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Fünftes Kapitel.
Im freien Feld. Ein Wanderer. Eine Szene im Gebirge. Um Mitternacht.

 

Ein alter Freund erscheint maskiert
Und das, was er im Schilde führt,
Gesteht er wohl nicht allen ...

Goethe

 

Es mochte sechs Uhr nachmittags ein.

Florian suchte um diese Stunde, anders geartet als Strander, mit heiterer Seele das Freie, die reine Gottesluft, das hellste Sonnenlicht und freute sich am Sang der Vögel, am schönen Blau des Himmels und am Farbenschmelz der Wiesen und Felder!

Die Frühlingsluft war in leise Bewegung gekommen und kühlte dem Wanderer Stirn und Wangen; in rieselnden Wellen bog sich das junge Grün der Flur und brach sich hier an einem Rain und dort am Gesträuche einer Erle oder Buche.

Florian fühlte ganz das Behagen heiterer Stimmung, erzeugt durch Licht und Wärme von innen und außen; daher weilte er auch, da ihn keine Pflicht nach Hause rief, so lange als möglich im Freien bleiben und, sobald die Sonne hinter das westliche Gebirge trat, den Hügel hinter dem Dorfe besteigen und wie so oft die Pracht des Sonnenuntergangs bewundern.

So war er über Feld und Wiese gezogen und gelangte an den Saum des großen Buchenwaldes.

Zwei Wege kreuzten sich hier; die große Heerstraße über das Gebirge und ein breiter Wendelsteig, der nach und nach zur Hügelspitze nächst dem Dorfe führte.

Florian schwenkte eben nach der letzten Richtung, als er Männertritte hörte.

Sie kamen aus dem Buchenwalde, von der aus dem Tal aufstrebenden Landstraße.

Ein Wanderer erschien daselbst, er war von kräftigem Körperbau, mochte fünfundvierzig Jahre zählen und schritt wohlgemut und kräftig seines Weges.

Weil ihn die Schatten des Waldes schützten, hatte er seinen Hut herab genommen und trug ihn nebst einer auf Leinwand gezogenen Landkarte in der linken Hand, während seine Rechte sich eines Wanderstocks kräftig bediente.

Am Saum des Waldes hielt er stille, betrachtete beide Wege flüchtig und schien zweifelhaft, welchen er gehen solle; dann entfaltete er die Karte über dem gehobenen Knie, war bald im Reinen über seinen Weg und ging die Straße weiter, welche in schroffer Steigung nach oben führte.

Florian hatte während des kurzen Stillehaltens Gelegenheit, den Wanderer näher zu betrachten.

Es zeigte sich bald, dass ihm derselbe bekannt war; er errötete und erblasste, beugte sich vor, als wolle er genauer prüfen, seine Augen leuchteten vor Verwunderung und Freude, ein Zittern der Verlegenheit rieselte durch seine Glieder und freudig rief's durch seine Seele:

»Retter! Mein Retter!«

Von alledem wurden der Wanderer nichts gewahr und ging seines Weges rüstig weiter. Trotzdem er heiter aussah, waren es doch gewichtige Gedanken, welche ihn beschäftigten, halblaut sprach er einmal vor sich hin:

»Zufall, Zufall ... Sonderbares Wort, trauriger Notbehelf! Wäre es wirklich Zufall nur gewesen? Kann in der moralischen Welt ein blindes, zutäppisches, oft lächerliches Unding Begebenheiten veranlassen, die einen Anfang nehmen, wie geleitet von der sichersten Geisterhand und zu Ende geführt werden wie ein Meisterstück der Kunst? Ist das alles Zufall, dann ist die Gottheit um einen Teil ihrer schönsten Macht und Ehre, der Mensch auch um manches würdige Verdienst ... War es Zufall, dass ich an jenem Tage nicht einging auf die allgemeine Meinung, dass ich den Burschen nicht unbesehen verurteilte wie sie alle, dass ich es auf einen Versuch ankommen ließ, dass er gelang, dass ich Florian der menschlichen Gesellschaft wieder gewann? Führte mich der Zufall oder die Weisheit eines höheren Wesens an jenem Abend heim, gerade zur rechten Stunde und in einer Stimmung, welche einem glücklichen Entschlusse günstig war? Zufall, Zufall ... Warum nicht Vorsehung? Ist es nicht ehrenvoller und würdiger, sich als Werkzeug ihrer Hand zu denken? Und wieder! Gibt es nicht Begebenheiten von solcher Härte, solcher grassen Ungerechtigkeit, so widersinnig und entsetzlich an Menschen der edelsten Art verübt, dass wir froh sein müssen, ein Wort, ein blindes Ungeheuer zu haben, dem wir solche Dinge aufbürden, nur um den heiligen Begriff einer Vorsehung zu retten? ... Durch dieses Dunkel ficht sich kaum der stärkste Geist. Wohl dem, der sich bescheiden kann, den Einzelfall mit froher Seele aufzufassen, er lässt geruhsam die dunkle Ferne dunkel und begnügt sich, klar den klaren Einzelfall zu sehen ... Gewiss ist nur, je vollkommener der Mensch, je vortrefflicher die Einrichtung der Gesellschaft, je beherrschter die rohen Kräfte der Natur sind, desto schwächer wird die Macht, desto bedeutungsloser wird der Einfluss jenes Unbegreiflichen, das man Zufall nennt.«

Unter solchen und ähnlichen Gedankentrat der Wanderer endlich oben aus dem Buchenwald ins schattenlose Freie; fast unwillkürlich blieb er stehen und betrachtete erfreut den Abendhimmel und die Gegend.

Er hatte ein kräftiges Gebirgsbild vor Augen: blaue Bergeshäupter über sich, dunkelgrüne Täler mit Dörfern und Flecken unter sich. Alles im Farbenschmuck des wunderbarsten Abendscheines.

Eine heitere Ländlermelodie, die aus einem Hause in der Nähe klang, störte den Eindruck des landschaftlichen Bildes keineswegs; ihr verwandtschaftlicher Charakter erhöhte ihn vielmehr.

Die Melodie kam aus einem im Schweizerstil erbauten und von Fels- und Baumgruppen reizende umgegebenen Hause an der Straße. Es war ein Wirtshaus; dies zeigte bald das blecherne Schild ober der Türe und das zahlreiche Volk unter demselben.

Wahrscheinlich pflegte sich hier das zerstreut wohnende Volk an Sonn- und Feiertagen zu versammeln und zu vergnügen.

Eine Fidel tönte aus der Wirtsstube, oft überlärmt von Stampfen und Jauchzen der Tanzenden; dann und wann kam ein Pärchen erhitzt aus der Stube, um an einem Gartentischchen auszuruhen, es ging noch im Taktschwung, der Liebste einen Arm um des Mädchens Hals geschlungen und mit den Fingern der rechten Hand schnalzend zu den Ländlern der Geige; dort hinter dem Hause schlug von Zeit zu Zeit eine Kugel unter die Kegel oder an die Bretterwand der Bahn, eine Versammlung von Burschen und Männern lachte oder stritt hinter jedem Wurf; auch einige Bergschützen mussten um die Wege sein, ihre Büchsen, Hüte und Ränzchen hingen an Ästen im Garten.

Es war ein bewegtes, frisches Bild des Volkslebens im Kleinen.

Unser Wanderer betrachtete es, näher kommend, auch mit Teilnahme und beschloss, vor der Schänke auszuruhen und ein Glas zu trinken. Frischweg ersah er den von älteren Männern am dichtest besetzten Tisch im Freien, um sich an demselben niederzulassen.

Die ansehnliche Erscheinung des Fremden, der so ungezwungen freundlich sich zu geben wusste und vermöge seiner Kleidung dem Volke nahestand, vermochte bald genug, die verstummte Unterhaltung der Männer wieder in Zug zu bringen, die auch da wieder anfing, wo sie unterbrochen worden war.

Man hatte von dem geheimnisvollen Engländer in Maltern gehört und allerlei Gerüchte mit ernsten und scherzhaften Zusätzen mitgeteilt. Und das wurde nun teils ergänzt, teils ungeheuerlich übertrieben, weil man den Fremden ungewöhnlich unterhalten und zugleich verpflichten wollte, später seinerseits des Anziehenden manches mitzuteilen.

Allein man täuschte sich hierin.

Unser Wanderer hörte zwar eine Weile aufmerksam an, was man zum Besten zu geben beliebte, schien aber dann in Gedanken weit weg aus der Versammlung zu flüchten, blickte der untergehenden Sonne nach und fragte plötzlich, als die allgemeine Neugierde Front gegen ihn machte:

»Was bedeutet jenes Marterzeichen in der Nähe? Ist jemand hier ein Unglück zugestoßen?«

Diese Frage kam unerwartet und machte verlegene Gesichter.

Wie von einer geschlossenen Kugellinie die letzte erst die Wirkung des Stoßes zeigt, den die erste erhalten und alle mittleren fortgeleitet haben, so schob auch einer der Bauern dem andern die Antwort zu, bis der Flügelmann sich mit der Spitze des Pfeifenrohrs über die Stirn fuhr und sagte:

»Ja. Ein Unglück wohl. Ein großes Unglück. Jemand ist hier ums Leben gekommen; ein Fremder im Vorüberreisen ist hier erschlagen worden, es ist zehn Jahre herum, alle Untersuchen ist bis auf den heutigen Tag umsonst gewesen, kein Schuldiger ist aufgefunden!«

Es trat eine Pause ein, welche unseren Wanderer erinnerte, dass es nötig sei, durch eine glückliche Wendung von einem so ernsten Gegenstande auf einen fröhlicheren zu kommen, er wurde gesprächiger als zuvor, regte mit Geschick landwirtschaftliche Fragen an, welche bald so gut verfingen, dass sich die Bauern in Gruppen teilten und lebhaft durcheinander sprachen. So wurde es dem Fremden möglich, ohne aufzufallen, den Wirt bei Seite zu nehmen und ihm zu sagen:

»Wirt, euer Haus ist geräumig, ihr habt wohl ein Stübchen übrig, das ich für einige Zeit bewohnen kann?«

Der Wirt erwiderte, das müsse wohl der Fall sein, da die Straße über das Gebirge so manchem Wanderer ein Nachtquartier vonnöten mache.

»Gut«, erwiderte der Fremde, »so haltet mir's von morgen an bereit, ich habe manches in der Gegend abzumachen!«

Er zahlte seine Zeche, gab Drangeld und setzte, im Vorübergehen seine Tischgesellschaft freundlich grüßend, seine Wanderung froh und rüstig fort.

Von der Straße bogen manche Fußwege in Krümmungen zu Tal, es konnte manche Strecke wesentlich abgekürzt werden; aber unser Wanderer schien Muße zu haben und die bequeme Bahn der Straße vorzuziehen.

Maltern war der erste Ort im Tal, an dem die Straße vorüberführte; es war zugleich der Ort, nach welchem unser Wanderer steuerte.

»Nun, lieber Sonderling«, sagte er einmal lächelnd vor sich hin, »ahnest du wohl, was über dich verhängt ist und beschlossen? Ein leichter Schild von Eisen hat genügt, dein größtes Unglück einst von dir zu wehren; ein schwerer Schild von Gold wird nötige sein, die Pfeile künftiger Versuchungen des Glücks von dir zu wehren!«

Wen meinte er? Doch nicht denselben Burschen, der um diese Stunde allein uns seltsam aufgeregt in seinem Taubenschlage saß? ...

Florian war in wunderlicher Stimmung heute heimgekommen. Der unvermutete Anblick des Wanderers hatte ihm schwere Zeiten ins Gedächtnis gerufen und bunte Empfindungen aufgeregt; an eine Beschwichtigung seines Herzens war nicht leicht zu denen.

Der arme Schelm!

Als er nachmittags von dem freudigen Schreck über den Anblick des Fremden wieder zu sich gekommen, folgte er mit glühender Stirne dem Wanderer Schritt für Schritt, aber nicht auf der offenen Straße, wo er leicht entdeckt werden konnte, sondern im nahen Buchenwalde, wo ihn die Schatten der Bäume deckten und das Moos unter den Füßen seine Schritte geräuschlos machte. Da, in bescheidener Entfernung, die Lederkappe in der Hand, mit Blicken voll Weh und Freude, trabte er neben dem Wanderer her und verwandte kein Auge von dem teuren Manne, der ihm wie ein zweiter Erlöser erschien; immer und immer besorgte er, von dem Wanderer unvermutete gesehen zu werden, und doch hatte er keinen heißeren Wunsch, als dem Retter bebend an die Brust zu stürzen.

Er wurde aber nicht gesehen und nicht erkannt.

Der Wanderer war zu lebhaft in Gedanken, als dass er den stillen Nebenläufer in dem Walde bemerken konnte; und als der Buchenwald zu Ende ging und mit ihm sein Schutz und Schatten, da war es Florian, der endlich stehen blieb und dem Wanderer die Gelegenheit entzog, ihn endlich doch zu entdecken.

Es war eigentlich ein beglückender Gedanke, welcher Florian jetzt zu Stillestehen bewog; er dachte:

»Ist mein Retter über das Gebirge gekommen, so wird er gewisslich heute oder morgen im Hallhof erscheinen, wird nach mir fragen, wird mich holen lassen, wo ich auch sei, und ich werde so viel besser sehen, ob er mich vergessen hat oder noch kennt; drum will ich jetzt heim und in meiner Residenz (das sprach er mit wehmütigem Lächeln) das Weitere erwarten.

Er blickte dem Wanderer nach, solange er ihn sehen konnte, machte dann rechtsum und eilte auf dem kürzesten Wege heim; Sonnenuntergang und Dämmerung durchs Dorf wurden vergessen, sein gerades, nächstes Ziel war sein Taubenschlag; hier wollte er horchen und warten, bis in die späte Nacht, ob der Retter sich nicht melden, nicht an die Türe des Hallhofs um Einlass klopfen werde.

»Lass ich ihm meine Residenz da sehen?« dachte er lächelnd, »werde ich ihm verständlich machen können, warum mir da am allerwohlsten ist?«

Seine Gedanken verloren sich in eine Vergleichung seiner Lage vor und nach der Rettung.

Die Lage der Gegenwart, so unscheinbar sie auch war, erschien ihm doch höchst vorteilhaft, ein wahres, dankenswertes Glück.

Früher überall das Grauen, die Recht- und Ruhelosigkeit verdammenswerten Zigeunerlebens – jetzt das süße Gefühl der Sicherheit, der Teilhaftigkeit am festen und erlaubten Zusammensein mit Menschen; früher umirrend auf der Erde, ein Bewohner flüchtiger Wohnungen im Feld, im Wald, in Höhlen, kaum geduldet, oft verfolgt und stets nur lebend von Gnadengaben oder sträflicher Beute – jetzt Bewohner eines Taubenschlages, eines peinlich schmalen Wohnungsraumes, aber dafür ehrbares Mitglied unter ehrsamen Menschen, von jedem gekannt und nicht ungern gesehen, weder von Raub oder Gnadengaben, sondern von seiner Hände Fleiß ernährt und erhalten; welch' ein Unterschied!

Und dieser Wanderer, den er heute gesehen, hatte dieses Bessere ermöglicht und herbeigeführt! Sollte ihn der Anblick dieses Mannes nicht erfreuen und bewegen?

Die Nacht war vorgerückt; Florian saß noch immer am sogenannten Fenster seines Taubenschlages und horchte dann und wann, ob nicht jetzt und jetzt der Wanderer an Hallhöfers Türe klopfe und Einlass begehre. Nein. Es rührte und regte sich nichts. Nur Hallhöfers Söhne und Knechte kamen einzeln nach Hause und stiegen an Balken und Geländern zu ihren Schlafstellen unter Dach.

Endlich musste sich Florian sagen, dass es heute wahrscheinlich vergeblich sei, zu warten; er beschloss auch zur Ruhe zu gehen und ordentlich auszuschlafen – als er ein Klopfen an Hallhöfers Türe und Einlass begehren hörte.

Sein erster Gedanke war:

»Ist er da? Ist er gekommen? Ist es mein Retter, der Einlass begehrt?« Er wollte eben aufspringen und hinübereilen, um den Ankommenden zu sehen und ihm den Einlass zu erleichtern, als er im Wohnhause ein Fenster öffnen und den Hallhöfer heraus fragen hörte, wer da sei, wer Einlass begehre.

Eine Männerstimme erwiderte:

»Macht auf, macht auf, Hallhöfer; ihr kennt mich wohl; euer Freund aus Küßüben ist's, der euch so spät noch stören muss.«

Florian schoss vor Freude das Blut gegen den Kopf; er hörte seins Stirnadern klopfen, und sein Herz war voll.

Sollte er auf und hinüber? Sollte er trotz so später Stunde seinen Retter begrüßen? Den er war's, der eben ankam; Hallhöfers Freund aus Küßüben, er war es, seine Stimme hatte den Retter schon verraten!

Die aufgehende und hinter den Männern wieder schließende Haustüre, die nun folgende Stille und der Gedanke, dass es wohl ungehörig sein könne, zwei ansehnliche Männer so ohne Weiteres zu stören, hielt Florian ab, sogleich zu seinem Freund und Retter zu eilen; er ließ daher den Kopf wieder auf das Kissen sinken und dachte lächelnd:

»Er ist da – und morgen – morgen werde ich ihn sehen, und wird er mit mir reden ...«

Bei dem Fremden im Weilerhaus war um diese Stunde noch Licht.

Schwere Vorhänge hinderten zu sehen, was in der Wohnstube vorging.

Vor einer halben Stunde waren aus derselben einige Männer gekommen, die sich stumme Zeichen gaben, die Hände reichten und dann schweigend verschiedene Wege gingen.

Nach ihnen wurde eine weibliche Gestalt von zwei bewaffneten Männern herausgeführt und geräuschlos bis zur Halbstraße außer dem Dorfe gebracht; dort erwartete sie ein Wägelchen, das bestiegen wurde. Rechts und links neben die weibliche Gestalt setzten sich die bewaffneten Männer, dann rührte einer von diesen mit dem Gewehrkolben leise an den Hut des Kutschers, der sogleich die Zügel rüttelte und mit der Zunge schnalzte, worauf er sachte und ohne viel Geräusch vom Platze rollte.

Es war die alte Zigeunerin, welche man so aus dem Dorfe nach dem Oberamte führte ...

Der Nachtwächter Stander hatte eben die Runde durch das Dorf gemacht und die Mitternachtsstunde ausgerufen.

Bei dem Wälserhofe war es, wo er nun zum letzten Male stehen blieb und mit heiserer Stimme sein: »Ihr Herren lasst euch sagen!« ausrief.

Als er diesen Ruf vollendet hatte, blickte er mit forschenden Augen rings umher, ob niemand in der Nähe sei; und als er sich überzeugt hatte, dass er durch die dichte Dunkelheit vor Beobachtung sicher sei, verwandelte sich seine Haltung plötzlich wie mit einem Schlage.

War er früher straff und aufrecht dagestanden, so schien jetzt jeder innere Halt zu biegen und zu brechen.

Kopf und Oberkörper neigten sich vorwärts, und Ohr und Auge richteten sich mit fieberhafter Spannung auf einen Gegenstand in der Ferne; so verharrte er einige Augenblicke; dann – mit pochendem Puls an den Schläfen – lehnte er seine Hellebarde an den Zaun, zog seine Füße sachte nach einander aus den schweren Schuhen und ging in bloßen Strümpfen leise, weit ausholend dem Weilerhause zu.

In der Nähe desselben blieb er stehen, hielt sich mit der linken Hand an einen Bretterhaufen und blickte mit stieren Augen auf das Weilerhaus, dessen geschlossene Haustüre und verhüllte Fenster; als einmal unvermutet das Geräusch einen in Traum aufflatternden Hausgeflügels vernehmbar wurde, da hatte das eine Erschütterung in Stranders Brust zu Folge, dass nur wenig fehlte, um ihn hilflos zu Boden zu werfen.

Als er sich wieder erholte, fuhr er fort, das Weilerhaus mit wild hervortretenden Augen zu umkreisen.

»Da! Da drinnen! Wer war der Fremde? Was wollte er hier? Was konnte hinter diesen Fenstern, hinter diesen Vorhängen, hinter diesem Fremden und dem ganzen Geheimnis stecken? Was trieb, über was brütete der Geheimnisvolle jetzt nach Mitternacht noch? War er wirklich nur ein einfacher Fremder? Ein bequemer Engländer? Ein bloßer Schachspieler? ... Nein! Nein! Der Strander vermochte das nicht zu glauben. Etwas Bedeutenderes, etwas tiefer Angelegtes schien ihm hinter der Fabel mit dem prophetischen Engländer zu ruhen – ja, ja, das Dorf beherbergte ein Geheimnis, ein schlafloses, ein schauervolles Geheimnis – und der Fremde konnte ihm auf der Spur sein!«

Solche Gedanken bebten durch Stranders Seele.

Nach einer Weile verließ er seine Stelle wieder – freilich nicht ahnende, dass ihn während dieser Zeit jemand gerade so aufmerksam beobachtet habe, als er das Weilerhaus ins Auge gefasst; – es folgten ihm jetzt eine vorsichtig wandelnde Gestalt und die Blicke eines langen, blassen Mannes, der auf dem hölzernen Balken des Weilerhauses stand.

Letzterer war der Fremde.

Mit über der Brust gekreuzten Armen stand er noch da und blickte ruhig in die stille mond- und sternenlose Nacht hinaus, als der Strander lange im Dunkel verschwunden war ...



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