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Fräulein Zoé Camisy an den Vicomte
Jean de la Rivaudière.
Wenn Sie diesen Brief lesen, mein lieber Jean, bin ich nicht mehr in Paris, schwimme ich einem andern Lande – Italien – entgegen, in Gesellschaft des Herrn William Hopkins, des apoplektischen Engländers, den Sie in der letzten Woche zweimal bei mir trafen und den ich Ihnen als meinen Onkel vorstellte. Herr William ist nicht mein Onkel, er ist – seit vierzehn Tagen – mein Geliebter.
Wenn ich Ihnen dies so brutal sage, so sehn Sie darin nicht die grausame Lust, Ihnen weh zu thun ... Nein, ich habe Sie sehr lieb gehabt und glauben Sie mir, ich liebe Sie noch. Nur mußte unsre Verbindung so bald enden, weil sie mit einem Mißverständnis angefangen hatte. Finden Sie sich tapfer hinein und hören Sie mich noch einmal an: diese Erfahrung wird Ihnen dienlich sein.
Wissen Sie noch, lieber Freund, wie wir uns Mitte Juni kennen lernten? Ach! wie romantisch waren dieser Platzregen, diese Droschke, die wir zugleich anriefen, – der Kutscher fuhr Ihnen entgegen, – und Sie, mit abgezogenem Hute, mir das köstliche rollende Obdach anbietend, das ich, wie Sie sagten, tausendmal nötiger hätte als Sie. Sie bewiesen dabei eine so vollendete Erziehung und zugleich eine so rührende Bescheidenheit (denn Sie zögerten mit einzusteigen, Sie Kind!) daß ich sogleich den eben von der Schulbank kommenden Zögling der frommen Väter von »Vaugirard« oder »Madrid« erkannte, und auch sogleich eine Schwäche für Sie hatte, eine starke Schwäche sogar.
Wie langsam Sies begriffen, mein Freund! von Etappe zu Etappe mußte ich Sie führen, bis dahin, wo Ihre Tugend in meinen Armen erlag! Aber vor diesem Fall, wieviel Aufwand um nichts! Fünf oder sechs Mahlzeiten zu zweien, zwanzig Rendezvous wenigstens, bei denen unsre Gespräche einen Novizen der Karmeliter erbaut hätten. Und was für Förmlichkeiten! wie viele »mein gnädiges Fräulein«, oder »als ich die Ehre hatte, Ihnen zu begegnen«, oder »werden Sie die Güte haben, mir zu erlauben, Sie nach Hause zu führen?« ... (Ob ichs Dir erlaubte! Heilige Einfalt!) Diese ganze Hochachtung fiel mir schrecklich auf die Nerven; wenn ich Sie verließ, hatte ich Wutanfälle: ich nahm mir vor, Sie zum Teufel zu jagen, Sie niemals wiederzusehn ... Aber dann ... ich hatte ja die Schwäche ... Und für uns Frauen ist die Schwäche die moderne Form des Fatums. Als Sie endlich ohne Ihr Unschuldskleid waren, – ganz zart hatten meine Hände, ohne Ihre Hilfe sogar, es Ihnen ausgezogen – hatten wir einige schöne Tage.
O! Sie waren sehr ungewandt, mein Lieber, täuschen Sie sich darüber nicht. Nur war ich verhext und selbst Ihre Ungeschicklichkeiten bezauberten mich. Zum Beispiel waren die Pausen schauderhaft. So ganz war Ihre Seele von Hochachtung besessen, daß mein »Fall« (wie Sie unser kleines Abenteuer mit niedergeschlagenen Augen nannten) diese Hochachtung vor mir in nichts vermindert hatte. Sie behandelten mich fast so, wie Sie die Vicomtesse de la Rivaudière behandelt hätten, hätte sie existiert. Als wir jene schreckliche Frage – das Geld – erörtern mußten – wurden Sie wieder verlegen. Persönlich – Sie müssen es bemerkt haben – verachte ich dies Metall, – aber man muß doch leben, nicht wahr? Und da ich Ihnen vollständig treu war (o! diese Schwäche!) war ich mit all meinen Ersparnissen zu Ende. Sie wieder sind äußerst freigebig, und dazu sehr reich, was der Freigebigkeit gut steht. Das verhinderte nicht, daß ich infolge dieser verwünschten Hochachtung, die Ihnen die Worte in der Kehle erwürgte, Ihnen eine widerwärtige Komödie vorspielen mußte, um das Unentbehrliche zu bekommen. Ja, Vicomte, wenn ich meinen armen Vater, Kapitän eines überseeischen Schiffes, im chinesischen Meer untergehn lassen mußte, wenn ich die verlorne Schiffsladung, die gierigen Gläubiger, den notgedrungenen Verkauf meines Hauses und meiner Möbel zur Rettung des ehrenwerten Namens der Camisys vor der Schande eines Bankerotts erfinden mußte, – so klagen Sie sich nur selbst an ... Kolossale Schwindelei, monumentale Prellerei wars; schwerer als Ihnen, wurde es mir, sie zu verwinden. Was aber sollte ich machen?
Endlich war alles in Ordnung. Ihre Freigebigkeit war die eines Edelmannes, so selbstverständlich, so voll Anstand. Gern hätte ichs Ihnen vergolten durch etwas lebhaftere ... wie soll ich mich ausdrücken? ... etwas weniger monotone Zärtlichkeit. Aber zum Kuckuck! Ebenso gut hätte man einen Tauben hörend, einen Blinden sehend machen können! Gott weiß, wie viel Ausdauer, wie viel zarte Andeutungen ich verschwendet habe. Ach! Sie wandten die Augen ab, Sie flohn die süße Gefahr, aus Furcht, der Versuchung, es an Hochachtung mir gegenüber fehlen zu lassen, zu erliegen, mir gegenüber, die ich nichts anderes wollte. Eines Tages, etwas angeheitert, glaube ich, fühlte ich mich versucht, abzuirren. Ach! ich kam nicht weit! Sehr bald sah ich an der Angst, die sich auf Ihrem Gesicht malte, daß ich auf falschem Wege war, und kehrte schleunigst um. Gestehen Sie dennoch, daß Sie sich nicht schlecht geängstigt haben?
Nun änderte ich meine Taktik. Gewandt brachte ich unsere Gespräche auf heikle Dinge. Unbefangen fragte ich Sie aus, Sie, der Sie doch so wenig imstande waren, zu antworten. Ich vertraute Ihnen Unterhaltungen an, die ich angeblich durch Zufall gehört hatte, ich bat um Erklärungen, denn, sagte ich, ich hätte nicht ganz verstanden ... Wie komisch Sie waren! Stammelnd, errötend, bemühten Sie sich, die Plauderei abzulenken! ... In die Enge getrieben, erklärten Sie: »ja gewiß, es giebt Männer ohne Grundsätze, welche ... gemeine Frauen, die ... etc.« Sie aber könnten »niemals ein Weib lieben, ohne es wie Ihre Frau zu achten.«
Des Kampfes müde, gab ich es auf; wir fuhren fort, die Suppe der Liebe – gewürzt mit Hochachtung, zu kochen. Meine Schwäche mußte wirklich sehr echt sein, um so viel Korrektheit zu überdauern. Lange, lange hielt ich sie aus: bis zu dem Tage, da das furchtbare Gespenst, die Vorläuferin des Bruches, sich zwischen uns erhob: die Langeweile. Ja, lieber Freund, ich liebte Sie noch, aber Sie langweilten mich tötlich. All das, was Sie zu einem jungen Gentleman von der vollkommensten Erziehung, dem tadellosesten Anstand macht, alles, was mich früher bezaubert hatte, erbitterte mich nun. Jedes Wort, jede Bewegung von Ihnen machte mich nervös. Gern wäre ich zornig geworden, hätte Ihnen gern eine Scene gemacht, ein wenig hätte es mich erleichtert: aber wie sollte ich mich mit einem Menschen zanken, der zu mir immer wie zu einer Prinzessin sprach und meiner kleinsten Laune nachgab, der alles – mit Handschuhen anfaßte? ... O mein lieber Vicomte, wie hochachtungsvoll waren Sie in jener schweren Zeit – und wie langweilig! Dennoch betrog ich Sie nicht. Was wollen Sie, ich bin nicht für Polyandrie. Der Geschmack ist verschieden. Lang noch hätte es so fortgehen können und das wäre für Sie, wie für mich, ärgerlich gewesen. Zum Glück griff der Zufall ein.
Vor vierzehn Tagen kehrte ich aus Ihrer Garçonwohnung zurück, nach einer jener traurigen Schäferstunden, in denen Sie immer, selbst, wenn Sie Ihre Kravatte lösten, aussahen, als wollten Sie um mich anhalten; entnervt, verbissen, in der Stimmung, jemanden zu schlagen, kehrte ich heim: Bei solchen Gelegenheiten gehe ich zu Fuß; das Gehen vertreibt die Grillen. Weit hinter dem Park Monceau, auf dem Boulevard de Courcelles hörte ich Schritte hinter mir. Ich wandte mich halb zurück und sah einen Vierziger, das Gesicht stark gerötet, der Gang schwerfällig, zwischen den Lippen eine dicke Cigarre, und über der ganzen Persönlichkeit jenes Air eines englischen Sportsman, das niemals täuscht. Ich beschleunigte meine Schritte; auch er ging rascher.
Schließlich wars mir ja gleich, ob man meine Adresse erfuhr; ich erreichte die rue de Phalsbourg und meine Wohnung, ohne zu zeigen, daß ich ihn bemerkt hatte.
Ich war in meinem Zimmer, hatte Schleier und Hut abgelegt, als plötzlich der Spiegel über meinem Kamin das Bild meines Verfolgers zurückwarf. Ruhig war er hinter mir eingetreten, war der Dienerschaft nicht begegnet oder hatte ihr mit einigen Louisdors den Mund gestopft.
Wütend wandte ich mich um:
»Mein Herr, eine Beleidigung ists, so bei einer Dame einzutreten! gleich gehen Sie oder ich lasse Sie hinaus werfen!«
Er rührte sich nicht, zog sein Taschenbuch heraus und zeigte mir Banknoten.
»Geben Geld«, sagte er, »Geld viel ... Ich lieben Frauen, die haben große Brust, wie Sie ...«
Und als ich schellen wollte, verschloß er die Thür, packte mich an den Handgelenken und sagte:
»Why not? warum nicht? Das sein Ihr Gewerbe, is it not?«
Was soll ich Ihnen sagen, mein lieber Jean? Herr William Hopkins (denn er war es) benahm sich mir gegenüber wie das gemeinste Vieh: und jetzt, da ich ihn kenne, überrascht es mich nicht; er hat die Erziehung eines Stallknechts. Aber die Seele einer Frau ist auch für eine Frau ein Rätsel; in meinem Zustand der Entnervung damals that seine Brutalität mir wohl wie eine starke Douche. Dazu kam, daß Herr William, der seine Jugend in Londoner Löchern verbracht hatte, mir sogleich Liederchen vorsang, die ich seit meinem Verhältnis mit Ihnen nicht mehr gehört hatte, und die ich mit Vergnügen wiedererkannte.
Als er fort war, – auf dem Kamin hatte er mit Ostentation eine stattliche Anzahl Banknoten zurückgelassen und gesagt, er würde wiederkommen – versank ich in tiefes Nachdenken.
Meine neue Eroberung gefiel mir sicher nur halb; dennoch war's der Mann, den ich brauchte, um von so viel unverdauter Hochachtung zu genesen.
Er kam wieder. Ich empfing ihn unfreundlich, was ihm gleichgültig zu sein schien. In den vierzehn Tagen, in denen ich Sie mit ihm betrog, entsprach er jeden Augenblick der Meinung, die ich seit unsrer ersten Begegnung von ihm hatte: lasterhaft, brutal, ungebildet, – immer war sein Mund voll von Flüchen und (was eine Entschädigung ist) seine Hand voll Guineen.
Vorgestern erzählte er mir, daß er nach Italien reise und schlug mir vor, ihn zu begleiten. O wirklich, ein Engagement einer Sarah Bernhardt würdig: zwei Monat Reise, alle Kosten bezahlt, das Recht, zwei Dienstboten mitzunehmen, und so und so viel per Tag.
Ich nahm an.
In zwei Monaten reist Herr William nach Indien zurück, wo er Geschäfte hat. Ich kehre nach beendeter Tournee ganz frei nach Paris zurück, was denken Sie jetzt von mir, mein Freund? Dieser Brief hat wahrscheinlich all Ihre Illusionen über mich zerstört; ich darf nicht hoffen, daß Sie mich wieder aufsuchen.
Haben Sie dennoch Lust dazu, wird man Sie in der rue Phalsbourg mit offenen Armen empfangen: ich bin bereit, Sie wieder sehr lieb zu haben – sehr – aber nichts mehr von Hochachtung – schwören Sie's mir – kein bißchen Hochachtung mehr!