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Glück! Was ist Glück? Ein buntes Farbenspiel
von Wünschen, in welche sich der Mensch
den sonnigen Begriff zerlegt.
Es gibt noch glückliche Menschen.
Sie leben freilich nur einzeln auf den Bergen und spärlich in den Tälern, vielleicht nur dünngesät in Städten und gar zu selten in den Dörfern, aber es gibt ihrer noch, und geschehen kann es, dass man einen Glücklichen findet zu einer Zeit, da man's am wenigsten erwartet, an einem Orte, wo man's am wenigsten gesucht und hinter einem Kleide, das eher alles denn Glück und Freude zu bergen schien.
Jener geistreiche Prinz von Dänemark, der in der Blüte seiner Narrheit sagte, er könnte in einer Nussschale wohnen und sich der König des Weltalls dünken, hat ein großes Wort gelassen ausgesprochen.
Im kleinsten Raum wohnt oft das größte Glück.
Nun war es just keine Nussschale, worin der Glückliche wohnte, den wir eben kennen lernten, allein es war denn doch ein Raum, der ohne Lächeln schwerlich wird bezeichnet werden.
Er war – ums rund herauszusagen – seines Zeichens einst ein Taubenschlag gewesen.
Wer lacht da?
Ja wohl, zuerst ein Taubenschlag!
Hierauf, als die Regierung des Hauses sich änderte und die fliegenden Bewohner an höchster Stelle Rücksicht nicht mehr fanden, wurde der Raum in eine Schnitzelkammer umgewandelt; als aber der Geist der folgenden Regierung abermals mit der Unschuld und Einfalt der Tauben zu walten gedachte, wurde den fliegenden Völkern ihre Wohnung wieder aufgetan, und sie waren eben in bester Entfaltung ihrer Zahl und Freuden, als im Rat der allerneuesten Regierung ein für alle Male der Vorsatz durchgriff, dem Taubenvolke keinen Aufenthalt mehr zu gestatten und jedes Recht auf Leben zu verweigern.
Eines Tages war der ganze Flug, jung und alt, eben über Feld geflogen, als ihnen Tür und Tor vernagelt, ihre sonnigen Bretterbalkone abgebrochen, ihre Vorräte, Nester und Stangen weggenommen und auf diese Weise klar bedeutet wurde, von welchem Grundsatz das ans Ruder gekommene Regiment von Stund' an auszugehen denke.
Welch Gewirr und Geflatter, welches Entsetzen und welche Klaggebärden der Bevölkerung, die nach flugseliger Abwesenheit von Sehnsucht und Heimweh getrieben, ihr Vaterhaus voll Überfluss zu finden meinte und eine Ruine voll Armut fand!
Mann an Mann gedrängt, standen die Armen auf der Dachrinne über ihrer weiland Residenz und blickten verstört mit gesenkten Köpfen unter sich, um der Wandlung alles Irdischen erschrockene Gedanken zu widmen, nur ein hagerer, grauer Denker des Völkleins, stets voll melancholischen Argwohns und reich an Erfahrung, ahnte neben dem Unglück noch weitere Gefahren und setzte sich spähend auf die höchste Spitze des Daches – plötzlich, als die Freunde und Verwandten eben noch hoffend und vertrauend sich dem neuen Regimente zuzuwenden dachten, schoss der Cassius der Gesellschaft pfeilschnell an die Wolken in die Luft und flog, fast unsichtbar geworden, gegen Westen hin von dannen. Sein Flügelschlag ertönte wie verklingender Warnungsruf, sich wohl in acht zu nehmen; allein er verhallte den Zurückgebliebenen vergebens; sie wurden in den großen Raum des Hofes und dann in des Hauses Halle gelockt, gefangen und denselben Tag noch auf dem Wochenmarkt verkauft.
Drei Tage blieb es ungewiss, in welcher Weise über die verlassenen Räume nun verfügt werden würde.
Am Morgen des vierten Tage mit dem ersten Hahnenrufe, während das Dorf noch schlief und leise Nebel, des Morgens Dämmerung witternd, hin und wieder suchten, da regte sich's am Nebenbau, das große Tor desselben wurde aufgetan, eine männliche Gestalt, gar seltsam aufgeregt, erschien im inneren Raum des Baues, trat erschüttert vor, erblasste, kniet hin und ließ das Haupt wie zum Gebete sinken.
Es war ein Bursch von etwa dreißig Jahren; er war mit Beil und Säge und anderem Werkzeug bunt beladen.
So glich er Tell in jenem Augenblicke, als er das Schiff mit dem Tyrannen hinter sich gestoßen und gerettet auf das Felsenufer sank; auch er hatte sein Lebensschifflein, bemannt mit Leidenschaften und Begierden, hinter sich gestoßen und sein Rettungsufer nun betreten.
Nach welchen Stürmen und Gefahren dies geschah?
O still für jetzt ... Schien er doch frei und schien gerettet, neigte er doch zum Dankgebet frohbewegt sein Haupt.
Lange blieb er – Florian war es – so auf seinen Knien liegen; dann blickte er gefasst empor und um sich her; erhob sich wohlgemut und frohen Blicks, ging der Treppe zu, die ihn zu jenem Holzverschlage führte, wo ein Völklein Tauben kurz zuvor noch Haus und Hof gehalten.
Er trat hinein, fing mit froher Hast zu sägen, hacken und bohren an; – die Sonne kam, er aß sein Morgenbrot mit Wonne; – es kam der Nachmittag, der ihn mit neuem Feuereifer schaffen sah – und als es gegen Abend ging, da war der kleine Raum gereinigt und geordnet, ein Ruhelager war geschichtet und an die Wand ein Christusbild geheftet; – andern Tages sollte dann das Weitere folgen.
Es war beinahe Mitternacht, als der neue Bewohner des Taubenschlages noch in Kleidern auf dem Bette saß und lautlos durch die Bretterwand hinaus und auf zum Sternenhimmel blickte.
Das Dorf war stille; selbst das Mühlrad stand.
In dieser Einsamkeit und Stille ohne Eltern und Geschwister, in keines Menschen Seele liebend festgehalten, in sich selbst nicht sicher, zu wessen Nutz und Frommen er ein Leben führe, war es wohl begreiflich, dass ihm vorkam, als wäre er mitsamt dem kleinen Wohnungsraume leise weggehoben und schwebe, ledig alles Irdischen, im ungemessenen Meer der Lüfte.
Er konnte sterben in diesem Augenblicke, und Mond und Sterne glänzten wie zuvor, der Schlummer keines Menschen wurde unterbrochen, und die Türe des Lebens fiel so leise hinter ihm ins Schloss, als wäre niemand hinausgegangen!
Wie die Sterne droben mit den kleinen Fackeln durch den Himmel gingen, so steckte Florians Erinnerung nun auch ein Lichtlein an und durchwanderte den Himmel seiner Kinderjahre und die Leiden seines Lebens.
Nirgends eine rechte Heimat, nirgends ein Vater- und Freundesherz, an das er sein ermüdet Haupt je lehnen konnte; nirgends ein Bruder- und Schwesterauge, dessen Stern ihm heiter durch des Lebens Dunkel zeigte – seiner misslungenen Versuche um ein wirklich Herz gar nicht zu denken!
Seine Seele wurde traurig.
Indem er so zum Himmel blickte und zwei Tränen, die der Mond beschien, in seinen Augen, bebten, überkam ihn ein andächtig Schauern.
Es war ihm, als müsste jetzt und jetzt des Vaters aller Wesen einladende Gestalt hernieder wehen und freundlich zu ihm sprechen; wie ein Kind sah er mit großen Augen auf und horchte frohdurchbebt, was denn der Vater sagen würde. So zuversichtlich war die kindliche Erwartung seines Herzens, dass er meinte, zwei milde, unsichtbare Hände legten sich um seine Schläfe, richteten ihm das Haupt empor, und eine Stimme meinte er zu hören, milde sagend:
»Nun, Florian, nun – da bist du also eingezogen, das ist deine Hütte und dein Herd, da willst du künftig leben?«
Florian ließ den Kopf in der Höhe, als wär' er ihm emporgehalten, nickte leise und hörte dann die Stimme weiter sagen:
»Gelt, gelt – ich habe Schweres kommen lassen – dein Vater musste sterben; du hast ihn nicht gekannt – sei aber stille, Florian, sei still, ertrag's, sei still!«
Florian behielt den Kopf gehoben, nickte wieder und erblasste; die Stimme aber sagte weiter:
»Gelt – auch deine Mutter musste sterben, du hast sie nur gekannt, sie zu verlieren; – das kannst du nicht verwinden ... Sieh«, fuhr die Stimme fort, »du weißt von keinem Freund auf Erden, von Geschwistern hast du nie gehört – und gelt, dein Herz auch hat gar schwer von Untreu leiden müssen ... Aber du verzagest nicht. Ohne Güter dieses Lebens willst du für andere schaffen, willst der Mitwelt nützlich sein, mit deinem Los zufrieden hast du dieses Kämmerlein gemietet, dass du sagen könntest: ich bin Herr für mich und ruh' auf eigenem Lager – verbleibe mutig, Florian – ertrag's, sei still – denn wisse, du bist ein Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!«
Florian schluchzte, sein Haupt schien wieder freigelassen, es sank auf seine Brust; wohl- und wehdurchschüttert und völlig angekleidet, wie er war, legte er sich über die Decke seines Bettes und schlief nach langem Wachen endlich ein ...
Es hatte der Hahn bereits zum dritten Mal gekräht, als Florian am folgenden Morgen erwachte.
Er war wie neugeboren. Eine Freudigkeit, nicht zu sagen, durchwandelte sein Herz.
Jetzt war's ja gewonnen, eine geheimnisvolle Freundschaft mit dem Höchsten war geschlossen, Florian hatte dessen hehre Stimme vernommen und verstanden, er war nun nicht mehr vergessen und verlassen, stand nicht mehr allein in diesem Leben, bis in die tiefste Einsamkeit des Taubenschlages folgte ihm ein Tröster ohne Gleichen und mochte nun kommen, was da wollte, Florian hatte die Kunst gefunden, fest zu sein gegen Hieb und Stich des Lebens.
Es war sein fester Vorsatz, das geringste Liebe im Leben freudig aufzunehmen, seinen Freund da oben durch keine Klage zu betrüben und in Nächstenliebe und Fleiß die Tage hinzubringen ...
Seitdem öffnete sich jeden Morgen um die Zeit des Hahnenrufs die Türe des Taubenschlages, der neue Bewohner desselben kam heraus, stieg fröhlich die Treppe herab, eilte zum nahen Mühlbach, sich in dessen Wellen das Gesicht zu waschen, und nachdem er es getrocknet, lehnte er sich an den Wasserbirnbaum und blickte mit wundersamen Augen in das Morgengrauen gegen Osten.
Mit den Morgennebeln war er dann verschwunden und erst nach fleißigem Tagewerke, wenn die Abendschatten Berg und Tal umdämmerten, erschien er wieder an dem Birnbaum, blickte dem Abendscheine nach; und war der letzte Funke verglommen, verschwand auch er hinter dem Tor des großen Nebenhauses.
Niemand dachte morgens Florian zu wecken, niemand gab ihm abends das Heimgeleite, niemand saß vertraulich plaudernd nachts an seiner Seite.
Er war allein, dachte und fühlte ohne Gesellschaft, war nur mitten im Tumult der Tagesarbeit unter Menschen, und wenn sich diese abends in Familien zusammenscharten, fühlte er wohl, dass er nicht vermisst würde, und schlich davon, um nicht vermisst zu werden.
So unscheinbar war ein Leben nach außen, welches nach innen eine wunderbare Welt entfaltete.
Kein Mensch seiner Umgebung hatte eine Ahnung davon; bis eine Begebenheit, die bald erfolgte, Veranlassung wurde, dass Florin der Gegenstand eines Aufsehens wurde, wie es nie erlebt wird, solange die Gegend von menschlichen Wesen bewohnt ist.