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Zabeau

Erinnerst du dich der Kleinen noch? Eine von denen – du weißt wohl –

Jetzt ist sie längst fort, wie vom Erdboden verschwunden; es müssen schon bald 10 Jahre her sein.

Eine neunzackige Krone hatte sie auf ihren Visitenkarten und darunter: »Isabelle de Navarin.«

Navarin! Wie kam sie darauf? War es ein Spitzname oder was sollte er bedeuten?

Das wußte sie übrigens selbst nicht, – wie sollte sie auch, sie, die früher nur auf den Tanzböden der Vorstädte zu finden gewesen, bis ihr eines Tages die phantastische Laune irgend eines auswärtigen Diplomaten ihre Ausbildung zur großen Liebespriesterin ermöglichte.

In dem intimen Jargon der Studentenkneipen hieß sie kurzweg: Zabeau. Sie war weder hübsch noch jung und nicht einmal klug.

Man sah sie in ihrer leichten Victoria vorüberfahren, deren Räder manchmal die einfachen schwarzen Kleider einer niedlichen aber weniger begünstigten Fußgängerin streiften, und fragte sich unwillkürlich: Mein Gott, warum denn gerade die? Warum nicht eine von den andern?

Wenn diese Frage aufgeworfen wurde, sagten die Boulevardphilosophen, die gegen 5 Uhr an den Cafés Börse zu halten pflegen – die Börse der neuesten Tagesgespräche – mit verständnisvollem Augenzwinkern:

»Seht ihr wohl, daß Zabeau nie ohne ihre Tochter ausgeht?«

Und es war so. Wo Isabelle de Navarin sich zeigte, wenn sie ausfuhr, im Theater oder bei Wettrennen, immer sah man ein kleines Mädel von 8 Jahren neben ihr – ein entzückend schönes Kind, das immer genau wie die Mutter gekleidet war.

Das gab ein seltsames Bild, komisch und doch auch wieder sehr anziehend. –

Ja, das war wirklich Zabeaus Tochter, – das Kind des Diplomaten, der sie einst lanciert hatte, wie man allgemein behauptete.

Einige von den Boulevardphilosophen, die mit besonderer Vorliebe ihre Mitmenschen im moralischen Negligé studierten, ergingen sich zuweilen in Andeutungen, daß die Kleine sich nicht darauf beschränke, ihre Mutter auf die Promenade oder ins Theater zu begleiten, sondern daß sie sich auch in deren Schlafzimmer aufzuhalten pflege – wenn die Thür verschlossen sei. – – Daher die Vorliebe aller Haut-goût-Lebemänner von ganz Paris für Zabeau.

Man gab es sogar der Mutter durch die Blume zu verstehen, aber sie lachte darüber, ohne zu begreifen, was man meinte. Sie war wirklich zu einfältig.

Schließlich aber geschah es bei einer jener entsetzlichen Zänkereien, wo das Weib dem Weibe gegenüber die unflätigsten Tiefen seiner Seele hervorkehrt, daß eine ihrer »Freundinnen« der armen Zabeau die schreckliche Anschuldigung mit unverhüllter Rohheit ins Gesicht schleuderte. –

Diesmal begriff Zabeau – sie wurde ohnmächtig und war einen ganzen Monat krank. –

Es war eine schändliche Lüge gewesen. Sie liebte ihr Kind, betete es an. Sie erzog es thöricht, verständnislos, aber anständig. Außerhalb des Hauses war die Kleine beständig mit der Mutter zusammen, und daheim wurde sie in einem isoliert gelegenen Zimmer der Villa unter die Obhut einer strengen Gouvernante gestellt.

Ja, sie vergötterte das Kind. Es war gleich nach ihrem ersten Début in der Lebewelt erschienen, und sie liebte es um seiner zarten Schönheit willen; sie vergötterte in ihm das adlige Blut, das bläulich durch die feinen Adern seiner Händchen schimmerte, die rassige Vornehmheit seiner Bewegungen, die ihr selbst, der armen Zabeau, so gänzlich abging und die sie, hervorgegangen aus dem Auswurf der Vorstädte, sich nie hatte aneignen können.

In ihrer Naivetät träumte sie davon, aus ihrer Tochter eine große Dame zu machen, die einen Herrn heiraten sollte – einen wirklichen, vornehmen Herrn. Am liebsten einen Ausländer, »denn die Franzosen sind doch schließlich alle zusammen arme Schlucker.«

Wenn Zabeau an Lilis Zukunft dachte, entfaltete sie sogar Umsicht in geschäftlichen Dingen. Sie legte ihre Ersparnisse in Versicherungen an, die dem Kinde, wenn es volljährig würde, zu gute kommen sollten.

Und dann sollte Lili heiraten, – erst wenn sie 18 Jahre alt war. Ach wie schön die Mutter sich dies ausmalte, den großen Tag, Lilis Hochzeitstag. Die ganze Madeleine mit Teppichen ausgelegt und Blumen – ganze Wagenladungen – mitten im Winter, und schließlich die Sänger von der Großen Oper – »und auch alle Geistlichen«, pflegte sie stolz hinzuzusetzen.

Wie oft hörte man sie so reden, diese vielbegehrte große Sünderin, die doch so harmlos war. Wie oft sagte sie zu ihren Freunden beim Anblick des Kindes, das den Besuchern mit einer Miene frühreifen Ernstes die Stirn zum Kusse bot: »Damit ihr es nur wißt, meine Lieben, die wird nichts für euch, die soll es nicht nötig haben, von der Liebe zu leben.« –

Aber etwas wußte man nicht in Paris. Es gab etwas, was sie alle nicht wußten. – Lili war nicht der einzige Sprößling Zabeaus.

Sie hatte noch ein Kind gehabt, in ihrer alten Bohême-Zeit, auch ein Mädchen.

Es hatte durchaus zur Welt kommen wollen und hatte allen Bemühungen der weisen Frauen gespottet, die die Mutter in ihrer Verzweiflung angerufen hatte.

Aber zu früh war es schließlich gekommen und gebrechlich, mißgestaltet. Der Kopf war unnatürlich groß und das eine Bein zu kurz.

Diese schmachvolle Mutterschaft war ein wunder Punkt für Zabeau gewesen, die ihr Leben genießen wollte. Sie wußte nicht, wie sie es der Welt verbergen sollte und hätte das Neugeborne ins Findelhaus gethan, wenn sich nicht eine Nachbarin erbarmt und sie davon befreit hätte.

Später, nachdem sie »Carreire« gemacht hatte und dann noch einmal Mutter wurde, kam ihr auch nicht ein einziges mal das Verlangen, diese erste Frucht ihres jungen Leibes wiederzusehen.

Sie ließ das unglückliche Geschöpf in eine Anstalt bringen, irgendwo in der Provinz, wo es in Gemeinschaft mit allem, was die französische Aristokratie innerhalb der letzten 15 Jahre an Mißgeburten und Idioten hervorgebracht hatte, aufgezogen und gepflegt wurde.

Dann kam ein Sommer, wo man weder Isabelle de Navarin noch Lili zu Gesicht bekam. Es waren nur wenige, die sich mit dem plötzlichen Verschwinden der beiden beschäftigten, denn das große Paris ist grausam gleichgültig gegen das elende Los seiner Kinder und gerade der Kinder, die es vorher am meisten emporgehoben und vergöttert hat, – und diese wenigen, die Zabeau nicht gleich vergessen hatten, stellten nur die bei solchen Gelegenheiten gebräuchlichen Hypothesen über ihr Verschwinden auf: Vielleicht eine Flucht nach Cythere oder nach Lesbos – oder ein einflußreicher Feind, der in ihr Schicksal eingegriffen – oder eine Kur bei einem Spezialisten.

Aber – und darauf war niemand gekommen und doch war es so: Zabeau hatte sich in ihr Hotel eingeschlossen, sich von aller Welt abgesperrt und – pflegte ihr krankes Kind.

Nach einer Ausfahrt hatte sich Lili hingelegt, mit Schüttelfrost und Husten.

Sie stand nicht wieder auf, es war die Schwindsucht; sie magerte ab und schwand hin in ihrem weißen Bettchen.

Zabeau rief die Ärzte herbei, die Ärzte des heutigen Paris, diese großen Skeptiker, die man ebenso fürchten wie bewundern muß.

Drei der berühmtesten standen um das Krankenbett des Kindes – aber mit den ersten welken Blättern mußte Lili sterben.

Zabeaus Verstand – der blöde Verstand des Freudenmädchens – wurde durch diesen Schlag völlig verwirrt.

Zehn Tage fürchteten die Ärzte, daß Mutter und Tochter, die so manchen Gang durch Paris zusammen gemacht hatten, nun auch den letzten Weg Seite an Seite machen würden und auch dieses letzte Mal noch wie früher, gleich gekleidet.

Es war keiner von den Ärzten, der Zabeau rettete, es war eine ihrer Zofen, eine Gefährtin ihres früheren Lebens, die einst mit ihr zusammen durch die Vorstädte gestreift war und die sie später im Glück nicht mehr von sich gelassen.

Dieses Mädchen, das ihr warm ergeben war, fand wie durch Inspiration das rechte Mittel. Als zwischen zwei Krampfanfällen eine Ruhepause eingetreten war, flüsterte sie ihr zu: »Aber Zabeau, warum verzweifelst du so? Du hast schließlich doch noch ein Kind.«

Zabeau richtete sich langsam empor, die Trunkenheit des Schmerzes wich von ihr. –

Die Freundin hatte recht. Es war ja so: sie hatte noch ein Kind, ein kleines Wesen, das aus ihrem Schoß hervorgegangen war, das Fleisch von ihrem Fleisch war. Sie würde es in ihren Armen halten können, wie das andere, es liebkosen wie das andere, und es würde Mama zu ihr sagen, wie Lili es gethan hatte.

Die Fieberphantasien ließen nach. Zabeau hörte auf zu rasen – sobald sie diesen Gedanken ganz erfaßt hatte. Lange, lange weinte sie still vor sich hin und die Thränen thaten ihr wohl.

Sobald sie sich stark genug fühlte, bestand sie darauf abzureisen, nach dem stillen Ort in der Provinz, wo sie ihr Kind wußte.

Mit dem ersten Schnellzug fuhr sie ab. Sie hatte nicht einmal Abschied von Lilis Grab genommen, auf dem die ersten Kränze noch nicht verwelkt waren. – – –

Allein mit ihrem Kinde, das sie aus den Händen der guten Schwestern empfangen hat, und mit ihrer treuen Dienerin, die sie nicht verlassen wollte, lebt Zabeau bei einem Pächter auf dem Lande.

Die kleine Kranke ist nicht ganz blöde, sie hat fast soviel Verstand wie andre Kinder ihres Alters, und sie ist zärtlich und zutraulich. Mit einer ungestümen, fast tierischen Zärtlichkeit hängt sie an ihrer Mutter, – dieser Mutter, die nun doch noch zu ihrem Kinde gekommen ist, die ihm doch noch Wärme und Liebe in sein armes Leben gebracht hat.

Mit rührender Zähigkeit ist Zabeau ihrer früheren fantastischen Liebhaberei treu geblieben: sie besteht darauf ihre Tochter, deren verwachsener Körper dadurch nur noch grotesker erscheint, ebenso zu kleiden wie sich selbst.

So gehen sie zusammen durch die stillen Straßen der kleinen Stadt, so sieht man sie zusammen in der Kirche, auf der Promenade, im Theater, wenn eine Wandertruppe den »Schmied« oder »Mignon« zum besten giebt.

Ihr ganzes früheres Leben hat Zabeau hinter sich gelassen, die Villa in Passy verkauft, die Pferde, die Sammlungen, alles verkauft. Der Erlös ermöglicht ihr ein angenehmes, ruhiges Landleben, und sie wäre vollständig zufrieden und glücklich, wenn nicht eine beständige Angst sie folterte, die Angst, daß auch dieses ihr letztes Kind sterben könnte.

Und das Kind ist so zart – es leidet an heftigen Migränen und Ohnmachtsanfällen.

In solchen Augenblicken wird die Mutter halb gelähmt vor Entsetzen, und muß immer aufs neue wieder die grausamen Todesschrecken durchkosten, die sie einst an Lilis Krankenbett empfunden.

Es ist bei ihr zur fixen Idee geworden, ihr monomanes Hirn dreht sich nur um diesen einen Punkt: diese wahnsinnige Angst, die kleine zitternde Flamme verlöschen zu sehen, die ihr Leben noch durchwärmt und erleuchtet.

Ein düsteres Haus ist es, dieser letzte Zufluchtsort der einstigen Courtisane.

Ein grausiges Beisammensein von Mutter und Kind.

Hinter dem Kinde steht der lauernde Tod und der Wahnsinn reckt seine Arme nach der Mutter aus.

(Aus den Akten)

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