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Das lebendige Museum

Ein anschauungsstarkes Abbild unserer Betrachtungen stellt sich schließlich in Berlin in einem Hause dar, das seinem Inhalt nach zwar retrospektiv ist, aber dabei durchaus modern ein Beispiel dafür liefert, wie der Geist den Körper baut: Ludwig Hoffmanns Märkisches Museum.

Museen waren bisher Archive und Registraturen der Vergangenheit, spröde Bildungsinstitute, Herbarien im Großen, die, um die Würde der Wissenschaft zu wahren, sich den Leitspruch setzten: Il faut être sec!

Wir aber sehnen uns von der trockenen zur fröhlichen und lebendigen Wissenschaft. Lebendig machen, das ist jetzt Wunsch und Ziel, und in unserer Angewandten-Kunst-Bewegung ist es ja eigentlich auch die gleiche Tendenz. Denn auch hier gilt es, vom erstarrten, seelenlosen Schema der Stilvorbilder loszukommen aus unbefangener Erkenntnis von Zwecken und Bedürfnissen und im werktätigen Zusammenhang des Lebens unseren Gebrauchsgeräten eine angemessene, aus ihrem Wesen entwickelte Ausgestaltung zu geben.

Dies neu gestärkte Lebensgefühl im Anschauen und Bewerten brachte auch ein neues Verhältnis zu den Vergangenheiten. Viel feiner und einsichtiger sah man nun die Werke guter Epochen darauf an, wie in ihnen Stoff und Form sich logisch verhält, wie aus dem Material die schmuckhafte Wirkung abgeleitet wird, wie Proportionen und Linien auch bei ungeschmückten Dingen ästhetische Lustgefühle wecken, wie Gebrauchsbestimmung und handliche Verwendung formbildend wirkt.

Das ist freilich ein anderer Ahnenkultus als der frühere, der stumpf und sinnlos Renaissance-Ornamente durchpauste, abgoß und sie mißverständlich an falscher, unorganischer Stelle aufklebte. Das war Kopieren, heut aber gibt es lebendige Wiederkehr.

Und so erklärt sich die scheinbar paradoxe Tatsache, daß in einer Zeit der Neubestrebungen das »Echo du temps passé« so stark in das Orchester der Zukunftsmusik hineintönt.

Dies Gefühl, möglichst alle Dinge nach ihrem Wesen zu erkennen und daraus ihnen Form, Einkleidung und sichtliche Darstellung zu gewinnen, ist nun auch bei der Lösung von Museums- und Ausstellungsaufgaben wirksam gewesen und hat eine ganz neue »Angewandte Kunst« in der Museums-Inszenierung erweckt.

Das Münchener Nationalmuseum von Emanuel von Seidl begann damit, die Schätze der verschiedenen Kulturen in einer ihnen stilgemäßen Architektur-Umgebung darzubieten.

In unserem, äußerlich allerdings nicht glücklichen Kaiser-Friedrich-Museum wurden echte alte Decken, italienische Marmortürrahmen, niederländische Kamine (für das Rembrandtzimmer) verwendet, um den aufgestellten Objets d'art die atmosphärische Stimmung zu geben.

Im Ausland kennt man übrigens die Reize solcher Milieu-Regie schon lange und verlegte gern die Sammlungen in echte alte Stimmungsgehäuse, vor allem in Klöster mit Kreuzgängen und Blumenhöfen, oder in Palazzi, man braucht nur an das Thermenmuseum in Rom zu denken, an Pitti in Florenz, an Cluny in Paris, an die Franz Hals-Galerie in Haarlem, an die Wallace-Kollektion zu London im Schloß der Hertford.

In kleineren Veranstaltungen hat man auch in Berlin statt der registrierenden Methode die darstellerische zur Anwendung gebracht. Z. B. bei der Ausstellung der Grabsteine, die im Rahmen einer Friedhofsanlage stattfand.

Jetzt aber ist in einer bewunderungswerten Schöpfung dies Prinzip im ganz großen Stil verwirklicht worden, und das ist das neue Märkische Museum von Stadtbaurat Ludwig Hoffmann. Das Sehenswerteste ist das wohl, was wir heut fremden Gästen zeigen können.

Schon die Lage hat Stimmung. In Kölln an der Spree, der Jannowitzbrücke gegenüber, ist das Museum angesiedelt, eine freie Bauanlage, im Grünen des Köllnischen Parkes; die alte Bastion der Befestigung bildet darin einen Hügel und im Mauerwerk und im bildnerischen Schmuck dieses Gartengeländes sind echte alte Stücke verwendet, so der efeuumsponnene Wusterhausener Bär, der von dem ehemaligen Festungsgraben herstammt, ferner Schlußsteine und Reliefplatten von Schlüter und Eosander von Goethe, Reliquien des Schloßbaus um 1701. Das ist, wie im einzelnen noch näher gezeigt werden wird, charakteristisch, daß Ausstellungsobjekte, die man früher isoliert in Massenanhäufung darbot, hier in ihr Wesensklima versetzt werden und darin nicht unfruchtbar verharren, sondern dienend lebendige Funktion übernehmen. Daraus kommt Nähe und Gegenwart.

Wechselwirkung findet statt. Aus der Art dieser Sammlung ist der Plan der Bau-Anlage erwachsen, und diesem Bau entsprechend sind dann wieder die Dinge anpassungsvoll untergebracht worden.

Frei ist die Anlage, aus verschiedenen Komplexen bestehend – wie es auch das Münchener Museum ist – weil der Umfang der Sammlung ein großer und von wechselnder Mannigfaltigkeit ist.

Der Hauptteil ist in der Gestalt märkischer Kirchen in Backstein-Gotik errichtet mit Strebetürmen, Rosenfenstern und kunstvoll durchbrochenen Mauerrosetten. Keine Attrappe ist das, wie es der romanische Kirchenbau von Peter Behrens für die technischen Künste der A. E. G. auf der Schiffsbau-Ausstellung war, sondern legitimer Ausdruck für die inneren Räume und ihren Inhalt, für die große Halle und die Kreuzgewölbe-Kapelle mit ihren Schätzen sakraler Kunst.

In die große Halle gelangt man, nachdem man am steinernen Roland mit dem grünenden Donnerkraut auf dem Haupt vorbei durch den Stiegeneingang eine Vorhalle passiert, die die Stimmung alter Torwachen hat. Niedrig gedeckt mit geräucherter, gefelderter Holzdecke ist sie, steinerne Säulen mit primitiv behauenen Kapitälen (von Ignatius Taschner) tragen sie, Wächterspieße und Hörner, alte Feuerlöschgerätschaften sind hier untergebracht. Es ist wie eine Illustration zu einem Willibad-Alexis-Kapitel.

Und dann kommt man über Stufen in die hohe Halle. Ein Kirchen-Längsschiff streckt sich mit Emporen-Gang, farbigen Fenstern, seitlichen Kapellennischen. An der Hauptwand erhebt sich hier altargemäß das Sakramenthäuschen aus dem Dom zu Wittstock auf dem Hintergrund eines schönen, alten Wandteppichs. Auf achteckigen Steinen stehen alte Glocken und Taufschalen. In den Nischen sind organisch in die Wand gemauert große Grabplatten. Truhen und Laden umziehen die Wände. Einige Skulpturen, die steinerne Madonna aus der Spandauer Nikolaikirche und die Holzfigur eines Bischofs beleben den Raum.

Und jetzt führt eine echte alte Tür – aus der Petrikirche stammt ihre Einfassung – hinunter in den Hof, dessen Inszenierung außerordentlich gelang.

In dem efeubegrünten Mauerwerk sind alte, steinerne Haus- und Friedhofstafeln angebracht. Schmiedeeiserne Handwerks- und Gewerkszeichen recken ihre Arme, das Herbergsschild der Berliner Tuchmachergesellen hängt weit heraus, am turmartigen Ausbau einer Seite ist eine Sonnenuhr, und in der Mitte ist auf einer Säule ein altes Wappen-Kapitäl mit den Familien-Insignien der Bürgermeister Wins, Blankenfelde und Strobandt errichtet.

So geht es durch immer neue und wechselnde Schauplätze, und ein jeder ist kulturell mit liebevollem Sinn eingestimmt.

In steinerne Waffenhallen tritt man, wie in die Rüstkammern einer alten Burg: Kugelpyramiden sind aufgeschichtet, Lanzen, Partisanen, Spontons mit Helmen zu Trophäen aufgebaut. Bewunderungswürdig erscheint dabei, wie die Requisiten des Ausstellens von Hoffmann zu diesen Objekten komponiert sind. Nicht etwa in schablonenmäßiger Stilnachmacherei, sondern ganz persönlich – man kann sagen modern – in einem reinen, sachlichen Materialstil.

Völlig schmucklos sind diese Ständer aus handgeschmiedeten Eisenspangen und Speichen, dabei aber von lebendigstem Linienwuchs. Von gleichem Geist die Vitrinen, Glaskästen in wuchtiger Eisenbandfassung und diese Bänder in ihrem schwarzgrauen Materialton, mit den wuchtigen Nieten und eckenbindenden Verschweißungsstücken, mit der Flächenbelebung durch Hammerschlag sind in ihrer Energie stilverwandt dem Waffenhandwerk.

Ebenfalls kann man sich nicht sattsehen an den eisernen Gittertüren, die in das steinerne Mauerwerk eingehängt, die Verbindungen zwischen Hallen und kleineren Seitenkammern betonen. Aus Flechtwerk sind sie, aus verkreuzten Stäben; Ringe und pfropfenzieherartige Glieder fassen die Verbindungsstellen und Verknotungen kräftig zusammen. Alle Wirkung kommt hier aus der Struktur und der Technik, aus der sichtlichen Prägung durch die Hand, die den Stoff meistert; das ist Schönheit aus der Arbeit gewonnen, Schönheit einer Guild of Handicraft.

Bis ins kleinste geht dies, bis zu den Klinken, zu den eisernen Gespinstgittern der Heizkörper.

So kann man sagen, daß dies retrospektive Museum eigentlich der Anlage, der Disposition, dem Geist nach, der sich hier ausspricht, das sprechendste Denkmal guter moderner Kunst ist.


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