schließen und in Empfang zu nehmen, während der andere den Pult wieder schloss, hierauf eilten beide Diener durch die Seitentüre ins Freie, um Kutscher und Reitknecht zu alarmieren. Noch ein Augenblick und Se. Exzellenz erhob sich rasch und ging festen Schrittes am Altar vorüber der Seitentüre zu, ihm folgten die Damen, während die übrige Begleiterschaft des Grafen vom Emporium herab sich eilig anschloss. Nun entstand auch große Gärung des Volkes am Haupteingange, alles wollte rasch ins Freie gelangen, hinderte sich aber umso mehr, so dass gar viele erst durchs Tor gelangten, als Wagen und Reiter bereits von Staubwolken umhüllt von dannen jagten ...

»Nun ist Platz für unsern Herrn und ein stilles Vaterunser«, dachte jemand, der allein in der Kirche zurückgeblieben und im fernsten Winkel der Kirche hinter einem Beichtstuhle Posto gefasst hatte; es war Florian.

Das ganze Schauspiel des Gottesdienstes hatte ihm alle Andacht so gestört und ihm fort und fort so viele weltliche Gedanken zugetrieben, dass er es auf Gnade und Ungnade der Barmherzigkeit Gottes überlassen musste, ihm seine verworrene Andacht zu vergeben. Es war ihm jetzt, als träte Christus ungehalten aus dem Altarbilde und schritte schweißtrocknend durch die wallenden Weihrauchwolken, um Fenster und Türen der heiligen Räume seines Hauses mit so viel weltlichem Gepränge erfüllt hatten ; und es war ihm als rede Christus: »Wem hat das alles gegolten? Mir oder einer Herrschaft dieser Welt?«

Florian nickte und dachte sich hinzu:

»Ja, ja, das ist der Mühe wert zu fragen; Gott hätte heut mit seinem vier Altarkerzen und gesungenem Hochamt zufrieden sein müssen, aber Seine Exzellenz ist dazugekommen, und das hat zum Übrigen verholfen.«

Indem Florian noch eine kurze Andacht beginnen wollte, entdeckte er zu seinem Schrecken, dass er sein Gebetbüchlein während des Gottesdienstes verkehrt gehalten, und voll Verlegenheit schloss er es und verließ die Kirche, denkend:

»So unwürdig ist kein Bleiben mehr vor Gott dem Herrn!«

Draußen hatte sich das Volk indessen nach allen Richtungen zerstreut; die Herrschaften zu Pferd und Wagen hasteten eben über die Rottensteiner Höhe, die Schleier der Reiterinnen wallten und spielten im Winde; drüben auf der entgegengesetzten Seite, der Dauberhöhe zu, schimmerte das weiße Kleid der schönen Liane Fribert, während die Wogen des Volkes, je weiter vom Pfarrdorf, sich in kleinere Wellen zerschlugen und in Dörfer und Weiler verliefen.

Florian war der letzte Wanderer nach Maltern.

Seine Gedanken waren wieder dieselben, die ihn heute schon beschäftigt hatten: er suchte sich ein Leben der Freude zu vergegenwärtigen, wie es z.B. Seine Exzellenz, der Graf, zu führen im Stande war, den das Glück mit Reichtümern, Ehren und Würden überschüttet.

Hatte sein Erscheinen in der Kirche nicht die Gegenwart Gottes verdunkelt, den Prediger weltlich bezwungen, die Augen des Volkes vom Altare auf sich gelenkt?

Und daheim! War es nicht ein Zauberschloss, das er bewohnte? Für jeden Befehl stand ihm ein dienstbarer Geist, für jeden Wink ein fliegender Diener zu Gebote! Ja, alles, alles hatte er! Konnte das Freudenfeuer seiner Seele je verlodern?«

Wohl hatte der Prediger mit vorsichtigen Winken auf den Lohn der Armen in jenem Leben hingedeutet, aber Florian entbrach sich nicht zu denken: Können die Reichen denn nicht aus selig werden? Wird es da nicht vom Armen im Jenseits wieder heißen:

»Ei, Michel, blitz', Michel schieb' Wolken, Michel zünd' Sternle an, Michel nimm d' Gießkann', lass regnen?«

Indem er sich dieses Bild vergegenwärtigte, spielte ein Lächeln um seinen Mund, das die alte Walburga, vor deren Haus er eben ankam, für ein freundliches Willkommen nahm, weshalb sie sagte:

»Heute so munter, Florian? Uns so spät? Das Essen ist völlig kalt geworden!«

Walburga war Florians Wirtin an Sonn- und Feiertagen, wo er weder Arbeit noch Freitisch hatte; dafür zahlte er ihr von seinem Lohne ein Geringes.

Walburga war Besitzerin eines Feldstückes und des Häuschens mitten im Dorf, hatte keine Kinder, wie sie oft mit Wehklagen sagte, da ihr einziges Kind, ein Sohn, bald nach ihrem Manne in einem Alter von sechs Jahren gestorben war. Als ihr Florian vor einigen Monaten die Bitte vortrug, ihm gegen Vergütung an arbeitsfreien Tagen ihr bescheidenes Tischlein zu decken, da ging sie gerne daruf ein, weil sie steif und fest behauptete, wenn ihr Söhnlein leben geblieben, müsste es dem Florian ähnlich sehen. Daher die Sorgfalt, ja der Aufwand der Alten für den Gast, der an solchen Tagen manchmal stille dachte: »Wär' sie meine Mutter! Hätte ich so eine Mutter!«

Florian sollte heute besonders überrascht werden.

Wie am ersten Festtage des Jahres fand er das Tischchen besetzt, und als er den Krug an die Lippen setzte, entdeckte er Bier statt Wasser darin.

Er stellte ihn erschrocken wieder hin; aber Walburga sagte, geheimnisvoll lächelnd:

»Trink nur, Florian, trink; es geht auf den Namenstag von meinem Sohn!«

Sie schenkte sich selbst ein Gläschen voll, und so trank auch Florian und war bald wohl gesättigt, wurde ungewöhnlich heiter, und beide redeten sich rote Wangen.

Im Dorfe ward es inzwischen wieder lebhaft. Burschen und Mädchen sammelten sich auf Angern und Wegen; Flöten- und Geigentöne klangen aus den Fenstern des Hahnenwirts. Bald kam auch Bewegung in die Gruppen. Die Burschen gingen geradeaus den nächsten Weg dem Hahnen zu; die Mädchen zögerten und drückten sich auf Seitenwegen hinter den Häusern bis an die Fenster und Türen des Wirtshauses.

Als es von dorther bereits in voller Lustigkeit lärmte, trat endlich auch Florian aus Walburgas Türe.

Alle Sinne zu heiterer Spannung, war es kein Wunder, wenn in seinem Herzen bei den Klängen aus der Ferne Regungen erwachten, die ihn einst so stürmisch ins Getümmel des Tanzes getrieben. Zähle er doch auch an Jahren nicht höher als mancher der Burschen, die sich jetzt im Takte schwangen. Aber er war's nun schon gewohnt, Versuchungen jeder Art zu meistern; ein flüchtiges Denken an die Schmerzen, die mit jenen Freuden zusammenhingen, reichte hin, Florians Schritte aus dem Dorfe zu lenken und seiner Stimmung jene milde Weihe zu geben, die uns bewog, ihn trotz einzelner Rückfälle der Wehmut einen Glücklichen zu nennen ...

Aber was war das?

Florian hatte die Stube der Walburga kaum verlassen, als die Kammertüre sachte aufging und eine bejahrte Zigeunerin, ihr Kind an der Hand, hervortrat, gefolgt von einem Herrn des Amtes.

»Nun denn?« fragte der Beamte die Landstreicherin: »Ist er's? Habt ihr ihn als denselben erkannt?«

Die Zigeunerin nickte mit seltsam lodernden Blicken:

»Ja, ja, ja! Gesicht, Aug', alles, alles; ich will Hand und Zunge verlieren, er ist's, ich schwör', er ist's!«

Der Beamte erwiderte:

»Gut. Walburga, ihr müsst das Weib da bis zur Nacht behalten. Der Schulze wird einen Mann bestellen, der wird sie bewachen. Kein Mensch darf sie sehen und mit ihr sprechen, außer er hat einen Befehl vom Amt oder Schulzen.«

Walburga nickte nur mit dem Kopfe, denn sie konnte nicht reden.

»Ferner«, fuhr der Beamte fort, »ferner ist euch alles wie einem Priester in der Beichte vertraut. Ihr geht heute nicht mehr von euerm Hofe weg; sprecht auch mit niemand mehr; der Mann, der das Weib bewachen soll, wird auch euch im Auge haben!«



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