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Sie ging in Gold und Seide
Mit Blumen und Geschmeide,
Das ward zu großem Leide.
Uhland.
Ein Vöglein erhascht einen Bissen, fliegt froh und ängstlich abseits von den Genossen, die es verfolgen könnten, setzt sich auf das Brunnendach, auf den höchsten Zweig des Apfelbaumes oder auf den First des Daches und möchte triumphierend aller Welt den Leckerbissen zeigen; aber besorgt, ein neidisches Auge, einen räuberischen Schnabeldegen anzulocken, vermeidet es jedes Geräusch und freut sich nur, den Mund gestopft zu haben, weil es seine Freude sonst gar laut der Welt ausplaudern würde.
So hatte Florian wieder Erwarten eine Freude erlebt, welche ihn tief bewegte; jeden Augenblick saß ihm das Geständnis seines Glückes auf den Lippen, aber der Gedanke, dass kein Mensch auf Erden verstehe, warum einige Worte, an ihn gerichtet, eine solche Wirkung auf ihn übten, ließ ihn schweigen und sein Glück für sich genießen.
Der folgende Tag war ein Feiertag der Kirche, und für die Stimmung Florians hatte das sein Gutes und sein Schlimmes.
Er konnte am Nachmittag aller Gesellschaft entfliehen, konnte sein Glück vor den Menschen verbergen, konnte ungehindert seiner Freude erlauben, ihre Flügel voll und rauschend zu entfalten; aber der Mensch der Arbeit trägt in seinem Schmerz wie in seiner Freude nicht gerne seine Arme müßig über Feld; Florian hätte gewünscht, heute arbeiten zu können, um den Drang der Seele durch Arbeit abzuleiten; er hätte einen Urwald ausgerodet, er hätte ein Gebirge umgegraben.
Ist es nicht ein Gedanke voll Wehmut, dass ein Mensch so weit gebracht werden kann, über ein paar freundliche Worte, mit wohlwollender Stimme gesprochen, vor Freude außer sich zu geraten?
Und doch, wunderbare, zärtliche Fürsorge der Natur, die ein verwundetes Herz auch für den Balsam empfänglicher macht und dem Ärmsten noch Freuden bereitet, größer als die teuer erkauften Freuden eines stetig-üppigen Glücks!
Florian kam des Nachmittags im Eifer seiner Wanderung auch am Fuß der Dauberhöhe vorüber und wurde da plötzlich durch Saitenklänge erinnert, in wessen Nähe er sich befinde.
Da droben stand das Haus der Rätin Fribert; ein flüchtiger Blick zeigte Florian auch einen Teil der Gesellschaft, welcher sich im Hause der Rätin eingefunden hatte.
In der Mitte des Balkons, an der Brüstung, stand Liane Fribert in rosenfarbenem Kleide, schön wie immer und eingerahmt von Blumengewinden; sie blickte ruhig in die Gegend und schien einige junge Männer in den Künsten der Geselligkeit ohne Zeichen des Beifalls oder Missfallens sich abmühen zu lassen; die Saitenklänge kamen aus dem Balkonzimmer des Hauses oder aus dem Garten, wohin sich ein Teil der Gesellschaft verloren hatte.
Florian hatte genug gesehen, um jenes leise Schauern seiner Seele wieder zu fühlen, welches gewöhnlich in die Worte ausbebte:
»Sie haben alles!«
Er blickte nicht mehr auf zu diesem Tempel der Verklärten, wie ihn dünkte; er hastete dem Birkenwäldchen zu, die Augen auf dem Boden.
Schon einige Male hatte ihm die Luft ein Stück Papier vor die Füße geweht oder vor ihm hergetrieben, er hatte es bei Seite gestoßen und nicht weiter betrachtet, nun war es plötzlich wieder da, und Florian, um es endlich los zu werden, setzte die Fußspitze auf eine Ecke des Blattes, bückte sich und hob es auf in der Absicht, es zu einem Ballen zu pressen und feldein zu werfen; allein das Blatt war so fein, wie er noch keines gesehen, und verbreitete einen wundersamen Veilchengeruch; er betrachtete es genauer und sah, dass es von schöner, klarer Hand beschrieben war. Jetzt wurde er versucht, das Geschriebene auch zu lesen, und indem er langsam in die Schatten des Birkenwäldchens trat, las er mit einiger Mühe folgenden Inhalt:
»Verehrtestes Fräulein!
Ich weiß, was ich wage, indem ich diese Zeilen niederschreibe. Ich will meine Hoffnungen prüfen und setze vielleicht die letzte aufs Spiel; ich verabschiede Glauben und Hoffen, um zu wissen und stürze vielleicht von dem Felsen der Gewissheit mein bestes Glück. Aber es muss zur Entscheidung kommen; es komme denn, was da wolle.
Dass ich Sie liebe, teure Liane, was erwähn' ich das nur? Wer sähe sie und liebte Sie nicht? Wer käme wallfahrend wie ich, mit der Schwärmerei der Andacht in den Blicken, in das Haus Ihrer Mutter, um Sie, das Bild seiner Heiligen, das Ziel so vieler begeisterter Pilger, aufzusuchen, ohne Sie zu lieben?
Nicht die Zuversicht des Sieges, o teure Liane, die Furcht vor mir selbst, vor dem wachsenden Drängen meiner Seele, ist es, die mich antreibt, ein Wort der Entscheidung über das Wohl und Wehe meines Herzens auf Ihre Lippen zu rufen. Sprechen Sie dieses Wort, sprechen Sie es ohne Rückhalt – sprechen Sie es, wenn es sein kann, mit jener Wonne des Blicks, die den Lauten der Verheißung vorauseilt: sagen Sie – dass Sie mein sein wollen!
Ich ermesse ganz, was ich verlange.
Sie sollen von allen Verehrungen fortan einer Verehrung, von all Ihren Siegen fortan einem Siege, von allen Freuden des Lebens der ersten und vorzüglichsten an der Seite eines auserwählten Mannes Ihren Preis gewähren; lassen Sie mich wissen, ob ich zu meinem Wohl oder Weh, zu meiner Wonne oder zu meiner Pein es gewagt habe, Sie zu einer Entscheidung zu drängen ... In drei Tagen ... nächsten Sonntag ... O werde ich diesen Tag erwarten könne? ... Werde ich kommen um eine ersehnte Antwort zu erhalten? ...«
Florian hatte gerade noch Zeit, den Namen »Julius Lemming« unter dem Briefe zu lesen, ein Geräusch aus einiger Ferne störte ihn soeben.
Er blickte auf. Ein Wagen hielt im Wäldchen.
Ein junger Herr stieg aus, zeigte dem Kutscher die Richtung, welche er weiter fahren solle, dann trat er aus dem Wäldchen und ging auf einem Wiesenpfade dem Haus der Rätin Fribert zu.
Er schien nicht sehr zu eilen.
Sie es, dass er noch eine Weile den Schatten des Wäldchens genießen wollte, sei es, dass ihn eine Sorge zögern machte, das Haus der Rätin Fribert zu betreten, er verließ zu wiederholten Malen den geraden Weg, um den Krümmungen des Waldsaumes zu folgen; auch wechselten Blass und Rot auf seinen Wangen wie bei einem Menschen, dem die nächste Stunde ein großes Glück oder Unglück bringen muss.
Florian war ihm ausgewichen und wollte sich eben weiter durchs Gebüsch drücken, als ihm ein heftig schlagender Zweig das Briefblatt aus den Fingern riss und eine Strecke weiter schleuderte.
Er erschrak, er wusste kaum warum, und wollte dem Blatte nachspringen; allein der Luftzug hatte es bereits erfasst und trug es rauschen gerade dem jungen Manne entgegen, der eben näher kam.
Der junge Mann sah das Briefchen daher flattern, setzte, als es ganz nahe war, die Spitzen seines Stockes darauf und hob es dann empor, um zu sehen, welcher Art der Inhalt des fliegenden Blattes sei.
Eine tiefe, schreckhafte Blässe trat im nächsten Augenblick auf seine Wangen; seine Hände fingen an wie im Fieber zu zittern; um nicht hinzusinken, fasste er den Stamm einer Birke, die von der Heftigkeit, mit welcher sie erfasst wurde, bis zur Krone schütterte.
Dann, nach wenigen Augenblicken des seltsamsten Kampfes, erhob der junge Mann seinen Blick und schien dasjenige Wesen zu suchen, aus dessen Händen dies Blatt Papier gekommen.
Niemand war zu sehen noch zu hören.
Da wendete sich der Blick des jungen Mannes langsam nach der Höhe, auf welcher das Haus der Rätin Fribert stand, er zuckte schmerzhaft in sich selbst zusammen, sein Auge wurde feucht, es wurde nass, und zwei Tränen rangen sich durch seine Wimpern.
»Mein Brief! Mein Brief!« rief er aus – »Und hier muss ich ihn finden, ein Spiel der Winde, jedem ungeweihten Auge vorgeworfen, von ihr nicht höher angeschlagen, als es diesem Spiel und Hohn vor aller Welt! ... Dieses Zeichen«, fuhr er nach einer Weile fort, »soll es mir voraus verkünden, was ich zu hoffen, was ich zu erwarten habe? Wehe, dann habe ich ausgehofft und meines Glückes Ende – es ist eingetroffen!«
Er lehnte den Kopf an den Stamm der Birke und ließ das Auge starren Wehs am Boden haften.
Aber seltsam nahe wohnen in der Menschenbrust der Glaube und der Zweifel, die Zuversicht und das Verzagen!
Aus dem Garten der Rätin wurden eben Stimmen hörbar, die Gesellschaft schien sich nach der nördlichen Seite des Hauses zu begeben, und bald erschien – Liane, wie eine Lichterscheinung, an dem Saum des Gartens und blickte nach der Richtung, welche Julius eben kam.
Dieser erbebte.
Liane schien ihn also zu erwarten, nach ihm auszublicken! War ein Glück wie dieses möglich? War's ein Glück von dieser Welt? ...
Er fühlte keinen Boden mehr unter seinen Füßen; die Wiese lag hinter ihm, der Bach war überschritten – noch stand Liane unbeweglich am Saum des Gartens, er zweifelte nicht mehr, er sei erwartet, er sei ersehnt! Ein schlimmer Zufall hatte ihr den Brief entrissen, sie hatte ihn verloren ohne Wissen!
So denkend, wonneschaudernd, ging er den Wendelsteig hinauf, dem Haus der Rätin – Lianen entgegen ...
Inzwischen setzte Florian seine Wanderung rüstig fort.
Er überschritt den Forellenbach, stieg über einen Hügel, den Steinrüttel und erreichte bald darauf den Saum der großen Buchenwaldung, von wo er nach kurzer Rast ins Dunkel der Waldesschatten trat und erfreut über den schmetternden Gesang, der sich von Baum zu Baum die Wand des Berges entlang entzündete, den höchsten Punkt der Gegend zu ersteigen begann.
Als er einige Wendungen des aufstrebenden Waldweges hinter sich hatte, gewahrte er an einer Seite des Berges Wagen und Reitpferde, daneben Diener und Kutscher und nicht weit davon eine Gesellschaft von Herren und Damen, welche in Gruppen auf liegenden Baumstämmen saßen oder scherzend hin und wieder gingen.
An dem Baumästen hingen Shawls, Hüte, Säbel und Offiziersmützen; an dem Gesträuch herum Fächer, Sonnenschirme und andere Gegenstände dieser Art.
Florian war sicher, nicht gesehen zu werden; daher lehnte er sich an eine Buche und sah dem für ihn fremdartigen Treiben eine Weile zu.
Er musste lächeln.
Er gewahrte eine leichte Rauchsäule, die von einem Herd am Felsen aufstieg, und am Herde taten einige Damen sehr geschäftig, Holz und Reisig nachzulegen und Töpfe ans Feuer zu rücken, wahrscheinlich um Tee oder Kaffee zu bereiten, während die Herren mit und ohne Uniform ab und zu gingen und reichlich Beifall zollten.
Zwei Kammerjungfern standen, endloser Befehle gewärtig, in der Nähe und hielten weiße Handtücher bereit, da die geschäftigen Damen ihre Hände so oft in Wasser tauchten und wieder trockneten, als sie ein Splitterchen Holz ins Feuer legten oder den Henkel eines Topfes berührten.
Zwei von den Damen waren in blauen Reitkleidern und nahmen sich in dieser Rührigkeit mit weißen Schürzchen reizend genug aus.
Florian erkannte in ihnen die Baronessen Täuler; er dachte lächelnd:
»So spielen, alle heilige Zeit einmal, ist eine Arbeit wie ackern durch eine Rahmschüssel und mähen durch Braten und Pfannkuchen.«
Leise redend setzte er hinzu:
»So eine Spielarbeit ist nur die Ausrast von den ewigen Feiertagen; – ja, ja, die haben auch, was sie brauchen – den Himmel schon auf Erden!«
In diesem Augenblick hörte er lustige Stimmen aus dem Gebüsche dringen und erriet, dass einige der Gesellschaft in der Richtung sich näherten, woher er selbst gekommen war. Erschrocken eilte er den Bergpfad weiter und wollte nach geraumer Wanderung eben die Spitze des Berges betreten, als er abermals verscheucht, einige Schritte zurückfuhr, um von einem Teile der Gesellschaft, der sich's hier bequem gemacht hatte, nicht gesehen zu werden.
Also war hier auf keine Weise seines Bleibens.
Nach einigem Verschnaufen setzte er daher bergab seine armen Beine wieder in Bewegung.
»Bauer, spazier' nicht über deinen Acker Land hinaus«, dachte er lächelnd und kam nach längerer Flucht auf einer Waldwiese am Fuß des Berges durstig und müde an.
Der Schatten einer Buche und das Rauschen einer Quelle luden ihn gastlich ein, er ließ sich auch nicht zwei Mal winken, saß hin, schöpfte mit dem Hutschirm aus der Quelle und streckte sich dann behaglich auf den weichen Rasen.
Ein Schläfchen überraschte ihn und dauerte lange, denn er hatte die vorige Nacht kaum ein Auge zugetan; als er wieder erwachte, ersah er an der Länge der Schatten, dass der Abend nahe sei und dass es nötig werde, heimwärts aufzubrechen.
Aber noch ein anderer Umstand bewog ihn, seine Ruhestelle eilig zu verlassen.
Von dem Hause der Rätin Fribert her bewegte sich ein Wagen langsam und bedächtig, als hätte er einen Schwerverwundeten zu befördern. Es war der Wagen jenes jungen Mannes, mit welchem Florian das Briefabenteuer bestanden, ihm wollte er nicht zu Gesichte kommen, darum eilte er von dannen!
Aber diese Flucht wäre nicht nötig gewesen, um unbemerkt zu bleiben. Julius Lemming war verwundet, nicht am Körper, aber aufs Tiefste an der Seele, er hätte Florian dicht vor seinen Augen nicht gesehen, da er nur sie immer vor Augen hatte, sie, Lianen, welche seine Bewerbung abgewiesen, welche sein Herz tödlich verwundet hatte ...
Auf dem Heimwege sollte Florian noch einmal in großen Schrecken versetzt werden.
Er hatte die Waldung bereits hinter sich und dämmerte auf ebenem Felde in Gedanken seines Weges, als mit einem Male ein gewaltiges Getöse hinter ihm aus dem Dunkel der Buchenwaldung drang; bald darauf brach ein Geschwader von Reitern und Reiterinnen wie die wilde Jagd ins freie Feld hervor und mit verhängten Zügeln in der Richtung weiter, die Florian eingeschlagen hatte. Dem Luftgeschwader zu Pferde folgte eine Reihe von Wagen, nicht viel weniger jagend als jenes.
Florian warf einen erschrockenen Blick hinter sich und ermaß die ganze Gefahr seiner Lage.
Es war nicht leicht ein Ausweichen nach rechts oder links möglich, denn die wilde Jagd kam ebenso schnell als in ungeregelter Breite dahergeflogen. Nichts blieb übrig, um dem Tode oder einer schweren Verletzung zu entgehen, als unverzüglich auf den Boden hinter einem nahen Steinhaufen hinzustürzen und Hufe, Lärm und Gelächter hoch über sich wegfetzen zu lassen.
So geschah es auch.
Florian lag noch kaum hinter dem Wall von Feldsteinen, als es pfeilschnell über ihn wegflog; Hufe, Sporen, flatternde Kleider spielten und glänzten über ihm dahin, denn man war nicht gesonnen, einem so kleinen Hindernisse wie diesem Steinhaufen auszuweichen.
Als auch die Wagen rechts und links vorüber waren, erhob sich Florian wieder und reinigte sich mit einem Schnupftuch Jacke und Beinkleid von Staub und Pferdeschaum; sein Hut war ihm verloren gegangen, er fand ihn einige Schritte von den Steinen zum Glücke unverletzt.
Als Florian so zurechtgebracht dastand, blickte er der lärmenden Schar, die in Staubwolken gehüllt, weiter flog, eine Weile schweigsam nach. Wie hier Menschen über den Menschen auf tobenden Pferden hinweggesetzt hatten, so auf gespornten Vorurteilen sieht man noch täglich auch in der moralischen Welt den Menschen über den Menschen verächtlich hinwegsetzen.
Florian dacht nicht weiter über solche Dinge.
Was er eben erlebt, war ihm eine Tatsache, aus welcher wohlbehalten zu sein ihm einfach als Glück erschien.
Er ging stille weiter.
Als die Sonne eben im Untergehen war, stand er wieder auf den kleinen Höhe hinter dem Dorfe, sein Schrecken hatte sich in Freude über seine Rettung verwandelt; er zog den Hut und blickte der flammenden Abendsonne nach, deren wunderbarer Anblick ihn schon so oft durchschüttert hatte; dann ging er langsam dem Dorfe zu.
Florian gedachte unbemerkt an das erste Haus zu gelangen, und seine luftige Taubenwohnung zu erreichen, allein dies sollte nicht gelingen. Denn als er in die Nähe des Hallhofes kam, vernahm er schwere, gemessene Schritte, und als er umblickte, sah er eine ansehnliche Mannsgestalt, welche hinter ihm daherkam; es war Hallhöfer.
Dieser musste weiter gewesen sein, denn er hatte seinen langen Sonntagsrock an, und seine Schritte hielten jenes halb müde, halb gemächliche Maß, welches sich einstellt, wenn man nach längerer Wanderung dem Heimatherde nahekommt.
Florian wollte eilig hinter eine Wand entweichen, nicht aus Furcht, sonder aus Respekt vor Hallhöfer, den er in seinen Gedanken nicht stören wollte. Allein es war zu spät; der Hallhöfer hatte ihn gesehen. So trat er denn mit schüchtern-frohem Lächeln ins Angergras, um den Hallhöfer den glattgetretenen Fußweg vorüberzulassen, lupfte die Lederkappe und sagte:
»Guten Abend.«
Der Hallhöfer ging seines Weges, nicht schneller, nicht langsamer als zuvor, mit etwas gesenktem Haupt und die Augen in abgemessenen Zwischenräumen auf und niederschlagend. Er bot nach Florians Gruß den Kopf nicht seitwärts, sagte auch nichts, sondern ging ruhig weiter und hatte auf dem ernsten üppig-runden Gesichte nur jenen heiteren Schein des Behagens, der bei beleibten gutmütigen Leuten so oft statt eines freundlichen Dankes hingenommen werden muss.
Florian kannte das, erwartete auch gar nicht, dass ihm der Hallhöfer die Aufmerksamkeit eines förmlichen Dankes erweisen werde; er trat daher, als der Hallhöfer vorüber war, wieder aus dem Angergrase und folgte mit bedächtigen Schritten in ehrfurchtsvoller Entfernung dem Hallhöfer nach; sie hatten doch einen Weg.
Erst als Florian gar nicht mehr daran dachte, dass der Hallhöfer etwas reden würde, sagte derselbe, ohne zurückzublicken oder seinen Schritt zu ändern:
»Florian!«
Dieser legte die Hand an die Mütze, sprang einen Schritt vor und horchte mit vorgeneigtem Ohr, was der Herr Hallhöfer fragen oder sagen würde –
Aber Pause – tiefe Stille.
Der Hallhöfer ging den gleichen Schritt wie früher, sah wie zuvor nachdenklich auf und nieder, und es war nicht abzusehen, welcher Art das sein werde, was er dem Florian sagen wolle.
Sie gingen über den Bach, sie kamen in den großen Raum des inneren Hofes – aber immer noch nichts; immer noch Stille.
Florian hätte eigentlich von da an rechts über den Hof hin seiner Wohnung zugehen sollen; allein in Erwartung dessen, was Hallhöfer zu sagen habe, folgte er diesem bis zum großen Wohnhaus hin, die Hand an der Mütze, das Ohr zum Hören vorgeneigt.
So waren sie an der vorderen Seite des Hauses vorübergekommen, der Hallhöfer öffnete ein Gartenpförtchen, trat unter die Bäume, klopfte an ein Kammerfenster, es wurde eine Türe aufgetan, und er verschwand im Hause, ohne ein Wörtlein weiter zu sagen.
Florian stand einige Augenblicke da wie ein vergessener Posten und wusste vor Unruhe nicht, ob er gehen oder ob er noch eine Weile bleiben solle.
Endlich ging er – hielt aber noch einmal an, um zu horchen, ob der Hallhöfer nicht das Fenster öffnen und das Vergessene heraus sagen würde.
Nein, nichts; es blieb stille.
Nun sollte er es wohl morgen erfahren. Florian war im Ganzen erfreut, vom reichen Hallhöfer bemerkt, ja sogar bei Namen genannt worden zu sein; selbst wenn er ihm auch morgen nichts zu sagen haben sollte, war doch schon die eben erlebte Auszeichnung groß genug.
Er schrieb dieses neueste glückliche Ereignis dem Ansehen seines Freundes Friedländer zu, der ihn Tags zuvor so unvergesslich gewürdigt hatte.
Nun gelangte er ohne weiteres Hindernis an das Nebengebäude, öffnete vorsichtig das leider immer so unleidlich knarrende Tor, stieg die Leitertreppe hinauf und freute sich wieder wahrhaft seines Taubenschlages, seiner »eigenhändigen« Wohnung, wie er manchmal lächelnd zu sagen pflegte.
Indem er das blanke Schüsselchen vergnüglich im Schloss drehte, fiel sein Blick auf eine Schüssel neben der Türe, er sah genauer hin und fand ein riesiges Butterbrot darauf, das ihm offenbar die Walburga geschickt hatte.
O, das kam ihm wohl zurecht! Er nahm das Brot in den Taubenschlag und hielt eine Mahlzeit, wlche an Behagen ihren Gleichen sucht. Dann setzte er sich gestärkt und dankbar seiner Wirtin denkend auf das Bett und sah noch lange durch das runde Wandloch, sein einzig Fenster.
Auf einmal erfüllte ein dumpfes Krachen weitumher die Luft.
Es kam aus der Richtung des gräflichen Schlosses. Zu gleicher Zeit erhob sich dort ein scheibenförmiger Schimmer, welchen nacheinander himmelstürmende Schwärmer, Raketen, Leuchtkugeln und farbenwechselnde Feuersterne durchschossen.
Jede dieser Erscheinungen endete mit Kanonenschlägen oder knatternden Gewehrsalven.
Florian sah sich die Sache schweigend an und sagt dann:
»Wozu so viele teure Sachen verpuffen? Wer die liebe Gottessonne untergehen sieht, hat ein Feuerwerk, wohlfeiler und viel, viel schöner.«
Er ging schlafen.
»Mein Gott«, dachte er, schon im Bette, »wie froh bin ich, dass morgen wieder ein Tag zum Arbeiten kommt; da haben doch die Fäuste was zu raufen. Ich bin heute abgerackert wie ein Ackerpferd und hab' doch nichts geschafft. Wie gut sind wenige Feiertage!«
Er hatte das kaum vor sich hingesprochen, als ihm auch schon die Augenlider zufielen ...
So einfach und ganz ohne Vorzeichen war eine Nacht herangekommen, welche für den wunderlichen Burschen einen Wendepunkt von außerordentlicher Bedeutung bezeichnete.
Liebt es doch das Schicksal oft wie die Natur, ihre gewaltigsten Kundgebungen kurz vor ihrem Ausbruche wie mit diplomatischer Vorsicht geheimnisvoll zu verschleiern ...